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Krefeld, im August 1953 [] Liebe Kollegin, lieber Kollege! [] "Schon wieder ein Flugblatt" wirst Du sagen und im Begriff sein, es ungelesen in die Ecke zu werfen. Zuviel an Werbematerial der verschiedenen Parteien ist vielleicht in den lezten [!][letzten] Tagen und Wochen an Dich herangetragen worden. Wenn ich Dich dennoch bitte, liebe Kollegin und lieber Kollege einen Augenblick für mein Schreiben zu verwenden, dann aus dem Grunde, weil einer aus Deinen eigenen Reihen, aus dem Kreise der organisierten Gewerkschaftler, zu Dir spricht. Als Kandidat d r SPD im Wahlkreis Krefeld für die Bundestagswahl am 6. September bewerbe ich mich um das Vertrauen der Krefelder Arbeitnehmerschaft. [] Es ist möglich, daß Du mich persönlich oder dem Namen nach kennst und beurteilen kannst, ob ich Dein Vertrauen habe oder nicht. Das sollst und mußt Du selbst entscheiden. Mein Schreiben hat nicht den Sinn, Dein Selbstbewußtsein, Deine Urteilsfähigkeit, zu beeinflussen. [] Den Kollegen, die mich nicht näher kennen, sei gesagt, daß ich meine Verbundenheit mit den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer durch meine Tätigkeit im Dienste der Arbeitnehmerschaft unter Beweis gestellt habe. Wie sollte es auch anders sein, gehöre ich doch von Hause aus, als Sohn einer Arbeiterfamilie, zum großen Lager der Arbeitnehmerschaft. Die Arbeit der Gewerkschaftler im Betrieb und der Kampf um ihre Rechte sind mir als Metallarbeiter nicht unbekannt. Maßregelung, Verfolgung und Zuchthaus im Kampf um die Interessen und die Freiheit der Arbeitnehmerschaft sind mir nicht erspart geblieben. Ich weiß zu gut, wo uns alle der Schuh drückt. Ich weiß um die Unzulänglichkeiten der Sozialgesetzgebung und der Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft in der Wirtschaft, deren gerechte Regelung Aufgabe des ersten Bundestages gewesen wäre. Diese Fragen werden nur dann gerechter gelöst werden, wenn alle Wähler der Aufforderung des DGB folgen und am 6. September einen besseren Bundestag wählen. Einen besseren Bundestag wählen heißt, mehr Arbeitnehmer in den neuen Bundestag entsenden! [] Der Sinn sozialdemokratischer Politik kann nur sein, immer auf der Seite der sozial Schwachen zu stehen. Den Menschen und seine Not in den Mittelpunkt meiner politischen Arbeit zu stellen ist und bleibt Richtschnur meines Handelns. Wenn ich dies sage, dann ist dies kein leeres Wahlversprechen. Viele, die mich kennen, meinen Rat und meine Hilfe als Krefelder SPD Stadtverordneter in Anspruch nehmen, wissen, daß ich meine Arbeit immer danach ausgerichtet habe. [] Wahltag ist Zahltag! Ob es ein Zahltag wird, liegt in Deiner Entscheidung. Du mußt entscheiden, ob in der Bundesrepublik die Politik "der Stärke", welche die Gefahr eines dritten Weltkrieges in sich birgt, oder eine Politik der Verständigung mit allen Völkern geführt wird. Du entscheidest ganz allein darüber, ob eine Politik sozialer Gerechtigkeit zum Durchbruch kommt, ob die Arbeitnehmerschaft und die Gewerkschaften als gleichberechtigte Sozial- und Wirtschaftspartner gewertet werden oder nicht. [] Diese Entscheidung kann Dir niemand abnehmen, und Du entrinnst ihr auch nicht, wenn Du am Wahltag beiseite stehst und damit die Kräfte stärkst, die Du aus eigenem Interesse und im Interesse Deiner Familie ablehnst. [] Ich erwarte nicht, daß Du mit allem, was wir Sozialdemokraten sagen und tun, einverstanden bist. Ich erwarte aber, daß Du Dich mit unserem Programm, mit unseren politischen Absichten und Taten, kritisch auseinandersetzt. [] Dein Selbstbewußtsein darf es nicht zulassen, daß andere für Dich und über Dich entscheiden. [] Darum prüfe und wähle! [] In diesem Sinne grüßt Dich mit kollegialem Gruß! [] Dein Kollege [] Josef Hellenbrock [] Kandidat der SPD für den Wahlkreis Krefeld
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