Liebe Wählerin! Lieber Wähler! . Darf ich Dich bitten, diesen Brief zu Ende zu lesen?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Liebe Wählerin! Lieber Wähler! [] Darf ich Dich bitten, diesen Brief zu Ende zu lesen? [] Ich weiß, daß viele sich um Deine Stimme bewerben; weiß auch, daß vieles an Dich herangetragen wird, eben weil Wahl ist. Eine Wahl ist von großer Bedeut...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Schroth, Heinrich
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/BA19518D-9B1F-41BE-BE1B-31D89E5E6DBB
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Liebe Wählerin! Lieber Wähler! [] Darf ich Dich bitten, diesen Brief zu Ende zu lesen? [] Ich weiß, daß viele sich um Deine Stimme bewerben; weiß auch, daß vieles an Dich herangetragen wird, eben weil Wahl ist. Eine Wahl ist von großer Bedeutung. Ich glaube, wir haben es schon mehrfach erlebt, daß durch eine falsche Wahl viel Unglück über uns hereingebrochen ist. [] Ich darf das um so eher sagen, als ich die ganze Schwere der Folgen falscher politischer Entscheidungen des Volkes an mir selbst erleben mußte. Als eines von 5 Kindern eines Handwerkers erfuhr ich, was es heißt, den Vater durch einen Krieg zu verlieren, Ich weiß, was es heißt, wenn eine Mutter von 5 Kindern in die Fabrik gehen muß, um die Existenz der Familie zu erhalten. Ich weiß auch, was es heißt, wenn anstatt eines Einkommens aus der Arbeit nur die Wohlfahrts- oder die Arbeitslosen-Unterstützung die schmale Basis für den Familienunterhalt bildet. [] Diese Erfahrungen machten mich schon in meiner frühen Jugend zum Sozialisten: Ich bin Solinger und lernte die Krisen unseres Solinger Industrie-Gebietes als Arbeiter kennen. Ich wurde kurz nach Beendigung meiner Lehrzeit arbeitslos und mußte einen neuen Beruf erlernen. [] Auch heute ist der Arbeitsplatz unserer Arbeiter in der Schneidwaren- und Fertigungsindustrie wieder in Gefahr. Zwei Kriege haben den Weltmarkt für unsere Industrie eingeengt. Ein dritter Krieg würde unsere Existenz vollends zerstören, wenn nicht durch ihn schon vorher unsere schöne Heimat vollständig in Trümmer gelegt sein würde. Du Wählerin und Du Wähler, Ihr habt vielleicht die Debatten im vergangenen Bundestag verfolgt. Ihr saht daraus, daß wieder die Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung unter den Großmächten droht. Im Jahre 1949, als der alte Bundestag gewählt wurde, dachte kein Mensch daran, daß in Deutschland wieder ein neues Militär aufgebaut werden sollte. Niemand glaubte damals, daß wir wieder über eine Aufrüstung zu entscheiden hätten und darum hatte der vergangene Bundestag auch kein Recht, in dieser wichtigen Frage eine Entscheidung zu fällen. Wohl aber sollte der Bundestag entscheiden über das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter in den Betrieben. Die Schuld der Großindustrie an der politischen Entwicklung der Jahre 1932-45 ist unbestritten. Millionenbeträge wurden von den Thyssen und Konsorten den Nationalsozialisten zur Verfügung gestellt, damit sie die demokratischen Einrichtungen der Weimarer Republik unterhöhlen und schließlich zerschlagen konnten. Das Ende, des »Tausendjährigen Reiches« brachte den totalen Zusammenbruch des deutschen Volkes und der deutschen Wirtschaft. Es gab weder einen Arbeitsplatz noch eine Wohnung, noch eine geordnete Versorgung der Bevölkerung. Die vier Besatzungsmächte fühlten damals nur eine geringe Verpflichtung, dem deutschen Volk zu helfen. [] Ihr allein bautet auf! In den dunklen Wintertagen des Jahres 1945 wurdet Ihr mit Versprechungen gefüttert. Von der CDU bis zur FDP waren sich alle bürgerlichen Parteien darin einig, die alte gemeinsame Firma zu verleugnen. Niemand hatte den Mut, sich zur Politik der Jahre von 1918 - 1945 zu bekennen, einer Politik, die die Reaktion stets gestärkt und die dann zwangsläufig zum Nationalsozialismus und zum zweiten Weltkrieg geführt hatte. Alle beeilten sich, den arbeitenden Massen Zugeständnisse und Versprechungen zu machen. Versprach man Euch nicht, daß nie wieder die bankrotten Wirtschaftsführer allein das Recht haben sollten, über das Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft zu entscheiden? Sollte nach einem Bekenntnis des CDU-Ministerpräsidenten Arnold nicht das Eigentum an der deutschen Wirtschaft für Euch alle gesichert sein? Und wie kam es dann?: Der vergangene Bundestag verabschiedete ein Mitbestimmungsgesetz, das seinem Namen alles andere als Ehre machte und ein Minister Dehler bedrohte gar den schaffenden Menschen mit Zuchthaus, wenn er für die ihm versprochenen Rechte mit dem gesetzlich erlaubten Mittel des Streiks kämpfen würde. [] Daß wir Sozialdemokraten für die sozialistischen Grundrechte einzutreten bereit sind, haben wir seit je unter Beweis gestellt. Für uns ist die Demokratie kein Lippenbekenntnis! Wir sind jeden Tag bereit, wieder den Beweis dafür anzutreten, weil wir wissen, daß jede andere Staatsform unser Volk ins Unglück bringt. Das unterscheidet uns von den Kommunisten, die in der Ostzone gezeigt haben, wie sie unter den demokratischen Rechten verstehen. Das unterscheidet uns aber auch von den bürgerlichen Parteien, deren Angehörige in der Westzone sich mit den Naumann-Achenbach und ähnlichen Totengräbern der Demokratie verbünden und die in der Ostzone ruhig zusehen, wie seit 1947 immer wieder Sozialdemokraten um ihrerÜberzeugung willen in die Konzentrationslager gebracht werden. [] Wir wollen den Flüchtlingen ihre Heimat wiedergeben und kämpfen deshalb um eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands. Wir wollen auch unseren Ausgebombten wieder zu einem Heim verhelfen und kämpfen deshalb gegen Bauspekulation und eine Erhöhung der Mieten und für ein soziales Wiederaufbauprogramm und den sozialen Wohnungsbau. Wir kämpfen gegen den Krieg, aber wir wollen den Opfern der beiden hinter uns liegenden furchtbaren Kriege eine möglichst umfassende Versorgung zukommen lassen. Wir kämpfen auch dafür, daß den Opfern der Arbeit und den Alten, die nicht mehr arbeiten können, eine bessere Hilfe zuteil wird, als sie der letzte Bundestag zu geben bereit war. Wir befürworten nicht den Sozialstaat schlechthin, wir sind aber nicht bereit, die Lasten des Staates nur denen aufzubürden, die durch ihre Arbeit den Staat aufbauen und die ihn erhalten. Wir wollen nicht neue Millionäre und viele arme Leute. Wir wollen, daß alle an den Erträgen Anteil haben, die durch die Anstrengungen des gesamten Volkes geschaffen wurden. [] Ich kann Euch in einem Brief nicht alles sagen, was wir im einzelnen schon durch die Tat unter Beweis gestellt haben. Der neue Bundestag wird ein großes Arbeitsfeld haben. Ich will Euch nichts anderes versprechen, als daß ich im Sinne dessen, was ich in diesem Brief gesagt habe, jederzeit meine volle Kraft einsetzen werde. [] Ich kandidiere in Solingen-Remscheid für die Sozialdemokratische Partei. Falls Du vorstehenden Ausführungen Deine Zustimmung geben kannst, wird Dir am 6. September die Entscheidung bei der Wahl nicht schwer fallen. [] Heinrich Schroth [] Stimmzettel [] Jeder Wähler hat 2 Stimmen [] Erststimme [] für die Wahl des Wahlkreisabgeordn. [] 2 Heinr. Schroth [] Sozialdemokrat. Partei Deutschlands [] SPD [] Zweitstimme [] für die Wahl nach Landeslisten [] 2 Sozialdemokrat. Partei Deutschlands [] Ollenhauer Mellies Dr. Menzel [] SPD [] Zweimal mußt Du ein Kreuz auf den Stimmzettel machen, und zwar an der richtigen Stelle. Die SPD, die Partei aller schaffenden Menschen, steht in allen Wahlkreisen an der zweiten Stelle. Die Erststimme entscheidet, wer im Wahlkreis gewählt ist. Die Zweitstimme entscheidet, wieviel SPD-Abgeordnete insgesamt in den neuen Bundestag einziehen.
Published:06.09.1953