Zum Pflichtfortbildungsschulunterricht
Köln, 10. Februar 1914. Zum Pflichtfortbildungsschulunterricht. Die unterzeichneten wirtschaftlichen Körperschaften hatten am 30. Januar d. J. aus Anlaß der von der Stadt Köln beabsichtigten Einführung des Pflichtfortbildungsunterrichtes für gewerbliche Arbeiterinnen an die Handelskammern und andere...
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Institution: | Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) |
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Language: | German |
Published: |
30.01.1914 - 09.07.2002
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Subjects: | |
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description | Köln, 10. Februar 1914. Zum Pflichtfortbildungsschulunterricht. Die unterzeichneten wirtschaftlichen Körperschaften hatten am 30. Januar d. J. aus Anlaß der von der Stadt Köln beabsichtigten Einführung des Pflichtfortbildungsunterrichtes für gewerbliche Arbeiterinnen an die Handelskammern und andere beteiligte, wirtschaftliche Körperschaften von Rheinland-Westfalen eine Einladung zur gemeinschaftlichen Beratung dieser Frage gerichtet. Sie gingen dabei von der Überzeugung aus, daß diese Einrichtung, namentlich in der beabsichtigten Art, wonach die jungen Mädchen bis zum 18. Lebensjahre fortbildungsschulpflichtig sein sollen, dem Interesse der in Betracht kommenden Betriebe zuwiderlaufe; einmal wegen der Beeinträchtigung des notwendigen Ineinanderarbeitens in den Betrieben, zweitens wegen der durch das vereinzelte Vorgehen von Köln entstehenden Benachteiligung der Kölner Industriebetriebe gegenüber dem auswärtigen Wettbewerb. Das gemeinsame Interesse der, gewerbliche Arbeiterinnnn von 14-18 Jahren beschäftigenden, rheinisch-westfälischen Industriebetriebe weise sie daher auf eine einheitliche Stellungnahme zu der Frage hin. Auf die Einladung hatten folgende Handelskammern und Vereine die Beschickung der Versammlung zugesagt: a) Handelskammern: Aachen. Barmen. Bonn. Elberfeld. Iserlohn. Köln. Crefeld. Lüdenscheid. Mülheim-Rhein. M.-Gladbach. Münster. Neuß. Stolberg. b) Wirtschaftliche Vereine: Arbeitgeberverband der rheinischen Seidenindustrie, Crefeld. Bergischer Fabrikanten-Verband, Barmen. Spinnereivereinigung, Rheydt. Tuchfabrikantenverein, Aachen. Verband deutscher Buntwebereien, Düsseldorf. Verband deutscher Leinenindustrieller, Bielefeld. Verband Kölner Großfirmen, Köln. Verband rheinisch-westfälischer Baumwollspinner, M.-Gladbach. Verband von Arbeitgebern im bergischen Industriebezirk, Elberfeld. Verein der deutschen Textilveredelungsindustrie, Düsseldorf. Verein der Industriellen des Regierungsbezirks Köln, Köln. Verein der Textilindustriellen von M.-Gladbach und Umgegend, M.-Gladbach. Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen, Düsseldorf. Wirtschaftliche Vereinigung deutscher Messingwerke, Köln. Mehrere andere Handelskammern und wirtschaftliche Vereinigungen waren verhindert, der Einladung zu folgen, hatten aber ihr Einverständnis mit der Veranstaltung erklärt. Anwesend in der am 5. Februar im Civilcasino zu Köln abgehaltenen Versammlung waren laut Anwesenheitsliste 60 Personen, darunter auch Vertreter einiger Kölner Einzelfirmen. Den Vorsitz in der Versammlung führte der zweite Vorsitzende des Vereins der Industriellen des Regierungsbezirks Köln, Generaldirektor, Regierungsrat a. D. Rhazen, der einleitend den Anlaß zu der Versammlung und deren Zweck darlegte, worauf Generalsekretär Paul Steller-Köln den angekündigten Bericht erstattete, durch den eine im Entwurf vorgelegte Entschließung begründet wurde. In längerer Erörterung gelangteübereinstimmend die Ansicht zum Ausdruck, daß der Zwangsfortbildungsunterricht für gewerbliche Arbeiterinnen als den wirtschaftlichen und betrieblichen Interessen wichtiger Teile von Handel und Industrie schädlich zu beanstanden sei. Ein großer Teil der Anwesenden sprach sich zudem grundsätzlich gegen den Zwangsfortbildungsunterricht der ungelernten, gewerblichen Arbeiter innerhalb der Arbeitszeit der Betriebe und auf Kosten der Arbeitgeber aus. Die Versammlung nahm die folgende Entschließung an: "Aus Anlaß der von der Verwaltung der Stadt Köln beabsichtigten Ausdehnung des Fortbildungsschulzwanges auf gewerbliche weibliche Arbeiter beschließt die Versammlung, daß eine Ausdehnung dieses Unterrichtes für weibliche gewerbliche Arbeiter unter allen Umständen abzulehnen sei. Weiter spricht sie die Forderung aus, daß Gemeinden und Behörden von einer weitern Ausbildung des Pflichtfortbildungsunterrichts für ungelernte gewerbliche Arbeiter überall da absehen, wo davon die Gefahr einer Beeinträchtigung von Handel und Industrie zu befürchten ist. Die einladenden Körperschaften werden beauftragt, diese Entschließung den beteiligten Behörden und Gemeinden mitzuteilen." Diesem Auftrage entsprechend, gestatten sich die Unterzeichneten, folgendes anzuführen: Der gewerbliche Pflichtfortbildungsunterricht bildet, wenn er, selbst nur zum kleinen Teile, während der Arbeitszeit erteilt wird, eine Beeinträchtigung der fortbildungsschulpflichtige Arbeiter beschäftigenden Betriebe dadurch, daß er ihnen die jugendlichen Arbeitskräfte entzieht, die ein unentbehrliches Glied in dem Arbeitsvorgang bilden. In allen größeren Betrieben herrscht Teilarbeit, d. h. es findet ein Ineinander- und Zusammenarbeiten statt, das durch die zeitweilige Abwesenheit der dabei beschäftigten jugendlichen Arbeiterinnen empfindlich beeinträchtigt wird, In welchem Maße dies der Fall ist, davon geben die Vorstellungen zahlreicher, wirtschaftlicher Körperschaften und Betriebe gegen die Einführung des Unterrichtes ausreichendes Zeugnis. So sagt die Handelskammer zu M.-Gladbach in einer an den Minister für Handel und Gewerbe gegen den Zwangsfortbildungsunterricht gerichteten, längern Vorstellung vom 15. November 1912, daß gerade für die wichtigsten Industriezweige ihres Bezirks damit zu rechnen sei, daß durch zeitweise Wegnahme der jugendlichen Arbeitskräfte eine erhebliche Störung des ganzen Produktionsvorganges eintreten werde, weil in den meisten Betrieben jugendliche Personen als Hilfsarbeiter der Erwachsenen beschäftigt seien und daher ohne sie auch die Arbeit der andern Arbeiter nicht regelmäßig durchgeführt werden könne. So geht aus den Schreiben, die vor mehr als Jahresfrist schon eine ganze Anzahl von hervorragenden Kölner Industriebetrieben, namentlich des Textilzweiges, die jugendliche Arbeiterinnen beschäftigen, an den Verein der Industriellen des Regierungsbezirks Köln gerichtet haben und die von diesem zur Kenntnis der städtischen Vertretung von Köln gebracht worden sind, hervor, daß es ihnen unmöglich sein würde, den Betrieb fortzusetzen, wenn ihnen die zum Handinhand-Arbeiten nötigen jugendlichen Kräfte durch den Fortbildungsunterricht zeitweilig entzogen werden würden, daß diese letztern selbst bedeutende Lohnausfälle und die Betriebe erhebliche Verluste haben würden, daß letztere namentlich den Wettbewerb mit den auswärts zum Teil auf dem Lande ansässigen gleichartigen Industriebetrieben, die keinen Fortbildungsunterricht haben, nicht würden bestehen können. Für alle Industriezweige des Stoffgewerbes seien jüngere Mädchen nötig, um die leichteren Vorarbeiten für die älteren Arbeiterinnen zu machen, wie es auch wohl in diesem ganzen Geschäftszweig üblich sei, die Arbeitsteilung nach den verschiedenen Stufen in weitgehendstem Maße durchzuführen. Würden nun mit den beabsichtigten Fortbildungsschulen jüngere Kräfte zeitweise aus dem Betriebe entfernt, so wäre es ganz unmöglich, den Gesamtbetrieb überhaupt aufrecht zu erhalten, weil dann eben diese Vorarbeiten unterbrochen würden, und weil ebenfalls diejenige Teilung der Arbeit, die auf die jüngeren Kräfte entfalle, nicht in gleichem Maße fortschreiten könnte, wie die übrige Arbeit. Durch die Sozialpolitik Kölns, so wird ferner in diesen Darlegungen ausgeführt, sei die Textilindustrie in dieser Sadt [!] [Stadt] schon gegenüber Nachbarstädten erheblich benachteiligt worden, z. B. durch die Krankenversicherung der Heimarbeiter, die man bis vor kurzem an diesen Wettbewerbsorten meist nicht gekannt habe. Man dürfe also weitere Maßregeln dieser Art in Köln nicht treffen, bevor sie durch Reichsgesetz in ganz Deutschland eingeführt wären. Ferner wurde auf die große Schwierigkeit für die Kölner Industrie, genügend weibliche Arbeiter, im Gegensatz zu andern volkreichen Städten, zu erhalten und auf den hohen Stand der Löhne in Köln als weitere Gründe gegen den Fortbildungsunterricht für die weiblichen Arbeiter, schließlich auch auf den Widerwillen der jugendlichen Arbeiter gegen den Fortbildungsunterricht hingewiesen, was alles den Fabriken, die aus jugendlichen Arbeitern sich Arbeiterstämme heranbilden müßten, zum Nachteile gereiche. Hinsichtlich der Handelsbetriebe wird aus den Kreisen des Kleinhandels und der Konfektion, die große Mengen von jugendlichen Arbeitern beschäftigen, deren Entsendung in die Fortbildungsschule als geradezu vernichtend für diese Geschäftsbetriebe bezeichnet, weil diese Kräfte während der Geschäftszeit, und insbesondere während der Saison, in keinem Falle entbehrt werden könnten angesichts der Notwendigkeit, den Anforderungen der Kundschaft auf schnelle Herstellung oder Abänderung von Kleidern, Hüten, Putz usw. zu entsprechen. Einen fernern Grund zur Bekämpfung des in Rede stehenden Zwangsunterrichtes für weibliche Arbeiter bildet die Gesetzesbestimmung, daß die Arbeiterinnen an den Samstag-Nachmittagen um 5 Uhr aus den gewerblichen Betrieben entlassen werden müssen, was angesichts des notwendigen Zusammenarbeitens der weiblichen mit den männlichen Arbeitern in den Fabriken den Schluß der letzteren zu der gedachten Zeit, oder gar noch zu einer früheren, an den Samstagen zur Folge hat. Die Handelskammer zu Köln sagt in einer jüngst abgegebenen Erklärung, daß die hier geplante Maßregel eine weitere örtliche Beschränkung der Arbeitszeit bedeute, worunter namentlich das für den Weltmarkt arbeitende Webstoffgewerbe leiden würde. Auch befürchtet man nach früheren Erfahrungen bei der gegenwärtig in der staatlichen und städtischen Verwaltung herrschenden Begeisterung für das Zwangsfortbildungsschulwesen weitere Schritte in dieser Richtung und die Anordnung eines gänzlich arbeitsfreien Samstag-Nachmittags, wenn der Zwangsfortbildungsunterricht für Arbeiterinnen erst einmal allgemeiner zur Einführung gelangt ist. Dazu kommt noch die von der Handelskammer zu Elberfeld bereits in ihrem Jahresbericht für 1911 angestellte Erwägung, wonach für gewerbliche Arbeiterinnen ein Bedürfnis zum Fortbildungsunterricht deshalb nicht vorliege und sie aus einem solchen Nutzen nicht ziehen könnten, weil es sich bei ihnen, von wenigen Ausnahrnen abgesehen, nur um einfache Hantierungen handle, die in der Praxis erlernt würden und für die ihnen die Schule nicht das Mindeste zu bieten vermöge, während es den Arbeitgebern nicht zugemutet werden könne, für die Erteilung eines rein privatwirtschaftlichen Zwecken der Arbeiterinnen dienenden hauswirtschaftlichen Unterrichtes, der höchstens in Frage kommen könne, Opfer an Zeit und Geld zu bringen. Aus den vorgedachten Gründen hat auch die Handelskammer der Stadt Mülheim, deren letzterer Eingemeindung in Köln bevorsteht, sich unbedingt gegen die von der Stadt Köln geplante Einführung des Zwangsfortbildungsunterrichts für jugendliche Arbeiterinnen ausgesprochen. Auch die Schulkostenbeitragsfrage spielt eine Rolle für solche Fabrik- und Handelsbetriebe, die jugendliche Arbeiterinnen in großer Zahl beschäftigen. Denn die Beitragspflicht ist z. B. in Köln auch für gewerbliche Arbeiter nicht unerheblich, während sie für kaufmännische Angestellte, männliche und weibliche, dort geradezu recht hoch ist. Es ist daher der Widerspruch, den die beteiligte Geschäftswelt in Köln gegen die von der Stadt geplante Neuerung erhebt, sehr wohl begreiflich, nicht minder begreiflich auch die Besorgnis anderer rheinisch-westfälischen Industrie- und Handelskreise wegen einer Ausdehnung dieser Fortbildungsschulpolitik auf die von ihr noch nicht oder nicht so stark betroffenen Bezirke dieser gewerbefleißigen Provinzen. Soweit in diesen der Zwangsfortbildungsunterricht für ungelernte, jugendliche Arbeiter mänlichen Geschlechtes noch nicht eingeführt ist, erheben sie gegen ihn aus den gleichen Bedenken gleicherweise Widerspruch, wie gegen denjenigen für die Arbeiterinnen. Sie finden darin auch vielfach Unterstützung seitens derjenigen Orte, wo dieser Unterricht, wie z. B. in Köln, gegen den Wunsch und Willen der Arbeitgeber eingeführt und so gestaltet ist, daß er diese Arbeiter während seiner ganzen oder teilweisen Dauer den gewerblichen Betrieben entzieht. Hierdurch begründet sich der zweite Teil der von der eingangs erwähnten Versammlung gefaßten Entschließung, der der größere Teil der Versammlung aus den angeführten Gründen ebenfalls beigetreten ist, während mit dem auf den Zwangsfortbildungsunterricht der weiblichen Arbeiter bezüglichen ersten Teil der Erklärung die Anwesenden, mit ganz wenigen Ausnahmen, sämtlich einverstanden waren. Handelskammer Bonn. Handelskammer Köln. Handelskammer Mülheim a. Rh. Verein der Industriellen des Regierungsbezirks Köln. Verband Kölner Großfirmen. Kölner Verlags-Anstalt und Druckerei A.-G. |
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