Sind die Rheinländer vogelfrei?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sind die Rheinländer vogelfrei? [] Die Zwangsausweisungen der Rheinländer aus Bayern und Württemberg [] Äußert sich so christliche Nächstenliebe und volksverbundener Sozialismus? [] Die "Rheinische Volkspartei" erhebt Protest gegen...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Rheinische Volkspartei
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 11.1945 - 06.1946
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/CB62F0B1-2592-49A3-A93E-E2CD9D10DA62
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sind die Rheinländer vogelfrei? [] Die Zwangsausweisungen der Rheinländer aus Bayern und Württemberg [] Äußert sich so christliche Nächstenliebe und volksverbundener Sozialismus? [] Die "Rheinische Volkspartei" erhebt Protest gegen die skandalöse Behandlung rheinischer Menschen [] Bereits vor Monaten hatte der Länderrat der drei süddeutschen Staaten in Stuttgart beschlossen, alle Personen, die aus kriegsbedingten Gründen ihre Heimat verlassen und Zuflucht in Bayern und Württemberg nehmen mußten, gewaltsam aus den Evakuierungsorten zu entfernen, und sie unter Zwang in ihre Ursprungsorte zurückzuschicken. Daß von dieser Maßnahme, die dem Gebot christlicher Nächstenliebe, wie den Forderungen eines volksverbundenen Sozialismus ins Gesicht schlägt, in erster Linie die leidgeprüften evakuierten Rheinländer und Rheinländerinnen betroffen wurden, lag auf der Hand. Unser Rheinland wurde zuerst und zutiefst von den Schrecknissen des Krieges getroffen. Die rheinische Bevölkerung verlor als erste Hab und Gut und mußte schon in den ersten Kriegsjahren ihre Wohnstätten verlassen und in der Fremde um Aufnahme bitten, die zu häufig nur widerwillig und notdürftig gewährt wurde. [] Durch den famosen Länderratsbeschluß, der die Zwangsausweisung der unbequemen Rheinländer vorsieht, ist zu dem alten Leid neues Elend und neue Not über unsere Landsleute gekommen. Selbst das Parteiblatt der Sozialdemokraten, die "Rheinische Zeitung", muß eingestehen, daß die "Ankunft eines Transportes mit 1200 zwangsweise aus Bayern zurückgeführten Essener Evakuierten zu furchtbaren Zuständen geführt hat. Hunderte von ihnen müssen, weil es keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten gibt, in undichten, vom Regen durchnäßten Güterwagen kampieren, zum Teil hausen sie in einem Hochbunker, der über keine Heizung verfügt und kaum die notwendigste Beleuchtung besitzt. Zwar wurde angeordnet, daß die Hälfte der Heimkehrer wieder in die amerikanische Zone geleitet werde, aber hier sei, wie Stadtrat Eigner erklärte, die Annahme des Transportes verweigert worden, es seien noch weitere Heimkehrertransporte nach Essen vorbereitet". [] So muß die sozialdemokratische "Rheinische Zeitung" berichten, die doch parteimäßig dem allmächtigen bayerischen Ministerpräsdenten Dr. Högner [!] [Hoegner] sehr nahesteht. Dr. Högner [!] [Hoegner] ist Sozialdemokrat. Er hat als bayerischer Ministerpräsident an dem Ausweisungsbeschluß mitgewirkt und trägt darum ein gerütteltes Maß von Verantwortung an dem neuen Elend und an der frischen Not, die rheinische Menschen unnötigerweise betroffen hat. Wenn sich in derartigen Maßnahmen ein volksverbundener Sozialismus äußert, dann scheint uns ja noch allerhand bevorzustehen, denn wie die Dinge liegen, schrecken derartige Vertreter der Sozialdemokratie nicht davor zurück, Frauen und Kinder zu Beginn eines Hungerwinters auch noch das Obdach zu nehmen und sie in das kältestarrende Grauen der durch Bomben und Kriegswirren zerstörten Städte und Dörfer des Rheinlandes zurückzujagen. [] Auch von seiten der bayerischen und württembergischen CSU, der Schwesterpartei der CDU, ist kein Wort des Protestes gegen die unsozialen Maßnahmen laut geworden. Man nennt sich zwar christlich, aber Christi vornehmstes und erstes Gebot: "Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst!" wird skrupellos übergangen und nicht beachtet. Rheinländer und Rheinländerinnen! Laßt euch derartige Vorkommnisse zur Warnung dienen. Die sogenannten süddeutschen Staaten treiben eine restlos egoistische Politik. Man bezeichnet zwar aus durchsichtigen Gründen die Vorkämpfer für einen starken Nordrhein-Westfalenstaat als Separatisten. Von seiten der CDU und ihrer Schwesterparteien, von seiten der Sozialdemokratischen Partei richtet man wütende Angriffe gegen die "Rheinische Volkspartei", die nichts anderes will, als daß die Interessen des Rheinlandes ausschließlich durch Rheinländer vertreten werden, und die wünscht, daß dieses selbstverwaltete Rheinland sich in einen föderalistischen deutschen Bundesstaat eingliedert. Wir fragen: Ist das Separatismus? Ist nicht vielmehr der jetzt unter Mithilfe der Sozialdemokraten und Christlich-Sozialen Union ausgearbeitete Entwurf zur bayerischen Verfassung ein Musterbeispiel für separatistische Regungen, in dem es u. a. heißt: "Der Ministerpräsident vertritt Bayern nach außen" (Art. 34) oder "Der Außenhandel wird von der (bayerischen) Staatsregierung geleitet" (Art. 124) oder "Die Verfassung dient zum Schutz aller Staatsbürger" (Art. 69). Was dieser [] letzte Artikel besagt, spüren die ausgewiesenen Rheinländer bereits am eignen Leibe. Wer nicht die bayerische Staatsangehörigkeit besitzt, wird nicht durch die neue bayerische Verfassung geschützt, er kann nicht wählen, er kann von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden, seine Wohnung genießt keinen gesetzlichen Schutz, er kann ausgewiesen werden. Eine derartige Verfassung wurde von Sozialdemokraten ausgearbeitet und die sozialdemokratische Fraktion gab im verfassungsgebenden Ausschuß diesem Entwurf ihre Zustimmung. Im Nordrhein-Westfalenstaat macht die gleiche Sozialdemokratie in "deutscher Einheit" und beschimpft die Anhänger eines starken Rhein- und Ruhrstaates, die "Rheinische Volkspartei", als Separatisten. [] Rheinländer und Rheinländerinnen! Wir haben es satt, daß die Rheinlande und Westfalen wie ehedem die melkende Kuh für andere darstellen. Wir haben es satt, daß unsere Landsleute für vogelfrei erklärt werden. Wir haben es satt, daß ein Vertreter der Nordrhein-Westfalenregierung nur um gut Wetter in München und Stuttgart bettelt, um die dortigen Regierungsstellen auf ihr rücksichtsloses Verhalten aufmerksam zu machen und sie zu veranlassen, die Ausweisungen einzustellen. [] Wir wollen eine gerechte Verteilung der Kriegsschäden und Kriegslasten in unserm rheinischen Gebiet und außerdem eine gerechte Lastenverteilung zwischen den schwerbetroffenen rheinischen Gebieten und den weniger beschädigten Gebieten Deutschlands. Wir Rheinländer wollen nicht wieder die Dummen sein. [] Stärkt unsere Reihen. Kommt zur "Rheinischen Volkspartei", der Partei des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Neuaufbaus. [] Stärkt eure Heimatpartei! [] Lasst Euch nicht belügen und betrügen. Es gibt nur eine Möglichkeit der Besserung [] Der Mensch am RHEIN und an der RUHR muss sein Schicksal selbst gestalten.
Published:11.1945 - 06.1946