Ein Ausschuß für nationale Verteidigung

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; [?] = vermutete Leseart Sonderdruck der deutschen Zeitung [] Ein Ausschuß für nationale Verteidigung [] Tagung des Weichselgaues des Alldeutschen Verbandes [] Aus Nr. 525 der deutschen Zeitung [] Danzig, 13. Oktober 1918. [] Die g...

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Bibliographic Details
Main Authors: Sonderdruck der Deutschen Zeitung, Weichselgau des Alldeutschen Verbandes, W. Büxenstein Druckerei und Deutscher Verlag GmbH. Berlin / Verlag der Deutsche Zeitung, Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 13.10.1918
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/298112A2-13AE-41BB-B28C-4FE1E5B7D144
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author Sonderdruck der Deutschen Zeitung
Weichselgau des Alldeutschen Verbandes
W. Büxenstein Druckerei und Deutscher Verlag GmbH. Berlin / Verlag der Deutsche Zeitung, Berlin
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Weichselgau des Alldeutschen Verbandes
W. Büxenstein Druckerei und Deutscher Verlag GmbH. Berlin / Verlag der Deutsche Zeitung, Berlin
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dateSpan 13.10.1918
description Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; [?] = vermutete Leseart Sonderdruck der deutschen Zeitung [] Ein Ausschuß für nationale Verteidigung [] Tagung des Weichselgaues des Alldeutschen Verbandes [] Aus Nr. 525 der deutschen Zeitung [] Danzig, 13. Oktober 1918. [] Die gestrige Sitzung des Gauverbandes Westpreußen des Alldeutschen Verbandes, der bei dieser Gelegenheit den Namen. "Weichselgau" angenommen hat, war von vornherein als ein Zusammensein von besonderer Bedeutung gedacht. Es war die erste Gelegenheit, die sich der Leitung des Verbands bot, zu den verhängnisvollen Ereignissen der jüngsten Zeit dem engeren Kreis seiner Ungehörigen wie der großen Oeffentlichkeit gegenüber Stellung zu nehmen. So stand neben den Beratungen des Gaus eine öffentliche Versammlung zum Zwecke der Aufklärung und Werbung auf der Tagesordnung, und hier wie da sollte der Vorsitzende des Verbands, Justizrat Claß, als Hauptredner sprechen. Beide Veranstaltungen gingen im großen Saal des "Danziger Hof", des ersten Gasthofs Danzigs, vor sich. In die öffentliche Versammlung, die auf die geschlossene folgte, platzten die Sonderausgaben der Danziger Blätter mit der Note an Wilson, die dem Namen Solf eine wenig beneidenswerte Unsterblichkeit sichert, hinein. Der herostratische Entschluß der Regierung des Prinzen Max gab Veranlassung zu geradezu dramatischen Vorgängen der Empörung und des vaterländischen Schmerzes. Der Gauverband hatte eine scharfe Entschließung, die sich gegen die neuen Männer im Reich und in Preußen wendet, gefaßt. Das Ergebnis des Inhalts der Solsnote war, daß diese Entschließung nunmehr auch der öffentlichen Versammlung vorgelegt und von ihr einstimmig angenommen wurde. Weiterhin trat aus der Versammlung im Hinblick auf die besondere Gefährdung Danzigs durch die Politik des Kabinetts Prinz Max an den Vorstand die Aufforderung heran, ohne Zeitverlust die einleitenden Schritte zu tun zu einer Organisation der allgemeinen nationalen Verteidigung gegenüber dem äußern und dem innern Feind. Der Vorschlag, den die Versammlung, mit der Sachlage angemessenen Ernst und mit begeisterter Zustimmung annahm, hat dann zur Bildung eines Ausschusses geführt, der heute unter Beteiligung weiter Kreise, zunächst der Provinz West-Preußen, zusammengetreten ist. Ueber Einzelheiten ist Folgendes zu berichten: [] Der in der geschlossenen Versammlung durch Claß erstattete Bericht entzieht sich der öffentlichen Wiedergabe. Er betraf insbesondere auch die militärische Seite der Tagesfragen, deren öffentliche Erörterung seitens des Danziger stellvertretenden Generalkommandos nicht gestattet worden war. Der Bericht brachte nach bestem Wissen und Gewissen auf Grund der dem Verband bekannten Tatsachen alles politische und militärische Für und Wider zu dem Entschluß der Regierung, die Flinte ins Korn zu werfen, zur Darstellung. In der Versammlung herrschte ganz und gar nicht das, was man als Hurrastimmung zu bezeichnen Pflegt. Dennoch kam sie zu der Ueberzeugung, daß es die moralische Kraft, über die Heer und Volk verfügt, vollständig verkennen heißt, wenn man sich, wie Gefahr drohe, in Berlin bereit erklären wolle, auf Gnade und Ungnade die Waffen zu strecken. Die Versammlung schloß sich insbesondere durch nachdrückliche Zustimmung der nach seinem Ausdruck felsenfesten Ueberzeugung des Vortragenden an, daß das Friedensbedürfnis des großstädtischen Proletariats, wenn dieses auch in der Ausdrucksweise der nunmehrigen Regierung als "das Volk" schlechtem bezeichnet werde, keineswegs [?] eins sei mit dem Wollen der Nation als Ganzem. Die Anschauungen der Gauversammlung fanden im übrigen ihren Niederschlag in folgender [] Entschließung: [] Der Gautag des Gauverbands Westpreußen des Alldeutschen Verbandes vermag das vom Prinzen Max von Baden gebildete verfassungswidrige "Kriegskabinett" nicht als "Regierung der nationalen Verteidigung" anzuerkennen. Er verwirft diese Regierung, die nach ihren ersten Handlungen und nach ihrer Zusammensetzung das unbegrenzte Mißtrauen aller auf dem Boden des Vaterlandes stehenden deutscheu Bürger herausfordert. Die Versammlung vermißt bei dieser Regierung jede Rücksicht auf die völkische Ehre, auf die äußere Sicherheit und die wirtschaftliche Daseins-Möglichkeit des deutschen Volkes. Sie glaubt, aus allen diesen Gründen zu der offenen Erklärung verpflichte, zu sein, daß sie diesem Kriegskabinett die Gefolgschaft versagt. Sie ist überzeugt, daß eine wirkliche Regierung der "nationalen Verteidigung" unser Volk zu jedem Opfer bereit finden wird, und daß seine Leistungsfähigkeit nicht nur nicht erschöpft ist, sondern noch wesentlich gesteigert werden kann. Es gilt den Kampf um unser Dasein, um unsere Ehre: beides darf nicht von einer Regierung Preisgegeben werden, die - einerlei aus welchen Ursachen - den wahren Bedürfnissen des deutschen Volkes fremd oder kalt gegenübersteht. [] In der öffentlichen Versammlung führte, wie vorher in der geschlossenen, Ober-Regierungsrat Kette-Danzig den Vorsitz. In seinen einleitenden Worten wies er darauf hin, daß es spät, aber noch nicht zu spät sei, das Verhängnis in seinem Lauf aufzuhalten. Noch wehe das Banner mit dem weißen Adler nicht über Danzig. So leicht sei es nicht, den Geist des alten Preußens, des Preußens des Siebenjährigen Krieges und der Befreiungskriege, abzutun. Und nun werde Claß sprechen. [] Claß: Ich bin Schüler Treitschkes. Meine Liebe für Danzig, für Marienburg, für die Ostmark, mein Verständnis für das, was sie dem Deutschtum bedeuten, verdanke ich dem großen Geschichtslehrer. Wir sehen uns unter anderen Verhältnissen wieder, als wir vor sechs, acht Wochen, da der Plan zu dieser Versammlung gefaßt wurde, hoffen durften. Sollen wir deshalb den Kopf hängen lassen? Andere haben dazu wohl Veranlassung; nicht aber wir. Der Alldeutsche Verband niedergebrochen? Es gibt keine törichtere Behauptung! Wer anders als wir kann inmitten des allgemeinen Niederbruchs das Haupt hochtragen? Aber: Farbe tragen heißt auch Farbe bekennen! Das Wort des Prager Rektor Magnificus Ehuen aus den Badeni-Tagen gilt besonders für uns unter den gegenwärtigen Umständen. In Hannover beim Verbandstag erklärte General v. Gebsattel auf Grund der damals vorliegenden zuverlässigsten Auskünfte, der Sieg, sei bereits errungen, es gelte nur noch, ihn festzuhalten. Durch den Niederbruch der Türkei und den Abfall Bulgariens hat sich das seither geändert. Bulgariens Armee war von innen heraus zermürbt: für uns ein warnendes Beispiel. Auch haben wir seit Hannover im Westen zurückgemußt trotzdem halten wir den Endsieg nach wie vor für möglich, vorausgesetzt, daß nicht weiter [] von zu Hause aus alles verdorben [] wird. Eine Voraussetzung, an die auch General v. Gebsattel die Behauptung des Sieges geknüpft hatte. Wir stehen vor dem vollständigen Niederbruch der Politik des Reichs. Sie ist als grundfalsch von uns seit Bismarcks Entlassung bekämpft worden. Wir haben Verzichtspolitik getrieben; und nicht nur das, wir waren noch obendrein so töricht, uns einzubilden, daß die anderen dasselbe tun würden. Doch die waren von solchen Liebhabereien weit enfernt [!]. Uns hielt man zwar, namentlich unseres Verhaltens im Marokkohandel wegen, für schwächer, als es bis dahin zu merken gewesen war. Daß es aber so schlimm dann sei, wie es den Anschein hatte, konnte man sich nicht vorstellen. Man hielt es für Verstellung, und so glaubte man, wir trieben im Gefühle, daß eine starke Politik für uns wenig rätlich sei, wenigstens eine solche der Arglist und der Tücke. Wenn Wilson uns heute [] Volk ohne Ehre [] nennt, so beruht das auf dem Bilde, das man sich aus Grund unserer immer wiederholten Verzichte von dem Sinn unseres Handelns zurecht gemacht hat. Wir haben stets vor der Preisgabe deutscher Rechte und Ansprüche gewarnt, haben empfohlen, offen zu vertreten, was wir brauchen. Wäre es geschehen, man hätte gewußt, woran man mit uns war, und es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß wir bei solchem Vorgehen uns mit England ohne Krieg hätten auseinandersetzen können. Bismarcks Politik beruhte auf Wahrhaftigkeit in großen Dingen; und sie hat sich gewiß bewährt. Doch das ist Vergangenheit. Die Regierung, aber auch das Volk, wollten die Wahrheit nicht sehen, wollten unangenehme Dinge nicht hören. So sind wir [] in den Krieg hineingetaumelt [] ohne Ahnung, daß wir die ganze Welt gegen uns haben würden. Man hatte keine Vorstellung, wie die Dinge lagen. Dr. Solf, damals Staatssekretär des Reichskolonialamts, erklärte mir im März 1914, unsere Beziehungen zu England seien herzlicher als je. Sir Grey sei der beste Freund, den wir in der ganzen Welt hätten. Derselbe Dr. Solf ist heute Staatssekretär des Auswärtigen Amts. Was soll man von ihm in solcher Not erwarten? Wir Alldeutschen Hetzen nicht. Hetzen und Warnen sind grundverschiedene Dinge. War es gehetzt oder gewarnt, als Senator Possehl - Lübeck, einer der unseren, als erster darauf hinwies, daß in unserer Kriegsrüstung ein wirtschaftlicher Generalstab fehle? War es gehetzt oder gewarnt, als wir aus den Wahnsinn der elsaßlothringischen Verfassung hin erklärten, es werde das Verhängnis des Reichs werden, wenn Bethmann, falls ein Krieg ausbreche, auch nur einen Tag im Amte bleibe? Als wir betonten, daß an seine Stelle ein wirtlicher Mann als Führer treten müsse? Eine schwere Verantwortung, lastet aus den nationalen Parteien dafür, daß sie sein Verschinden nicht rechtzeitig erzwungen haben! Schon, daß alle antinationalen Elemente hinter ihn traten, hätte sie darüber belehren müssen, woran sie mit diesem Vertrauensmann des Kaisers waren! Bethmanns Schuld ist es, daß schon von der ersten Zeit des Krieges an die [] Zermürbung von Volk und Heer [] einsetzte. Die Begeisterung der Nation bei Kriegsausbruch war nichts für kleine Bürokratenseelen! Wir haben vom Herbst 1914 an die Festsetzung von Kriegszielen immer dringlicher gefordert. Wir waren uns klar darüber, daß der Krieg nicht rasch zu Ende gehen würde, daß er also nicht durchgeführt werden konnte, wenn Volk und Heer nicht wußte, worum es ging. Aber gerade die Erörterung der Kriegsziele war, was man nicht wollte. Man sagte, sie führe unnütz zu dem Gefühl der Enttäuschung, wenn nicht alles Wünschenswerte erreicht werde; die Leute sollten die Zähne zusammenbeißen und ihre Schuldigkeit tun. Alles ganz schön und gut; nur wird dabei vergessen, daß mit dem kategorischen Imperativ [] einem Volk, das hungert und friert, [] gegenüber nie und nimmer viel anzufangen sein Wird. Die Begeisterung wurde geradezu totgeschlagen. Zum Zweck seiner eigenen politischen Lebensversicherung kapitulierte Bethmann vor dem Parlamentarismus; und diplomatisch häufte er und häuften seine Nachfolger Mißerfolg auf Mißerfolg. Die Geschichte wird dereinst nicht verstehen, wie all' das geschehen konnte; sie wird vor allen Dingen nicht begreifen, wie das Voll sich fortgesetzt derlei bieten lassen konnte. Man denke z. B. an den Frieden von Litauisch Brest und mit der Ukraine. Um seine Ertraglosigkeit zu vertuschen, nannte Graf Czernin ihn einen Brotfrieden; aber nicht nur, daß er nur völlig unzulänglich das brachte, was wir dem hungernden Volk versprochen hatten, ließen wir uns als Sieger von den Besiegten auch bei der Lieferung des Wenigen noch schamlos überwuchern. Begreife es, wer kann! Der schwerste aller Fehler aber war [] unser ewiges Schielen nach England. [] Trotz Wilson: die Engländer sind noch heute das Rückgrat unserer Feinde, ohne deren Willen es keinen Frieden gibt. Hierüber sollte man sich nicht täuschen! Kein Denkender konnte im Zweifel sein, was sie in den Krieg geführt hatte, und was sie von ihm erwarteten. Und in dem, was sie wollten, hat kein Mißerfolg ihre ehernen Seelen erschüttert; sie haben eine Seelenstärke und Willenskraft bewiesen, wie die Weilt sie seit der Römer Tagen nicht mehr gesehen hat. Und einem Feinde dieser Art gegenüber haben wir immer wieder versucht, mit einer Politik des guten Herzens Geschäfte zu machen! [] Die Friedenswinsler waren die wahren Kriegsverlängerer. [] Immer wieder wurde versichert: Diesmal war es ganz gewiß das letzte Mal! Und immer wieder wurde es mit einem Friedensangebot versucht. Bei unseren Gegnern, in dem demokratischen England, Frankreich und Amerika ist man für den Krieg von der angeblichen Volksregierung zur Diktatur übergegangen. Bei uns hat man den entgegengesetzten Weg gewählt. [] Ausgerüstet mit allen Waffen der Unfähigkeit und des Dilettantismus [] haben Erzberger und Scheidemann ihre Arbeit getan. So ist allmählich auf der schiefen Ebene, auf die man sich am 20. März 1890 mit der Entlassung Bismarcks begeben hatte, der tiefste Tiefstand erreicht worden. Ein Kanzler war unzulänglicher als der andere, Caprivi verhältnismäßig noch der beste; Hertling z. B., mit seinem Zurückweichen vor und hinter den Kulissen und dem Beibehalten Kühlmanns als Staatssekretär des Auswärtigen, wird in seiner ganzen Gefährlichkeit nur von wenigen schon jetzt richtig beurteilt. So sind wir denn zu diesem parlamentarisch-demokratischen Kabinett mit dem nicht parlamentarischen Prinzen an seiner Spitze gelangt, dem Kabinett, das zusammengesetzt ist aus den Vertretern der internationalen Strömungen im deutschen Volke, und das nun die sog. "nationale Verteidigung" damit begonnen hat, die Flinte ins Korn zu werfen. Es hat den Präsidenten Wilson um Frieden gebeten auf dem Boden einer Rede, die von den Amtsvorgängern der neuen Minister dem Volke vierzehn Tage lang vorenthalten worden ist, einer Rede, die nicht anders aufgefaßt werden kann, denn als [] eine klatschende Ohrfeige ins Gesicht des deutschen Volles. [] Wir haben diese Ohrfeige hingenommen . . . [] Der Redner, dessen Vortrag bis dahin immer und immer wieder stürmische Zustimmung unterbrochen hatte, wird hier durch starke Unruhe im Hintergrunde des dicht gefüllten Saales veranlaßt, einzuhalten. Man hört zunächst unverständliche Zurufe. Ein Herr arbeitet sich dann durch die Menge und reicht eine Sonderausgabe der "Danziger Allg. Zeitung" zum Rednerpult empor. Das Blatt enthielt [] die Solfnote an Wilson, [] deren Wortlaut soeben aus Berlin eingetroffen ist. Claß verliest seinen Inhalt. Es entsteht eine gewaltige Erregung, die beweist, wie geladen die politische Atmosphäre in nationalen Kreisen ist. Vielfache "Pfui "-Rufe, Rufe wie "Nieder mit dem Prinzen von Baden!" "Weg mit dem Reichstag!" "Nie wird der Weiße Adler über Danzig wehen! Eher sprengen wir unsere Häuser selbst in die Luft!" "Aber ist denn das alles überhaupt möglich?" schreit eine Frauenstimme auf. Minuten vergehen, bis der Redner wieder sprechen kann. Er erklärt, es habe angesichts dieser Botschaft, die die schlimmsten Erwartungen bestätige, wohl keinen Zweck, wenn er seinen Vortrag von vorher fortsetze. Wichtig sei hier für den Augenblick allein die Frage: [] Was soll nun geschehen? [] Sind wir wirklich besiegt? Besiegt ist, wer sich besiegt fühlt? Die Gesellschaft, die in Berlin beieinander sitzt, fühlt sich besiegt? Soll das deutsche Volk das in der Tat auf sich nehmen müssen? Was bedeutet die Note? Trauen sie im Ernste dem Manne, der diese Note unterschrieben hat, etwas zu, daß er auch mit an der "Autonomie" Elsaß-Lothringens festhält? Es ist so sicher wie nur irgend etwas, daß er es herausgibt. Und wissen Sie, was der gesicherte Zugang zur See für Ihre Stadt besagt? (Zurufe: Niemals war Danzig, polnisch! Nie! Nie!!) Wissen Sie, wozu diese Note die Flamen verurteilt? Der Flamen, die wir veranlaßt haben, sich als solche zu bekennen? Was sie für die Ostseeprovinzen enthält? Ein Vorkämpfer der deutschen Sache in den Ostseeprovinzen, der hier für seine Landsleute zu wirken sucht, hatte ein Erzu [!] bekennen? Was sie für die Ostseeprovinzen enthält? Als er merkte, welcher Wind jetzt hier weht, ging er zu einem sozialdemokratischen und einem freisinnigen Parteiführer. Er sagte: "Ich sehe, wie es hier steht. Wir wollen nichts mehr von Euch! So tut uns wenigstens den einen Gefallen, und kümmert Euch nicht um uns. Mischt Euch nicht in unsere Angelegenheiten. Wir haben Erfahrung, wissen, wie Esten und Letten zu behandeln sind, und werden uns schließlich auch allein unserer Haut wehren und unser Land deutsch erhalten." Der Sozialdemokrat hat verhältnismäßig vernünftig geantwortet. Der Freisinnsmann aber bekam es fertig, den alten Herrn zu fragen, was er sich eigentlich denke? "Wenn die internationale Demokratie jetzt ihren großen Siegeszug antritt, wild sie doch nicht etwa vor ein paar Tausend Balten Halt machen?" (Stürmische Entrüstung der Versammlung.) Das war die Antwort des Mutterlandes an eine Gruppe abgesprengter Brüder, die in unvergleichlichem Heldentum sich Geschlecht um Geschlecht gegen ihr Aufgehen im Slawentum gewehrt hat. "So ist es Ihnen als Deutschen beschieden, fertig zu bekommen, was das Slawentum in sieben Jahrhunderten nicht vermocht hat, - nämlich das Deutschtum des Baltikums zu vernichten!" gab der Balte zurück. Dann ging er. [] Claß setzt weiter auseinander, was die Räumung der besetzten Gebiete im Westen bedeute. Wir erklären uns also freiwillig bereit, auf Elsatz-Lothringenschem Boden gegebenenfalls den Kampf fortzusetzen und Essen feindlichen Fliegern preiszugeben! Setzen Sie den Leuten auseinander, was die Erfüllung der Zusage an Wilson wirtschaftlich bedeuten würde! Dem vermag auch der kleine Mann zu folgen. Der letzte Pfennig der 320 bis 360 Milliarden Mark Nationalvermögen, über die wir vor dem Kriege verfügten, würde hin sein; also nicht nur alles bare Geld, das irgendwo, sei es im öffentlichen Kassen, sei es in der Tasche des einzelnen, vorhanden ist, sondern noch der gesamte Bodenbesitz, alle Bahnen, Bauwerke, Kanäle bis herab zum letzten Ziegelstein, der in irgendeiner Brücke verbaut ist. Mit dem Kali Elsaß-Lothringens wäre das einzige wirtschaftliche Monopol dahin, das wir in der Weilt für uns haben! Und all' das sollen wir auf uns nehmen, ohne wirklich besiegt zu sein? Bloß, weil irgendwelche Leute die Nerven verloren haben? Redner erinnert nochmals an das Verhalten unserer Feinde in der Stunde der Not. Sollen wir uns selbst vor dem Italienern schämen müssen im Hinblick auf ihr Benehmen nach der Isonzo-Schlacht? "Wir werden uns vor Paris schlagen, wir werden uns in Paris schlagen, wir werden uns hinter Paris schlagen!" erklärte Clemenceau, als die deutschen Heere sich in diesem Jahre Paris näherten. So spricht ein Mann, der Sinn hat für die Ehre seines Volkes. Man vergleiche damit den Spruch der "Frankf. Ztg.", nach dem "selbst der Untergang eines Volles erträglich" ist, "wenn die Mehrheit ihn beschlossen hat". Wir stehen demgegenüber auf dem Standpunkt, daß, wer ein Volk führen will, auch den Mut haben muß, eine unvolkstümliche Politik zu treiben, bei uns z. B. eine solche gegen den Reichstag! (Stürmischer Beifall.) Was jetzt zu geschehen hat, liegt auf der Hand. Vor allen Dingen muß das Volk die Entfernung aller fordern, die an unserem Niederbruch schuld sind. [] Wie hoch immer sie stehen mögen, [] sie haben zu verschwinden! (Stürmischer minutenlanger Beifall.) Von denjenigen, die jetzt an die Spitze unseres Volkes treten, verlangen wir, daß sie in Wahrheit die nationale Verteidigung organisieren, den letzten Mann und den letzten Offizier dahinstellen, wo dem Feinde Widerpart zu halten ist. Es ist einfach nicht wahr, daß unsere militärische Widerstandskraft gebrochen und erschöpft sei, und es wäre ein tätlicher Schlag gegen die Ehre unseres Volkes, wenn wir uns, ohne den äußersten Widerstand geleistet zu haben, ausgerechnet Herrn Wilson auslieferten. Mit verlorener Ehre kann ein Volk wie das deutsche nicht leben. Wir rufen alle auf, in Stadt und Land, dabei zu helfen, daß die deutsche Ehre und gleichzeitig das Dasein unseres Voltes gerettet werde. (Stürmische Zustimmung.) Die nationale Verteidigung hat in der Heimat zu beginnen mit der Wiederaufrichtung der Stimmung des Selbstbewußtseins, der Vaterlandsliebe und der Opferbereitschaft im Volke. Nur wenige wissen, im welchem Umfange auf diesem Gebiet seit Kriegsbeginn an unserem Volke gesündigt worden ist. Das alles muß wieder gut gemacht werden, und es darf uns nicht abschrecken, diese dringendste und heiligste Ausgabe in die Hand zu nehmen, daß gerade die gefährlichsten und einflußreichsten Vernichter der Volksstimmung zum Teil heute führende Männer sind. Bei dieser Aufgabe kann jeder in der Heimat, Mann und Frau, helfen, und wir wollen die ganze Kraft des Alldeutschen Verbandes in ihren Dienst stellen. (Minutenbanger, sich stets erneuernder Beifall.) [] Geschichte wird von Männern gemacht! Die Heimat war bis jetzt während mehr als vier Kriegsjahren ohne Führer. Es muß festgestellt werden, was sie unter einem Führer fertig bringt, der wirklich einer ist. Es ist die Schuld des deutschen Volkes, zu lange geschwiegen zu haben. Sie straft sich jetzt an ihm. Es müßte keine Gerechtigkeit im Himmel geben, wenn die an Bismarck verübte Felonie ungerächt geblieben wäre. Wir konnten mit dieser Schuld beladen ja gar kein Glück halben! Im übrigen: [] suchen Sie Ihr Preußen zu retten. [] Wie kommen Sie zu der zweifelhaften Ehre, daß die Erzberger, Payer und Genossen Hand an das Werk Friedrichs des Großen legen dürfen? Warum haben Sie nicht längst gerufen: Bis hierher und nicht weiter! (Fortgesetzt unterbrechen Beifallsstürme den Redner.) Der Prinz von Baden hat nicht das Recht, im Namen des deutschen Volkes zu reden. Auch der Zaberner Reichstag hat es nicht. Es gilt schärfste Kampfansage gegen das Kabinett, das nicht das mindeste zu tun hat mit nationaler Verteidigung! Das Volk Luthers, das Volk Friedrichs des Großen läßt sich nicht von Beuten wie Erzberger und Scheidemann und auch nicht von einem politischen Illusionisten wie dem Prinzen von Baden zugrunde richten! Hinaus ins Land! Das Volk steht auf, der Sturm bracht los! Handeln Sie! Helfen Sie uns! (Kundgebungen stürmischer Zustimmung.) [] Der Vorsitzende macht der Versammlung den Vorschlag, die von der Gauversammlung gefaßte, oben wiedergegebene Entschließung sich ihrerseits zu eigen zu machen. Es geschieht unter stürmischer Zustimmung. Die Versammlung wird geschlossen. Eine Menge erregter Besucher der Versammlung drängt sich um den Vorstandstisch, um sich als Mitglieder des Alldeutschen Verbandes anzumelden; der Vorstand der Ortsgruppe Danzig hat Mühe, alle Anmeldungen entgegenzunehmen. Währenddessen bleibt der Saal gefüllt, und es finden Besprechungen im Kreise der Gauleitung statt; der Vorsitzende Oberregierungsrat Kelte eröffnet die Versammlung wieder und teilt mit, daß in Rücksicht auf die besondere Lage Danzigs an den Vorstand die Aufforderung herangetreten sei, aus seinen Reihen heraus einen [] Ausschuß für nationale Verteidigung [] zu bilden, die Provinz in diesem Sinne zu organisieren, und sich dann zunächst mit den gleichfalls gefährdeten Gebieten Oberschlesiens und Posens in Verbindung zu setzen. Die Versammlung erklärt lebhaft ihre Zustimmung. Die erforderlichen Schritte sind dann noch in der Nacht und dann im Laufe des Sonntags geschehen. Ein Dreimännerausschuß steht einstweilen an der Spitze der Bewegung, die sich über ganz Deutschland ausdehnen soll. Danzig betrachtet sich bis auf weiteres als Vorort; Vorsitzender ist Oberregierungsrat Kelte. [] Wer die Zeichen der Zeit zu deuten weiß, sollte erkennen, daß das deutsche Bürgertum erwacht ist! Endlich - endlich! Nun muß sich herausstellen, ob es einen Führer findet und ob es unter ihm "durchhält". Wer die Danziger Versammlung mit erlebt hat, wird daran nicht zweifeln. A. Z. [] Verlag der Deutschen Zeitung, Berlin SW 11, Hedemannstraße 12. - Druck: W. Büxenstein Druckerei und Deutscher Verlag G. m. b. H., Berlin.
era Tagung des Weichselgaues des Alldeutschen Verbandes
Vorwurf an die Regierung, durch eigene Schwäche den Krieg zu verlieren
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geographic Danzig
Polen
Deutsches Reich
England
Vereinigte Staaten von Amerika (USA)
Paris
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institution Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
language German
publishDate 13.10.1918
spellingShingle Ein Ausschuß für nationale Verteidigung
Sonderdruck der Deutschen Zeitung
Weichselgau des Alldeutschen Verbandes
W. Büxenstein Druckerei und Deutscher Verlag GmbH. Berlin / Verlag der Deutsche Zeitung, Berlin
[Baden, Prinz Max von, Bismarck, Otto von, Wilson, Thomas Woodrow, Solf, Wilhelm Heinrich, Clemenceau, Georges, Claß, Heinrich, Alldeutscher Verband, Deutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feinde der Republik, Imperialismus, Kriegspropaganda, Nationalismus, Weltkrieg I]
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title Ein Ausschuß für nationale Verteidigung
topic [Baden, Prinz Max von, Bismarck, Otto von, Wilson, Thomas Woodrow, Solf, Wilhelm Heinrich, Clemenceau, Georges, Claß, Heinrich, Alldeutscher Verband, Deutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feinde der Republik, Imperialismus, Kriegspropaganda, Nationalismus, Weltkrieg I]
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