Stadtverordnetenwahl in Bremerhaven

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic! Stadtverordnetenwahl in Bremerhaven. [] An die Wähler der 3. Stimmrechtsklasse! [] Nachdem das Stadtverordnetenkollegium in seiner Sitzung vom 9. April es fertig gebracht hat, die am 22. März stattgehabte Wahl zur dritten Stimmrech...

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Bibliographic Details
Main Authors: Das sozialdemokratische Wahlkomitee, A. Haverkamp, Btremerhaven / H. Müller, Bremerhaven
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 21.04.1900
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/33F0F7D4-6E52-4C2A-96DA-2C1CAE39D896
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author Das sozialdemokratische Wahlkomitee
A. Haverkamp, Btremerhaven / H. Müller, Bremerhaven
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A. Haverkamp, Btremerhaven / H. Müller, Bremerhaven
collection AdsD leaflets
dateSpan 21.04.1900
description Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic! Stadtverordnetenwahl in Bremerhaven. [] An die Wähler der 3. Stimmrechtsklasse! [] Nachdem das Stadtverordnetenkollegium in seiner Sitzung vom 9. April es fertig gebracht hat, die am 22. März stattgehabte Wahl zur dritten Stimmrechtsklasse für ungültig zu erklären, ist seitens des Stadtraths die Vornahme der Neuwahl auf [] Sonnabend, den 21. April 1900, von Vormittags 10 Uhr bis Nachmittags 2 Uhr [] im Stadthause angesetzt worden. [] Wenn schon bei dieser ganzen Angelegenheit der Eigentümlichkeiten viel geschehen sind, so ist speziell die abermalige Festsetzung der Wahlstunden auf die Mittagszeit ein Faustschlag ins Gesicht der Arbeiterschaft und eine offene Verachtung der vitalsten Forderungen derselben. [] Durch den Mund eines ihrer Vertreter hatte die Arbeiterschaft aufs Neue dem Verlangen Ausdruck gegeben, daß die Wahlzeit, gerade so wie es in Geestemünde und Lehe geschehen ist, auf Abends von 6 bis 8 Uhr verlegt werde und selbst der Vorsitzende des Wahlvorstandes mußte zugeben, daß bei der letzten Wahl Mittags ein solcher Andrang war, daß Manche, ohne gewählt zu haben, wieder fortgegangen seien, weil sie zur Arbeit mußten. Das macht aber Alles nichts, der sich seiner Macht bewußte Stadtrats ignorirt einfach den Wunsch der Arbeiter, er setzt die Wahlzeit wieder auf die Mittagsstunden fest. Für diese Handlungsweise giebt es nur eine Erklärung: Der Stadtrath will die Wahlzeit nicht verlegen, weil er nicht will, daß alle Arbeiter ihr Wahlrecht ausüben, weil die Arbeiter von der Wahlurne ferngehalten werden sollen. [] Wähler des arbeitenden Volkes! Merkt Ihr die Absicht? Man fürchtet, daß es mit der Privilegienwirthschaft zu Ende geht, man weiß, daß Ihr keine bürgerlichen Kandidaten wählt und man fürchtet die Vertreter der sozialdemokratischen Partei. [] Aber sei es drum! Jetzt erst recht! sei die Loosung. Wähler! Nehmt auch die, die Festsetzung der Wahlzeit auf die Mittagsstunden mit sich bringenden Unannehmlichkeiten mit in den Kauf, zeigt, daß Ihr nicht mürbe zu kriegen seid, macht die offenkundigen Absichten der Stadtrathsherren zu Schanden, betheiligt Euch Mann für Mann an der Wahl! [] Weshalb ist denn die Wahl vom 22. März für ungültig erklärt worden? Waren die Wähler selbst schuld daran? O nein, nichts von alledem! Die Wahl wurde für ungültig erklärt wegen Verletzung der Stadtverfassung! Diese Verfassungsverletzung ist aber nicht etwa begangen worden von den Wählern oder den Gewählten, sondern von Denen, die durch Beschluß des Stadtverordnetenkollegiums zur Vornahme und Leitung der Wahl berufen waren, vom Wahlvorstand. Dieser hat sich bei der Ermittelung des Wahlresultats nicht an den Buchstaben der Verfassung gehalten, indem er sich vor der Verlesung der einzelnen Stimmzettel erst überzeugt hat, daß die Zahl der in der Urne enthaltenen Zettel mit der im Protokoll vermerkten Zahl der erschienenen Wähler übereinstimmte. Darin haben die bürgerlichen Verfassungsfexen ein Haar gefunden und die Annullirung der Wahl durchgesetzt, weil nach der Verfassung jeder Stimmzettel einzeln aus der Urne genommen worden soll. Formell haben die Herren zweifellos recht, aber vergegenwärtige man sich dabei auch die Thatsache, daß die gesammten Stadtverordnetenwahlen seit Jahr und Tag in derselben Art und Weise vorgenommen und daß dann die gesammten Kollegien mit dem Stadtrath an der Spitze auf verfassungswidrige Weise gewählt worden sind. Hätten die bürgerlichen Vertreter also noch eine Spur von politischem Ehrgefühl besessen, so würden sie ihre Mandate in logischer Konsequenz niedergelegt und sich ebenfalls der Neuwahl unterworfen haben. Aber weit gefehlt, zu einem derartigen Standpunkt vermögen die Herren sich nicht aufzuschwingen, sie selbst blieben sein in Amt und Würden, drehten dafür aber den neugewählten Vertretern der dritten Wählerklasse einen doppelten Strick. In den Augen eines jeden vorurtheilslosen Menschen haben sie sich damit mit dem Brandmal der Skrupellosigkeit und Parteilichkeit gezeichnet, und obendrein noch, indem sie das ominöse Wort "Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter", das der Stadtdirektor mit solcher Emphase als neueste Weisheit in die Welt hinausposaunte, für ihre eigene Wahl in Anspruch nahmen, den Fluch der Lächerlichkeit auf sich geladen. Die Scham ist zu den Hunden entflohen: dieselben Leute, die ein paar Tage vorher auf dieselbe Art gewählt worden waren, wie die Vertreter der dritten Klasse, die wußten, daß auch bei ihrer eigenen Wahl der Buchstabe der Verfassung verletzt war, die also gesetzlich streng genommen gar keine Stadtverordneten waren, sie gewannen es über sich, für die Ungültigkeit der Wahl ihrer fünf Kollegen von der dritten Klasse zu stimmen. Wir sagen nochmals - und jeder anständige Mensch muß uns zustimmen - die Scham ist zu den Hunden entflohen! Wähler! Zeigt am nächsten Sonnabend, daß Ihr anders über politische Ehrlichkeit und moralisches Pflichtgefühl denkt. [] Aber warum sollte unter allen Umständen die Wahl wieder umgestoßen werden? Nun, einzig und allein deswegen, weil die fünf Gewählten Sozialdemokraten waren. Wären es Vertreter bürgerlicher Parteien gewesen, so hätte sich kein Mensch darum gequält, an den Sozialdemokraten aber mußte man den Ausfall der Wahl rächen. Weshalb? Weil man sie fürchtet, weil der Karpfenteich nicht noch mehr von Hechten besetzt werden soll, weil die biederen Vertreter des Spießbürgerthums nicht noch mehr wie jetzt schon in ihrer behaglichen Ruhe gestört, die Liebesgabenpolitiker nicht noch schärfer auf die Finger geklopft werden wollen. Das ist der ganze Grund, weshalb man Scham, Ehrlichkeit und Wahlanständigkeit zum Teufel jagte und die Wahl für ungültig erklärte. [] Die ganze Angelegenheit ist ein Skandal, wie er schlimmer nicht gedacht werden kann und wie ihn die Geschichte unseres städtischen Parlaments bis jetzt nicht aufzuweisen hatte. Werden die Wähler der dritten Stimmrechtsklasse diesen Skandal noch dadurch, gutheißen, daß sie am nächsten Sonnabend den Kandidaten der bürgerlichen Mogel-Parteien ihre Stimmen geben? Nein, sie werden es nicht thun, sie dürfen es nicht thun, wenn anders nicht Lug, Trug und schäbige Parteilichkeit an die Stelle von Wahrheit und Gerechtigkeit gefetzt werden sollen. [] Wähler! Männer des arbeitenden Volkes! Was hättet Ihr von einer Stadtvertretung zu erwarten, bei der die Mitglieder sich in ihrer übergroßen Majorität leiten lassen von Grundsätzen, wie wir sie oben den Thatsachen entsprechend skizzirt haben? Parteilichkeit und Unrecht, Liebesgabenpolitik, Ausbeutung und Rechtlosmachung des werkthätigen Volkes würden noch mehr in Flor kommen wie jetzt, der krassesten Interessenpolitik würde Thür und Thor geöffnet werden! [] Mitbürger! Wähler! Sorgt dafür, daß dieser Fall nicht eintritt. Habt stets vor Augen: Die Zukunft unseres ganzen städtischen Gemeinwesens steht auf dem Spiel! Die sozialdemokratischen Kandidaten haben ein festes Programm, ein Programm, das in seinen Forderungen ausgeht von dem Grundsatz, daß das Allgemeinwohl oberstes Gesetz ist. Die wichtigsten dieser Forderungen sind: Eine gerechte Vertheilung der Steuerlasten, Beseitigung der Schul- und Miethsteuer, Entlastung der ärmeren und entsprechende Heranziehung der wohlhabenderen Schichten der Bevölkerung, Förderung der Kulturaufgaben und schärfste Bekämpfung jedweder Liebesgabenpolitik, wie sie in der Miethsteuergeschichte des Norddeutschen Lloyd so eklatant zum Ausdruck kam. Wähler! Erinnert Euch immer wieder an die unerhörte Gewissenlosigkeit, die man darin offenbarte, daß man der reichen Schifffahrtsgesellschaft Norddeutscher Lloyd eine große Summe Miethsteuer schenkte, diese selbe Steuer aber von den Aermsten der Armen eventuell sogar durch den Gerichtsvollzieher einziehen läßt. Mit dieser Wirtschaft muß unter allen Umständen gebrochen werden. [] Und dann, Wähler, seht Euch einmal den Kuddelmuddel an, der bei den bürgerlichen Parteien herrscht, vergegenwärtigt Euch die famosen Mogeleien, die man dort mit gewohnter Skruppellosigkeit [!] schon gelegentlich der ersten Wahl trieb. Heute glaubt man die Wähler dadurch graulich machen zu können, daß man das rothe Gespenst heraufbeschwört. Ein ebenso lächerliches, wie dummfreches beginnen! Bei der Stadtverordnetenwahl handelt es sich lediglich um kommunale Angelegenheiten und die versuchte Furchterregung vor der internationalen Sozialdemokratie wird schon aus diesem Grunde ihre Wirkung vollständig verfehlen. Das Bestreben der Gegner läuft auf die Sanktionirung der einseitigsten Klassen- und Kliquenpolitik hinaus. Nicht einmal auf gemeinsame Kandidaten können die Leute sich einigen, schon dabei liegen sie sich in den Haaren. Weshalb? Weil jeder Stand, jede Interessengruppe eine Vertretung der eigenen Klasseninteressen haben möchte, weil ihnen der krasseste Egoismus oberstes Gesetz ist. Die Wähler müßten sich schämen, wenn sie solchen Elementen die Sorge um das Wohl unserer Stadt überließen. [] Was wollen denn die Kandidaten der bürgerlichen Parteien? Kein Mensch weiß es, für was diese Leute eintreten werden, vielleicht wissen sie es selber nicht einmal. Von einem Programm keine Spur! Niemand weiß, wie die Herren sich zu dieser oder jener wichtigen Frage stellen werden! Aber - und das ist charakteristisch für das politische Verständnis des Bürgerthums - kein Mensch fordert auch von ihnen ein bestimmtes Versprechen, eine Programmerklärung! [] Es scheint zu genügen, daß die Herren nur keine Sozialdemokraten sind, mögen sie sonst auch noch so große Quertöpfe und traurige Kommunalpolitiker sein. [] Und solche Leute verlangen, daß ihnen der vorurtheilsfreie Bürger seine Stimme giebt? Wahrhaftig, wenn die Sache nicht so bitterernst wäre, ein homerisches Lachen müßte die Antwort sein. [] Wähler! Männer des Werktätigen Volkes! Man wird in diesen Tagen zu Euch kommen und versuchen. Euch einzusaugen für die Bestrebungen der superklugen Geschäftspolitiker. Jagt sie dann zum Teufel, die Verfassungsvernichter und Faxenpolitiker, zeigt Ihnen, daß Ihr nichts wissen wollt von deren, dem Volkswohl feindlichen Treiben, beweist, daß Ihr Männer seid und mit Eurer Vertretung im Stadtverordnetenkollegium auch thatkräftige Männer, aber keine Hampelmänner betrauen wollt. [] Von all dem wüsten Interessenhader und Treiben der bürgerlichen Kliquen sticht die einige, geschlossene und zielsichere Stellung der Sozialdemokratie vortheilhaft ab. [] Gegen das elendeste aller elenden Wahlsysteme, das Miethsteuer-Dreiklassen-Wahlrecht, gegen die skandalöse und schreiend ungerechte Miethsteuer, gegen die Bevorzugung der Reichen und des Großrheder-kapitals, gegen die schwer drückende Schulsteuer und das Bildungsprivilegium der Besitzenden, gegen die Ungerechtigkeit in jeder Form! [] Das ist der negirende Theil der sozialdemokratischen Programmkundgebung. Aber dabei bleibt es nicht, für das Verworfene werden positive Vorschläge gemacht. [] An Stelle des Miethsteuerwahlrechts - das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für jeden 20 jährigen Einwohner Bremerhavens, an Stelle der Miethsteuer - die progressive Kommunal-Einkommensteuer, die jeden nach seiner Leistungsfähigkeit belastet, für die Schulreform werden durchgreifende Aenderungen vorgeschlagen, mit einem Wort, für Alles, was vor der Kritik nicht bestehen kann, wird Besseres, Gerechteres in Vorschlag gebracht. [] Ist das Umsturz, ist das Revolution? Nein! Alle diese Vorschläge bewegen sich in den Grenzen des Möglichen, Erreichbaren, sind durchaus im Rahmen der Verfassung zu verwirklichen, und ihre Durchführung würde unzweifelhaft einen wichtigen Schritt nach vorwärts im kommunalen Leben unseres Ortes bedeuten. Das wird Niemand bestreiten. Niemand leugnen können, der nicht an dem Fortbestand der alten Kliquen-und Privilegien-Wirthschaft interessirt ist. [] Nieder mit dieser Wirthschaft, sei die Losung. [] Wähler! Wie schon bei der ersten Wahl, so empfiehlt auch heute wieder das unterzeichnete Wahlkomitee folgende Kandidaten: [] Buchdruckereibesitzer Aug. Haverkamp, [] Gastwirth Herm. Pallaske, [] Schneidermeister Carl Diekmann, [] Zigarrenfabrikant Friedr. Busch, [] Gastwirth Wilh. Drescher. [] Wähler! Diese Personen verdienen Euer Vertrauen im vollsten Maße, setzt daher Alles daran, daß sie als Sieger aus der Wahlurne hervorgehen! [] Fort mit der Sonderinteressen-, Liebesgaben- und Kliquenwirthschaft! Nieder mit Lug und Trug, Heuchelei und schäbiger Parteilichkeit! [] Die Gerechtigkeit muß siegen! [] Der 21. April entscheidet über die Zukunft Bremerhavens, er muß ein Ehrentag für die werkthätige Bevölkerung unserer Stadt werden. [] Auf zur Wahl! Wählt allesammt die sozialdemokratischen Kandidaten! Thue ein Jeder seine Pflicht! [] Das sozialdemokratische Wahl-Komitee. [] NB. Am Freitag, den 20. April, Abends 8 ½ Uhr, findet im Colosseum eine öffentliche Wählerversammlung statt, zu der Sie hierdurch freundlichst eingeladen werden. [] Verlag von H. Müller, Bremerhaven. - Druck von A, Haverkamp, Bremerhaven.
era Neuwahl der Stadtverordneteten
Vorwurf an die bürgerlichen Parteien, die Sozialdemokratie aushebeln zu wollen
Einladung zu einer Wahlkundgebeung
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genre visualUnit
geographic Bremerhaven
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institution Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
language German
publishDate 21.04.1900
spellingShingle Stadtverordnetenwahl in Bremerhaven
Das sozialdemokratische Wahlkomitee
A. Haverkamp, Btremerhaven / H. Müller, Bremerhaven
[Haverkamp, August, Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Arbeiterbewegung, Drei-Klassen-Wahlrecht, Kaiserreich, Kommunalwahl, Parteiprogramm, Soziale Armut, Wahl, Wahlrecht]
thumbnail http://hdl.handle.net/11088/6F486AA9-49E2-40B4-83F2-3739011BF4DC
title Stadtverordnetenwahl in Bremerhaven
topic [Haverkamp, August, Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Arbeiterbewegung, Drei-Klassen-Wahlrecht, Kaiserreich, Kommunalwahl, Parteiprogramm, Soziale Armut, Wahl, Wahlrecht]
url http://hdl.handle.net/11088/33F0F7D4-6E52-4C2A-96DA-2C1CAE39D896