Sommerschule Alternative Wirtschaftspolitik 1997

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sommerschule Alternative Wirtschaftspolitik 1997 [] Als Reaktion auf die Wirtschaftsphilosophie von Helmut Schmidt 1975 "Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Beschäftigung von übermorgen" (GIB-Formel) habe...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Bezirksverwaltung Nordrhein-Westfalen I, Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Bezirksverwaltung Nordrhein-Westfalen II, Schaefers, Renate, Echterhoff, Raimund, Schins, Django, Eigendruck Gewerkschaft ÖTV, Bezirksverwaltungen NW I
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 07.09.1997
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/82ACB1C0-7471-4E54-996C-B110989BCDDC
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sommerschule Alternative Wirtschaftspolitik 1997 [] Als Reaktion auf die Wirtschaftsphilosophie von Helmut Schmidt 1975 "Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Beschäftigung von übermorgen" (GIB-Formel) haben einige Ökonomen in Deutschland beschlossen der herschenden [!][herrschenden] Lehre aus ArbeitnehmerInnensicht eigen ökonomische Positionen entgegenzusetzen. Sie gründeten die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Seitdem wird die Angebotspolitik der Bundesregierung begleitet von den Memoranden dieser Arbeitsgruppe, die vor allem den Gewerkschaften immer wieder belegen können, daß eine andere Wirtschaftspolitik notwendig und möglich ist. [] Seitdem führt diese Gruppe regelmäßig im September ihre Sommerschule zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen durch. In diesem Jahr erstmals als Kooperationsveranstaltung mit den beiden nordrhein-westfälischen ÖTV-Bezirken. [] Vom 7. bis zum 12. September trafen sich in der ÖTV-Bildungsstätte "Das Bunte Haus" in Bielefeld-Sennestadt ca. 40 haupt- und ehrenamtliche ÖTV'lerInnen, WirtschaftswissenschaftlerInnen, StudentInnen und weitere Interessierte, um die Ergebnisse einer sich radikalisierenden neoliberalen Politik zu bewerten und Alternativen zu diskutieren. [] Nach der Begrüßung durch Jutta Ahrweiler (stellv. Vorsitzende des Bezirks NW II), die im Namen beider Bezirksleitungen die Veranstaltung eröffnete, gab es am Montag einen Einstieg in das Thema durch Jörg Huffschmid, Professor an der Uni Bremen. Er präsentierte zunächst zum Mythos Globalisierung und zur unendlichen Geschichte deutscher Standortschwächen schlichte Zahlen, die alle populistischen Thesen zu diesen Themen widersprachen: [] Erst in einigen Jahren werden wir einen Welthandelsanteil bekommen, der dem Niveau von 1913 entspricht. [] Die Lohnstückkosten (die alle Arbeits-Kosten, auch die von der SPD und dem DGB neu entdeckten Lohnnebenkosten, enthalten) in Deutschland im internationalen Vergleich am niedrigsten. [] Die BRD ist der aggressivste Weltmarktakteur, der über immer größere Außenhandelsüberschüsse Arbeitslosigkeit exportiert (überwiegend in andere EU-Länder). [] Usw usf. ... [] "Offensichtlich dienen die Schaufensterreden zur Standortschwäche vor allem dazu, die Löhne zu drücken und Erklärungen für die skandalöse Arbeitslosigkeit zu liefern, die nichts mit der fatalen Wirtschaftspolitik dieser Regierung zu tun zu haben scheint." [] Jörg Huffschmid wies auf diesen Widerspruch noch einmal hin und erinnerte daran, daß die BRD seit dem 8.6.1967 ein "Stabilitätsgesetz" hat, das das magische Viereck einer stabilen Wirtschaft (Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht) als Leitlinie politischen Handelns vorgibt. Die letzten 15 Jahre zeigen überdeutlich, daß von diesen Zielen nur noch Preisniveaustabilität und Wachstum ernst genommen werden. Ziel der aktuellen Wirtschaftspolitik ist, stärkste Export-Nation zu bleiben (also internationales Ungleichgewicht zu zementieren) und im Inland ca. 6 Millionen Arbeitssuchende irgendwie still zu halten. [] Demgegenüber diskutierte die Sommerschule ein zukunftsorientiertes Ziel-Viereck, dem entsprechende staatliche Instrumente zugeordnet werden müssen. Die Ziele sind in dieser Reihenfolge: [] 1. Vollbeschäftigung [] 2. Soziale Gerechtigkeit [] 3. Soziale Sicherheit [] 4. Ökologische Verträglichkeit [] Staatliches Handeln, das diesen Zielen verpflichtet wäre, könnte nun entschlossen und kreativ suchen, welche Instrumente zur Erfüllung dieser Ziele eingesetzt werden könnten. Dabei sind im staatlichen Instrumentenkoffer auf jeden Fall drei große Fächer mit folgenden Überschriften: marktkonforme Instrumente, administrative Instrumente und öffentliche Investitionen. Ach, würde dieser Koffer doch geöffnet ..." [] Am Nachmittag wurde noch einmal hart diskutiert, welche Vor- und weiche Nachteile der EURO hat. Zusammenfassend wurde den nationalstaatlich-chauvinistischen Argumenten à la "Wir werden wieder mal die Zahlmeister sein ... " und "Nur ein stabiler EURO, den die deutsche Bundesbank kontrolliert, ist ein guter EURO." eine scharfe Absage erteilt. Allerdings wurde im letzten Gutachten der Memo-Gruppe zum EURO deutlich, daß es zur Zeit einzig als Geld-Projekt von Politik und Unternehmen vorangetrieben wird und es, so lange Beschäftigungs- und Umweltziele nicht gleichrangig mit eingebunden werden, nicht zu einem Projekt der lohnabhängig Beschäftigten und Nicht-Beschäftigten werden kann! Die Verabsolutierung der Maastricht-Kriterien spricht in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache. Wir können nur auf Verzögerung setzen und haben im Chef der Deutschen Bundesbank möglicherweise einen Verbündeten, da Herrn Tietmeyer klar wird, daß seine gottähnliche Stellung im Wirtschaftsgeschehen der BRD mit der Installierung der EURO-Bank perdu ist. [] "Sozialpolitik - Abbruch als Reform verpackt?!?" - ein Thema, mit dem Johannes Steffen von der Arbeiterkammer Bremen bestens vertraut ist. Auch er konnte mit einigen Mythen aufräumen, die z.T auch GewerkschafterInnen schon verinnerlicht haben. So läßt sich der objektiv nachweisbare Kostendruck in den Sozialversicherungen auf keinen Fall mit den immer wieder beschworenen Kostenexplosionen in Zusammenhang bringen. Die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen bewegen sich seit 1975 zwischen 5,5 % und 6,5 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP = Gesamtwert aller im Inland produzierten Güter und Dienstleistungen) - auch im wiedervereinigten Deutschland. Ursache für die Kosten-Krisen ist in erster Linie die hohe Arbeitslosenzahl, an zweiter Stelle die hohe Arbeitslosenzahl und an dritter Stelle die hohe Arbeitslosenzahl. Auf den weiteren Plätzen findet sich unter anderem die Unverschämtheit der Regierung, einen großen Teil der Kosten der deutschen Einheit aus den Kassen der Sozialversicherungen zu bezahlen und last but not least die willkürlich festgesetzten Einkommensgrenzen, die es den Gutverdienenden erlauben sich aus der Solidargemeinschaft zu verabschieden! [] Dennoch läßt sich z.B. in unserem Gesundheitswesen noch jede Menge Rationalisierungspotential entdecken - so könnten die Krankenhäuser verstärkt sehr gut ambulante Fälle annehmen und die gesamte Apparate-Medizin einer Region erledigen ...! [] Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer - daß dies nicht die Folge individueller Schicksalsschläge oder Eigenverschulden ist, stellte Ralf Welter, Assistent am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der TH Aachen, klar. Die vielbeschworene Schere, die sich immer weiter öffnet, ist Ergebnis einer gezielten Verteilungspolitik. Die Kohl'sche Regierungsmann/frau/schaft führt hier konsequent die Schmidt'sche Politik der Entlastung der Unternehmer und Vermögenden fort, und dies nicht nur im Bereich der Sozialpolitik, sondern auch im Rahmen der Steuer- und Abgabengesetzgebung. Das Resultat der gesamten staatlich regulierten Aneignung des gesellschaftlich produzierten Reichtums: 0,6 % der Steuerpflichtigen verfügen über 25,4 % des gesamten Geld- und Sachvermögens. Die andere Seite der Medaille: 1994 lebten 20 % aller Haushalte (dies entspricht 12 Mio. Menschen) unter der Armutsgrenze. [] Steuerpolitik, diesem Thema widmete sich Rudolf Hickel, Professor an der Universität Bremen, in einem Vortrag. Der häufig genannten These, die Unternehmenssteuern seien in der BRD zu hoch, erteilte er eine klare Absage. Dies belegte er anhand von Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIR, dem gewiß keine einseitige Parteinahme zugunsten der ArbeitnehmerInnen unterstellt werden kann. Dazu kommen zahlreiche Steuervermeidungstatbestände, die nach Berechnungen des DIW jährlich ca. 50 Mrd. DM ausmachen. Aber auch diese günstige Wettbewerbssituation führte nicht zu mehr Arbeitsplätzen, worin er die Schmidt'sche GIB-Theorie widerlegt sieht. Vielmehr wird in den Finanzmärkten investiert. Auch die ökologische Steuerreform wurde diskutiert. Hier forderte Hickel in Anlehnung an Ernst-Ulrich von Weizäcker, daß der Markt über staatlich festgesetzte ökologisch realistische Preise gesteuert werden müsse. Ein ganzer Vormittag war dann der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit gewidmet. Norbert Reuter, Ökonom an der TH Aachen, schlug drei Maßnahmen vor: [] 1. Klassische Arbeitsmarktpolitik (z.B. ABM) [] 2. Einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) [] 3. Arbeitszeitverkürzung. [] Nach dem einführenden Referat ging es dann am Nachmittag in Arbeitsgruppen, die sich jeweils intensiv mit den drei vorgeschlagenen Maßnahmen beschäftigten und die Ergebnisse dem Plenum präsentierten. Nach drei Tagen intensivem Zuhören eine neue Form der Arbeit im Rahmen der "Sommerschule", die sich bereits in der Bildungsarbeit der Gewerkschaft ÖTV bewährt hat. [] Der Freitag begann mit einem lebendigen Vortrag von Stefan Heimlich von der ÖTV in Thüringen zum Thema "Alternative Verkehrspolitik". Seine Forderungen im Hinblick auf einen ökologischen Wandel des Verkehrswesens: [] Ausbau des ÖPNV; [] Befreiung des ÖPNV von der Mineralölsteuer; [] 50 % der KFZ-Steuer zur Finanzierung des ÖPNV; [] Einführung einer Nahverkehrsabgabe und kostenlose Nutzung des ÖPNV; [] Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe; [] eine Stadt der kurzen Wege. [] Anschließend stand das Thema "Ökologischer Umbau" auf der Tagesordnung. Hermann Bömer, politischerÖkonom an der Uni Dortmund, vertrat die Meinung, daß nachhaltiges Wachstum ein Widerspruch in sich sei und provozierte mit der These: [] "Es wird keine nachhaltige Entwicklung ohne Stagnation bzw. Schrumpfung der Produktion geben." Er plädierte für einen dreidimensionalen Ansatz: 1/3 Effizienzsteigerung, 1/3 Verlängerung der Lebensdauer der Produkte, 1/3 Senkung des Verbrauchs. [] Nach einer arbeitsintensiven Woche galt es nun, Abschied zu nehmen: Von den TeilnehmerInnen, den ReferentInnen, von den gemeinsamen Diskussionen und Erleben einer neuen Seminarform. In der Abschlußkritik wurde neben den Inhalten das Erleben des gemischten TeilnehmerInnenkreises als sehr positiv herausgestellt. Ein Beleg dafür, daß diese neue Form der Kooperation von Gewerkschaft ÖTV und Memorandum-Gruppe für alle eine positive und fruchtbare Erfahrung war. Was leider aufgrund der Masse an Informationen fehlte war die Zeit für ausführliche Diskussionen. [] "Das kann doch nicht alles gewesen sein!" - Getreu diesem alten Motto wird auch 1998 eine gemeinsame Sommerschule von Memorandum-Gruppe und den ÖTV-Bezirken NW I und NW II durchgeführt. [] Termin: 13. bis 18. September 1998 [] Ort: ÖTV-Bildungsstätte "Das Bunte Haus" in Bielefeld-Sennestadt [] Ausgehend von den Diskussionen in dieser ereignisreichen Woche wird ein Schwerpunkt der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor sein. Dies verspricht schon jetzt spannende Diskussionen. Wer sich schon mal darauf einstimmen möchte, was dort diskutiert wird, dem legen wir schon jetzt das "Memorandum '98" ans Herz, das im Frühjahr 1998 erscheinen wird. [] Und wer mehr über die Gewerkschaft ÖTV und/oder die Memorandum-Gruppe erfahren möchte: Unter den angegebenen Anschriften gibt es die entsprechenden Informationen. Dort gibt es auch nähere Infos und Hintergrundmaterial über die stattgefundene Sommerschule. [] "Es wird notwendig sein, sinnvollen Konsum zu unterstützen, vom Sparen abzuraten - und einen Teil des unerwünschtenÜberangebotes durch vermehrte Freizeit zu absorbieren, mehr Urlaub (welches ein wunderbarer Weg ist, Geld loszuwerden) und kürzere Arbeitszeiten." [] J.M. Keynes [] Gewerkschaft ÖTV Bezirksverwaltung NW I Renate Schaefers Willi-Becker-Allee 10 40227 Düsseldorf Tel.: 0211/7209-142 Internet: http:/www.oetv-nw1.de [] Gewerkschaft ÖTV Bezirksverwaltung NW II Raimund Echterhoff Universitätsstr. 76 44789 Bochum Tel.: 0234/3 33 08-80 [] Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik Axel Troost Postfach 330447 28334 Bremen Tel.: 0421/491449 Internet: www.barkhof.uni-bremen.de/kua/mema [] Von Jahr zu Jahr: Alles wird größer! [] Größer der Glanz, der Gewinn, das Geld der Geldigen ... [] größer die Armut, die Arbeitslosigkeit, die Angst, die Abstände im sozialen Netz ... [] Dies ist eine Veröffentlichung der Gewerkschaft ÖTV, Bezirksverwaltungen NW I, Willi-Becker Allee 10, 40227 Düsseldorf und NW II, Universitätsstraße 76, 44789 Bochum, V.i.S.d.P.: Renate Schaefers, Raimund Echterhoff, redaktionelle Mitarbeit: Django Schins - Eigendruck -
Published:07.09.1997