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An die Wähler von Köln-Land! [] Zwei Jahre sind jetzt seit den denkwürdigen Januartagen von 1912 verflossen, als sich das deutsche Volk zu einer elementaren Willenskundgebung aufraffte; starke reaktionäre Dämme brachen ein, und die rote Flut stieg so gewaltig, daß allen Blauschwarzen angst und bange ward. Für die Wähler von Köln-Land ist nun wieder ein solcher [] Tag der Entscheidung [] gekommen. Vom Reichstag wurde das Mandat des Zentrumsabgeordneten Kuckhoff für ungültig erklärt. Nun gilts von neuem die Waffe zu schwingen, die eure Unterdrücker ins Herz treffen und der volksfeindlichen Zentrumspartei Abbruch tun soll! [] Ihr wißt, worum es sich bei diesem Wahlkampf handelt: Zabern! Dies eine Wort beleuchtet wie ein Blitzstrahl unsre ganzen politischen Zustände! Die Militärfaust riß der bürgerlichen Justiz die Binde von den Augen; rücksichtslos wurde in jenem kleinen elsässischen Landstädtchen die Zivilgewalt auf di Bajonette gespießt; kaum den Kinderschuhen entwachsene Leutnants, angetrieben von ihrem Oberst, hieben auf hilflose Leute ein und sperrten Staatsanwälte und Richter in den Pandurenkeller. Die [] preußisch-deutsche Militärbarbarei [] fand in jenen Vorgängen ihren bisher deutlichsten Ausdruck, und sie wurde noch gekrönt durch den Freispruch der beteiligten Offiziere. Was aber ist aus dem Entrüstungssturm der bürgerlichen Parteien und dem berühmten "Mißtrauensvotum" gegen den Reichskanzler geworden? Er hat es lächelnd in die Taschen gesteckt und - bleibt auf seinem Posten; er will kein Parlamentsminister sein. So stehen denn noch immer im Vordergrunde aller innerdeutschen Politik jene beiden wirklich demokratischen Forderungen: [] Vernichtung des persönlichen Regiments; [] Abänderung der Reichsverfassung im Sinne einer wirklichen Herrschaft des Parlaments. [] Andre Probleme aber sind daneben in diesen letzten zwei Jahren wieder aufgetaucht und drängen zur endlichen Lösung: Schwer lasten Krise und Teuerung auf den breiten Massen des Volkes. [] Vernichtung des Brot- u. Fleischwuchers, [] die die Preise der notwendigen Lebensmittel auf eine unerschwingliche Höhe treiben, die körperliche und damit auch die geistige Kraft der Massen lähmen, die die Frauen und Kinder entnerven und den Hunger zum ständigen Gast an euren Tischen machen - das ist eine der wichtigsten Kampfparolen der Sozialdemokratie. Bald wird sich der Reichstag mit der Erneuerung der Handelsverträge zu befassen haben. Da gilt es mit aller Entschiedenheit die Lebensinteressen des Volkes gegen den immer stärker werdenden Appetit unsrer Agrarier zu schützen. [] Freilich, ohne den gewaltigen Druck von unten wird die Regierung Bethmann Hollwegs und des Herrn v. Schorlemer, der den breiten Massen dringend den [] Genuß von Pferdefleisch [] empfahl, den Junkern nichts anhaben; sie ist ihr Gefangener. Eben erst hat sie in der Frage der Arbeitslosenversicherung gezeigt, daß sie gar nicht daran denkt, die wirklichen und ehrlichen Arbeitswilligen, die unverschuldet arbeitslos Gewordenen, vor Not und Entbehrung zu schützen. Man will nicht helfen - will weiter die Sorge für die Arbeitslosen allein den Organisationen der Arbeiterschaft überlassen; ja, die reaktionären Herrschaften verhöhnen die Arbeitslosen noch und bezeichnen sie als Arbeitsscheue und Faulenzer. [] Aber noch mehr: Mitten in dieser Zeit quälendster Not hat sich die ganze Kumpanei der Scharfmacher zusammengetan, um einen Anschlag ans das Koalitionsrecht der Arbeiter zu organisieren. Wieder und wieder muß sich der Reichstag mit reaktionären Vorstößen befassen, die einen größern Arbeitswilligenschutz zum Ziele haben; ja, man will sogar das Streikpostenstehen verbieten und die Gewerkschaften schadenersatzpflichtig machen. Fürwahr, man muß die Kühnheit der Reaktionäre aller Schattierungen bewundern, diese Grundrechte der Arbeiterschaft anzutasten! Denn die kapitalistischen Organisationen, die Kartelle, Syndikate und reinen Unternehmerverbände schrecken vor keinem Gewaltmittel zurück, um Außenstehende und Widerstrebende unter den Zwang der Organisation zu beugen. Vor wenigen Monaten hat sich in Leipzig, angetrieben von dem reaktionären reichsdeutschen Mittelstandsverband, das sogenannte "Kartell der schaffenden Arbeit" gebildet. Sein ausgesprochener Zweck ist, wieder und wieder arbeiterfeindliche Wünsche auszusprechen und alle diejenigen, die um ein menschenwürdiges Dasein ringen, nicht an die Tafeln der Besitzenden zu lassen. "Schutz der nationalen Arbeit", so lautet die prahlerische und heuchlerische Parole - [] Schutz des "nationalen" Unternehmertums, [] Unterdrückung der Arbeiterschaft ist das wahre Ziel aller derer, die zur Aufrechterhaltung und Verschärfung unsrer "bewährten Schutzzollpolitik" streiten. [] Schutz des nationalen Kapitals, das ist auch in letzter Linie das Endziel unsrer ewigen säbelrasselnden und kulturbedrohenden Kriegshetze. Vor kaum Jahresfrist lag über Europa, ausgehend vom Brande am Balkan, die Gefahr eines Weltkrieges, der, wäre der Brand emporgelodert, unermeßbare Folgen gehabt hätte. Nicht zuletzt war es das Verdienst der sozialdemokratisch organisierten Volksmassen, das Kriegsgespenst gebannt zu haben; wieder und wieder hat das internationale Proletariat seine Stimme erhoben, daß es nicht daran denke, die Machtkämpfe der Herrschenden [] auf dem Rücken der Unterdrückten [] ausfechten zu lassen. Und so wurde die Gefahr zurückgedämmt. Freilich - die Flamme kann wieder emporlodern! Die Bürgerlichen Parteien des Reichstags haben dem Militarismus widerstandslos eine neue Milliarde für weitere Kriegsrüstungen bewilligt, wodurch sich zu gegebener Stunde die Explosionsgefahr wieder vergrößern muß. Wurden die Kosten dieser gewaltigen Heeresvorlage - der gewaltigsten seit der Gründung des Reiches - diesmal nicht wieder den Besitzlosen aufgehalst, dann war dies in erster Linie die Furcht vor der Sozialdemokratie; die gewaltige sozialdemokratische Kraftentfaltung vom Januar 1912 hatte die Herrschenden zur Genüge gewarnt. [] Das Zentrum ist unser Hauptgegner im bevorstehenden Wahlkampfe; gegen diese heuchlerische Partei, die vergeblich ihre volksfeindlichen Blößen mit dem [] Mäntelchen der Religion und der "christlichen Weltanschauung" [] zu bedecken sucht, wendet sich unser Ansturm. Widerstandslos hat das Zentrum die neue Militärvorlage geschluckt; rückhaltlos bekennt sich das Zentrum zur Teuerungspolitik, zur Privilegiernug unsrer Junker und Agrarier; jeder Vorstoß der Zollwucherer hat noch immer in klerikalen Kreisen seine Zustimmung gefunden. Wenn jetzt die kleri [...] und allerhand Zollerleichterungen verlangen, dann gilt für sie das Wort: mea culpa, mea maxima culpa! Der Brot- und Fleischwucher hat im Zentrum seine wackersten Stützen. Es schiebt das Interesse der Landwirtschaft vor, dabei ist längst erwiesen, daß die kleinen und mittlern Bauern an hohen Getreidepreisen nicht das mindeste Interesse haben, weil sie ja für ihren Lebensunterhalt noch Brot hinzukaufen müssen. Die Agitationslüge vom "Schutz der Landwirtschaft" ist in Wahrheit Schutz des ostelbischen Junkertums. [] Auch auf politischem Gebiete erweist sich das Zentrum als seine beste Schutztruppe. Zwar will es angeblich von einem verstärkten Arbeitswilligenschutz nichts wissen. Einer der Führer der christlichen Gewerkschaften, der Reichstagsabgeordnete Giesberts, hat aber bereits die Zustimmung seiner Partei angekündigt, wenn das neue Gesetz Unternehmer und Arbeiter "paritätisch", das heißt also gleichmäßig behandelt. Der harmlose Giesberts! Wie oft hat er selber über die spärliche Würdigung der Arbeiterinteressen durch die Justiz geklagt! Jetzt hofft er vertrauensvoll auf Parität! Er weiß nicht oder will nicht wissen, daß all die terroristischen Akte der Unternehmer gegenüber den Arbeitern, soweit sie durch die bestehenden Gesetze gesühnt werden können, fast niemals Ankläger gefunden haben! Seine Aeußerung beweist, was man vom Zentrum zu gewärtigen hat: Regierung, bringe nur ein Arbeitswilligenschutzgesetz ein; wir lassen mit uns reden. [] Die ganze Nichtswürdigkeit der Zentrumspolitik aber kommt am Klarsten in seiner [] Haltung zur preußischen Wahlrechtsfrage [] zum Ausdruck. Es kokettiert zwar mit seinem Programm, auf dem die Forderung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts steht. Aber nicht das mindeste hat es getan, um seine politische Macht für diese dringendste politische Forderung Deutschlands einzusehen; gleichgültig nimmt es die Tatsache hin, daß die neue preußische Thronrede trotz des gegebenen Wortes wiederum nichts von einer Wahlreform enthält, und wenn die Sozialdemokratie die Massen wieder zum Sturme ruft, dann wird die Zentrumspresse wieder von "Demonstrationsrummel" reden, wie sie es noch immer tat. [] Wir wollen dem Zentrum auch seine Taten bei der Reichsfinanzreform nicht vergessen. Als im Wahlkampfe 1906/07 das Zentrum Oppositionspartei war, da konnte man in Wahlaufrufen des Provinzialausschusses der rheinischen Zentrumspartei lesen: [] Was ist der Zweck dieser Reichstagsauflösung? Ein besserer Reichstag, eine Steuerbewilligungsmaschine, Stärkung des persönlichen Regiments und der indirekten Steuern, deren Hauptlast dann die minderbemittelten Klassen tragen müssen. [] Zwei Jahre später wurden mit Hilfe des Zentrums Bier, Branntwein, Kaffee, Tee, Zündhölzer mit neuen Abgaben beschwert, ohne Rücksicht auf die Not des Volkes, das nun jetzt in den Tagen der Krise doppelt beschwert ist. [] Traut dem Zentrum nicht über den Weg! [] Wähler! Was hat das Zentrum dieser gerechten Kritik seines Volksverrats entgegenzusetzen? Nichts als hohle Phrasen. [] Es kann sachlich nicht eine jener Anklagen widerlegen; darum schüttelt es eine Fülle von Verleumdungen über die Sozialdemokratie aus. [] Es glaubt, daß der Hieb die beste Deckung sei, aber seine Waffen sind stumpf und schlagen keine Wunden. Halten wir uns vor Augen, was gute Katholiken über die Sozialdemokratie sagten: [] Ein Urteil Dr. Oberdörffers. [] Ein katholischer Gegner der Sozialdemokratie, der Kölner Pfarrer Dr. Oberdörffer, schrieb 1894 in der "Kölner Korrespondenz" für Präsides der katholischen Arbeitervereine: "Die Sozialisten helfen wo und soviel sie können. Es ist geradezu bewunderungswürdig, welche Opfer an Zeit, an Mühe, an Geld die sozialistischen Führer durchgängig bringen. Das Lied vom bequemen Leben auf Kosten der Schweißpfennige der Arbeiter ist nicht angebracht ... Die Sozialisten bekunden einen rastlosen Fleiß und Eifer, der keine [?] Mühe und Arbeit scheut, eine mutige Entschiedenheit, welche [?] allen Verfolgungen von seiten der Brotherren [?] und [?] selbst [?] dem Gefängnisse trotzt, eine Ausdauer, die oft ans [?] Unglaublichr [?] grenzt, und endlich trotz aller auftauchenden [?] Differenzen [?] eine Einigkeit, die die Bweunderung der Welt [?] verdient." [] Die "Germania" über die Sozaldemokratie. [] Von den Sozialdemokraten schrieb schon vor mehr [?] als dreißig Jahren (1877) die Berliner "Germania", ein Hauptorgan des Zentrums: "Sie sind nicht der Abschaum des Volkes, sie sind nicht Lumpen, und Taugenichtse, nicht Petroleurs und Brandstifter, die sich mit fremdem Eigentum bereichern wollen. Es sind Männer, zumeist, aber nicht ausschließlich, aus dem Arbeiterstande, unter intelligenten, zum Teil hochbegabten Führern, alle tief leidenschaftlich den Druck verkehrter gesellschaftlicher Verhältnisse empfindend und entschlossen, alle ihre Kraft einzusetzen, um die Gesellschaft auf gerechteren Grundlagen aufzubauen." [] Der katholische Sozialreformer Konstantin Franz [] schreibt in seinem Werke über Sozialpolitik: "Es ist eine Tatsache, daß es erst der sozialistischen Agitation bedurfte, bis man überhaupt dazu kam, neben all den Gesetzen, welche vorzugsweise die Interessen der besitzenden Klasse vertreten, doch nebenbei auch einige Gesetze speziell für die arbeitenden Klassen zu erlassen. Aus eignem Antriebe und aus der schöpferischen Initiative der Regierungen ist nichts hervorgegangen, sondern das Wenige, das in dieser Hinsicht wirklich geschah, läuft der Sache nach selbst nur auf abgeschwächte Gedanken der Sozialisten hinaus. Und sehr erklärlich, da sie eben von allen bestehenden Parteien die einzige Partei ist, die sich ausdrücklich mit den Zuständen und den Bedürfnissen der nur von ihrer Arbeit lebenden Klasse beschäftigt. Wie sie auch in diesem Punkte die meiste Sachkenntnis besitzen." [] Wähler! Das klingt anders als die täglichen Beschimpfungen und Verleumdungen, mit denen die schwarzen Agitatoren hausieren gehen! Gebt bei der Wahl dem sozialdemokratischen Kandidaten [] Redakteur Wilhelm Sollmann [] eure Stimme! Ihr wählt mit ihm einen Mann, der es bereits bewiesen hat, daß er imstande ist, die Interessen der bedrückten Massen mit Energie zu wahren! [] Laßt am Wahltage die Parole von Mund zu Munde gehen und agiert [?] unablässig in den Werkstätten, in den Fabriken: [] Nieder mit dem Zentrum! [] Es lebe die Sozialdemokratie! [] Druck und Verlag von Gilsbach & Co., offene Handelsgesellschaft in Köln (1380)
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