An alle Frauen und Mütter . Ein Brief, den Sie lesen sollten
Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An alle Frauen und Mütter [] Ein Brief, den Sie lesen sollten! Essen, im Januar 1955 [] Liebe Freundin, wir haben uns ja in den Ferien öfter gesehen und immer gut verstanden. Sonst käme ich auch bestimmt nicht auf die Idee, Ihnen diesen Brief...
Main Author: | |
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Institution: | Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) |
Format: | IMAGE |
Language: | German |
Published: |
1955
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Subjects: | |
Online Access: | http://hdl.handle.net/11088/EF60A348-3AB4-4854-B0C4-AE81FFDA71E3 |
_version_ | 1771405059603562497 |
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author | Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise |
author_facet | Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise |
collection | AdsD leaflets |
dateSpan | 1955 |
description | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals
An alle Frauen und Mütter [] Ein Brief, den Sie lesen sollten! Essen, im Januar 1955 [] Liebe Freundin, wir haben uns ja in den Ferien öfter gesehen und immer gut verstanden. Sonst käme ich auch bestimmt nicht auf die Idee, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Aber ich muß einfach ein Problem besprechen, das mich in letzter Zeit zutiefst beschäftigt. Und ich muß es mit einer Frau besprechen. Sehen Sie, liebe Freundin, ich bin wirklich ein ganz alltäglicher,Fall'. Mein Schicksal wir das gleiche wie das unzähliger anderer deutscher Frauen in Kriegs- und Nachkriegszeit. Mein Mann war im Feld, und hinterher bangte ich um ihn, als er Jahre in französischer Kriegsgefangenschaft saß. Ich hatte Angst, wenn die Bomben fielen, ich hungerte, ich wartete so sehr auf jeden Brief aus dem Felde. Heute liegen die Sorgen und Schmerzen von damals schon wieder eine gute Wegstrecke zurück. Das tägliche Leben fordert Aufmerksamkeit, natürlich auch meine Arbeit, ohne die wir ganz einfach mit der großen Familie nicht auskommen können. Aber das geht ja Ihnen, liebe Freundin, ganz genau so. Trotzdem bemühe ich mich ganz bewußt, jene schweren Zeiten nicht völlig zu vergessen. Meiner Ansicht nach darf man das einfach nicht. Auch das Schreckliche und Schwere (und dies vielleicht besonders) ist doch ein bedeutender Teil unseres Lebens, wenn wir es nun schon mal erleben mußten. Und vor allem ein wichtiger Teil unserer Entwicklung. Ich finde immer, wir Frauen sind uns viel näher als die Männer untereinander. Unsere tiefsten Erlebnisse sind doch überall auf der Welt die gleichen. Liebe, Ehe, Geburt und Tod. Sie sind doch auch (von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen) immer der wichtigste Teil im Leben einer Frau. Darum vereint uns alle ein Band, das die Männer nie begreifen können und an dem sie nie teilhaben werden. Die Zeit hat es leider mit sich gebracht, daß wir uns nicht mehr ausschließlich auf unsere fraulichen Aufgaben beschränken können. Unsere Erlebnisse in den letzten fünfzehn Jahren haben deutlich genug bewiesen, daß die Welt anders geworden ist. Die Ereignisse machen nicht mehr Halt vor einer Küchentür oder einem Kinderzimmer. Gerade wir Frauen müssen uns heute einfach um "das Andere" mitbekümmern. Am Ende werden ja wir mehr davon betroffen als die Männer, die es zusammenbrauen. Man las und hörte doch immer wieder in letzter Zeit vom ,Verteidigungsbeitrag', will sagen von der Frage einer neuen deutschen Armee und von deutschen Soldaten. Privat stieß ich jetzt direkt damit zusammen durch eine Schulfreundin, die ihren Kummer zu mir trug. Elfriede ist ein wenig älter als ich, sie wurde 1945 von den Russen aus Stolp verschleppt und verlor auf dem Treck ihre beiden jüngsten Kinder. Auch die alten Eltern starben. Es scheint eine Art Wunder, daß meine Freundin selber vor bald zwei Jahren wieder bei uns auftauchte. Sie wurde großartig mit ihrem schweren Schicksal fertig, nahm ihre alte Berufsarbeit wieder auf und widmete sich im übrigen ganz ihrem ältesten Sohn. Dieser Junge, heute zwanzigjährig, verbrachte die letzte Kriegszeit in Bayern und wurde dadurch vor dem Los seiner Geschwister bewahrt. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr meine Freundin an ihrem Peter hängt. Er ist ihr Ein und Alles, der Sinn ihres Lebens, das sich langsam wieder aufgehellt hat. Sehen Sie, und diese Freundin kam bitterlich schluchzend bei mir an und klagte: "Ist denn das wahr? Peter behauptet, jetzt gäbe es bald wieder ein deutsches Heer. Nur das nicht, habe ich gedacht, nur das nicht." Nun kennt man ja die Art, in der gerade viele Jugendliche auf die Frage der Wiederbewaffnung reagieren, und ich fragte meine Freundin, was denn ihr Sohn dazu gesagt hätte. "Das ist ja das, worüber ich mich wundere", rief Elfriede. "Ich sagte, daß ich dagegen sei. Und Inge, du weißt, Peters Braut - Inge stimmte mir zu. Und nun denk dir bloß, ausgerechnet mein stiller, tüchtiger Junge sagt: Nun sieh das doch mal richtig, Mutter! Das ist eine verteufelt ernste Sache. Glaubst du vielleicht, die Amerikaner oder Engländer halten ihre Köpfe alleine hin, wenn der Russe morgen angreift, nur, um uns zu verteidigen? Nee, das kann man weder verlangen, noch erwarten." Zu diesem Argument konnte ich nur anerkennend nicken. Aber Elfriede sah das nicht gern. "Du hast eben keinen Sohn in dem Alter, sonst hieltest du zu mir", sagte sie energisch. "Laß doch endlich alle, wie sie da sind, nach Hause gehen! Die Amerikaner und die Engländer. Dann müssen sie doch für uns nicht geradestehen. Wir wollen nichts weiter als unsere Ruhe." Mit diesem energischen Schlußwort ging Elfriede und ließ mich äußerst nachdenklich zurück. Daß sie so und nicht anders reagierte, war nicht verwunderlich. Sie hatte sich nie viel aus dem großen Weltgeschehen gemacht und auch ihre schweren Erlebnisse mehr als ein persönliches Unglück angesehen. Und dann war Peter eben ihr Augapfel. Was mich verblüffte, war die Haltung des Jungen. Natürlich, müssen Sie wissen, kenne ich Peter gut. Ich habe ihn einst über das Taufbecken gehalten und all die Jahre im Auge behalten. Er ist still, nachdenklich, das Gegenteil eines Draufgängers. Seine größte Freude ist Musik und gleich danach sein Schachclub. Gerade von ihm hatte ich eigentlich Ablehnung erwartet... Ich nahm mir vor, mit Elfriede noch mal deshalb zu sprechen, kam aber dann nicht dazu. Einige Tage später besuchte sie mich zum zweiten Mal. Diesmal war sie etwas verlegen. "Sei nicht böse, weil ich neulich heftig wurde", sagte sie in ihrer alten, freundlichen Art. "Aber ich muß dir doch sagen, daß ich meine Meinung geändert habe." "Und wie ging das zu", erkundigte ich mich neugierig. Ja, siehst du, das hat Peter fertiggebracht. Er meinte, wir sollten uns nur mal vorstellen, die Amerikaner hätten eines Tages genug von dem Theater in Europa und zögen einfach ab. ,Glaubst du wirklich, wir hätten dann unsere Ruhe...?' fragte Peter." "Dein Junge beginnt mir zu imponieren", antwortete ich. "Aber, wie denkst du dir wirklich die Lage denn in einem solchen Falle?" "Na, es würde ganz schrecklich", rief meine Freundin eifrig. "Es ist ein Unsinn, wenn die jungen Leute sagen: ,Wir wollen nicht Soldat werden - unsere Ruhe wollen wir und sonst nichts - ohne uns!' Unsere Generation hat das klar erkannt. Sollen wir vielleicht Vogel Strauß spielen und den Kopf in den Sand stecken? Und hinterher haben es unsere Frauen und Kinder auszubaden. Nee, wir sitzen nun mal in einem verdammt wackeligen Europa. Wenn wir einfach die Hände in den Schoß legen, wer will dann einen Angreifer daran hindern, uns kurzerhand zu überrollen und zu erobern?" Ich war platt, soviele Worte auf einmal bekam man von Elfriede selten zu hören. Sie gestand dann auch, immer wieder mit Peter über das Thema gesprochen zu haben. "Weißt du was, Elfriede", sagte ich entschlossen, "du mußt übermorgen mit deinem Sohn und der Inge zum Kaffee zu mir kommen. Die Ansichten deines Jungen interessieren mich. Sie sind richtig und zeigen, daß er wirklich über die Dinge nachdenkt. Ich will selber mit ihm sprechen." Na, die drei kamen pünktlich. Inge ist ein sehr niedliches Mädchen, das mich stumm betrachtete. Wir sind uns noch etwas fremd, aber ich denke, das wird sich geben. Aber Peter war offen wie immer, und gar kein Zureden war nötig, um ihn auf unser Thema zu kriegen. Es ging um den Fortschritt der letzten Jahre. Da sagte der Junge plötzlich: "Natürlich, wir haben uns rausgerappelt aus dem Elend von 45. Wir haben Trümmer geräumt, große Leistungen im Wiederaufbau vollbracht, und heute hast du eine neue Küche und ich ein Motorrad. Aber wieso konnte das alles geschehen?" Ich machte gar keine Miene, zu antworten. Inge sah ihren Verlobten verklärt an, und seine Mutter meinte leise: "Weil ihr so tüchtig seid. ..." "Na was denn..", ärgerte sich Peter. "Die Deutschen in der Zone doch genau so, oder nicht? Na, siehst du. Bei uns würde es heute genau so aussehen wie drüben, wenn wir nicht unter dem starken Schutz der Westalliierten unsere Arbeitsruhe gehabt hätten..." Dann war es eine Weile still an meinem Kaffeetisch. Elfriede dachte angestrengt nach und nickte dann. Ihr Sohn stand auf und redete, auf und ab gehend, weiter. Er sagte etwa, Hitler hätte seine Kriege nie begonnen, wenn ein einziger der Staaten gerüstet und ihm dadurch gefährlich gewesen wäre. Schon deshalb alleine müßten wir jetzt wieder rüsten, um die Sowjetunion abzuschrecken, denn es sei doch nun einmal nicht zu leugnen, daß die Sowjetrussen von skrupellosen Männern beherrscht werden, die das bolschewistische System mit allen Mitteln immer weiter ausbreiten wollen und zur Erreichung dieses Zieles, wie schon oft bewiesen, auch vor einem gewaltsamen Angriff nicht zurückschrecken, falls er ihnen lohnend und aussichtsreich erscheint. "Gerade ihr Mütter", ereiferte sich Peter, "und du vor allem, bei dem was du mitgemacht hast, müßtet das einsehen. Es ist doch gleich, ob man Töchter oder Söhne hat, betroffen werden alle davon. Eine neue Wehrmacht ist notwendig, eben damit nie mehr so gräßliche Dinge geschehen können. Deshalb müssen wir Soldaten werden, ob das dem Einzelnen nun paßt oder nicht." Hier fing Inge an zu heulen. "Aber du und Soldat...", rief sie. "Das kann doch nicht richtig sein. Du gehst doch lieber ins Konzert oder ... oder mit mir spazieren." Das klang so komisch, daß wir alle herzlich lachten. Peter legte den Arm um die Schultern seiner Braut und sagte zärtlich: "Natürlich, liebe Inge, ich werde sehr ungern Soldat. Seht euch doch nur mal die Amis an. Natürlich gibt es auch bei denen einen guten Teil leidenschaftlicher Soldaten, wie in jedem Volk. Aber die Masse hat nicht den leisesten Spaß an der Uniform. Sie alle haben ihre Arbeit und ihre Familie und würden lieber heute als morgen wieder Zivilist. Und trotzdem sind sie Soldaten, ganz einfach weil sie von der Notwendigkeit überzeugt sind." Wir saßen nach diesem Ausbruch ganz still. Endlich nickte meine Freundin vor sich hin. "Ich habe nichts als Peter auf der Welt", sagte sie zögernd. "Aber trotzdem - er hat mich überzeugt. Wenn du meinen Standpunkt wissen willst: man kann sich nicht drücken. jeder muß seine Verantwortung alleine tragen, auch ein Volk! Was sein muß, muß sein. Sicher tun es die jungen Männer nicht gerne, Soldat zu werden. Aber es ist eben eure Sache, sie zu überzeugen. Nein, noch besser - sie müssen sich selbst überzeugen!" "Du solltest Rednerin werden", stichelte ich. Aber sie ließ sich nicht beeinflussen. "Du hörtest doch, was Peter sagt", ereiferte sie sich. "Und es ist ganz klar, was wir zu tun haben. Wir Mütter müssen unsere Söhne beeinflussen, nicht etwa, daß sie zum Kriege drängen. Du lieber Gott, das wäre ja auch gar nicht möglich. Aber wir können sie von der moralischen und menschlichen Notwendigkeit, die Heimat und die Freiheit zu schützen, überzeugen. Das ist unsere Aufgabe." Liebe Freundin, eigentlich habe ich kaum noch etwas hinzuzufügen. Als Frau stimme ich dem, was ich hörte und für Sie aufschrieb, absolut zu. Trotzdem liegt mir unendlich viel daran, Ihre Meinung darüber zu hören. Es ist eigentlich das erste Mal, daß ich solche gewichtigen Gedanken über eine so wichtige Sache wälze. Ich habe eigentlich auch keine Ader für Politik, obwohl ich finde, wir Frauen sollten uns unbedingt damit befassen. Darum bitte ich Sie heute von Frau zu Frau, überlegen Sie sich, was Peter sagte, was meine Freundin erklärt hat. Und lassen Sie mich wissen, auf welchem Standpunkt Sie selber stehen. Hoffentlich habe ich Sie nicht zuviel Zeit gekostet. Für heute verbleibe ich mit den besten Grüßen und persönlichen Wünsche [] Ihre Margot [] Liebe Frauen und Mütter! Diesen Brief erhielt eine unserer Mitarbeiterinnen. Auch Ihnen wird er Anlaß zum Nachdenken geben. Ihre eigene Meinung zu dieser Frage würde uns interessieren. Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise, Bad Godesberg, Lindenallee 9 |
era | Flugschrift der Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise an alle Frauen und Mütter mit dem Ziel, diese von der Notwendigkeit der Wiederbewaffnung zu überzeugen |
format | IMAGE |
genre | visualUnit |
geographic | Essen Nordrhein-Westfalen |
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institution | Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) |
language | German |
publishDate | 1955 |
spellingShingle | An alle Frauen und Mütter . Ein Brief, den Sie lesen sollten Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise [Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise, Frauen, Ost-West-Konflikt, Wiederbewaffnung] |
thumbnail | http://hdl.handle.net/11088/F028943A-D835-4B23-B993-C8216E2BC574 |
title | An alle Frauen und Mütter . Ein Brief, den Sie lesen sollten |
topic | [Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise, Frauen, Ost-West-Konflikt, Wiederbewaffnung] |
url | http://hdl.handle.net/11088/EF60A348-3AB4-4854-B0C4-AE81FFDA71E3 |