Handelspolitische Flugblätter der "Nation" Nr. 9 . Wem nützen die Getreidezölle?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Handelspolitische Flugblätter der "Nation" [] Nr. 9 [] Wem nützen die Getreidezölle? [] Die Junker. [] Es gibt etwa 25 000 Großgrundbesitzer in Deutschland, d. h. Leute, die über mehr als 100 ha zu gebieten haben. Der wichtigste Best...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Reimer, Georg, H.S. Hermann, Berlin / Georg Reimer, Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1892 - 1900
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/86F0F188-6810-478D-AA8A-2A96155C93E7
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Handelspolitische Flugblätter der "Nation" [] Nr. 9 [] Wem nützen die Getreidezölle? [] Die Junker. [] Es gibt etwa 25 000 Großgrundbesitzer in Deutschland, d. h. Leute, die über mehr als 100 ha zu gebieten haben. Der wichtigste Bestandtheil davon ist der preußische Kleinadel. Es sind Männer, die meist in mittleren Lebensjahren, etwa zwischen 30 und 40 Jahren, die Güter "übernommen" haben. Vorher waren sie als Kavallerieoffiziere, als Regierungsassessoren, als Legationssekretäre oder sonst in einem "standesgemäßen" Berufe thätig gewesen. Denn wenn man später doch einmal auf der väterlichen Scholle "verbauern" muß, so will man doch vorher etwas von der Welt gesehen und sich ein Bischen amüsirt haben. Der "Alte" gab ja einen recht anständigen Wechsel. Aber der reichte natürlich doch nicht. Einige 10000 Emmchen hat man nebenbei ans Bein binden müssen, die werden nun bei der Gutsübernahme aus der Erbschaft bezahlt. Der Rest des baaren Geldes wandert in die Taschen der Geschwister. Viel ist es ja nicht, der Haupttheil der geschwisterlichen Erbschaft muß als Hypothek hinter der Landschaft auf das Gut eingetragen werden. [] Nun geht das Wirtschaften los. Betriebskapital ist nicht da. War noch etwas übrig, so wurde es benutzt, um die Schäden, die sich während der letzten Jahre des "alten Herrn" immer mehr eingestellt hatten, zu repariren: das Wohnhaus wird umgebaut, eine Scheune wird neu gebaut, der Pferdebestand wird verjüngt, der Wagenpark ergänzt u. f. w. Von der Landwirtschaft versteht man nur so viel, wie einem im Blute steckt. Die "Praxis" muß die nöthigen Ergänzungen bringen. Im Wesentlichen geht es so weiter, wie es der alte Inspektor beim vorigen gnädigen Herrn betrieben hat. [] Der Haushalt ist ja für gewöhnlich ziemlich einfach. Man trinkt seinen sauren Mosel und ißt sein Stück Braten dazu. Aber "standesgemäß" muß man immer auftreten. Mit Wagen, Kutsch- und Reitpferden darf man sich nicht lumpen lassen. Der Diener ist ein selbstverständliches Inventarstück. Mit der Ausgabe für das Wild darf man nicht knausern. Wenn die Kameraden aus der nächsten Garnison kommen, muß ein guter Tropfen da fein. Die Jagddiners sollen zeigen, daß man auch auf dem Lande zu leben versteht. Schließt sich ein Keuchen daran, so würde man in den Ruf eines Tugendboldes kommen, wenn man sich ausschlösse. Ein tiefes Loch in den Beutel reißen namentlich die Kinder. Von der Bildung der Mädchen hält man zwar nicht viel, aber in Pension müssen sie doch gegeben werden, damit ihnen der, "höhere Schliff" beigebracht werde. Sie sollen doch keine "Landpommeranzen" bleiben, sondern einmal in der Provinzialhauptstadt "ausgehen" und vielleicht bei Hofe vorgestellt werden. Schlimmer ist es ja mit den Jungens. Schon auf der Ritterakademie haben sie sich einige noble Passionen im Kleinen zugelegt. Aber sie waren doch da in anständigerer Gesellschaft als auf irgend so einer verjudeten Penne. Die "Borussen" sind zwar verdammt' theuer, aber es ist nun einmal Familientradition, bei diesem Korps einzuspringen. Hat man einmal einen Sohn, der es bis zum Abitur gebracht hat, so kann man schon etwas auf ihn wenden.. Schließlich kriegt er dort auch feine Konnexionen. Die anderen Bengels, die man mit Mühe und Noth durch die "Presse" ins militärische Leben bugsirt hat, wollen natürlich zur Kavallerie. Eigentlich hat man's nicht dazu. Aber, du lieber Gott, wenn man selber Kavallerist war, kann man ihnen das Staubgetrampel, nicht zumuthen. Sie haben ja auch solchen Pferdeverstand! Daß irgend ein Sohn etwas anderes als Offizier oder Verwaltungsbeamter, höchstens noch Landwirt oder Oberförster werden könnte, ist ein undenkbarer Gedanke. So tief ist die Familie denn doch, Gott sei Dank, noch nicht herunter! [] So nehmen die Ausgaben von Jahr zu Jahr zu, leider die Einnahmen nicht desgleichen. Die bleiben bestenfalls stationär. Und da sie im Anfang gerade eben ausreichten, so ist das unausbleibliche Ergebniß: man macht Schulden. In die Wirtschaft kann gar nichts hineingesteckt werden. Die sauren Wiesen könnten das Fünffache bringen, wenn sie regulirt und zu Rieselwiesen umgewandelt würden. Die Dampfdreschmaschine ist so veraltet und klapprig, daß sie nicht mehr drischt als der Pferdegöpel des Nachbars und dabei entsetzlich viel Kohlen frißt. Zuckerüben könnte man bauen, wenn man einen Dampfpflug zum Tiefpflügen Hätte. Der Molkereigenossenschaft in der Kreisstadt könnte man beitreten, wenn man ordentliches Milchvieh besäße. Da könnte eine Schälweidenanlage, dort eine Obstplantage, da eine Moorkultur, dort eine Feldbahn, da eine Schweinezüchterei, dort eine Baumschule angelegt werden. Aber immer und immer wieder fehlt das, was nicht bloß zum Kriegführen das Wichtigste ist: das Geld. Jeder Fortschritt stockt. Nicht einmal die besten Absatz- und Einkaufsquellen kann man sich aussuchen. Natürlich weiß man, daß man den Weizen lieber erst im Frühjahr in dm Markt bringen, über daß man den künstlichen Dünger am Besten von einer Genossenschaft beziehen sollte. Aber kaum ist die Ernte zu Ende, so wird der letzte Sack Korn, den man entbehren kann, zu dem Händler gefahren, bei dem man auch Dünger und Saatgut kaufen muß, weil man bei ihm "hängt." Er hat ja die Johanneszinsen ausgelegt und auch sonst noch Manches zu fordern. Die verdammten Juden! [] Staat, hilf! [] So steht es heute - gewiß nicht mit allen Großgrundbesitzern, aber mit einem beträchtlichen Theil. Sie sind wirklich nothleidend. Ihr Geschreiüber die ,,Noth der Landwirtschaft" ist begründet, wenn sie dabei an sich selbst denken. Sie sind verschuldet bis über die Ohren. Sie müssen zusammenbrechen, wenn es so weiter geht. [] Daß sie das nicht wollen, kann man ihnen nicht sonderlich verdenken. Nur suchen sie leider ebensowenig wie die Schuld auch die Rettung bei sich selbst. Der Staat soll ihnen aus der Patsche helfen, in die sie zum größten Theil durch ihre eigenen Fehler hineingerathen sind. [] Sie leiten die Pflicht des Staates, ihnen zu helfen, aus ihren Verdiensten her. Aus denen der Vergangenheit: waren es doch ihre Vorväter, die Preußen zahllose tapfere Offiziere und bewährte Staatsmänner gestellt haben. Aus denen der Gegenwart: sind sie doch im Herrenhaus und im Abgeordnetenhaus, im Provinziallandtag und in der Synode, im Kreistag und im Bezirksausschuß, als Amtsvorsteher und als Landräthe die Säulen der bestehenden Ordnung, die "Stützen von Thron und Altar". Sie, die von einer Gesetzgebung, die ihnen auf den Leib zugeschnitten ist, und von der staatlichen Tradition vor allen anderen Sterblichen unerhört bevorzugt sind, melden gerade auf Grund dieser Bevorzugung neue Ansprüche an. L'appétit vient mangeant. Weil sie die Herren gewesen sind und größtentheils noch sind, verlangen sie, daß ihnen die Gesammtheit eine Art Civilliste in Form der Getreidezölle bewillige. Aus eigenen Mitteln können sie ihr und ihrer Kinder bisheriges Leben nicht fortsetzen. Darum soll ihnen der Staat zu Hilfe kommen. Sie wollen nicht bloß herrschen, sondern auch dafür bezahlt werden. Natürlich sind sie schlau genug, das nicht offen zu sagen. Indem sie ihre begehrlichen Hände ausstrecken, rufen sie: "Wir kämpfen ja nur für die deutsche Landwirthschaft!" und sind bereit, von jedem "ritterliche Genugthuung" zu verlangen, der an der Ehrlichkeit ihrer Absichten zweifelt. Uebrigens meinen es manche von ihnen, namentlich die besonders wenig scharfsinnigen, wirklich ehrlich. [] Die deutsche Landwirthschaft. [] Es ist der größte Fehler, den man begehen kann, wenn man die deutsche Landwirtschaft als ein einheitliches Ganze ansieht. Die Agrarier freilich thun das. Sie wissen wohl, warum. Ihre Führer, die fast ausnahmslos Großgrundbesitzer sind, sehen ein, daß man mit Offizieren und Unteroffizieren, mit Junkern und großen Bauern, allein keine politische Schlacht gewinnen kann. Dazu braucht man die Massen der Kleinbauern. Darum wird den "Kuhbauern" das schöne Lied von der Interessensolidarität der Großen und der Kleinen gesungen und ihnen eingeredet ihr Lebensinteresse bestehe darin, daß die Getreidepreise so hoch wie möglich heraufgeschraubt werden. Wahr wird diese Behauptung freilich dadurch, daß sie dem Bunde der Landwirthe so schön in seinen Kram paßt, noch lange nicht. Ein Blick auf die Betriebsstatistik lehrt, daß es nur ein minimaler Theil der Landwirthe sein kann, dem hohe Getreidezölle wirklich Nutzen bringen. Nach der amtlichen Statistik von 1895 vertheilen sich die landwirthschaftlichen Betriebe Deutschlands folgendermaßen: [...Tabelle...] [] Die Betriebe unter 5 ha können von Getreidezöllen in der Regel keinen Vortheil ziehen. Die übergroße Mehrzahl von ihnen verkauft kein Getreide, sondern muß welches hinzukaufen, wird also durch hohe Getreidepreise direkt geschädigt. Je kleiner die Besitzer sind, um so mehr müssen sie kaufen, um so stärker werden sie also durch die Politik des Bundes der Landwirthe geschädigt. Aber auch Bauern, die bei 5 ha Bodenfläche vielleicht einige Zentner verkaufen, müssen andererseits Brot oder Futtermittel kaufen, so daß das, was sie an Zolletatrag mit der einen Hand einheimsen, sie mit der anderen wieder ausgeben müssen. Es ist nämlich in der Regel garnicht möglich, daß ein Betrieb von 5 ha soviel Getreide erzeugt, daß davon verkauft werden kann, ohne daß mehr hinzugekauft werden müßte - vereinzelte Ausnahmen spielen natürlich keine Rolle. Im Durchschnitt wird in Deutschland von der landwirtschaftlich genutzten Fläche 1/4 mit Brotgetreide, d. h. mit Weizen, Roggen und Spelz bestellt. Auf 5 ha macht das also 1 1/4 Hektar. Der Durchschnittsertrag eines Hektars beträgt 1200 Kilo bei Brotgetreide. Das macht 1500 Kilo bei 1 1/4. Davon gehen rund 200 Kilo Saatgut und wenn man die bäuerliche Familie zu 5 Köpfen annimmt, circa 200x5 =1000 Kilo für den eigenen Verbrauch, zusammen also 1200 Kilo ab. Es bleiben 300 Kilo für die Viehhaltung übrig. Das reicht, sobald eine Hilfsarbeitskraft in den Haushalt eingestellt wird und für einen normalen Viehstand nicht aus. Die Regel ist, daß Viehfutter zugekauft werden muß. [] Rechnet man mit 4 ha statt mit 5, so ist auch die entfernte Möglichkeit eines Getreideverkaufs fast aufgeschlossen. Und die Mehrzahl der Betriebe dieser Gruppe nähert sich mehr der unteren als der oberen Grenze. Umfaßt doch die Größe von 2-3 ha etwa die Hälfte der Betriebe zwischen 2 und 5 ha. [] Die Durchschnittsberechnung für 3 ha ist übrigens viel zu günstig für die Agrarier. Der Kleinbauer ist noch weniger, als es danach den Anschein gewinnen könnte, an dem Getreidebau betheiligt. Je größer der Betrieb, eine um so unverhältnißmäßig größere Rolle spielt die Getreideproduktion. Je kleiner, um so mehr wiegen andere Erwerbszweige - Weinbau, Hopfenbau. Tabacksbau, Verkauf von Handelsgewächsen, von Obst und Gemüse, Geflügelzucht, u. f. m. - vor. Namentlich aber die Viehzucht. Von den 13 562642 Schweinen, die 1895 vorhanden waren, entfielen etwa 5,8 Millionen, von den 17 053 642 Rindern etwa 4,2 Mill. auf die Betriebe unter 5 ha, dagegen nur 883 571 Schweine und 1957 277 Rinder auf die Betriebe über 100 ha. Die Kleinbauern, deren Betriebsfläche nur 15.67 % der gesammten landwirtschaftlichen Fläche ausmacht, halten darauf mehr als 6mal soviel Schweine und viel mehr als doppelt soviel Rindvieh als der Großgrundbesitz auf den 24,08 % der Gesammtfläche, die er bebaut. Mit anderen Worten: die übrigen landwirthschaftlichen Erwerbszweige und die Viehzucht insbesondere spielen bei den Kleinbauern eine so überwiegende Rolle, daß bei ihnen die Getreideproduktion für den Verkauf noch viel mehr zurücktritt, als es nach der theoretischen Durchschnittsberechnung scheint. [] Doch selbst wenn wir sie zu Grunde legen, ergibt sich das Resultat, daß von den rund 5 1/2 Millionen landwirthschaftlichen Betrieben, die wir in Deutschland haben, die rund 4 1/4 Millionen unter 5 ha, keine hohen, sondern niedrige Getreidepreise wünschen müssen. Etwa 77 Prozent der ländwirthschaftlichen Betriebe haben so gut wie keinen Nutzen von den Zöllen. [] Die Erfahrungen der Praxis. [] Die Erfahrung lehrt, daß der Prozentsatz der Bauern, die kein Getreide verkaufen können, viel größer ist. Wer die Gegenden Deutschlands kennt, wo die Viehzucht die Hauptrolle spielt, wie gewisse Theile Hannovers und Schleswig-Holsteins, der weiß, daß dort selbst große Bauern noch Getreide zukaufen. Nicht nur ein sehr beträchtlicher Theil der 998 701 Landwirthe, die zwischen 5 und 20 ha bewirtschaften, sondern selbst solche mit mehr als 20 ha haben daher ein nur negatives Interesse an den Getreidezöllen. Das bestätigen mit unzweideutiger Klarheit die Erhebungen, die eine Vereinigung praktischer Landwirthe, der Bauernverein Nordost, in letzter Zeit gemacht hat. Der "Nordost" hat eine große Zahl von Fragebogen an landwirtschaftliche Besitzer versandt. Die Antworten, die einliefen, beweisen zunächst, daß die Landwirthe bis 5 ha ausnahmslos an Getreide mehr kaufen als verkaufen. Wir greifen folgende Beispeile heraus: [...Tabelle...] [] Bei den Betrieben von 5 bis 25 ha. (20 bis 100 preußische Morgen) schwankt das Ergebnis. Je weniger die Betriebe die untere Grenze übersteigen, um so häufiger ist der Verkauf an Getreide gleich 0, dagegen viel Ankauf nöthig. In den "oberen Regionen" überwiegt dagegen der Verkauf. Einige Beispiele seien aus der Enquete angeführt: [...Tabelle...] [] Erst bei den Betrieben über 25 ha überwiegt der Verkauf allgemein und, wenn es sich um erheblich größere Güter handelt, auch bedeutend den Zukauf. Freilich trifft nicht einmal das, wie schon vorher kurz erwähnt, für alle Theile unseres Vaterlandes zu. Vor uns liegt der Bericht des Vorsitzenden eines landwirthfchaftlichen Vereins aus dem Regierungsbezirk Osnabrück, in dem es heißt: [] "In dem Bezirk des vormaligen Amtes N. wird kein einziges Brotkorn - oder besser gesagt: Getreidekorn - verkauft. Die Größe unserer Bauernhöfe in Hektaren anzugeben ist zur Zeit ein mißliches Ding, da mit denselben durchweg größere Komplexe Oedländereien verbunden sind, die von Jahr zu Jahr aufkultiviert werden. Ein Hof von 100 ha ist ein großer Hof hierzulande. Die Verhältnitße in dem südlichen Theil unserer Grafschaft sind mir nicht hinreichend bekannt; indessen glaube ich nicht, daß auch in diesem Theile in den letzten 30 Jahren irgend etwas Getreide verkauft worden ist. Im Gegentheil, es kaufen unsere Bauern alljährlich erhebliche Mengen ausländisches Getreide an und verwenden dasselbe in außerordentlich rentabler Weise zur Viehfütterung, besonders Schweinemast." [] Hier hört man also aus dem Mund des Vorsitzenden eines landwirthschaftlichen Vereins, also einer unzweifelhaft sachverständigen Persönlichkeit, daß es Bezirke gibt, wo selbst Betriebe von 100 da, d. h. Großgrundbesitzer im Sinne der Statistik, kein Getreide verkaufen. Dem Bericht ist z. B. die Nachweisung über einen Bauernhof von 121 ha beigefügt, der kein Getreide verkauft. Und dabei ist die hannoversche Bauernschaft nicht etwa technisch rückständig, im Gegenteil! [] Nach diesen Stichproben kann man mit Sicherheit erklären: Theorie und Praxis stimmen darin überein, daß die 4 1/4 Millionen Betriebe unter 5 ha, von den Getreidezöllen mehr Schaden als Nutzen haben, daß bei der Million Betrieben von 5 bis 20 ha. die Einen Schaden, die Anderen Nutzen haben, so daß wahrscheinlich diese Gruppe als neutral aus der Betrachtung auszuscheiden hat, daß dagegen im Allgemeinen ein unzweifelhafter Vortheil ans den Zöllen den 300 000 Betrieben über 20 ha, erwächst, obwohl es selbst in dieser Kategorie noch Güter genug gibt, die, selbst bis über 100 ha hinaus, nicht hohe, sondern niedrige Getreidepreise wünschen müssen, weil ihre Wirtschaft auf der Viehzucht basirt, und sie deshalb mehr Getreide kaufen als verkaufen. [] Der Großgrundbesitz. [] Je größer der Besitz, um so mehr steigt das Interesse an den Getreidezöllen. Wenn es sich bei dem Mittelbauern, der gelegentlich ein paar Zentner an den Markt bringt, um einige Mark handelt, die in seiner Wirtschaft keine wahrnehmbare Rolle spielen, kann es sich bei dem Besitzer umso und soviel Hundert oder gar Tausend Hektar um Sein oder Nichtsein handeln. Der Großgrundbesitz ist vielfach überschuldet. Während sich in den Provinzen mit vorwiegend bäuerlicher Bevölkerung wie Hessen-Nassau oder Rheinland das Vermögen zu den Schulden verhält wie 100 zu 24 und 27, verhält es sich in den Großgrundbesitzerprovinzen Pommern und Posen wie 100 zu 181 und 239. Das hat die schlesische Landwirthschaftskammer festgestellt. Leute, denen eigentlich auf ihrem Gute kein Ar und kein Halm mehr gehört, können natürlich nur durch außergewöhnliche Mittel sich halten. Wird der Getreidezoll verdoppelt, so steigen mit einem Male ihre Einnahmen um Tausende. Es ist begreiflich, daß, vor die Wahl zwischen dem - übrigens oft verdienten - Bankrott und der Möglichkeit gestellt, noch länger Rittergutsbesitzer zu spielen, sie mit allen Mitteln nach den Strohhalm des höheren Getreidezolles greifen. [] Die Fideikommißherren. [] Die Fideikommißinhaber sind die Quintessenz des Großgrundbesitzerstandes. An ihnen läßt sich die "befruchtende" Wirkung der Getreidezölle am besten nachweisen. Wir haben in Preußen nach der amtlichen Ermittelung von 1895 1045 Fideikommisse, die sich in den Händen von 939 Inhabern befinden. Von der Gesammtfläche Preußens umfassen die Fideikommisse mit 2,12 Millionen ha etwa 6 %. Sie vertheilen sich im Einzelnen folgendermaßen: [...Tabelle...] [] Von den 939 Fideikommißbesitzern sind nur 90 ganz gewohnliche Bürgerliche, während die Grafen allein 240 Inhaber stellen. Und zwar haben von den 90 Bürgerlichen nicht weniger als 40 Fideikommisse von unter 100 ha, 17 solche bis 200, 11 solche bis 500 ha. Nur drei fallen in die Kategorie von 2000 bis 5000 ha, während nicht ein einziger Bürgerlicher ein Fideikommiß von mehr als 5000 ha besitzt. Der größte Grundbesitz ist ausschließlich Privileg des Adels. Unter den 34 Fideikommißherren, die über mehr als 10000 ha gebieten, befinden sich 5 regierende Fürsten, 10 Standesherren, 9 andere Fürsten, 9 Grafen und ein ganz einfacher Edelmann. Dieser auserlesene Kreis der 34 beherrscht zusammen 717 993 ha, d. h. auf den Einzelnen entfallen im Durchschnitt über 20 000 ha. Sehen wir einmal zu, in wie weit eine solche Persönlichkeit an den Getreidezöllen interessirt ist. [] Von dem Fideikommitßbesitz sind 45 % Wald. Von den 20000 ha bleiben also im Durchschnitt 11 000 ha landwirthschaftlich genutzte Fläche übrig. Wird davon 1/4 mit Brotgetreide bebaut, und bringt der Hektar nach dem allgemeinen Durchschnitt 12 Doppelzentner, so würden die 2750 ha 33 000 Doppelzentner ergeben. Wird davon das Saatgut und der Verbrauch für die eigene Wirtschaft, was wir zusammen mit 1/4 einsetzen wollen, abgezogen, so bleiben 24 750 Doppelzentner zum Verkauf übrig. Die Erhöhung des Getreidezolles um 3 M. würde also mit einem Schlage die Einnahmen der Fideikommißherren um 3 x 24 750 = 74 250 M. steigern. [] Diese Aufstellung rechnet überall mit Minimalziffern. Bei den Riesengütern, um die es sich hier handelt, tritt die Viehzucht so stark zurück, daß der Körnerbau eine den Durchschnitt weit überragende Rolle spielt. Aber selbst wenn es sich für einen solchen hohen Adligen nur um eine Vergrößerung seines Einkommens um jährlich etwa 75 000 M. handelt - mitnehmen läßt sich das immerhin. [] Landwirthe und Landbesitzer. [] Wer hat, dem wird gegeben. Wer viel hat, dem wird am meisten gegeben. Wer nichts hat, dem wird genommen. In diese drei Sätze läßt sich die ganze Weisheit der Getreidezollpolitik zusammen fassen. Was sie besonders verwerflich macht, das ist, daß sie im Grunde ja nicht den Landbebauern, auch den größten nicht, nützt, sondern ausschließlich den Landinhabern. Sie steigert die Bodenrente. Natürlich, wenn ein Gut jährlich 1000 Doppelzentner Getreide verkauft, und der Preis dieses Getreides wird durch die Erhöhung. des Zolles von 3,50 auf 6,50 Mk. um 3000 Mk. gesteigert, so wächst der Reinertrag um 3000 Mk. jährlich. Der Werth des Gutes steigt damit um etwa 60 000 Mk. Kommt das Gut zum Verkauf oder zur Vererbung, so muß der Rechtsnachfolger 60 000 Mk. mehr zahlen. Der augenblickliche Inhaber hat also durch die Zollerhöhung 60 000 Mk. profitiert. Der Rechtsnachfolger steht dagegen genau so da, als wäre die Zollerhöhung nicht erfolgt. Denn ob er das Gut bei 3.50 Mk. Zoll zu 300 000 Mk. oder bei 6,50 Mk. Zoll zu 360 000 Mk. kauft, das ändert in seiner Bilanz kein Titelchen. Seiner landwirthschaftlichen Arbeit hat die Zollerhöhung nichts genützt, sie hat nur das arbeitslose Renteneinkommen seines Vorgängers vermehrt. [] Vorübergehend nützt natürlich der Zoll auch dem jeweiligen Inhaber eines landwirthschaftlichen Betriebes, der überschüssiges Getreide produzirt. Aber mit jedem Jahr nimmt die Zahl dieser Leute ab. Jeder Verkauf oder jeder sonstige Besitzübergang macht die Zollerhöhung für den Nachfolger null und nichtig. Nach einer gewissen Reihe von Jahren steckt die gesammte Zollerhöhung kapitalisirt im Preis des Bodens, und die Landbebauer klagen wieder über die "Noth der Landwirthschaft", der nur durch eine neue Zollerhöhung abzuhelfen sei. Denn was nützt es ihnen, daß ihre Vorgänger ein gutes Geschäft gemacht haben? [] Der Landwirthschaft will man mit Zollerhöhungen helfen, während man tatsächlich nur den großen Landinhabern die Taschen auf Kosten der Allgemeinheit füllt, die Landwirthschaft dagegen direkt schädigt. Denn heute schon ist das Grundübel, an dem die deutsche Landwirthschaft krankt, der zu hohe Bodenpreis. Der allein erschwert ihr die Konkurrenz mit dem Ausland. Die Getreidezölle erhöhen, heißt dies Grundübel vermehren und verewigen. [] Der Verlag der "Nation" (Georg Reimer, Berlin W., Lützowstraße 107/108) stellt dies Flugblatt weiteren Kreisen zum Preise von 10 Mark für die ersten 1000 Stück, zum Preise von 5 Mark für jedes weitere 1000 [] zur Verfügung. [] (100 Exemplare eines Flugblattes werden zu 1,50 Mark abgegeben. - Probeexemplare gratis.) Weniger als je 100 Exemplare eines Flugblattes werden käuflich nicht abgegeben. [] Verlag von Georg Reimer Berlin W., Lützowstraße 107/108. - Druck von H. S. Hermann in Berlin.
Published:1892 - 1900