Holzarbeiter-Zeitung; Die Handelsverträge

Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; <NZ>Unvollständige Flugschrift Nr. 6 13. Jahrgang Stuttgart, 11. Februar 1905 [] Holzarbeiter-Zeitung [] <NZ>Organ des Deutschen Holzarbeiter-Verbandes [] Erscheint wöchentlich am Samstag. [] Abonn...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Deutscher Holzarbeiter-Verband
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 01.02.1905 - 23.07.2002
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/BADBE50A-8DA5-48AF-9806-282090BFF3BA
Description
Summary:Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; <NZ>Unvollständige Flugschrift Nr. 6 13. Jahrgang Stuttgart, 11. Februar 1905 [] Holzarbeiter-Zeitung [] <NZ>Organ des Deutschen Holzarbeiter-Verbandes [] Erscheint wöchentlich am Samstag. [] Abonnementspreis Mk. 1.50 pro Vierteljahr. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Für Verbandsmitglieder unentgeltlich. [] Verantwortlich für die Redaktion: E. Fr. Deinhardt, Stuttgart. Für die Expedition und den Anzeigenteil: Ed. Steinbrenner, Stuttgart. Redaktion und Expedition: Stuttgart, Adler-Straße 43. [] Inserate für die viergespalt. Petitzeile oder deren Raum 60 Pfg. Vergnügungsanzeigen und Stellenvermittlungen 30 Pfg. Versammlungsanzeigen 15 Pfg. Beilagen nach Übereinkunft. [] Die Handelsverträge. [] Die neuen Handelsverträge, welche die Reichsregierung auf Grund des durch eine Vergewaltigung der Zollwuchergegner im Reichstag angenommenen Zolltarifs mit Italien, Belgien, Rußland, Rumänien, der Schweiz, Serbien und Österreich-Ungarn abgeschlossen hat, sind nunmehr am 1. Februar dem Reichstag zugegangen, nachdem die offiziöse Presse einige Tage vorher, gezwungen durch angeblich irrtümliche Mitteilungen über dieselben in der ausländischen Presse, einen Auszug daraus veröffentlicht hatte. Damit sind endlich alle Zweifel über die zukünftige Gestaltung der deutschen Handelsbeziehungen mit dem Ausland beseitigt. Wir sehen jetzt klar in die Zukunft, eine Zukunft, die für die deutsche Arbeiterschaft allerdings wenig rosig erscheint. [] Denn an der Annahme dieser Handelsverträge, mögen sie auch für die deutsche Industrie eine latente Krisis und damit für die deutsche Arbeiterschaft eine andauernde ungünstige Arbeitsgelegenheit bringen, mögen sie für die große Masse der Konsumenten, und das sind wiederum die Arbeiter, teures Brot bringen, ist nicht zu zweifeln. Der Reichstag hat nur die Wahl, die Handelsverträge unverändert, als Ganzes, anzunehmen oder sie abzulehnen. Ohne Zweifel wird die Entscheidung des Reichstags eine diesen Handelsverträgen günstige sein. Erfüllen sie doch ganz das, was die Mehrheitsparteien des Reichstags immer wieder und ungestümer gefordert haben, bringen sie uns doch eine bedeutende Verteuerung der landwirtschaftlichen Produkte, zum Schaden der deutschen Industrie und der deutschen Arbeiterschaft. Wie sollten diese Parteien jetzt dazu kommen, die nunmehr nach ihren Wünschen abgeschlossenen Handelsverträge aus Rücksicht auf das von ihnen jederzeit bekämpfte Interesse der deutschen Industrie und auf das von ihnen jederzeit mißachtete Konsumenteninteresse abzulehnen. Man muß also mit diesen uns Arbeitern so gefährlichen und verhängnisvollen Handelsverträgen als mit einer vollzogenen Tatsache rechnen. [] Von der politischen Arbeiterpresse sind diese Handelsverträge mit dem Schlagworte "Teure Nahrung - schlechter Lohn" sehr richtig charakterisiert worden. Man vergegenwärtige sich nur die Tatsache, daß nach den neuen Handelsverträgen erhöht werden sollen die Zollsätze für 100 Kilogramm Roggen um 1,50 Mark, Weizen um 2 Mark, Malzgerste um 2 Mark, Hafer um 2,90 Mark, Mehl um 2,90 Mark, Malz um 2,15 Mark, Hopfen um 6 Mark, Schlachtochsen um 3,75 Mark, Schlachtkühe um 5,75 Mark (der Zoll ist fast vervierfacht), Jungvieh um 6 Mark (vervierfacht), Schweine um 5,67 Mark (fast verdreifacht), Fleisch um 10 bis 12 Mark, Butter um 4 Mark, Margarine um 4 Mark. Das sind Zollerhöhungen, welche die Arbeiterschaft aufs empfindlichste treffen müssen, da in allen diesen angeführten Nahrungsmitteln eine bedeutende Einfuhr aus dem Ausland notwendig ist. An Getreide, Mehl, Malz, Hopfen allein braucht Deutschland jährlich eine ausländische Zufuhr im Werte von mehr als 600 Millionen Mark. Für weitere 125 Millionen mußte im Jahre 1903 Schlachtvieh nach Deutschland eingeführt werden. Es ist also für alle angeführten Lebensmittel, Brot, Butter, Fleisch, Bier, eine bedeutende Preissteigerung zu erwarten, die im günstigsten Falle etwas hinter den Zollerhöhungen zurückbleibt, in ungünstigem Falle, nämlich bei Steigen des Weltmarktpreises, diese Zollerhöhungen noch übertrifft. [] Man vergegenwärtige sich ferner, daß schon die bisherigen niedrigeren Zollsätze sehr niederdrückend auf die Lebenshaltung der deutschen Arbeiterschaft gewirkt haben. Wir haben ja unter der Ägide der Caprivischen Handelsverträge sogar eine förmliche Brotteuerung und eine Fleischnot gehabt. Zu welchen Exzessen der Brotwucherer gegen die konsumierende Bevölkerung mag es erst unter den Bülowschen Handelsverträgen, die zu Brotwuchergeschäften der schlimmsten Art geradezu herausfordern, kommen. Wozu diese Art Getreidezollpolitik führt, haben wir ja in England gesehen, wo vermöge hoher Brotzölle die Arbeiterbevölkerung in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geradezu in das nackte Elend hineingetrieben war. [] Wenn die deutsche Arbeiterschaft auch nur die Hälfte des Elendes zu erdulden haben wird, was das englische Proletariat zu jener Zeit durch hohe Brotzölle zu erdulden hatte, so werden die nächsten zwölf Jahre des Bestehens der deutschen Handelsverträge für die deutsche Arbeiterschaft im Zeichen der Entbehrungen und des Hungers stehen. Jeder Volksfreund muß diese Entwicklung bedauern, der Arbeiterschaft muß sich aber eine tiefe Erbitterung bemächtigen über die Volksvertretung und die Regierung, die an ihr so handeln konnte. Allenthalben machen sich in der arbeitenden Bevölkerung Anzeichen einer allgemeinen Degeneration bemerkbar. Die Hygieniker haben sich mit den Sozialpolitikern und der Arbeiterschaft verbündet, diese gesellschaftliche Gefahr zu beseitigen. Da werden Tuberkulose- und Arbeiterschutzkongresse aller Art abgehalten, um die Vorbedingungen zu einer Gesundung der Arbeiterbevölkerung zu schaffen. Zu gleicher Zeit kommen aber unsere Gesetzgeber her und unterbinden der Arbeiterschaft auf eine lange Reihe von Jahren direkt alle Lebenskräfte. Billiges Brot wäre das einzige Mittel, um das Proletariat vor dauerndem Siechtum zu bewahren, doch man verteuert, um keinen Zweifel über die Absichten, die man hegt, aufkommen zu lassen, auch noch das teure Brot. Eine praktische Variierung zu dem Heineschen Vers: Hast du viel, so wirst du bald noch viel mehr dazu bekommen, hast du wenig, so wird dir auch noch das wenige genommen, aber wenn du gar nichts hast, ach, dann lasse dich begraben, denn ein Recht zum Leben, Lump, haben nur, die etwas haben. [] Die Wirkungen der Brotwucherzölle brauchen, wie gesagt, nicht so schlimm zu sein, wie seinerzeit in England, in jedem Falle werden sie aber eine eminente Schädigung für die Lebenshaltung der Arbeiterschaft bringen. Berechnen läßt sich dieser Schaden, den der Arbeiterhaushalt durch die infolge der Zollerhöhungen eintretende Lebensmittelverteuerungen erleidet, ja nicht genau, daß er aber eintritt, ist sicher, und er ließe sich nur wirkungslos machen durch eine günstigere Arbeitsgelegenheit und durch höhere Löhne, als bisher gezahlt worden sind. Die Aussichten dafür sind aber nur gering, und gerade die Handelsverträge unterbinden jede Möglichkeit einer günstigeren Gestaltung der deutschen Arbeitsverhältnisse für die nächste Zukunft. Die Auslandstaaten, mit denen Deutschland in einem Handelsvertragsverhältnis steht, haben die deutsche Forderung nach hohen Getreidezöllen, wie wir richtig voraussagten, mit entsprechenden Erhöhungen der Industriezölle beantwortet. Den Schaden davon hat die deutsche Industrie, die für ihre Produkts nur im Ausland die nötigen Absatzmärkte findet. Ihre Konkurrenzfähigkeit dort wird durch die höheren Industriezölle aber sehr beschränkt. Die Folgen werden sich in einer geringeren Absatzfähigkeit, einer verringerten Produktion, verschlechterter Arbeitsgelegenheit und - am letzten Ende - in einem rapiden Lohndruck äußern. [] Wie sehr die neuen Handelsverträge dem Interesse der deutschen Industrie und der deutschen Arbeiterschaft auch nach dieser Seite schaden, das zeigt lehrreich eine Tabelle, die der "Vorwärts" aufstellt, und die die Erhöhung einiger wichtiger russischer Industriezölle betrifft. Die deutsche Ausfuhr von Eisen- und sonstigen Metallfabrikaten im Werte von 200 Millionen Mark (im Jahre 1903) wird durch neue Zollerhöhungen eingeengt, wo nicht unterbunden. Beispielsweise hat sich der Zoll auf Gußeisen, Eisen- und Stahlwaren genau verdoppelt (4,20 Rubel statt 2,10 Rubel per Pud), ebenso der Zoll auf Wassermesser, Gasmesser, Metallbearbeitungsmaschinen, Schneidemaschinen usw., mehr als verdoppelt hat sich der Zoll auf Nähmaschinennadeln, der auf Lokomotiven und Dampfmaschinen hat sich um die Hälfte erhöht (3,20 Rubel statt 2,10 Rubel per Pud), der auf Maschinenteile hat sich verdreifacht (8 Rubel statt 2,70 Rubel per Pud), der auf elektrotechnische Maschinen ist um ein Drittel gestiegen (12 Rubel statt 9 Rubel per Pud). Die scheinbar geringen Zollerhöhungen für Eisenbleche und gewöhnliche Werkzeuge fallen bei den billigen Preisen dieser Massenartikel dennoch schwer ins Gewicht. [] Das ist nur eine kleine Auslese aus dem russischen Industrietarif, und dieser ist wieder nur ein kleiner Teil von den allgemeinen Zollschranken, die der deutschen Exportindustrie auf allen Seiten entgegenstarren werden. Eine vorläufig nicht übersehbare Zahl deutscher Hände droht die neue schutzzöllnerische Ära stillzulegen. Die Signatur der neuen Verträge für das arbeitende Volk ist also die: Steigende Lebensmittelpreise bei sinkender Arbeitsgelegenheit, teure Nahrung, schlechter Lohn. [] Wir haben vorläufig keine Möglichkeit, um uns dieser uns unangenehmen Tatsache zu entziehen, denn die Handelsverträge mit diesen ihren Wirkungen sind unabänderlich, und an ihrer Annahme durch die Volksvertretung ist nicht im geringsten zu zweifeln. Wir haben nur eine Möglichkeit, diese ihre Wirkungen abzuschwächen, und diese Möglichkeit ist nur durch die Gewerkschaften gegeben. Nur unsere Gewerkschaften, die Preisfechter der Arbeiterklasse, können verhüten, daß Lohnverschlechterungen eintreten, nur sie geben uns die Mittel an die Hand, um die drohende Verschlechterung unserer Lebenshaltung zu verhüten durch Besserung der Lohnverhältnisse. Die Handelsverträge sind deshalb eine deutliche Mahnung an alle Arbeiter, sich ihren Gewerkschaften anzuschließen. In diesen Tagen, wo uns geradezu der Schrecken ergriffen hat über das, was uns nach den neuen Handelsverträgen bevorsteht, sollte es unter unseren Kollegen nur eine Stimme geben: Hinein in die Gewerkschaft. Organisiert euch beizeiten, kräftigt eure Gewerkschaften beizeiten, ehe alles verloren ist. [] Allerdings ergibt sich auch für die Gewerkschaften aus der ganzen Zollwucherkampagne mit ihren uns so verhängnisvollen Ergebnissen eine recht heilsame Lehre, mehr als je Berührung mit der sozialdemokratischen Partei zu suchen. Die Sozialdemokratie ganz allein hat in diesen schweren Kämpfen die Interessen der Arbeiterschuft vertreten, alle anderen Parteien haben dabei versagt. Selbst das Zentrum, das sich doch so gern den Anschein der Arbeiterfreundlichkeit gibt, hatte nur Hohn für uns übrig, als wir auf die drohenden Gefahren hinwiesen, und es hat alles unterstützt, was diese Gefahren förderte. Gerade die Zentrumspartei hat in der letzten Zeit des öfteren dem Wunsche Ausdruck gegeben, die Gewerkschaften möchten den Mut der Überzeugung haben und sich sozialdemokratisch nennen. Wohlan denn, nennen wir uns sozialdemokratisch, es kann uns in den schweren wirtschaftlichen Kämpfen der Zukunft, die der Brotwucher heraufbeschworen hat, nur dienlich sein, wenn wir dieses Zielbewußtsein haben, das in dem Worte "sozialdemokratisch" liegt, und auch moralisch schaffen wir uns durch diese Bezeichnung ein Übergewicht. Denn sozialdemokratisch kann sich nur der nennen, dessen Hände rein sind von der Brotwucherschmach; sozialdemokratisch fein heißt, unerbittlicher Gegner aller jener Maßnahmen fein, die Not und Elend über die deutsche Arbeiterschaft gebracht haben. [] Das deutsche Proletariat im Kampfe mit Klassenstaat, Klassenmoral und Klassenjustiz. [] (Auch ein Rückblick auf das Jahr 1904.) [] 4. (Schluß.) [] - r. Der nationalsoziale Führer Naumann hat vor kurzem behauptet: "Die deutsche Arbeiterschaft ist einer sozialen Versöhnung unzugänglich, weil sie durch das Sozialistengesetz verbittert ist und weil die Erinnerung an dieses unselige Gesetz noch in ihr fortlebt; die heutige Generation muß erst ausgestorben sein, ehe der Versöhnungsgedanke zum Durchbruch gelangen kann." Diese Meinung hätte einen Schimmer von Wahrscheinlichkeit für sich, wenn es der heutige Klassenstaat nicht ganz vortrefflich verstände, die Erinnerung an das Sozialistengesetz lebendig zu erhalten, indem er auch heute noch die Arbeiter behandelt, als ob sie unter einem Ausnahmegesetz seufzten. [] Wenn wir zum Beleg dieser unserer Behauptung uns im vorigen Artikel mit den Urteilen der Gerichte beschäftigten, wollen wir nunmehr zum Schlüsse das Gebaren der Polizei und der Staatsanwaltschaft unter die Lupe nehmen. Es ließen sich hierüber ganze Bände schreiben, doch wollen wir aus den Bergen von Material, die sich im letzten Jahre bei uns aufgehäuft haben, nur ein paar Proben herausgreifen, wie sie uns gerade in die Hände fallen. "Die Düsseldorfer Polizei", so wird berichtet, "hat sich nicht damit begnügt, den Streikenden das Versammlungsrecht durch Anwendung der Polizeistunde zu beschränken, sondern sie ist jetzt mit Macht darauf aus, das Recht des Streikpostenstehens aufzuheben. Sobald die Polizei Kenntnis von dem Aufstellen der Streikposten erhielt, erschien sie in einer Stärke von acht Mann und verlangte die Entfernung der Streikenden. Die Streikposten durften nur in einer Entfernung von vielleicht 900 Meter von der Baustelle Ausstellung nehmen: der Streikposten auf dem Bahnhof wurde gleich weggejagt. Streikende, die die Polizeibeamten auf das Ungesetzliche dieses Vorgehens hinwiesen und sich weigerten, die Straße zu verlassen, wurden verhaftet. Selbstverständlich werden sich die Gerichte noch mit der Affäre beschäftigen, doch sind vorläufig die Streikenden durch das ungesetzliche Gingreifen der Polizei in die wirtschaftlichen Kämpfe die Benachteiligten." . . . Der Stadtrat in Gera hatte das Streikpostenstehen verboten und mehrere Streikende mit Strafmandaten beglückt, "weil sie auf der Straße gestanden, respektive zwecklos hin- und hergegangen feien". Das Schöffengericht hob die Strafmandate auf und erkannte auf kostenlose Freisprechung und legte die den Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf. In der Urteilsbegründung hieß es: "Der Stadtrat möge gewiß berechtigt sein, Verordnungen zu erlassen, die der Verkehrssicherheit dienen; zum Erlaß einer solchen Verordnung sei der Stadtrat aber nicht berechtigt. Zudem sei die Verordnung rechtlich nicht durchführbar, denn sie beeinträchtige die Freiheit der Bürger und gebe die Entscheidung darüber, was "zweckloses hin- und hergehen" sei, den Schutzleuten anheim." Das klingt sehr vernünftig, denn wenn man annehmen will, daß die Angeklagten Streikposten gestanden haben, so sind sie doch nicht "zwecklos" hin- und hergegangen, und wenn man ferner alle diejenigen bestrafen wollte, die auf der Straße "zwecklos" hin- und hergehen, so würde manch feine Dame und mancher Straßengigerl, die ihre Zeit mit Nichtstun verbringen, der Polizei in die Finger fallen. [] Besonders die Königsberger Polizei hat sich in diesem Kampfe hervorgetan. Der dortige Polizeipräsident erließ einen Ukas, wonach die Schutzleute angewiesen wurden, das Streikpostenstehen tunlichst zu verhindern und die Streikenden fortzuweisen. Trotzdem die Schöffengerichte die wegen Streikpostenstehens angeklagten Arbeiter freisprachen, gab der Regierungspräsident auf eine Beschwerde über das ungesetzliche Vorgehen des Polizeigewaltigen folgende Antwort: "Auf Ihre Eingabe erwidere ich, daß ich nach eingehender Prüfung der Sache und Rechtslage keine Veranlassung sehe, in die vom Herrn Polizeipräsidenten zur Aufrechterhaltung der Straßenordnung getroffenen Maßnahmen von Aufsichtswegen einzugreifen, zumal die bisher freisprechenden Erkenntnisse des hiesigen Schöffengerichts sämtlich durch Rechtsmittel angefochten worden sind, über welche die richterliche Entscheidung abzuwarten bleibt." Abertrotz freisprechender Gerichtsurteile werden die Streikposten ruhig weiter schikaniert. Als aber ein Maurer das ungesetzliche Tun der Polizei kritisierte, wurde er wegen Beleidigung der Polizei angeklagt, und der Staatsanwalt entwickelte folgende merkwürdige Logik: "Ein allgemeines Verbot des Streikpostenstehens wie in Lübeck ist allerdings unstatthaft. Aber im einzelnen Falle, bei der Erregung, die hier herrschte, bei dem Streik, der hier stattfand, ist es statthaft. Die Angreifer in diesem Lohnkampf sind nach meiner Ansicht die Arbeiter gewesen. Die Unternehmer haben sich gewissermaßen in der Notwehr befunden. Die Koalitionsfreiheit der Arbeiter ist von keiner Seite angezweifelt worden. Aber sie verlangten, wie in so vielen Fällen, den Koalitionszwang. Bei solch einem Notstand ist die Polizei berechtigt, von ihren eigenen Anordnungen abzugehen." Nach staatsanwaltlicher Logik darf also die Polizei gegen Gesetz und Recht verstoßen, wenn es das Geldbeutelinteresse des Unternehmertums erfordert. Inzwischen haben übrigens mehrere Gerichte entschieden, daß jener Polizeiukas ungesetzlich sei und nicht zu Recht bestehe. Leider kommt eine solche Einsicht zu spät, da der Streik inzwischen beendet ist. [] Ein ganz krasser Fall ist in Berlin passiert. Zwei Tischler hatten eines Tages vor einer Fabrik Streikposten gestanden und erhielten, wie es nun einmal üblich ist, auch prompt ihr Strafmandat mit der ebenso üblichen Begründung, daß sie einen Auflauf verursacht hätten. Sie legten Berufung ein, und vor Gericht ergab sich die völlige Haltlosigkeit der Beschuldigung. Das Verbrechen existierte lediglich in der Phantasie des Schutzmanns. Die Angeklagten wurden mit folgender Begründung freigesprochen: sie hätten weiter nichts getan, als in durchaus rechtmäßiger Weise ihr Koalitionsrecht ausgeübt. Das Einschreiten gegen sie sei direkt ungesetzlich gewesen. Es verstoße gegen das Gesetz, wenn in dieser Weise das Koalitionsrecht angetastet werde. Geradezu traurig ist es, daß Leute, die nichts Ungesetzliches begangen haben, ohne weiteres Sistierungen ausgesetzt seien, dann noch Strafbefehle erhielten und so vor Gericht gebracht würden. Außer der Freisprechung erscheine es auch angemessen, die den Angeklagten erwachsenen außergerichtlichen Kosten, wie auch die Kosten der Verteidigung der Staatskasse aufzuerlegen. Denn es sei den Angeklagten nicht zu verargen, daß sie sich einen Rechtsbeistand angenommen hätten, da erfahrungsgemäß Streikprozesse, in denen Freisprechung erfolgt, von der Staatsanwaltschaft meistens durch alle Instanzen hindurch gebracht würden und deshalb für die Angeklagten eine sachgemäße Verteidigung notwendig sei. Es muß wahrlich weit gekommen sein in unserem lieben deutschen Vaterland, wenn ein Gericht, dem man doch wahrlich keine Voreingenommenheit für die streikenden Arbeiter vorwerfen kann, in solch scharfer, aber durchaus zutreffender Weise das Verhalten der Polizei und der Staatsanwaltschaft zu kritisieren gezwungen ist. [] Noch ein paar Blüten aus dem duftigen Strauße polizeilicher Schikanen: Unverständlich ist es, so schrieb der "Vorwärts" über den Streik der Glühlampenarbeiterinnen bei Siemens & Halske in Berlin, was seitens einzelner Polzeibeamten streikenden Arbeiterinnen auf der Straße oder im Polzeibureau, wo mehrere Arbeiterinnen acht, neun, ja zehn Stunden widerrechtlich festgehalten wurden, alles geboten wird. Wenn zum Beispiel einer Arbeiterin vom Polizeibeamten aus einem kleinen Buche vorgelesen wurde, sie könnte wegen Streikpostenstehens mit drei Monaten Gefängnis bestraft werden, wenn ein anderer erklärte, wegen desselben Vergehens gäbe es 150 Mark Geldstrafe oder zwei Tage Zuchthaus, so muß man doch derartige Scherze bei einer so ernsten Angelegenheit für höchst unpassend erklären. Nicht minder ungehörig erscheint es, wenn ein Beamter einer Sistierten Wein anbietet mit der Bemerkung, daß genug davon vorrätig fsi, und sie einladet, mit ihm in den Wintergarten zu gehen. . . . Über diesen selben Streik wissen die Zeitungen noch folgendes zu berichten: In einer fast menschenleeren Straße sehen wir eine merkwürdige Gruppe von Menschen - einen Schutzmann und zwei weibliche Gestalten im Straßenkostüm, mit Jackett und Hut. Die Gruppe ist von einem unserer Spezialberichterstatter in dem für den preußischen Staat, vielleicht auch für das Deutsche Reich, hochwichtigen Moment photographiert worden, wo der Schutzmann im Begriff steht, die beiden Repräsentantinnen des schwachen Geschlechtes, die sich in ruhiger, niemanden behelligender Weise in der stillen, weltabgeschiedenen, verkehrslosen Straße bewegten, zur Wache zu sistieren. Es soll durch die beiden friedlichen Arbeiterinnen eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, eine Behinderung des Verkehrs bedingt sein. Die beiden Sistierten gehören zu den streikenden Arbeiterinnen der Firma Siemens & Halske. Also der Tatbestand: In einer "menschenleeren" Straße ohne Verkehr, in der Platz für hunderttausend Personen ist, bedrohen zwei ruhig ihres Weges gehende, vielleicht auch einmal stillstehende junge Mädchen die öffentliche Ordnung und Sicherheit; erregen sie die Besorgnis, daß sie den Verkehr hindern könnten, den es in dieser Straße nicht gibt; erwecken sie den Verdacht, daß sie lästig werden könnten den Vorübergehenden, die man in dieser stillen Straße weder im Vordergrund mit dem Mikroskop, noch im fernen Hintergrund mit dem Teleskop entdecken kann. Das zweite Bild, gleichfalls einen Ausschnitt aus einer menschenleeren Straße der Nachbarschaft vorführend, zeigt uns einen Schutzmann, der eine streikende Arbeiterin, eine sympathische, den anständigsten Eindruck machende junge, gutgekleidete weibliche Gestalt, zur Wache bringt, weil sie ebenfalls für ein bedrohliches Verkehrs- und Ordnungshindernis angesehen wird. So schrieb eine bürgerliche Zeitung und veröffentlichte die Photographien als Dokumente polizeilicher Fürsorge für die Aufrechterhaltung des Straßenverkehrs. Aus Köln wurde gemeldet: Die Polizei behandelt die an der Herbrandtschen Waggonfabrik in Ehrenfeld aufgestellten Streikposten genau so, wie vor mehreren Wochen die Bauarbeiter am Deutschen Ring. "Mittwochnachmittag gegen 2 Uhr wurde der Holzarbeiter Brand, Mitglied des christlichen Holzarbeiterverbandes, von der Straße weg verhaftet und, trotzdem der Mann nicht den geringsten Widerstand leistete, sogar an die Kette genommen. Gegen 6 Uhr wurde ein Mitglied des Deutschen Holzarbeiterverbandes, Ludwig David, ebenfalls verhaftet. Es muß hier bemerkt werden, daß die Leute in keiner Weise der Polizei Gelegenheit gaben, einzuschreiten. Von einem Zusammenlauf oder einer Störung des öffentlichen Verkehrs kann absolut nicht die Rede sein. Außerdem sind die beiden Personen allgemein als ruhig und nüchtern bekannt. Der für diese Verhaftung verantwortliche Polizeikommissar hat ganz einfach erklärt: "Ich dulde keine Streikposten!" Und damit basta! [] Sollen wir noch mehr Beispiele anführen? Man sollte meinen, daß die angeführten genügen. Charakteristisch ist noch, daß diese selbe Polizei, die die streikenden Arbeiter wahrlich nicht mit Glacehandschuhen anfaßt, selbst sehr zartfühlend ist und gegen jedes kritisierende Wort scharf vorgeht. So wurde ein Strafantrag gestellt gegen die "Norddeutsche Volksstimme" in Geestemünde, weil sie unter der Stichmarke: "Ein Reinfall der Polizei" über einen - Reinfall der Polizei berichtet hatte. Die Staatsanwaltschaft legte sich für diesen Strafantrag scharf ins Zeug, doch lehnte das Landgericht in Bremen die Eröffnung des Strafverfahrens ab. Denn - so heißt es in der Begründung - die Öffentlichkeit hat ein hervorragendes Interesse daran, daß die Polizeiorgane, insbesondere gegenüber der Freiheit der Person, ihre Machtbefugnisse nicht überschreiten, und daß sie zur Erreichung dieses Zweckes über deren Umfang gehörig instruiert seien. Wo an maßgebenden Orten Meinungsverschiedenheiten über diesen Umfang hervorgetreten sind, hat die Tagespresse zweifellos das Recht, darüber zu berichten und zur Belehrung des Publikums über diesen es eng berührenden Gegenstand beizutragen. Haben sich auf diesem Gebiet Mißstände ergeben, so hat die Tagespresse das Recht und sich zur erlaubten Aufgabe gestellt, darauf hinzuweisen, die Vorkommnisse als Mißstände zu rügen, das Interesse der Leser dafür zu erwecken und die Mißstände zu bekämpfen. . . . Unter diesen Umständen kann in den Worten: "Ein Reinfall der Polizei" eine Beleidigung nicht gefunden werden. Es ist nicht zu verkennen, daß der Ausgang des Strafprozesses ein für die Polizei beschämender war, insofern er nicht nur nicht zur Verurteilung des Angeklagten Gosewisch führte, sondern ihr auch noch die gerichtliche Mißbilligung des Verhaltens des Schutzmannes und der ihm gegebenen Instruktion eintrug. Für einen solchen ärgerlichen, beschämenden Ausgang ist der Ausdruck "Reinfall" in der Sprechweise des gewöhnlichen Lebens und namentlich der Volksklassen, aus denen sich der Leserkreis des Blattes zusammensetzen wird, nicht ungewöhnlich und nicht ungebührlich, wie man denn bei der Besprechung von Zivilprozessen sehr oft den Ausdruck "reinfallen" gleichbedeutend mit "den Rechtsstreit verlieren" gebrauchen hört. Man kann vielleicht sagen, daß einige Schadenfreude in der Wahl des Ausdrucks zu liegen scheine, eine Beleidigung liegt in feinem Gebrauch nicht. [] Diesen treffenden Worten entsprechend haben wir das Verhalten des Klassenstaats gegenüber dem Proletariat beleuchtet und kritisiert, wobei wir uns allerdings nicht der Hoffnung hingeben, daß es etwas nützen wird. Der heutige Staat wird noch manchen "Reinfall" erleben müssen, ehe der Grundsatz: "Gleiches Recht für alle!" zur Wahrheit werden wird. [] Die Bewegung in den Treppengeländerfabriken Berlins und der Vororte. [] Eine geraume Zeit ist verflossen, daß die Berliner Drechsler den Raum der "Holzarbeiter-Zeitung" in Anspruch nahmen. Die Ursachen dazu liegen für jeden Sehenden an der Oberfläche. Durch die schlechte Konjunktur auf der einen, durch den modernen Stil auf der anderen Seite ist es fast ganz ausgeschlossen gewesen, für die Allgemeinheit der Drechsler Berlins nennenswerte Vorteile herauszuschlagen. Abgesehen von einzelnen Plänkeleien herrschte auf der ganzen Linie Waffenstillstand. Hierzu kam der die gesamte Holzindustrie in Anspruch nehmende diesen Kampf im Tischlergewerbe, der auch in einzelnen Betrieben Drechsler in Mitleidenschaft zog. Aus allen diesen Gründen konnte die Branchenkommission nur einzig der Agitation für den Verband obliegen. [] Anders jedoch gestaltete sich die Situation in den Bauwerkstätten. Bauwerkstätten ist eigentlich nicht mehr die richtige Bezeichnung für diese Betriebe, die fast alle, mit wenig Ausnahmen, in den letzten Jahren sich zu Fabrikbetrieben ausgewachsen haben. Also wie gesagt, in diesen Betrieben war zu beobachten, daß sich dieselben eines durchaus guten Geschäftsganges zu erfreuen hatten. Bekannt ist ja, daß die gesamte Bauindustrie sich in aufsteigender Konjunktur befindet. Aus dieser Erkenntnis heraus lag auch nichts näher, als hier ein scharfes Augenmerk auf diese obengenannten Betriebe zu haben. Zu diesem Zwecke wurde der bestehenden Kommission eine neue angegliedert, deren Mitglieder sich aus den Branchen rekrutierten, die in den Treppengeländerfabriken nicht bloß vertreten sind, sondern in den meisten Betrieben die Überzahl der Beschäftigten bilden. Zu diesen rechnen in erster Linie die Stellmacher. Die nun so vervollständigte Kommission arbeitete insofern mit gutem Erfolge, als die Agitation für den Verband durch die eigenen Branchenkollegen besser als bisher sich bewerkstelligen ließ. Dies letztere war um so mehr notwendig, als ein schon im Vorjahre beabsichtigtes Vorgehen nur durch die schlechten Organisationsverhältnisse verhindert worden war. [] Dies damalige Fehlschlagen der Hoffnungen auf Verbesserung der Lage der Kollegen hielt jedoch die Kommission nicht ab, wieder und immer wieder mit den Werkstätten Sitzungen abzuhalten und in diesen die Verhältnisse festzustellen, die einzelnen lauen Kollegen für den Verband zu gewinnen. Die Stimmung in den größeren Betrieben ging dahin, daß für die Aufbesserung der Branche etwas geschehen müßte. Schon deshalb, weil mehreremal die gute Konjunktur vorübergegangen war, ohne dieselbe auszunützen. Die Befürchtung wurde laut, daß wir schließlich damit rechnen könnten, daß im kommenden Jahre die Baukonjunktur nachlassen werde. Eine Annahme, die nicht unbegründet ist. [] Aus diesen Gründen faßte die Kommission den Entschluß, in diesem Frühjahr die Geschäftslage auszunützen. In den Sitzungen, die nun zu diesem Zwecke abgehalten wurden, konnte festgestellt werden, daß die Organisation an Ausdehnung gewonnen hatte, in den meisten Betrieben sogar eine gute zu nennen war. Überall, auch beim kleinsten Krauter, deren es ja nicht mehr viele gibt, wurde erklärt, daß tüchtig zu tun sei. Die Besetzung der Werkstätten ließ auch darin keinen Zweifel aufkommen. Während früher manchmal wochenlang die Betriebe fast ruhten, wurde dieses Mal mit wenig Ausnahmen durchgearbeitet. Hier und da kamen ja nach Ablauf der Saison Entlassungen vor, aber nicht in dem Maße wie früher. Maßgebend war wohl die Tatsache, daß die Kollegen nicht mehr so reichlich als sonst Überstunden gemacht hatten, deshalb in der sogenannten stillen Zeit noch Arbeit hatten. [] Bei dieser Gelegenheit sei zu erwähnen, daß im Vorjahr die Berliner Zahlstelle die Meister in der Treppenbranche durch Zirkular benachrichtigte, daß jedem Kollegen die Überstunden verboten sind, daß auf dem Arbeitsnachweis des Verbandes Arbeitskräfte in jeder gewünschten Zahl vorhanden seien. Der Erfolg war ein sichtlicher; in vielen Werkstätten wurden Überstunden strikte verweigert, in anderen erst geleistet, nachdem die Werkstätten gewissermaßen überfüllt waren. Wie gesagt, die Verweigerung der Überstunden gab der Kommission die Überzeugung, daß man sich auf die Kollegen mehr als bisher verlassen durfte. [] Die Vorarbeiten für die Bewegung begannen, und zwar so, daß wir mit den einzelnen beschäftigten Branchen Zusammenkünfte, Sitzungen und Versammlungen abhielten. Das so gewonnene Material wurde gesammelt und der Kommission zur Nachprüfung überwiesen, und zwar zu dem Zwecke, endgültige Vorschläge von feiten der Kommission zu erhalten. Die Bildhauer, welche meistens im Zentralverband der Bildhauer organisiert sind, wurden ebenfalls mit zur Bewegung herangezogen. [] Nachdem alle diese Vorarbeiten erledigt waren, wurden in einer am 29. Januar stattgefundenen gut besuchten Versammlung, in der sämtliche Branchen vertreten waren, die Vorschläge der Kommissionen entgegengenommen und durchaus für richtig befunden. In der Versammlung wurde festgestellt, daß zirka 300 Kollegen, die in 29 Werkstätten be-
Published:01.02.1905 - 23.07.2002