Hat Dänemark Südschleswig abgeschrieben?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sydslesvigsk Udvalg af 5. Maj 1945. [] St. Kongensgade 110, Ko[e]benhavn K, Danmark. [] Hat Dänemark Südschleswig abgeschrieben? [] von Tage Mortensen (aus »Danish Outlook«). [] Eines Abends vor nicht langer Zeit sass ein amerikanischer Jour...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Hansen, Johannes
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: ca. 1950
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/F503CFD9-3BA5-4F6F-A954-EF3A03B09AD5
_version_ 1771405059154771968
author Hansen, Johannes
author_facet Hansen, Johannes
collection AdsD leaflets
dateSpan ca. 1950
description Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sydslesvigsk Udvalg af 5. Maj 1945. [] St. Kongensgade 110, Ko[e]benhavn K, Danmark. [] Hat Dänemark Südschleswig abgeschrieben? [] von Tage Mortensen (aus »Danish Outlook«). [] Eines Abends vor nicht langer Zeit sass ein amerikanischer Journalist in meinem Büro. Seine Zeitung hatte ihn nach Europa geschickt, damit er die Grenzverhältnisse in diesem verstörten Weltteil untersuche. Er war in Triest gewesen, in Tirol, im Saargebiet, in Holland und jetzt zuletzt in Südschleswig. Wir sprachen über seine Eindrücke und Erfahrungen. [] - Ja, sagte er - ein deutsch-dänisches Grenzproblem existiert nicht mehr, seit Dänemark Südschleswig abgeschrieben hat. [] - Was haben wir getan? fragte ich. [] - Südschleswig abgeschrieben, wiederholte er. - Dänemark verlangt ja nicht mehr die Einverleibung Südschleswigs. Dänemark findet sich damit ab, dass Südschleswig weiterhin deutsch bleibt. Stimmt das etwa nicht? So hat man es mir doch in Kiel erzählt ... [] Mein amerikanischer Freund repräsentierte den Durchschnittsamerikaner. Als er die Stadt im Osten Amerikas, wo seine Zeitung erscheint, verliess, wusste er von europäischen Grenzverhältnissen genau so viel wie seine Leser; und das ist nicht viel. Etwa soviel, wie der europäische Zeitungsleser von den individuellen Verhältnissen in den einzelnen amerikanischen Staaten weiss. Jetzt, nachdem er in Europa herumgereist war, wusste er etwas mehr. Unter anderem wusste er, dass Dänemark Südschleswig abgeschrieben hatte. Es gibt noch ein paar Leute mehr, die das auch wissen, in Amerika, in Europa, ja sogar in Dänemark. [] Dieses Wissen muss unbedingt berichtigt werden. Es ist, um es einmal so zu sagen, weder richtig noch verkehrt. Im Gegensatz zu der Lage, verbunden mit anderen Grenzproblemen in Europa, wo schwarz schwarz ist, und weiss eben weiss, ist die Farbe dänischer Südschleswigpolitik grau. Um das zu verstehen, muss man die dänische Mentalität kennen, die in mehr als einer Art deutliche Wesensunterschiede anderen Nationen gegenüber aufweist, in erster Linie selbstverständlich verglichen mit den Völkern grosser Machtbereiche. Es ist eine Mentalität, die in der Erkenntnis der Kleinheit des Landes und dem Willen des Volkes, seine Unabhängigkeit als selbstständige Nation trotz dieser Kleinheit zu bewahren, verwurzelt liegt. Dieser Wille kann niemals auf Machtmittel basieren. Dänemark hat so wenige, dass es nicht der Rede wert ist, darauf einzugehen. Dieser Wille baut stattdessen auf einen Grundsatz auf - übrigens war es einer der grossen Staatsmänner Amerikas, Präsident Wilson, der diesen Grundsatz zum Ausdruck brachte und formulierte. [] Dieser Grundsatz heisst "das Selbstbestimmungsrecht der Völker". Das dänische Volk, nur 4 Millionen Menschen insgesamt, verlangt dieses Recht für sich selbst, über sich selbst und seine eigene Zukunft zu entscheiden, sowie es über seine Vergangenheit mehr als tausend Jahre hindurch, solange es sich als Volk fühlte und seiner selbst bewusst war, bestimmt hat. Als Folge dieser Forderung will es auch anderen Völkern, selbst den kleinsten, dieses Recht zubilligen und zukommen lassen. [] 1864 eroberte Preussen von Dänemark die beiden Herzogtümer Holstein, das deutsch, und Schleswig, das dänisch war. Das war der Anfang der agressiven [!] [aggressiven] Grossmachtperiode, die ihre Verkörperung in den Gestalten Bismarcks, Kaiser Wilhelms des II. und Adolf Hitlers fand. Nach dem ersten Weltkrieg 1914-18 boten die siegreichen Westmächte Dänemark die Rückgabe des Herzogtumes Schleswig an. Dänemark lehnte dankend ab. Dänemark wollte nur den Teil des Gebietes, wo die Mehrheit der Bevölkerung selbst wünschte zu Dänemark zurückzukommen. Nordschleswig wurde durch eine Volksabstimmung 1920 dänisch, während Südschleswig deutsch blieb. Hier wurde das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" als Grundsatz in die Praxis umgesetzt. [] 1946 forderte die Bevölkerung der Färö-Inseln, die Jahrhunderte hindurch der dänischen Monarchie angehört hatten, ihre Selbstständigkeit [!]. Eine Volksabstimmung ergab eine Mehrheit für eine Art Home Rule, eine Eigenverwaltung, während die Inseln gleichzeitig weiterhin ein Bestandteil des dänischen Königreiches blieben. Der dänische Reichstag stimmte ohne weiteres und einstimmig dieser färöischen Eigenverwaltung zu. Dieses war wiederum die Anwendung des Grundsatzes des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, selbst der kleinsten. Die Färöbevölkerung zählt nur rund 30.000 Menschen. Ebenso erlangte die Republik Island, früher eine dänische Kolonie, ihre Selbstständigkeit. Die Isländer erhoben eine Forderung auf Unabhängigkeit, der man von dänischer Seite sofort entgegen kam. [] Eine Kenntnis dieses praktischen Ausdruckes dänischer Mentalität ist notwendig, will man die dänische Politik in der Südschleswigfrage richtig verstehen. [] Die Ansicht des amerikanischen Journalisten "Dänemark habe Südschleswig abgeschrieben" ist verkehrt, schon einfach aus dem Grunde, weil Dänemark niemals eine Forderung auf die Einverleibung Südschleswigs in das dänische Königsreich erhoben hat. [] Dänemark hat niemals die Forderung auf eine Einverleibung Südschleswigs aufgestellt und tut es auch heute nicht. Eine solche Forderung würde direkt im Widerspruch zu der dänischen Auffassung des nationalen Rechtes der Selbststimmung stehen. Auf der anderen Seite will Dänemark sich nicht dem Anschlusse Südschleswigs an Dänemark widersetzen, da es sich um altes dänisches Land handelt, falls die Mehrheit der Bevölkerung Südschleswigs eine solche Forderung aufstellt. Dieses ist ebenfalls eine notwendige Folge der dänischen Auffassung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker. [] Die Forderung der Wiedervereinigung Südschleswigs mit Dänemark ist nicht von dänischer Seite erhoben worden, sondern von der Bevölkerung Südschleswigs. 100.000 Südschleswiger, 60% der Wähler des Landesteiles, stimmten bei den Landtagswahlen 1948 für Kandidaten, die diese Forderung als den ersten bedeutendsten Punkt auf ihrem Programm hatten. Es sind die Südschleswiger, die selbst verlangen, ihr nationales Recht der Selbstbestimmung für eine Wiedervereinigung mit Dänemark ausüben zu können, und es ist nicht Dänemark, das eine Einverleibung Südschleswigs verlangt. [] Aber diese Forderung auf eine Zusicherung der Möglichkeit, das Selbstbestimmungsrecht auszuüben, wird von Dänemark stark unterstützt. Eine Unzahl von Anträgen und Gesuchen sowohl des offiziellen Dänemarks, sowie des dänischen Volkes sind an die Grossmächte gegangen, um dieses Recht zu sichern. Diese Bemühungen haben rein formell ihren Ausdruck in einer Anzahl von Reichstagbeschlüssen gefunden, Am 9. Juli 1946 gab der dänische Reichstag der Regierung die Zusage, eine Politik zu unterstützen, die unter anderem "Dänemark Gelegenheit gäbe, bei kommenden internationalen Verhandlungen die dänischen nationalen Interessen zu vertreten, die mit einer künftigen Ordnung der Verhältnisse in Südschleswig verbunden sind." Am 19. Oktober desselben Jahres wies Dänemark - als Folge seiner grundsätzlichen Einstellung - ein englisches Angebot ab, das eine Einverleibung Südschleswigs oder Teile desselben in Dänemark vorsah, und stellte fest, dass "die dänische Regierung und der Reichtag [!] an der Grundlage des nationalen Selbstbestimmungsrechtes festhalten - auch in Bezug auf Südschleswig -" und dass es deshalb "der südschleswigschen Bevölkerung selbst überlassen bleiben müsse, die Frage der Durchführung ihres natürlichen Rechtes der Selbstbestimmung selbst aufzuwerfen." [] Aus diesem Grunde und weil die Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt nicht genügend geklärt waren, wünschte die dänische Regierung nicht "Vorschläge betreffs irgendeiner Änderung in Südschleswigs staatsrechtlichem Status zu unterbreiten." [] In einem Memorandum vom 31. Januar 1947 an die allierten [!] [alliierten] Mächte wiederholte die dänische Regierung den Wortlaut der Note an die Britische Regierung vom 19. Oktober 1946, forderte jedoch gleichzeigtig [!], dass die Grundlage für eine Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes hergestellt würde: [] 1) durch Entfernung der zahlreichen ostpreussischen Flüchtlinge, die während und nach dem Kriege Südschleswig überschwemmt hatten, [] 2) durch die verwaltungsmässige Trennung zwischen dem grösseren Holstein und dem kleineren Südschleswig und [] 3) durch die Festlegung politischer und kultureller Gleichberechtigung sowohl der deutschen wie der dänischgesinnten Bevölkerung Südschleswigs. [] Während einer englisch-dänischen Regierungskonferenz in London im Oktober 1948 wurden dieselben Forderungen erhoben. Das Ergebnis war die Zusicherung der Erfüllung des dritten Punktes im sogenannten "Kieler Abkommen", zwischen den führenden Persönlichkeiten des südschleswigschen Dänentums und der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung, das auf Initiative und unter dem Vorsitz des Britischen Landeskommissars abgeschlossen wurde. [] Drei Monate vorher, am 29. Juni, hatten die demokratischen Parteien in Dänemark eine Erklärung abgegeben, in der Dänemarks Südschleswigpolitik folgendermassen formuliert war: [] "Es ist eine Folgerung aus dem Selbstbestimmungsrecht, dass die Bevölkerung in einem völkisch gemischten Gebiet das Recht hat, mit demokratischen Mitteln daran zu arbeiten, dass die Möglichkeit, dieses Recht auszuüben, gesichert wird, und dass es folglich nicht möglich sein dürfe, irgendjemanden aus diesem Grunde zu verfolgen oder einer Belästigung auszusetzen. Wir erklären, dass wir eine Politik unterstützen werden, die zum Zweck hat, dieses in internationalen Abkommen festzulegen den Interessen der dänischen Südschleswiger entsprechend. [] Wir werden das Recht der dänischgesinnten Südschleswiger auf uneingeschränkte nationale, kulturelle und politische Betätigung auf gleicher Grundlage wie die übrige Bevölkerung in Südschleswig unterstützen, und während der Verhandlungen über einen kommenden Friedensvertrag mit Deutschland werden wir daran arbeiten, diese Freiheitsrechte zu sichern. [] Es gibt in Dänemark keine Meinungsunterschiede weder im Reichstag noch, abgesehen von den Kommunisten, bei den Wählern, was das grundsätzliche Selbstbestimmungsrecht der Südschleswigschen Bevölkerung angeht, oder im Hinblick auf die anzuwendenden Mittel, um diese Recht zu sichern. Es gibt ebenfalls keine unterschiedliche Auffassung dahingehend, dass wenn die südschleswigsche Bevölkerung an ihrem Bekenntnis zum Dänentum festhält, dann "gehöhren [!] sie zu uns" (Ministerpräsident Hans Hedtoft). Auf der anderen Seite dagegen herrscht in weiten dänischen Kreisen eine Unzufriedenheit damit, dass die Regierung sich zu sehr der Ablehnung der Westmächte den Wünschen der Südschleswiger gegenüber beugt, vielleicht zu einem gewissen Grade aus einer Rücksichtnahme der deutschen Sozialdemokratie gegenüber und aus einer Furcht heraus, die sich auf gemachte Erfahrungen gründet, einem zukünftigen Druck von Seiten einer deutschen Grossmacht ausgesetzt zu sein. Diese Unzufriedenheit konzentriert sich besonders um die Unzulänglichkeit des Einsatzes der dänischen Regierungspolitik in Verbindung mit dem Antrag der dänischen Südschleswiger an die allierten [!] [alliierten] Mächte vom 9. Mai 49 betreffend die vertragliche Zusicherung des Selbstbestimmungsrechtes der Südschleswiger, d. h. des Rechtes, zu einem späteren Zeitpunkt eine Volksabstimmung über die Frage: Wiedervereinigung mit Dänemark oder Verbleiben bei Deutschland, durchführen zu können. Als Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem Auftreten der [] Regierung und ebenfalls als Kundgebung über die Art und Weise, wie die dänische Bevölkerung das Südschleswigproblem betrachtet, wurde der Regierung und dem Reichstag am 18. April 1950 eine Resolution, die die Unterschrift von 793.233 Wählern trug, überreicht. In dieser Resolution, der grössten nationalen Meinungsäusserung in der dänischen Geschichte, heisst es: [] "Die dänischen Bürger, die hier ihre Unterschrift geleistet haben, bitten dringend Reichstag und Regierung, mit allen Mitteln den Antrag der dänischgesinnten Südschleswiger an unsere Verbündeten betreffend die Zusicherung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes der ansässigen Südschleswiger zu unterstützen." [] Aus dem Wortlaut dieser Resolution ersieht man, dass auch diese 793.233 Wähler, die einen stärkeren Einsatz von offizieller Seite in der Südschleswigfrage verlangen, keine Forderung auf Einverleibung Südschleswigs in Dänemark stellen. Auch für sie ist das nationale Selbstbestimmungsrecht der Völker das Entscheidende und nicht irgendeine Form imperialistischer Agression [!] [Aggression]. [] Mein amerikanischer Freund und Kollege missverstand die Situation. Es ist richtig, "Dänemark will Südschleswig nicht einverleiben". Aber es ist verkehrt, "dass Dänemark sich damit abfindet, dass Südschleswig deutsch bleibt." Dänemark findet sich nur damit ab, wenn die Mehrheit der südschleswigschen Bevölkerung den Wunsch äussert, bei Deutschland bleiben zu wollen. Wenn sie den Wunsch hegt, an Dänemark angeschlossen zu werden, dann muss sie das Recht haben, dieses durchzuführen. Dänemark hat Südschleswig nicht abgeschrieben. Im Gegenteil, Dänemark arbeitet daran, Südschleswig das Recht zuzusichern, seine eigenen nationalen Entscheidungen zu treffen. Nach dänischer Auffassung ist das die einzige bleibende Grundlage, auf der Grenzprobleme geregelt werden können. [] Mit Genehmigung des Verfassers sowie des Herausgebers der Zeitschrift DANISH OUTLOOK. [] Herausgeber: Johannes Hansen, Bakkerne, Holte, Dänemark. [] Alle Auskünfte über Südschleswig erteilt: [] Sydslesvigsk Udvalg, St. Kongensgade 110, Kopenhagen K., Dänemark. [] CHARLES LEISNER. KBHVN. V.
era Erörterung der Haltung Dänemarks gegenüber Südschleswig
format IMAGE
genre visualUnit
geographic Dänemark
Südschleswig
Bundesrepublik Deutschland (BRD)
United States of America (USA)
id bulk_1B2E7896-6947-4F52-B208-D1D4D010B5FA
institution Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
language German
publishDate ca. 1950
spellingShingle Hat Dänemark Südschleswig abgeschrieben?
Hansen, Johannes
[Hedtoft, Hans, Mortensen, Tage, Hansen, Johannes, Sydslesvigsk Udvalg af 5. Maj 1945, Danish Outlook, Selbstbestimmungsrecht]
thumbnail http://hdl.handle.net/11088/08EB34A0-C172-4B15-AFB8-B0A789473088
title Hat Dänemark Südschleswig abgeschrieben?
topic [Hedtoft, Hans, Mortensen, Tage, Hansen, Johannes, Sydslesvigsk Udvalg af 5. Maj 1945, Danish Outlook, Selbstbestimmungsrecht]
url http://hdl.handle.net/11088/F503CFD9-3BA5-4F6F-A954-EF3A03B09AD5