Flugschriften der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. Nr. 6. . Gewerkschaftler und Heimarbeiter!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; [?] = vermutete Leseart Flugschriften [] der [] Generalkommission [?] der Gewerkschaften Deutschlands. [] Nr. 6. [] Gewerkschaftler und Heimarbeiter! [] Arbeitsbrüder und -Schwestern, die Ihr bereits die Notwendigkeit der Organisa...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co., Hamburg / C. Legien, Hamburg
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 30.06.1897
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/7E40BD09-1AF0-4459-BA59-9636BF9AEB5C
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; [?] = vermutete Leseart Flugschriften [] der [] Generalkommission [?] der Gewerkschaften Deutschlands. [] Nr. 6. [] Gewerkschaftler und Heimarbeiter! [] Arbeitsbrüder und -Schwestern, die Ihr bereits die Notwendigkeit der Organisation erkannt - die Ihr aus materiellen wie geistigen und sittlichen Gründen Euch zu Gewerkschaften zusammengeschlossen habt, um Eure persönliche wie die gesammte Klassenlage zu bessern, an Euch tritt jetzt eine Frage heran von höchstem Ernst, von tiefeinschneidender Bedeutung für jeden Einzelnen von Euch, die Frage: "Welche Stellung hat der gewerkschaftlich organisirte Fabrik- und Werkstättenarbeiter der Heimarbeit und dem Heimarbeiter gegenüber einzunehmen?" [] Die Antwort kann bei ruhiger Ueberlegung nur lauten: "Die Heimarbeit ist aus wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sittlichen Gründen zu verwerfen und ihre Schäden mit ganzer Kraft zu bekämpfen!" Die Heimarbeit ist eine der größten Gefahren für jeden Angehörigen der Arbeiterklasse, sie ist ein bösartiges Geschwür am Körper der arbeitenden Menschheit. [] In seiner Eigenschaft als Arbeiter hat der Gewerkschaftler schwer zu leiden unter der Konkurrenz des Heimarbeiters, der, in Unkenntniß des Lohnsatzes der Fabrikarbeiter oder in seiner aus der Isolirtheit, der Vereinsamung hervorgehenden Schüchternheit, weit billiger zu arbeiten bereit ist als der sich mit seinen Arbeitskollegen berathende, mit ihnen zusammenstehende Fabrik- und Werkstättenarbeiter, zumal wenn dieser bereits gewerkschaftlich organisirt ist und die Masse seiner Berufsgenossen als feste Stütze hinter sich weiß. [] Beispiele lassen sich hierfür aus den allerverschiedensten Arbeitsgebieten anführen, die schlimmsten finden sich in den einzelnen Zweigen der Konfektionsindustrie, denn hier ist die Heimarbeit am allerverbreitetsten und wirkt nach allen Richtungen hin verderblich. [] In Berlin, wo doch vergleichsweise noch "hohe" Löhne gezahlt werden, verdienten (nach Angaben des Statistischen Jahrbuchs und der Schriften der Vereine für Sozialpolitik) Hausindustriell beschäftigte Ehepaare in der Konfektionsbranche bei Arbeitszeiten von 14, 16 und 17 Stunden pro Tag in der ganzen Woche durchschnittlich M. [...] Handnäherinnen erreichten Durchschnittsverdienste von M. 6,33, es [...] aber auch Wochenlöhne von M. 2,30 vor. [] Welche Fabrikarbeiterin würde sich dazu herbeilassen, für M. [...] eine ganze Woche hindurch zu schanzen? Welcher orgamsirte Arbeiter [?] Berlins wird sich bereit erklären, mit seiner Frau zusammen jeden Tag 14 Stunden zu arbeiten, um am Ende der Woche M. 20,25 heimzutragen? Derartiges bringen nur Heimarbeiter zu Wege und drücken damit auch für die übrige Arbeiterschaft die Preise herab. [] Tabakarbeiter und -Arbeiterinnen, die bei sich zu Hause arbeiten und somit den von ihnen bewohnten Raum, die darin nöthige Heizung und Beleuchtung auf ihre Kosten hergeben, also dem Arbeitgeber schon eine ansehnliche Ausgabe, ersparen, erhalten gleichfalls geringeren Lohn für gleiche Arbeit als die in der Fabrik beschäftigten Personen. So zahlte ein Berliner Zigarrettenfabrikant seinen Fabrikarbeitern M. 2,50 für 1000 Zigarretten; einem Heimarbeiter, der, von auswärts gekommen, die Preise nicht kannte und überdies um jeden Preis arbeiten wollte, um seine Familie zu ernähren, M. 1,75 für das Taufend. Der "gute" Arbeitgeber ließ diesen Mann sehr gern arbeiten, denn nicht nur arbeitete dieser selber bis tief in die Nacht hinein, sondern seine Frau und fünf von den sieben vorhandenen Kindern waren ihm bei der Arbeit behülflich; ein fünfjähriges packte die fertigen Zigarretten in Schachteln. Dieser "brave" Heimarbeiter brachte natürlich weit mehr Zigarretten fertig als seine in der Fabrik thätigen Kollegen, und an jedem Tausend hatte der Fabrikbesitzer außer seinem gewöhnlichen Profit noch einen Extraverdienst von 75 Pfennig. [] Wer wollte sich da wundern, wenn der Fabrikant Fabrikarbeiter entläßt, auf's Pflaster wirft und Heimarbeitern die Arbeit überträgt! [] Die in der Tabakindustrie thätige Arbeiterschaft kann denn auch in der That ein gar trauriges Lied davon singen, wie sehr ihre Lohn- und Arbeitsverhältnisse unter dem Einflüsse der Heimarbeit immer ärger werden. Vereinzelte Ausnahmen in einigen Orten bestätigen auch hier nur die Regel. [] Es ist freilich unmöglich, Beispiele von Lohndruck und Schmutzkonkurrenz aus allen Arbeitszweigen anzuführen, weil dazu nicht der Raum eines Flugblattes ausreichte, sondern man ein dickes Buch darüber schreiben müßte; aber diese Arbeit kann man sich um so mehr sparen, als Ihr selbst, organisirte Arbeiter und Arbeiterinnen ja alle Tage mit eigenen Augen seht, am eigenen Leibe spürt, was die Heimarbeit für Schädigungen mit sich bringt. Jeder erlebt es in seiner Branche, wie der Arbeitgeber bei irgend welchen Forderungen der Arbeiter diesen antwortet: "Wenn's Euch nicht paßt, könnt Ihr gehen, und ich gebe die Arbeit aus dem Hause, wobei ich sie billiger bekomme und mich mit den Leuten nicht herumzuärgern brauche." [] Thatsächlich wird dann auch alle erdenkliche Arbeit an Heimarbeiter vergeben: Metallarbeiten, Holz-, Horn- und Perlmuttersachen, Spielwaaren, Glasperlen usw. werden hausindustriell unter den unerhörtesten, elendesten Bedingungen hergestellt. Das Nähen der Strohhüte wird fast ausschließlich von Heimarbeiterinnen gemacht. Nach Dresden kommen an den Ablieferungstagen die Näherinnen mit Kindern oder Männern stundenweit her mit Handwagen, um die fertige Arbeit abzuliefern und neues Geflecht mitzunehmen. Oft ist es zehn Uhr Nachts, bis die letzte der Heimarbeiterinnen abgefertigt ist und ihren Heimweg nach einem entfernten Dorfe antreten kann. In Wirkereien werden Baumwollen- und Wollengarne an solche Leute ausgegeben, die in ihrer engen Wohnung auf eigener oder gemietheter Maschine Strümpfe und sonstige Wirkwaaren herstellen, die sie dann fertig in ganzen Kinderwagenladungen zur Ablieferung bringen. Von der Weberei kann man vollends schweigen, ist doch Jedermann das sprüchwörtlich gewordene Elend der Hausweber bekannt und tief in die Seelen eingeprägt jene Szene aus Hauptmanns "Webern", in der die Unglücklichen die Arbeit, den Inhalt ihres Jammerdaseins, dem "Arbeitgeber" zurückbringen und sich von den sündhaft niedrigen Löhnen noch Abzüge für Dies und Das gefallen lassen müssen. Sage Niemand: "Das war einmal"; nein, das ist auch heute noch so! Das kann man nicht nur in den Distrikten beobachten, in denen ein einzelner Fabrikant oder Händler über ein Heer von Heimarbeitern gebietet, sondern selbst in den angeblichen Zentren der Kultur, in unseren Großstädten. Hier wie dort beugen sich die Heimarbeiter dem Machtgebot der Unternehmer. Männer und Frauen zeigen sich gleich willenlos, wenn der Fabrikant ihnen sagt, entweder billiger arbeiten oder die Arbeit verlieren. [] Mit diesen sich in ihr elendes Schicksal Ergebenden aber rechnet der Fabrikant, wenn er die berechtigten Forderungen seiner Fabrikleute schnöde zurückweist, ihre Klagen unberücksichtigt läßt und wohl gar in Zeiten der Theuerung aller Lebensmittel die Löhne zu kürzen wagt. - Wem sie zu niedrig sind, der kann gehen; die Heimarbeiter werden die Arbeit schon machen, sie liefern sie noch billiger als zu den niedrigsten Fabriklöhnen, und sie, liefern viel mehr Arbeit in der gleichen Zeit, also auch viel reicheren Gewinn für den Unternehmer. [] Wie solche Arbeit häusig zu Stande kommt, dafür noch ein Beispiel: Ein Mann erhält für das Farbigmachen eines bestimmten Quantums Bilderbogen M. 2,50. In der Fabrik würde er bei dieser Arbeit während der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit und Unter den vom Gesetze vorgeschriebenen Verhältnissen betreffs gesundheitlicher und sonstiger Sicherheit nicht genug verdienen, um sich und die Seinen zu ernähren. Er würde mit den Berufskollegen vereinbaren müssen, höhere Löhne zu verlangen und würde diese Einmüthigkeit der Arbeiter vorausgesetzt, auch erhalten. [] Zu Hause arbeitet er von früh bis spät und kommt auf keinen grünen Zweig. Noth macht erfinderisch! Zu seiner Hülfe holt er sich die Kinder gleich Armer oder noch Aermerer. Wenn die Kleinen aus der Schule kommen, werden sie an die Arbeit gestellt, um den Eltern ein paar Groschen zu verdienen. Der edle Kinderfreund zahlt aber den Kleinen für das Quantum Bilderbogen, das ihm M. 2,50 einbringt, ganze 75 ch; er steckt also jedesmal dabei M. 1,75 als Lohn für seine geniale Idee ein, fremde Kinder auszubeuten, die der Fabrikant nicht zur direkten Ausbeutung zur Verfügung erhält, weil das Gesetz ihnen Fabrikarbeit verbietet, weil man eingesehen hat, daß die zarten, schwachen Kinder nicht zu gesunden Menschen heranwachsen können, wenn man sie, statt sich frei tummeln zu lassen in frischer Luft, im Sonnenschein, sie einsperrt in schmutzige, enge, luft- und lichtlose Arbeitsstätten, sie einspannt in das Joch der Arbeit. [] Durch die Heimarbeit wird also das Kind zum Konkurrenten des Arbeiters, kann ein Häuflein Kleiner einen Arbeiter verdrängen, arbeits- und brotlos machen; sind diese verbraucht, so rücken neue heran, und kann der Unternehmer, der sich dieses Systems bedient, nun auch mit Leichtigkeit die hungernden Eltern, Männer und Weiber zu Kinderpreisen in sein Arbeitsjoch spannen, er kann als Zwischenausbeuter Alles, was Hunger hat und noch arbeiten kann, in seine Tasche hinein Gewinn erarbeiten lassen. [] Nach amtlicher Angabe der Statistik des Deutschen Reiches wurden im Jahre 1898 über eine halbe Million Kinder im schulpflichtigen Alter zur Erwerbsarbeit herangezogen. Hunderttausende von Kleinen wurden zu Arbeiten verwendet, von denen selbst schon unsere gegenwärtigen Gesetze sie ausschließen wollten, indem sie Fabrikarbeit für Kinder verboten. Aber dank der teuflischen Einrichtung der Hausindustrie können die kleinsten und schwächsten Kinder eben ausgenutzt werden. Berichtet doch die Gewerbe-Inspektion des Königreichs Sachsen von erwerbstätigen noch nicht einmal schulpflichtigen Kindern, und der Bericht von Sachsen-Meiningen führt einzelne Kinder an, die vom 4. Jahre ab verdienen helfen müssen. [] Was ist dagegen der Herodianische Kindermord, mit dessen Erzählung man in der Schule unsere Herzen erschütterte! [] In unserem Vaterlande, wo jahraus, jahrein Zehntausende von Männern und Frauen erwerbslos sind und im Elend verkommen, Tausende aus Arbeitsmangel zu Verbrechern an der gesellschaftlichen Ordnung werden, in's Gefängniß und Zuchthaus wandern, und Mancher schon das Blutgerüst besteigen mußte - da werden viele Hunderttausende von Kindern zum Geldverdienen mißbraucht, da wird den Kleinen Saft und Kraft und Leben ausgepreßt, um die Ausbeutergewinne der schlecht zahlenden Unternehmer zu erhöhen. [] In die Fabriken dürfen die Kinder unter 13 Jahren nicht, aber in finstern, schmutzigen Stuben, bei elender, qualmender Petroleumlampe dürfen sie fabrikmäßig frohnden zwischen Lappen, Holzspähnen, Glas- und Steinstaub, giftigen Farben und Dünsten, Leimtopf und Bügeleisen. [] Das ist der Segen der Heimarbeit! [] Im 14. Lebensjahre dürfen Kinder, wenn überhaupt, nach § 135 der Gewerbeordnung nicht mehr als sechs Stunden in der Fabrik arbeiten. §§ 136 und 137 beschränken die Arbeitszeiten für jugendliche Personen und Frauen in Fabriken, aber in der heiligen Heimarbeit, in der Hausindustrie, werden nach amtlichen Berichten viele Kinder anstrengend bis 9 und 10 Uhr Abends, oft auch früh Morgens, vor Beginn des Schulunterrichtes beschäftigt. [] Wie die Arbeitsräume beschaffen sind, in denen man der "Heimarbeit" obliegt, darüber liegt ebenfalls amtliches Material vor, das geradezu Grauen und Entrüstung einflößen muß, während in den Fabriken doch auf Befolgung gewisser hygieinischer [!] Vorschriften geachtet wird. [] Im Verein füröffentliche Gesundheitspflege in Nürnberg berichtete ein Arzt über den Zustand solcher Heimwerkstätten, die entweder Werk- und Wohnstube zugleich sind, oder nur einen Vorhang als Scheidewand zwischen diesen beiden Räumen, wo solche vorhanden, aufweisen. Der Kinderwagen steht regelmäßig in dem Wohn- und Werkraum, im Winter mindestens auch noch ein Bett regelmäßig, im Sommer manchmal. Im Winter hängt Wäsche am Ofen zum Trocknen. Auch fand man in den so mannigfachen Zwecken dienenden Heimwerkstätten keuchhusten- und diphtheritiskranke Kinder, Lungenschwindsüchtige und andere Personen, welche mit der in den betreffenden Werkstätten verrichteten Arbeit nichts zu thun hatten. Gebügelt wurde ebenfalls im nämlichen Raume, und in 32 von 44 der untersuchten Heimwerkstätten wurde auch noch das Essen gekocht. [] Kaum kann man sich den Zustand solcher Hölle vorstellen, wenn man nicht selber einmal darin gewesen ist, und da ist es, organisirte Arbeiter, wo Euch die niederträchtige Schmutzkonkurrenz gemacht wird - da ist es, wo vielleicht der Eine oder der Andere von Euch in Zeiten der Arbeitslosigkeit selber unterkriechen muß oder sein geliebtes Weib und seine Kinder schanzen lassen muß. [] Von da aus kann Jeder von Euch, gerade wo es Euch gut geht, wo Ihr Arbeit und Verdienst habt und Euch etwas leisten könnt, Krankheit und Tod über sein eigenes Heim kommen sehen. Ahnungslos kauft Ihr Euch im eleganten Laden einen Rock, einen Hut, vielleicht einen Muff für die Frau, ein Mäntelchen oder eine schön angekleidete Puppe für Euer Kind, und mit der in solcher Heimwerkstatt hergestellten Gabe Eurer Liebe tragt Ihr die Ansteckungskeime, den Tod in's Haus. Behaglich raucht der junge Arbeiter sich gelegentlich eine Zigarrette an, und er saugt aus ihr unmittelbar den Tod. Tuberkelbazillen aus dem Munde der schwindsüchtigen Arbeiterin sind mit deren Speichel an das Papier gekommen; denn mit ihrem Speichel befeuchten viele Heimarbeiterinnen dieser Branche ihre Finger beim Zusammenrollen des Papiers, das geht schneller als das Anfeuchten an einem Schwamm oder in einem Näpfchen, und keine Kontrole ist da, um das unappetitliche wie gefährliche Verfahren zu verhindern. [] In Erkenntniß der grausen Zustände in der Heimarbeit, der Gefahren für die darin thätigen Arbeiter wie für das konsumirende Publikum sind in anderen Ländern seit einer Reihe von Jahren Versuche gemacht worden, dem Uebel zu Leibe zu gehen, theils vom Publikum selbst, theils durch die Gesetzgebung. [] Am erfolgreichsten ist diese vorgegangen in einigen Staaten der nordamerikanischen Union, in Australien, in England und der Schweiz. [] Es sind dort Gesetzesvorschriften erlassen, nach welchen die Heimarbeitsstätten bei der Behörde gemeldet werden müssen und von dieser zu kontroliren sind; Listen über die Heimarbeiter zu führen und die in der Hausindustrie hergestellten Produkte zu kennzeichnen sind usw. [] In der australischen Kolonie Viktoria werden Unternehmer bei Uebertretungen der Gesetze, betreffend die Heimarbeit, mit Strafen bis zu M. 2000 belegt und bei der dritten Uebertretung wird die Firma überhaupt gelöscht; und gerade da, wo die strengsten Bestimmungen eingeführt und am konsequentesten durchgeführt worden sind, da bemerkt man außer einer Besserung des Gesundheitsstandes und einer Verminderung der Sterblichkeit, daß auch die in Betracht kommenden Industriezweige, welche, dank dem gesetzlichen Zwange, unter gesünderen Bedingungen produziren, bedeutend gewachsen sind. [] Bei uns aber ist nichts geschehen und wird so lange nichts geschehen zur Beseitigung der oben erwähnten und jedem denkenden Arbeiter bekannten Greuel, bis die Arbeiterschaft selber Hand ans Werk legen wird. [] Zu den am schwersten unter der Heimarbeit Leidenden gehören die Schneider und verwandten Berufe; deren Organisation hat daher dem Bundesrate und dem Reichstage eine Denkschrift überreicht, in der die Nachtheile der Heimarbeit eingehend dargestellt werden und die gesetzlichen Maßnahmen in Vorschlag gebracht sind, durch welche die schlimmsten Schäden beseitigt werden sollen. [] Ferner ist von den Schneidern in einer großen Zahl von Versammlungen eine Petition angenommen, die an den Reichstag gesandt ist. In der Petition wird gesagt, daß das Deutsche Reich in Hinsicht auf den Schutz der Konfektionsarbeiter und -Arbeiterinnen hinter einer ganzen Reihe anderer Staaten zurückgeblieben ist. Ferner heißt es in der Petition: [] "Seit 1887 sind bei den Konfektionsarbeitern Hoffnungen erweckt worden, ihre Lage zu verbessern. Aber es geschah nichts! Es brach der große Konfektionsarbeiterstreik aus. Fast alle Parteien des Reichstages machten Zusagen, daß nun endlich das so lange Versäumte rasch nachgeholt werden sollte. Aehnlich waren die Erwartungen, die durch die Reden vom Bundesrathstische erregt wurden." [] Die Bundesrathsverordnung vom 30. Juni 1897 hat an den Zuständen nichts geändert. [] In den gestellten Forderungen wird neben Bestimmungen, welche auch für die Heimarbeit in anderen Berufen Geltung haben müssen, ferner verlangt, daß die auf Rechnung des Reiches, des Staates und der Gemeindebehörden anzufertigenden Schneiderarbeiten in Werkstätten herzustellen sind und den dabei Beschäftigten menschenwürdige Entlohnung zu Theil werde. [] Daß derartige Forderungen immer wieder gestellt werden müssen, ist der sicherste Beweis dafür, wie weit entfernt unsere Behörden noch davon sind, die Hand zu rühren, um den Schäden der Heimarbeit vorzubeugen. Auch in einer ganzen Anzahl anderer Berufe sind die gleichen Gesuche an die Militärverwaltungen und andere Behörden gerichtet worden, jedoch gleichfalls mit negativem Erfolge. [] Es wird eine Besserung erst dann eintreten, wenn die gesammte Arbeiterschaft sich aufrafft und mit ganzer Kraft den am meisten unter der Heimarbeit leidenden Arbeitsgenossen zur Hülfe kommt, den Stein, welcher die Bahn zur freien Entwickelung hemmt, fortzurollen. Was dem Einzelnen nicht gelingt, muß der vereinten Kraft gelingen. [] Die Frau wird von den Gefahren und Qualen, welche die Heimarbeit mit sich bringt, auf's Schwerste betroffen als erwerbstätige Arbeiterin, als Hausfrau und Mutter, wie auch als Konsumentin. Deshalb hat auch eine Anzahl von in Gewerkschaften thätigen Frauen in Berlin eine Petition um Erlaß gesetzlicher Vorschriften für die Heimarbeit an den Reichstag gerichtet. [] In der Petition wird ausgeführt, daß die schädliche Wirkung der Heimarbeit sich fast in allen Berufen geltend macht und deswegen auch allgemeine Bestimmungen zu erlassen sind, die für einzelne Zweige der Heimarbeit durch Sondervorschriften ergänzt werden müssen. [] Als gesetzlich festzulegende Bestimmungen werden in Vorschlag gebracht: [] 1. Ausdehnung der Arbeiterschutzgesetze auf die gesammten Heimarbeiter. [] 2. Verbot der Arbeit schulpflichtiger Kinder und Arbeit der Kinder vor dem schulpflichtigen Alter in der Heimarbeit. [] 3. Unterstellung der gesammten Heimarbeit unter die Kontrole durch Gewerbe-Inspektorinnen. [] 4. Erlaß strenger Vorschriften über die Einrichtung der Arbeitsstätten in der Heimarbeit. [] 5. Verpflichtung der Arbeitgeber und der sogenannten Zwischenmeister, eine genaue Liste der von ihnen beschäftigten Personen mit Wohnungsangabe zu führen und diese jederzeit den Beamten der Gewerbe-Inspektion zur Ein sichtvorzulegen [!]. [] 6. Verbot der Heimarbeit an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen und der Nachtarbeit in der Zeit zwischen Abends 8 und Morgens 6 Uhr. [] 7. Verbot der Heimarbeit in Häusern und Arbeitsstätten, in denen eine ansteckende Krankheit ausgebrochen ist. [] 8. Unterstellung der Heimarbeiter unter die gewerblichen Schiedsgerichte bei Streitigkeiten zwischen ihnen und den Arbeitgebern resp. Zwischenmeistern, die aus dem Arbeitsverhältniß entsprungen sind. [] 9. Erlaß von Schutzbestimmungen und Spezialvorschriften nach der Natur der einzelnen Zweige der Heimarbeit. [] 10. Androhung strenger Strafen für Uebertretung der gesetzlichen Vorschriften, für deren Einhaltung Arbeitgeber und Zwischenmeister in erster Linie verantwortlich sind. [] Mit diesen Bestimmungen dürfte in allen Berufen den schlimmsten Wirkungen der Heimarbeit vorgebeugt werden. [] Die gesammte organisirte Arbeiterschaft aber muß darum kämpfen, daß diese vorbeugenden Maßnahmen bald getroffen werden. [] Wollt Ihr nun, organisirte Arbeiter, nicht träge bei Seite stehen und den Schaden sich immer weiter hineinfressen lassen in Euer eigenes lebendiges Fleisch, so tretet mit ein in den Kampf gegen die Heimarbeit, wie sie jetzt ist. Denkt nicht, es ist doch ganz schön, wenn die Frau im Hause alles Nöthige verrichtet und daneben noch manches schöne Stück Geld verdient. Mit solcher Berechnung werdet Ihr Euch den größten Schaden zufügen, und früher oder später wird Eure Engherzigkeit auf dem Gebiete sich an Euch selber schwer rächen. [] Es ist also nöthig, daß jeder organisirte Arbeiter dahin strebe, auch die Heimarbeiter in seinem Berufe (oder dem seiner Frau und seiner Kinder) einer gewerkschaftlichen, auf dem Boden des modernen Arbeitskampfes stehenden Organisation zuzuführen und ferner Material zu sammeln, das geeignet ist, die herrschenden Mißstände auf dem betreffenden Gebiete in das ihnen gebührende Licht zu rücken, sie allen Augen sichtbar zu machen. Besprechung dieser Angelegenheit seitens der Einzelnen an ihren Arbeitsplätzen wie der Gewerkschaften in Versammlungen und Fachblättern dürften geeignete Mittel sein, die Arbeiterschaft auch in diesem Theile des ihr obliegenden Kampfes zu fördern, dem Siege zuzuführen. [] Oft ist bewiesen worden, daß durch die Einigkeit der Arbeiter Großes errungen werden kann, zeigen wir uns auch in diesem Kampfe einig, so wird der Erfolg nicht ausbleiben. [] Verlag: C. Legien in Hamburg 6. [] Druck: Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co. in Hamburg.
Published:30.06.1897