Summary: | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals;
Wenn Landräte tagen und tafeln [] Unter diesem Titel veröffentlichte das "Schwäbische Tageblatt" folgenden Artikel: [] "Anläßlich einer Landrätetagung am 6. Juli 1946 in Saulgau wurden von den Herren Landräten, einschließlich Landesdirektorium und Gefolge, folgende "Kleinigkeiten" zum Souper eingenommen: Vorspeise: russische Eier. Hauptgang: Kalbsbraten, garniert mit Blumenkohl-, Bohnen- und Karottengemüse. Salate: drei Sorten, Kartoffel-, Tomaten- und Gurkensalat. Dessert: Speiseeis mit Schlagsahne (jawohl Schlagsahne!), Buttercremetorte (jawohl Torte!) mit Kaffee. Selbstverständlich standen diverse Weine sowie Zigarren und Zigaretten zur Abrundung des spartanischen Nachtmals [!] zur Verfügung. Das vorhergegangene Frühstück und das Diner hatten demgegenüber kleinkalibrige Ausmaße und erreichten mit 200 Gramm Aufschnitt und heißen Bockwürsten geradezu demokratische Bescheidenheit. Es versteht sich am Rande, daß am Schluß der Tagung kleinere "Kleinigkeiten" übrigblieben, so daß auch noch Mutti zu Hause auf ihre Rechnung gekommen sein wird. Man darf annehmen, daß in dieser kaloriengeschwängerten Atmosphäre die Ernährungsprobleme der Kreise restlos gelöst worden sind. Dies ist die eine Seite! Die andere Seite ist gekennzeichnet durch eine Welle der Empörung, die wie ein Lauffeuer durch die Reihen der Bevölkerung ging. Und dies mit Recht! Wenn man bedenkt, daß die großen Massen des arbeitenden Volkes mit knappen Rationen auskommen müssen, wenn man sich die ganze Größe des sozialen Elends vorstellt, welche Ungeheuerlichkeit ist es dann, vor den Augen der hungernden Massen Torten und Schlagsahne [] zu vertilgen, als ob es nie eine deutsche Katastrophe gegeben hätte! Wenn Staatsrat Schmid als Referent dieser Tagung erklärte: "Alles hängt davon ab, ob in unserem Volk die Verzweiflungsstimmung Platz greifen kann oder ob es sich zusammenrafft", so können wir dem nur beistimmen. Ob aber derartige lukullische Fressereien geeignet sind, das verlorengegangene Vertrauen und den Glauben der Menschen wieder hochzureißen, müssen wir stark bezweifeln! Die Bevölkerung von Saulgau und weit darüber hinaus ist da jedenfalls anderer Ansicht. [] Willi Haas. [] Landrat Dr. Renner, Tübingen, schreibt uns hierzu: [] "Es muß unumwunden zugegeben werden, daß das Essen bei der Saulgauer Tagung über das Maß des Vertretbaren hinausgegangen ist, auch wenn der Bericht in Nr. 59 des "Schwäbischen Tagblattes" mit seiner Aneinanderreihung von "Frühstück", "Diner" und "Souper" übertreibt. Es hat auch nicht "diverse" Weine gegeben, sondern zunächst Bier und dann eine Sorte Wein. Die Teilnehmer haben keine "Kleinigkeiten für Mutti zu Hause" mitgenommen. [] Sie haben, als sie sich nach der langen und anstrengenden Tagung nach 6 Uhr abends an den Tisch setzten, nicht gewußt, was aufgetragen werden würde. So ist es wohl auch den Kommunisten an der Tafelrunde ergangen; jedenfalls ist nicht bekannt geworden, daß einer den Speisesaal verlassen hätte. Oder durften nur die Kommunisten die "Russischen Eier" essen und hätten die anderen sie zurückweisen müssen? [] Staatsrat Schmid hat gleich nach Saulgau und lange bevor die empörte Beanstandung im "Schwäbischen Tagblatt" veröffentlicht worden ist, Vorsorge getroffen, daß sich "derartige lukullische Fressereien" - Lucullus fiel übrigens nicht nur durch sie auf, sondern auch durch die zu seiner Zeit ungewöhnliche Redlichkeit, mit der er die ihm anvertrauten Provinzen verwaltete - auf Landrätetagungen nicht wiederholen. - [] Herr Haas als Kommunist mißt bei seiner Kritik mit zweierlei Maß. In Rußland erhalten geistige Arbeiter Zulagen bis zum Doppelten der Arbeiterrationen (s. Schwäb. Tagblatt Nr. 22 v. 19. 3. 1946 "Wie Moskau ißt"). Herr Haas weiß wohl genau, wie seine Parteigenossen in der russischen Zone die zusätzliche Verpflegung handhaben, und es dürfte ihm nicht unbekannt sein, daß dort jeder kommunistische Parteifunktionär jeden Tag "Schwerstarbeiterrationen" bezieht. Und nicht uninteressant ist, daß ein hoher Regierungsbeamter aus der russisch besetzten Zone jüngst selbst erzählt hat, welch reichliche Rationen er bekomme und daß ihm die Besatzungsmacht dazu hin noch Sonderrationen bewillige. Es sei ihnen vergönnt." [] Zu der obigen Angelegenheit gingen uns noch die beiden nachstehenden Erklärungen der SPD. zu: [] Erklärung des Ortsvorstandes der SPD. Tübingen [] Auf unsere in Nr. 58 des "Schwäbischen Tagblatts" veröffentlichte Erklärung wird uns amtlich mitgeteilt, daß das Direktorium des Staatssekretariats in seiner Sitzung vom 25. Juni dieses Jahres die Gewährung von Sonderzuweisungen an die Werkküche des Staatssekretariats grundsätzlich untersagt hat. Bei dieser Gelegenheit wird, um irrigen Auffassungen über den Einfluß der SPD. auf das Staatssekretariat entgegenzutreten, mitgeteilt, daß von den fünf Landesdirektoren nur zwei und von allen Beamten und Angestellten des Staatssekretariats nur acht der SPD. angehören. [] Ortsvorstand der SPD [] Der Landesvorstand der SPD. Südwürttemberg teilt mit: [] "Zur Saulgauer Landrätetagung [] An der Landrätetagung nahmen insgesamt etwa 70 Personen teil. Von diesen waren zehn Mitglieder der SPD. Die übrigen Teilnehmer gehörten einer der anderen zugelassenen Parteien (CDU., KPD) oder keiner Partei an. [] Einige führende Mitglieder der SPD. traten unmittelbar nach dieser Tagung zusammen und nahmen zu den Vorgängen Stellung. Eines der Mitglieder des Landesvorstandes schrieb darauf am 13. 7. 46 an Herrn Landrat Sprenger, Biberach, in dessen Bereich die nächste Tagung stattfinden soll, einen Brief, in dem unter Hinweis auf eine Reihe von Bedenken dieser aufgefordert wurde, von allen besonderen Aufwendungen Abstand zu nehmen. [] Landessekretariat der SPD.".
|