Summary: | Bemerkungen: Frühere Bezeichnung "Untergruppe Recklinghausen" geschwärzt; [] = Absatzmarken im Volltext ds Originals
Sozialdemokratische Partei [] Unterbezirk Recklinghausen [] Demokratie und Wirtschaft [] Bearbeitet von Dipl.-Kaufmann Günter Rhode (Recklinghausen). Beim Neuaufbau Deutschlands wird man den wirtschaftlichen Fragen besondere Berücksichtigung schenken müssen. Die Tatsache, daß wir alle im wirtschaftlichen Leben stehen, daß die Verhältnisse der herrschenden Wirtschaftsverfassung die Stellung des Einzelwesens in der Gesellschaft bestimmen, verpflichtet uns sogar dazu zu untersuchen, ob die bestehende Wirtschaftsordnung mit den Grunderfordernissen des neuen Deutschlands in Übereinstimmung steht. Dieses neue Deutschland muß ein demokratischer Staat sein. Auf diese unverrückbare Forderung hin muß die Wirtschaft des deutschen demokratischen Staates also ihre Ausrichtung finden. Das heißt mit anderen Worten: in der Wirtschaft dürfen nicht Momente maßgebend sein, die mit einer Demokratie nicht zu vereinbaren sind. Außer einigen Bereichen wie zum Beispiel dem Handwerk und dem Bauerntum, beruht unsere heutige Wirtschaft auf kapitalistischer Grundlage. Das Wirtschaftsleben wird bestimmt durch den kapitalistischen Großbesitz, der in der Wirtschaft als Hauptzweck die Profiterzielung sieht. Die kapitalistische Wirtschaft entfernt sich damit aus den in der kapitalistischen Denkungsart liegenden Tendenzen heraus vom eigentlichen Zweck des Wirtschaftens. Der Zweck des Wirtschaftens kann nur sein die bestmögliche Bedarfsdeckung der Allgemeinheit. Die zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel, wie Rohstoffe, Maschinen, Werkzeuge, die menschliche Arbeitskraft usw., müssen also einen planvollen Einsatz finden, daß die Gesamtheit des Volkes in der Lage ist, das, was sie braucht und zur Fortführung und Erhaltung des Lebens notwendig hat, im vollkommensten und dem Stande der verfügbaren Kräfte und Mittel nach befriedigendsten Mßle zu erhalten. Diese planvolle Gestaltung des Wirtschaftslebens wird jedoch durch den Kapitalismus verhindert. Trotz größter betrieblicher Planung und Organisation (Rationalisierung,) besteht in der gesamt volkswirtschaftlichen Produktion Planlosigkeit, die sich durch wirtschaftliche Erschütterungen und Krisen immer wieder gefährlich bemerbar [!] macht. Die Zeiten wirtschaftlicher Blüte enden mit Überproduktion, Arbeitslosigkeit, Massenelend, Vernichtung wirtschaftlicher Werte usw. Die Entwicklung hat zudem dazu geführt, daß die stärkeren Kapitalistenkreise sich auf den verschiedensten Absatzmärkten durch Ausschaltung der Konkurrenz die Vorherrschaft (Monopol) erworben haben und nun Preise und Produktion so bestimmen, wie es ihnen paßt, um größere Profite zu erhalten. Wenn eine niedrigere Produktion durch starke Nachfrage nach der betreffenden Ware dann höhere Gewinn verspricht, dann wird einfach nur soviel produziert. Der Gesamtbedarf des Volke und die bei einer derartigen Produktion lauernd bestehende Massenarbeitslosigkeit kümmert den Kapitalisten nicht. Er hat ja seinen Profit. Diese Wirtschaftsweise wird den Kapitalisten jedoch nur ermöglicht, weil sie im Besitze der Produktionsmittel sind, die zur Herstellung der Waren erforderlich sind. Der Besitz dieser Produktionsmittel gibt den Kapitalisten die Macht, ihre Profitgier zu befriedigen. Er verschafft ihnen eine Vorherrschaft, die sie restlos ausnutzen. Die arbeitenden Klassen, die nicht im Besitz der Produktionsmittel sind, werden gezwungen, ihre Arbeitskraft an die kapitalistischen Kreise zu verkaufen. Durch die Ausnutzung der vorhandenen wirtschaftlichen Machtmittel wird diese Arbeitskraft unter ihrem Werte bezahlt. Die Ausbeutung der Arbeiter und Angestellten ist neben der betrieblichen Rationalisierung die Voraussetzung zur Profiterzielung. Der schaffende Mensch ist also wirtschaftlich unfrei. Das sind alles Tatsachen, die mit einer Demokratie unvereinbar sind. Die Demokratie hat zur Voraussetzung den freien Menschen, nicht nur im politischen Bereich, der Glaubens-, Gewissens-, Meinungs- und Redefreiheit, sondern auch den wirtschaftlich freien Menschen. Die kapitalistische Produktionsordnung bestimmt also die gesellschaftliche Stellung der Menschen. Sie schafft den Klassenstaat, in dem sich Ausbeuter und Ausgebeutete gegenüberstehen. Die kapitalistische Produktionsordnung bedingt zum anderen die Planlosigkeit in der Gesamtwirtschaft, die eine planvolle Produktion mit dem Ziele der bestmöglichen Versorgung des Volkes verhindert. Demokratie und kapitalistische Wirtschaftsweise sind daher unvereinbar. Der demokratische Staat muß notgedrungen in eine Kampfstellung gegen die kapitalistische Wirtschaft kommen. Die Durchführung des demokratischen Gedankens im Wirtschaftsbereich kann jedoch nur zum Sozialismus führen. Der Sozialismus ist in sich demokratisch, wie der Kapitalismus in sich antidemokratisch ist. Die Durchführung des Sozialismus ist ein Kampf um das Recht und die Freiheit gegen Vergewaltigung und Ausbeutung oder Knechtung. Vollendete Demokratie ist Sozialismus. Der heutige deutsche demokratische Staat kann sich im übrigen eine kapitalistische Wirtschaft gar nicht mehr leisten. Die durch den Nazismus herbeigeführten Zustände bewirken, daß das vom gesamten deutschen Volk erarbeitete Einkommen nur so groß sein wird, daß eine Abspaltung kapitalistischer Profite zur Schädigung der Gesamtwirtschaft führen wird. Es würde bedeuten, daß durch diese Möglichkeit, durch Ausbeutung Profite einzustecken, das Massenelend zum beständigen Begleiter des deutschen Volkes würde. Eine große Anzahl von Schaffenden hat sich in der Vergangenheit, als ganz andere Voraussetzungen vorlagen, die ein blühendes Wirtschaftsleben durch den Sozialismus zum Segen der Arbeiterschaft hatten werden lassen, gegen die Sozialdemokratie gestellt. Worauf damals verzichtet wurde, dazu werden wir heute in der bittersten Armut geradezu gezwungen. Der Sozialismus ist die notwendige Voraussetzung für einen deutschen Staat, der leben will. Der Unterbezirksvorsitzende: Paul Rhode. Vesdruvag-Druck (7/B 1161), Recklinghausen. 1911/5000. Juli 46. Klasse "C".
|