Flugschriften der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. Nr. 4. . Ein Angriff auf das Koalitionsrecht in Sicht
Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Flugschriften [] der [] Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands [] Nr. 4 [] Ein Angriff auf das Koalitionsrecht in Sicht [] Der wahre Geschichtsschreiber wird einst einen größeren Werth legen auf die Gründung des kleinsten Arbeiterve...
Main Authors: | , |
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Institution: | Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) |
Format: | IMAGE |
Language: | German |
Published: |
11.12.1897
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Subjects: | |
Online Access: | http://hdl.handle.net/11088/669B3ED9-561F-449F-B796-B5E443A78AB0 |
_version_ | 1771405060554620928 |
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author | Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co., Hamburg / C. Legien, Hamburg |
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collection | AdsD leaflets |
dateSpan | 11.12.1897 |
description | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals
Flugschriften [] der [] Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands [] Nr. 4 [] Ein Angriff auf das Koalitionsrecht in Sicht [] Der wahre Geschichtsschreiber wird einst einen größeren Werth legen auf die Gründung des kleinsten Arbeitervereins, als auf die Schlacht bei Sadowa. Dr. Jakoby. [] Die Kulturhöhe, die geistige Entwickelung eines Volkes wird bestimmt durch die Lebenshaltung der unteren Volksschichten. Man kann eine Nation, in der wenige Personen ein angenehmes Dasein führen, während die Arbeiterklasse, der eigentlich gesellschaftserhaltende Theil, schlecht genährt ist, sich schlecht kleidet, in erbärmlichen Wohnungen haust, nicht die Mittel hat und bei langer Arbeitszeit auch nicht die Zeit findet, sich geistig bilden zu können - man kann eins solche Nation nicht als ein Kulturvolk bezeichnen. [] Die Lebenshaltung der Arbeiterschaft wird nicht durch das Eintreten gutgesinnter Leute der höheren Gesellschaftsschichten gebessert, sondern diese Besserung kann nur herbeigeführt werden, wenn die Arbeiterklasse geschlossen für eine günstigere Gestaltung der Arbeitsbedingungen eintritt. Die Arbeiterschaft bedarf deswegen unter allen Umständen des Koalitionsrechtes, des Rechtes, sich zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen zu vereinigen. [] Ein jeder Staat, in welchem die wirthschaftliche Entwickelung aus den ersten Anfängen heraus ist, hat, dem Zwang gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, den Arbeitern dieses Koalitionsrecht gewährt. Auch in Deutschland ist dieses Recht - allerdings mehr auf dem Papier, als in Wirklichkeit - vorhanden, der § 152 der Gewerbeordnung giebt den industriellen Arbeitern Deutschlands scheinbar volle Koalitionsfreiheit. Dieser lautet: [] "Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehülfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Verewigungen zum Berufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben. Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus Letzeren weder Klage noch Einrede statt." [] Ausgeschlossen von dem Rechte, Organisationen zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen zu gründen, sind die 5 715 967 landwirtschaftlichen Arbeiter und Arbeiterinnen, sowie in einzelnen Bundesstaaten auch die Schiffsknechte, das sogenannte "Gesinde" und die Dienstleute. Die Hälfte der deutschen Arbeiterklasse besitzt also kein Koalitionsrecht. Der industriellen Arbeiterschaft wird das Koalitionsrecht dadurch beschränkt, daß die auf Grund des § 152 der Gewerbeordnung gegründeten Organisationen den fast allgemein reaktionären Bestimmungen der bundesstaatlichen Vereinsgesetze miterliegen. Durch eine eigenartige Gesetzesauslegung sind die Gewerkschaften zu Vereinen gestempelt, welche öffentliche Angelegenheiten erörtern, und haben sie infolgedessen Statut und Mitgliederverzeichniß bei der Ortspolizeibehörde einzureichen. Bei dem gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen Behörden und Unternehmern, besonders in kleineren Orten, ist diese Einreichung des Mitgliederverzeichnisses oft für viele Arbeiter verhängnißvoll geworden, weil sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur Organisation gemaßregelt wurden, ehe die letztere stark genug war, sie dagegen schützen zu können. [] Verschiedene Vereinsgesetze in den deutschen Bundesstaaten verbieten aber des Weiteren politischen Vereinen, Frauen als Mitglieder aufzunehmen oder mit anderen Vereinen in Verbindung zu treten. Es kann auf diese Weise für die Frauen leicht das Koalitionsrecht beseitigt und ihre Arbeitskraft darauf nach Belieben ausgebeutet werden. Denn bei der heutigen Entwickelung des Volkslebens ist es unmöglich, den Begriff Politik bestimmt abgrenzen zu können. Die eigenartigsten Erkenntnisse sind über diesen Begriff von deutschen Gerichtshöfen schon gefällt. Die Bestimmungen des Vereinsgesetzes und die nur zu oft sich widersprechenden Entscheide der Gerichtshöfe haben für die Organisation der Arbeiter einen Instand geschaffen, bei welchem ihre Existenz in der Hand und in dem Belieben der Polizeibehörde liegt. Das ist ein Zustand, der eines Kulturvolkes unwürdig ist. [] Es ist bringend erforderlich, daß bei Arbeiterschaft das Koalitionsrecht nicht nur auf dem Papier verliehen bleibt, sondern daß alle entgegenstehenden Bestimmungen beseitigt werden. Professor Sohm sagt in der Zeitschrift "Cosmopolit": "Der einzelne Arbeiter ist dem Arbeitgeber gegenüber ohnmächtig. Zu einer ebenbürtigen Macht im wirthschaftlichen Kampf um's Dasein, insbesondere in dem Kampf um die Bedingungen des Arbsitsvertrags (Arbeitslohn, Arbeitszeit) wird "der Stand der Arbeiter" nur gelangen, wenn er sich organisirt." [] Darum hinweg mit allen Bestimmungen, welche die Organisationsarbeit beschränken! [] Sind durch die Gesetzesbestimmungen und ihre unrichtige Anwendung die gewerkschaftlichen Organisationen in ihrer Entwicklung künstlich gehemmt, so treffen den einzelnen Arbeiter, der sich an einer Arbeitseinstellung betheiligt, bei unbedachten Aeußerungen gegenüber den Streikbrechern noch harte Strafen. Dem deutschen Unternehmertum haben noch bei jedem Streik Arbeitskräfte aus den Gegenden, in welchen die Arbeiterschaft kulturell zurückgeblieben ist, Arbeitswillige, sogenannte "Streikbrecher", zur Verfügung gestanden. Und gelang es nicht, aus dem eigenen Lande solche Leute zu erhalten, so hat unser Unternehmerthum, obgleich es stets sich mit seinem Patriotismus brüstet, sich nicht gescheut, Streikbrecher aus dem Auslande zu holen. [] Dann muß der deutsche Arbeiter sehen, wie die Arbeitsstelle, der Platz, an dem er vielleicht Jahrzehnte lang seine Kraft, seine Gesundheit im Dienste des Unternehmers verbraucht und geopfert hat, von Leuten besetzt wird, welche bedürfnißlos und darum kulturfeindlich find. Es sind nicht die besten Elemente, welche bei einem Streik sich bereit finden, ihren Arbeitsbrüdern in den Rücken zu fallen, sie zu hindern, höheren Lohn und kürzere Arbeitszeit zu erreichen. [] Ein Richter in London urtheilte über einen Streikbrecher folgend: [] "Für die Gewerkschaftsmitglieder ist ein Streikbrecher für seine Klasse das, was ein Verräther für sein Land ist, und obgleich Beide in beschwerlichen Zeiten nützlich sein mögen für die eine Partei, so sind sie doch verachtet von Allen, sobald der Friede zurückkehrt. Der Streikbrecher ist der Letzte, der einem Anderen Hülfe giebt, aber der Erste, der Hülfe verlangt, doch arbeitet er niemals gesichert. Er nimmt nur auf sich Rücksicht, aber er steht nicht über den nächsten Tag hinaus, jedoch für Geld und würdelose Zubilligung wird er seine Freunde verrathen, seine Familie und sein Land. Mit einem Wort, er ist ein Verräther in kleinem Maßstabe, der erst seine Kollegen verkauft und nachher wird er von seinem Arbeitgeber verkauft, bis er zuletzt verachtet und verabscheut ist von beiden Parteien; er ist ein Feind seiner selbst, der Gegenwart und der kommenden Gesellschaft." [] In Deutschland wird dagegen von dem Unternehmerthum und seinen Verbündeten ein Streik als ein Verbrechen und ein Streikbrecher als ein Wohlthäter der Gesellschaft angesehen. Zwar hat auch das Reichsversicherungsamt in einem Erkenntniß eine vernünftige Veurtheilung der Streiks gebracht, die folgend lautet: [] "Die Streikenden kommen so zu der Auffassung, daß Diejenigen, die weiter arbeiteten, die gemeinsame Sache schädigen. Erfahrungsgemäß werde hierdurch eine große Erbitterung der Streikenden hervorgerufen, die noch gesteigert wird durch die Entbehrung, welche sich die Ausständigen um ihrer Sache willen auferlegen." [] Das Reichsversicherungsamt folgerte allerdings aus dieser Darstellung, daß den Streikbrechern möglichst viel Schutz zu gewähren sei. Und dieser ist in ausreichendem Maße vorhanden. Wehe dem Streikenden, der sich einer unbedachten Handlung oder Aeußerung gegenüber einem Streikbrecher schuldig macht! Der § 153 der G.-O. schwebt drohend über seinem Haupte. Dieser lautet: [] "Wer Andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§ 152) teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetzbuch nicht eine härtere Strafe eintritt." [] Die deutschen Gerichte haben nur zu oft auf härtere Strafen erkannt und nicht gering ist die Zahl Derjenigen, welche wegen Streikvergehen mit den härtesten Strafen belegt sind. Nach den Berichten, welche über Gerichtsverhandlungen wegen Streikvergehen im Jahre 1897 in die Presse kamen, ist folgende Strafliste zusammengestellt: [] [...Tabelle...] [] Im Jahre 1897 sind also wegen Vergehen gegen Streikbrecher insgesammt 262 Streikende mit zusammen 48 Jahren, 8 Monaten, 3 Wochen und G Tagen Gefängniß, 12 Wochen Haft und Mk. 783 Geldstrafe bestraft worden. [] Aus dem umfangreichen Material seien einige Fälle näher geschildert und dürfte daran zur Genüge erwiesen werden, daß Behörden und Gerichte den Streikbrechern mehr als ausreichenden Schutz gewähren. [] Der Vorsitzende der Zahlstelle des Deutschen Holzarbeiterverbandes in Upenrade wurde wegen ,.Verrufserklärung" zu 4 Wochen Gefängniß verurtheilt. Er hatte in der Mitgliederversammlung des Verbandes bekannt gegeben, daß über die Tischlerwerkstatt von G. die Sperre verhängt sei. [] Ein Maurer in Berlin sagte zu einem Streikbrecher, der sich anfangs den Streikenden angeschlossen hatte, er wäre ein "Lump, Schuft und 55 Pfennig-Maurer". Dafür wurde er mit 2 Monaten Gefängniß bestraft. Der Staatsanwalt hatte 3 Monate Gefängniß beantragt. [] In Gera erhielt ein Arbeiter drei Tage Gefängniß, weil er angeblich auf dem Bahnhofsperron Arbeitswillige beschimpft, haben sollte. Dem Gericht kamen zwar Zweifel, ob ein Vergehen gegen § 153 der Gewerbeordnung vorliegt, es schloß sich aber der Ansicht des Staatsanwaltes an, der meinte, daß mit Hülfe des dolus evventualis (d. h. der Angeklagte mußte wissen, daß der Andere seine Worte als ein Zwangsmittel für den Streik auffassen konnte) doch ein Verstoß gegen den genannten Paragraphen vorliege. [] Die Gegner der Koalitionsfreiheit der Arbeiter versuchen an den Vorkommnissen bei dem Hafenarbeiter- und Seeleutestreik in Hamburg-Altona den Nachweis zu führen, daß eine Verschärfung des § 153 der G.-O. nothwendig sei. Im Verhältniß zu der Zahl der Streikenden und der Dauer des Streiks, unter Berücksichtigung der Maßnahmen der Behörden (Absperrung des Hafengebietes, Verbot der Sammlungen für die Streikenden, Transport der Streikbrecher unter Beihülfe der Polizeibeamten usw.) und dem oft gewaltthätigen und rigorosen Auftreten der Streikbrecher ist die Zahl der Konflikte mit den Gesetzen infolge des Streiks äußerst gering. Professor Tönnies berechnet die Zahl der wegen Streikvergehen Bestraften auf genau 100 Personen. Da die Gegner der Arbeiterschaft behaupten, es wären nicht alle Missethäter zur Bestrafung herangezogen, so will er noch weitere 60 Personen hinzunehmen, die Strafthaten begangen haben könnten. Von den 16 000 Streikenden hätten sich also ganze 160 oder ein Prozent Strafthaten gegenüber den Streikbrechern zu Schulden kommen lassen. Was will dies besagen in der Zeit eines die ganze Bevölkerung in Aufregung versetzenden Kampfes und bei der im Kampfe mit den Elementen hart gewordenen, den verschiedensten Nationalitäten angehörenden Hafenarbeiterschaft? Diese Arbeiter sind auch im freundschaftlichen Verkehr nicht an einen Salonton gewöhnt und manche Aeußerung, die anderen Berufen angehörenden Menschen hart klingt, gilt der seemännischen Bevölkerung nicht beleidigend. Auch hier seien einige Fälle deutscher Rechtsprechung gegenüber den Arbeitern, die von dem Koalitionsrecht Gebrauch machen, angeführt. [] Am Venloer Bahnhof kam ein Trupp Streikbrecher an, die unter Begleitung von Schutzleuten in Wagen forttransportirt werden sollten. Bei diesem Schauspiel entstand ein Auflauf und einige Streikende liefen hinter den Wagen her. Einer derselben wurde angeklagt, und obgleich ein Zeuge nachwies, daß er dem Wagen nicht gefolgt ist, zu sieben Monaten Gefängniß verurtheilt. Der Hafenarbeiter K. sollte zwei Arbeitswillige bedroht baben und erhielt vier Monate Gefängniß. Der Quaiarbeiter K. suchte die Frau eines Kollegen in ihrer Wohnung zu bewegen, ihren Mann, der als Streitbrecher am Staatsquai arbeitete, zur Niederlegung der Arbeit zu veranlassen. Da er ihrer Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, nicht sofort Folge leistete, erhielt er auf erfolgte Anzeige 6 Wochen Gefängniß. [] Der Kohlenarbeiter D. hatte in einer Versammlung bekannt gegeben, daß ein Grünwaarenhändler als Streikbrecher arbeite und hinzugesetzt, "die Frauen wüßten nun ja, was sie zu thun hätten". Er erhielt wegen Verrufserklärung 1 Monat Gefängniß. Der Kohlenarbeiter M. soll von ener Brücke herab die unten in einer Schute arbeitenden Streikbrecher beschimpft und bedroht haben. Dafür erhielt er 2 Monate Gefängniß. Wegen der Bezeichnung eines Arbeitswilligen mit "Streikbrecher" und ,Schweinhund" erhielt der Arbeiter M. 4 Wochen Gefängniß. [] Der Hafenarbeiter B. machte einem während des Streiks arbeitenden Verwandten Vorhaltungen und soll dabei die Schimpfworte "Lumpenspinner" und "Heidelberger" gebraucht haben. Dafür erhielt er zwei Monate Gefängniß. Der Arbeiter P. sprach einen Streikbrecher an und suchte ihn, ohne ihn zu beleidigen, zur Arbeitsniederlegung zu bewegen. Ein Polizeibeamter, der hinzukam, fragte den Arbeitswilligen, ob er sich durch die Anrede belästigt fühle, und als dieser bejahend antwortete, wurde P. verhaftet und erhielt auf das Zeugniß des Polizeibeamten hin 3 Wochen Gefängniß. Der Quaiarbeiter L. hat zwei Streikenden gegenüber gesagt: "Ich stehe morgen Posten und werde sehen, wenn Ihr zur Arbeit geht. Ihr solltet Euch schämen, daß Ihr arbeitet, wo an die 20 000 Männer mit ihren Familien auf der Straße liegen." Der Amtsanwalt sah darin eine Drohung und beantragte, den Angeklagten mit 2 Monaten Gefängniß zu bestrafen. Das Gericht erkannte auf 14 Tage Gefängniß. Der Steinsetzer B. drohte einem Arbeitswilligen, der gleichzeitig ein Brotgeschäft betrieb, mit Boykottirung seines Geschäftes, wenn er die Arbeit nicht einstelle. Dafür wurde er zu 2 Monaten Gefängniß verurtheilt. [] Der Kohlenarbeiter N. hat zwei Arbeitern, die etwa 50 Meter von ihm entfernt in einer Schute arbeiteten, zugerufen: "Müllt ji Des vun't Water! Sunst teuwt man een Oogenblick." Der Angeklagte bestreitet diese Aeußerung, er will nur gesagt haben, ob die beiden Arbeiter nicht wüßten, daß im Hamburger Hafen gestreikt werde. Die Arbeiter seien so weit entfernt gewesen, daß sie es gar nicht hätten hören können. Der Amtsanwalt beantragte 8 Wochen Gefängniß. Das Gericht erkannte auf 4 Wochen Gefängniß und begründete sein Urtheil damit, daß eine empfindliche Strafe am Platze sei, weil der Ausstand einen so großen Umfang angenommen habe. Bei kleineren Streiks könnte wohl auf eine geringere Strafe erkannt werden. [] Welche Bewandtniß es oft mit der Bedrohung der Arbeitswilligen durch Streikende hatte, wurde bei einer Gerichtsverhandlung wegen Vergehen gegen § 153 der Gewerbe-Ordnung drastisch dargestellt. Es heißt in dem Bericht über die Verhandlung: [] "Der als Zeuge geladene "bedrohte Gwerführer" gab auf Befragen an, er sei von den Angeklagten garnicht bedroht worden und habe das dem Polizeioffizianten, der die Anzeige erstattet habe, auch garnicht gesagt. Auf die Frage des Vorsitzenden: Ja, wer hat Sie denn bedroht? antwortete der "bedrohte Gwerführer": "Der ist hier nicht im Saal, sondern der steht draußen auf dem Korridor." Vorsitzender: "Dann gehen Sie mit dem Gerichtsdiener hinaus und holen Sie den Herrn herein." - Der Zeuge geht hinaus, kommt nach einigen Augenblicken wieder herein und - führt den Hafenpolizei-Offizianten Rover am Arme, indem er sagt, der habe ihn bedroht! - Amtsanwalt und Gericht schlagen eine laute Lache auf. Ein weiterer "Belastungszeuge" bekundet, er habe von einer "Bedrohung" des Gwerführers nichts bemerkt; er habe nur angenommen, daß er bedroht sei, weil ihm die Polizei zu Hülfe gekommen sei. Der Amtsanwalt beantragt trotz alledem gegen beide Angeklagten 6 Wochen Gefängniß. Das Gericht spricht den Arbeiter frei, Verurtheilt aber den Gwerführer, der seinen Kollegen "bedroht haben soll", obgleich dieser davon nichts weiß, zu 6 Wochen Gefängniß! - Die "Bedrohung" wurde darin gefunden, daß er zu seinem Kollegen gesagt hat: "Er solle doch nicht weiter arbeiten, denn sonst werde er als Streikbrecher betrachtet und Niemand wolle mehr mit ihm arbeiten!" [] Noch eine andere, neue Art der Strafverfolgungen wegen Vergehen gegen § 153 der Gewerbeordnung wurde bei dem Streik der Hafenarbeiter durch die Hamburger Gerichte geschaffen. Es wurden Leute, welche mit den Streikbrechern garnicht in Berührung gekommen waren, deswegen mit Gefängniß bestraft, weil sie in Versammlungen ihrer Organisation bekannt gaben, daß Verbandsmitglieder zu Streikbrechern geworden seien, oder den Antrag auf Ausschluß solcher stellten. Wegen solcher "Vergehen" wurden bestraft: Der Arbeiter S., der im Verband der Fabrikarbeiter den Ausschluß eines Streikbrechers beantragte, mit zwei Tagen Gefängniß. [] Der Redakteur des "Bruder Schmied" wegen Bekanntgabe, daß ein Streikbrecher aus dem Verbände ausgeschlossen sei, mit einer Woche Gefängniß. [] Der Vorsitzende des Vereins der Zivilberufsmusiker, weil er die Namen von fünf Vereinsmitgliedern, die zu Streikbrechern geworden waren, in der Versammlung bekannt gab und deren Ausschluß beantragte, mit 2 Wochen Gefängniß. [] Der Arbeiter K. mit 5 Tagen Gefängniß, weil er in einer Versammlung der Staatsquaiarbeiter die Namen mehrerer Arbeitswilliger bekannt gegeben hatte. Der Hafenarbeiter L. wegen der gleichen Handlung in einer Versammlung der Schauerleute, mit 5 Tagen Gefängniß. Der Bevollmächtigte des Verbandes der Schuhmacher mit 2 Tagen Gefängniß, weil er in einer Versammlung des Vereins erklärte: "Mir ist gesagt, daß das Mitglied Reimers Streikbrecher geworden sei." Der Redakteur des "Hamburger Echo" wegen Veröffentlichung zweier Versammlungsberichte, in welchen die Namen von Streikbrechern standen, mit 16 Tagen Gefängniß. [] Die Gerichte in Leipzig haben besonders während des Maurerstreiks in Bezug auf drakonische Erkenntnisse denen von Hamburg durchaus nicht nachgestanden. Der 54 Jahre alte Maurer T. sagte zu zwei italienischen Maurern, die von zwei Bauunternehmern zur Arbeit geführt wurden: "Was, Ihr wollt hier arbeiten? Wißt Ihr denn nicht, daß wir streiken? Untersteht Euch das nicht, sonst sollt Ihr sehen, was passirt!" Obgleich die Italiener diese Aeußeruna nicht verstanden, ließen die Unternehmer den Maurer T. doch verhaften. "Bei der Gemeingefährlichkeit seiner Handlungsweise" verurtheilte ihn das Schöffengericht zu einer Woche Gefängniß. [] Der Maurer K. erhielt l. Monat Gefängniß. Er hatte zwei Streikbrechern ein Flugblatt gegeben, betitelt: "An die zu den alten Bedingungen arbeitenden Maurer", und dazu gesagt: "Lest Euch das gut durch, wenn Ihr das nicht befolgt und weiter arbeitet, dann kommt Ihr nicht ganzbeinig aus Leipzig heraus." - Der Maurer W., der in Gemeinschaft mit Kollegen zwei arbeitswillige Maurer, die von dem Polier B. nach Leipzig geholt worden waren, in der Nacht zum 12. Juli in der Nähe von Leipzig verhauen hatte, erhielt 1 Jahr 3 Monate Gefängniß. Der Staatsanwalt hatte 4 Jahre Gefängniß beantragt. - 1 Monat und 3 Tage Gefängniß erhielt der Maurer F., weil er die Sachen eines unverheiratheten arbeitenden Kollegen aus der Baubude hinauswarf mit den Worten: "Warte, Slowake, mach, daß Du hinaus kommst!" Auch soll F. vorher gesagt haben: "Kein Stückchen Zeug behältst Du ganz!" Der Maurer Fr., der in derselben Angelegenheit sagte: "Du bist dümmer, wie die Stockböhmen, die lassen sich bestimmen und reisen ab", wurde zu 1 Woche Gefängniß verurtheilt. [] Bei Beurtheilung dieser Strafthaten ist besonders zu berücksichtigen, daß die Leipziger Behörden Alles gethan haben, den streikenden Maurern die Ausübung ihres Koalitionsrechtes zu erschweren. Es war eine besondere Polizeiverordnung gegen die Streikenden erlassen, die ihnen das Stehen auf den Straßen verbot. Das Streikcomité der Maurer wurde verhaftet und längere Zeit in Haft behalten. Die Bahnhöfe waren von Polizeibeamten in Zivil förmlich belagert. [] In Liegnitz hatte das Streikcomité der Maurer vier Zugereisten das Geld zur Rückreise gegeben, doch nahmen dieselben die Arbeit auf. Ein streikender Maurer rief den Arbeitenden zu: "Ihr wollt Kollegen sein. Ihr seid schöne Kerle, schämt Euch!" Für diese Aeußerung wurde er mit drei Tagen Gefängniß bestraft. [] Die Gerichte in Lübeck haben in der Bestrafung von Streikvergehen diejenigen in Hamburg und Leipzig fast noch übertroffen. Der Invalide M. zerriß zwei Arbeitern die Arbeitsscheine und erhielt dafür 9 Monate Gefängniß, obgleich durch Physikatsgutachten festgestellt wurde, daß er zeitweilig an den Folgen des Unfalles, der ihn zum Invaliden machte, schwer leidet. - Der Arbeiter A. erhielt wegen angeblicher Bedrohung und Beschimpfung eines Müllergesellen, der in der Fabrik von Thiel, in der gestreikt wurde, Arbeit nehmen wollte, 6 Monate Gefängniß. - Der Schmied F. erhielt wegen Beleidigung von Streikbrechern 3 Monate Gefängniß. - Für das gleiche Vergehen erhielt der Arbeiter N. 6 Wochen Gefängniß. - Der Arbeiter Sch, gab einem Streikbrecher einen Stoß in den Nacken, wofür er 10 Wochen Gefängniß erhielt. - Der Tischler W. hat in einer Wirthschaft einem während des Streiks bei Thiel arbeitenden Klempner ein paar Ohrfeigen gegeben und wurde dafür mit 6 Monaten Gefängniß bestraft. - Sieben Arbeiter von Thiel, welche 2-9 Jahre in der Fabrik gearbeitet hatten, mußten sehen, wie die Streikbrecher ihre Arbeitsstellen besetzten. Sie geriethen mit den Arbeitswilligen in Schlägereien und erhielten wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung und des Versuches der Nöthigung folgende Strafen: W. 3 Jahre, K. 2 Jahre 6 Monate, W. 2 Jahre, St., A., P. und Sch. je l Jahr 6 Monate Gefängniß. - Während des Tischlerstreiks haben vier Tischler einen arbeitswilligen Kollegen "Lump", "Ruppsack" usw. titulirt. Dafür erhielten sie: B. 10 Wochen, R. 6 Wochen, Bl. und Ri. je 1 Monat Gefängniß. [] In Magdeburg wurden der Verfasser und Drucker eines Flugblattes, das an die Anschlagsäulen geklebt und in welchem dem Publikum Aufklärung über den Tischlerstreik gegeben wurde, zu je 2 Wochen Gefängniß verurtheilt. Das Urtheil wurde folgendermaßen begründet: Der Passus: "Bis jetzt ist es den Unternehmern nicht gelungen, auswärtige Arbeitskräfte heranzuziehen; daß es auch in Zukunft nicht geschieht, daß wird unsere Sorge sein!" habe nur den Zweck gehabt, die Arbeitgeber willig zu machen und sie zu bestimmen, sich den aufgestellten Forderungen der Arbeiter unterzuordnen. In den Worten, den Zuzug fremder Gesellen zu verhüten, liege eine Drohung, und es sei daher der Thatbeftand des § 153 der G.-O. gegeben. [] In Mannheim hatten die Zimmerer Sp. und I. zwei während des Streiks arbeitende Zimmerleute durch drohende Zurufe zur Niederlegung der Arbeit zu bewegen gesucht. Der Staatsanwalt betonte, "diesem Terrorismus gegenüber müsse die ganze Strenge des Gesetzes walten", und erhielt Sp. 2 Monate, I. 3 Wochen Gefängniß. [] In Pegau i. S. wurde eine 17 Jahre alte Arbeiterin, die mehrere während des Streiks zugereiste und in Arbeit getretene Arbeiter mit dem Worte Streikbrecher bezeichnet hatte, mit 25 Mark Geldstrafe event. 5 Tagen Gefängniß bestraft. [] In Penig erhielt der Textilarbeiter B. wegen Bedrohung 1 Monat Gefängniß. Er soll zu einem Arbeitswilligen gesagt haben, wenn er während des Streiks in Arbeit trete, würde sein Name in der "Volksstimme" veröffentlicht, auch würden die Streikenden die Arbeit nicht eher aufnehmen, als bis die Streikbrecher entlassen seien. [] In Pillnitz wurde ein Tischler, der einen als Tischler arbeitenden Musiker bedroht haben soll, zu 1 Monat Gefängniß verurtheilt. [] In Rostock haben zwei Tischler einen Kollegen, der erst Streikunterstützung annahm und dann zur Arbeit zurückkehrte, beleidigt. Dafür erhielten sie zwei Monate bezw. drei Wochen Gefängniß. Während des gleichen Streiks erhielten mehrere Streikende Strafmandate, weil sie auf der Straße Arbeitswillige fixirten. [] In Spandau gab ein Maurer einem Kollegen, der eine Lohnforderung nicht mitunterschreiben wollte, eine Ohrfeige. Dafür erhielt er drei Monate Gefängniß. - Der Maurer G. sagte zu den während des Streiks an einem Bau arbeitenden Maurern: "Guten Abend, seid Ihr Kollegen, seid Ihr Maurer?" Dafür erhielt er zwei Wochen Haft. In der Begründung des Urtheils ist gesagt: Der Gerichtshof habe in dem Verhalten des Angeklagten an dem betreffenden Tage das tadelnswerthe Verhalten eines Aufwieglers erblickt; es sei ein grober Unfug, wenn andere, ehrliche (!) Arbeiter belästigt würden. [] In Wiesbaden sagte ein Maurer zu einem anderen Arbeiter, er solle sich schämen, zur Arbeit zu gehen. Dafür erhielt er 1 Woche Gefängniß. Der Staatsanwalt hatte 1 Monat Gefängniß beantragt. - Ein anderer Maurer hat am Bahnhofe in Mosbach einen jungen Gesellen am Ohr gefaßt mit der höhnischen Bemerkung: "Geh' ham, Du hast nochnit ausaeschlofe! " Auch für dieses "Verbrechen" beantragte der Staatsanwalt 1 Monat, doch erkannte der Gerichtshof auf 1 Woche Gefängniß. [] Man sollte meinen, diese Blüthenlese aus der Strafliste liefert deutlich den Beweis, daß eine Verschärfung der Strafbestimmungen für Streikvergehen nicht erforderlich ist. Dem deutschen Unternehmerthum aber genügen diese drakonischen Urtheile nicht, es schreit nach härteren Strafbestimmungen gegenüber dem angeblichen Terrorismus streikender Arbeiter. [] Jeder anständige Arbeiter wird die Rohheiten, die gegen Streikbrecher ausgeübt werden, auf das Schärfste verurtheilen. Aber nicht durch härtere Strafbestimmungen, sondern durch Erweiterung des Koalitisnsrechtes können diese Rohheiten beseitigt werden. Arbeiter, welche Jahre lang durch die Schule der Organisation gegangen sind, werden sich Ausschreitungen gegen Streikbrecher nicht zu Schulden kommen lassen, sondern in den Arbeitswilligen Menschen sehen, die aus Unverstand, aber selten aus Böswilligkeit ihren Arbeitsbrüdern schaden. [] Aber ist nicht auch dem Streikenden gegenüber, der ein Unrecht begeht, Nachsicht und Milde am Platze? Er handelt nicht aus gemeinen Motiven, sondern glaubt recht zu thun. Deswegen darf sein Vergehen nicht härter beurtheilt werden, als die gleichartigen, welche aus unlauteren Motiven begangen werden. Die harten Urtheile des letzten Jahres sollten alle edel-denkenden Menschen veranlassen, für eine Strafmilderung bei Streikvergehen einzutreten. Trotzdem scheint die deutsche Reichsregierung Neigung zu haben, eine Verschärfung des § 153 der G.-O. eintreten zu lassen, wie folgendes Rundschreiben zeigt: [] Vertraulich! []Der Reichskanzler. Berlin, den 11. Dezember 1897. [] (Reichsamt des Innern.) [] II. 2916. [] In letzter Zeit ist in der Tagespresse und Fachliteratur wie in Vereinsversammlungen die Frage lebhaft erörtert worden, ob nicht angesichts der durch die Arbeiterbewegung der letzten Jahre gelieferten Erfahrungen von der Gesetzgebung ein erhöhter Schutz gegen Mißbrauch der durch § 152 der G.-O. gewährleisteten Koalitionsfreiheit zu verlangen sei. [] Dabei sind mehrfach Bestimmungen für erforderlich erklärt worden, wie sie seitens der verbündeten Regierungen im Jahre 1890 in dem Entwürfe der Gewerbeordnungsnovelle (Reichstagsdrucksache 1890, Nr. 4) zur Erweiterung und Verschärfung der Strafbestimmungen des 8 153 a. a. O. vorgeschlagen, damals aber vom Reichstage mit erheblicher Mehrheit, zum Theil aus Bedenken grundsätzlicher Art, abgelehnt worden sind. Bei der Wichtigkeit der Sache scheint es geboten, an der Hand der bisherigen Erfahrungen diese Frage einer nochmaligen Erwägung zu unterziehen und dabei insbesondere zu prüfen, ob sich nicht das Bedürfniß herausgestellt hat, bei Arbeiteraufständen den arbeitswilligen Personen gegen Vergewaltigung und Einschüchterung seitens der Ausständigen oder anderer für diese eintretenden Personen einen kräftigeren Schutz als bisher zu leihen. [] Erhebungen hierüber gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte dürften ein werthvolles Material um deswillen erwarten lassen, weil die letzten Jahre, namentlich 1896 und 1897, an Ausständen und Aussperrungen in verschiedenen Gewerbezweigen besonders reich waren, das . . . Ministerium beehre ich mich hiernach um eine gefällige vertrauliche Aeußerung über die nachstehenden Fragen zu ersuchen: [] I. Ist gegenwärtig eine Wiederaufnahme der in der Gewerbe-Ordnungs-Novelle vom Jahre 1890 zu §153 gemachten Abänderung-Vorschläge geboten, und zwar sowohl zur Erweiterung der strafbaren Tatbestände, als auch zur Verschärfung des in Anwendung zu dringenden Strafmaßes? [] Welche inzwischen hervorgetretenen Erscheinungen sprechen besonders für ein solches Vorgehen? [] 1. Ist es häufiger unternommen worden, Arbeiter durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohung, Ehrverletzungen oder Verrufserklärungen zur Einstellung der Arbeit zu bestimmen oder an der Aufnahme oder Fortsetzung der Arbeit zu hindern, ohne daß es sich dabei nachweisbar um Verabredungen und Vereinigungen der im § 152 bezeichneten Art handelte? Sind gleiche Wahrnehmungen gemacht worden hinsichtlich widerrechtlicher Einwirkungen auf Arbeitgeber, sei es um sie zur Entlassung von Arbeitern zu bestimmen, oder um sie an der Annahme solcher zu hindern? [] Konnte in derartigen Fällen eine Bestrafung nach den allgemeinen Strafgesetzen stattfinden oder mußts eine Bestrafung unterbleiben, weil der ausgeübte Zwang nicht eine Verabredung zum Zwecke hatte und aus diesem Grunde § 153 der Gewerbeordnung unanwendbar war? [] 2. Hat sich das im § 153 vorgesehene Strafmaß als ausreichend erwiesen, um auch schwerere Fälle der dort bezeichneten widerrechtlichen Einwirkung auf Andere zur Durchführung von Arbeitseinstellung, Aussperrung usw. ausreichend zu sühnen? [] 3. Waren in den letzten Jahren häufig Arbeitseinstellungen mit Kontraktbruch der Arbeiter verbunden und war in solchen Fällen vorher zur Einstellung der Arbeit öffentlich aufgefordert worden? War eine Bestrafung nach § 110 des Strafgesetzbuches unmöglich? Ist von einer Strafvorschrift gegen die öffentliche Aufforderung zur Arbeitseinstellung, insbesondere wenn diese widerrechtlich ist, eine Einschränkung der Streiks und des Kontraktbruchs zu erwarten? [] II. Sind, abgesehen von den in der Novelle von 1890 zu § 153 enthaltenen Vorschlägen, weitere gesetzliche Maßnahmen in Aussicht zu nehmen, um bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Koalitionsfreiheit der Anwendung unerlaubter Mittel zur Durchführung der Kämpfe um Lohn- und Arbeitsbedingungen entgegenzutreten? Welche Vorschläge können in diesem Beziehung gemacht werden? [] Besteht insbesondere nach den dortigen Erfahrungen ein Bedürfniß, bei Ausständen arbeitswillige Personen gegen den Terrorismus der Ausständigen und Agitatoren besser zu schützen und Diejenigen zu strafen, welche, um Andere von der Aufnahme oder Fortsetzung der Arbeit abzuhalten, Posten ausstellen, Arbeitsstätten, Zugänge zu denselben, öffentliche Straßen und Plätze (Bahnhöfe, Hafenplätze) überwachen; Arbeitswillige durck Reden oder Thätlichkeiten belästigen, ihnen das Arbeitsgerät rechtswidrig vorenthalten oder bei Seite schaffen? [] Einer gefälligen Aeußerung darf ich so rechtzeitig entgegensehen, daß nötigenfalls die weiteren Verhandlungen früh genug abgeschlossen werden können, um dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentreten eine neue Vorlage machen zu können. [] In Vertretung: gez. Graf Posadowsky. [] Wir können uns des Gedankens nicht verschließen, daß nach diesem Rundschreiben der Plan für die Verschärfung des § 153 der G.-O. besteht und das zu sammelnde Material als Beweis für die Nothwendigkeit der Durchführung dieses Planes dienen soll. [] Aber nach der Zahl der Bestrafungen und der Härte der Gerichtsurtheile liegt sicher kein Grund vor, den Arbeitern für etwaige Vergehen härtere Strafen anzudrohen. Die "Frankfurter Zeitung" stellt folgende Berechnungen auf: Es kamen gegenüber der Zahl der Streikenden (nach der Statistik der Generalkommission) Verurtheilungen wegen Vergehen gegen § 153 der G.-O. vor: [...Tabelle...] [] Es kamen also auf 1000 Personen, die an Streiks betheiligt waren, im Jahre 1892 24,5 Bestrafte, im Jahre 1896 nur 2,0. Die Abnahme wird auf die größere Zahl der Anmeldungen von Streiks für die Statistik zurückgeführt. Es kamen also im Jahresdurchschnitt auf 1000 Streikende nur 3,1 wegen Streikvergehen Bestrafte. [] Rechnet man die Zahlen der von den Regierungspräsidenten in Preußen von 1891 bis 1894 geführten Streikstatistik auf das Reich nach dem Verhältniß von 3 zu 5 um, so würden sich für den dreijährigen Zeitraum für das Reich ergeben 938 Streiks mit 147010 Betheiligten, während die Hamburger Statistik für diese Zeit nur anführt 320 Streiks und 19706 Beteiligte. Die Zahl der Bestraften in jenen drei Jahren betrug 74+38+47=159. Darnach käme auf 1000 streikende Arbeiter nur etwa ein Straffälliger. [] Professor Tönnies schreibt im "Archiv für soziale Gesetzgebung": "Wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze wurden im Jahre 1893 350 Studirende, oder auf 10000 vorhandene Studenten 83,3 verurtheilt; unter den 350 waren 93, die wegen Beleidigung, 33 wegen Zweikampfes, 87 wegen Körperverletzung und Bedrohung, 111 wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch verurtheilt wurden." [] Will man der Rohheit steuern, dann wäre es bei diesen Zahlen nothwendig, schärfere Gesetzesbestimmungen gegen die Studirenden, die zum Theil später Richter des Volkes werden sollen, zu erlassen, nicht aber gegen die Arbeiter, welche weder den Bildungsgrad der Studirenden besitzen, noch wie Jene aus Uebernmth handeln. [] Doch nicht gegen den "Terrorismus" der Arbeiter scheint man zu Felde ziehen zu wollen, sondern die Ausübung des Koalitionsrechtes soll ihnen erschwert werden. Von den Unternehmern mit der Hungerpeitsche bedroht, den schärfsten Gesetzesbestimmungen unterworfen, hofft man der Arbeiterschaft die Lust zum Lohnkampf austreiben zu können. Man will die Arbeiter hindern, mit den Streikbrechern auch nur ein Wort sprechen zu können. Auch ohne zu drohen, ohne die Ehre eines Streikbrechers zu verletzen, werden dann die Arbeiter diesen nicht auf das Unrecht, das in seiner Handlung liegt, ja nicht einmal auf die Umstände des Streiks aufmerksam machen dürfen. [] Das Unternehmerthum kann dann ungestört die Arbeiter aus zurückgebliebenen Gegenden, oder auch Kulis zum Niederwerfen eines Streiks heranholen. Bald wird ja auch der von Deutschland in China in Pacht genommene Landstrich von seinem Bevölkerungsüberschuß dem deutschen Unternehmerthum Streikbrecher liefern. Dann wird der patriotische deutsche Unternehmer mit den bedürfnißlosen, knechtseligen, bezopften Söhnen des himmlischen Reiches angezogen kommen, um die deutschen Arbeiter auf das Straßenpflaster zu werfen. Die geplante Verschärfung der Strafbestimmungen der Gewerbeordnung soll dazu dienen, diesen herrlichen Zustand ungestört herbeiführen zu lassen. Will die deutsche Arbeiterschaft sich dieses ruhig gefallen lassen? Das kann, das darf nicht geschehen! [] In allen Theilen des Landes, in dem entferntesten Winkel muß gegen ein solches Beginnen Protest erhoben werden. Der Terrorismus des Unternehmerthums muß dargestellt, seine Unterdrückungsbestrebungen klar beleuchtet werden. Die harte Beurtheilung der Vergehen der Arbeiter bei Streiks muß in aller Oeffentlichkeit charakterisirt, es muß den Machern schärferer Gesetzesbestimmungen für die Arbeiter klar gemacht werden, daß die Arbeiterschaft heute keine willenlose Sklavenheerde mehr ist, die sich widerspruchslos stärkere Fesseln anlegen läßt, als sie schon zu tragen hat. Nicht Beschränkung, sondern Erweiterung des Koalitionsrechtes! Dieser Ruf muß aus allen Theilen des Landes Denen in die Ohren klingen, welche bestrebt sind, auf einem Hinterwege den Arbeitern das ohnehin geringe Koalitionsrecht noch weiter zu beschneiden. [] Fünf zahlreich besuchte Versammlungen in Hamburg haben folgende Resolution beschlossen: [] "Die am 30. Januar 1898 tagende öffentliche Gewerkschaftsversammlung erhebt empört Protest gegen die von der Staatsregierung zu Gunsten der Unternehmerklasse im Geheimen eingeleitete Aktion wider die im gesetzmäßigen Lohnkampf um Verbesserung ihrer Lebenshaltung ringenden Arbeiter. [] Die Versammlung protestirt ganz energisch gegen die aus dem geheimen Erlaß des Herrn Staatssekretärs von Posadowsky vom 11. Dezember 1897 deutlich erkennbare Absicht der Reichsregierung, Partei zu nehmen für die Kapitalistenklasse gegen die Arbeiter durch noch größere Verschärfung der Strafbestimmungen des § 153 der Gewerbe-Ordnung und eventuell auf Kosten der Allgemeinheit durchzuführende Absperrungsmaßregeln bei der meistens unter Vorspiegelung falscher Thatsachen erfolgenden Heranziehung von Streikbrechern. [] Die Versammlung protestirt dagegen, daß Vergehen gegen § 153 der G.-O. schärfer geahndet werden, als andere Strafthaten, da ersteren eine gemeine Absicht nur äußerst selten zu Grunde liegt. Im Uebrigen ist die Zahl der bestraften Streikvergehen im Verhältniß zur Zahl der Streikenden eine so verschwindend kleine (nach Ausführung bürgerlicher Blätter soll dieselbe durchschnittlich 3/10 Prozent nicht übersteigen), daß nur die offenbar beabsichtigte gewaltsame Auslegung durch die im geheimen Erlaß befragten Behörden Scheingründe für eine Verschärfung des § 153 beizubringen vermögen werden. [] Die Versammlung protestirt ferner gegen die Bezeichnung der Gewerkschaften als "Nichts-als-Streikvereine" seitens des Herrn Staatssekretärs. Verwenden doch die von dem Herrn Grafen besonders benannten englischen Trade Unions durchschnittlich 90 Prozent ihrer Ausgaben für Unterstützung arbeitsloser, kranker und invalider Mitglieder. Ein ähnliches Verhältnis besteht schon heute auch bei einer Anzahl deutscher Gewerkschaften und diese segensreiche Wirksamkeit würde sich weit schneller auf sämmtliche Arbeiter-Organisationen ausdehnen, wenn die Regierung nicht die Gewerkschaften durch bis jetzt noch immer verweigerte gesetzliche Anerkennung als juristische Person und die Zulassung fortgesetzter Schikanen in ihrer ruhigen Entwicklung hemmte. [] Die Versammlung erklärt endlich, daß sich nach ihrer Anschauung die Staatsregierung mit jeder Erschwerung der Koalitionsbestrebungen der Arbeiter auf's Schwerste versündigt an der kulturnothwendigen Hebung der wirthschaftlich Schwachen." [] In allen Orten muß diesem Beispiel gefolgt werden. [] Doch mit dem Protest in Versammlungen ist es nicht allein gethan. Der beste Protest ist Stärkung der gewerkschaftlichen Organisationen. Durch Masseneintritt der Arbeiter und Arbeiterin müssen die Gewerkschaften so stark werden, daß ihr Ruf nach unbeschränkter Koalitionsfreiheit nicht mehr wie bisher ungehört verhallt. [] Starke Gewerkschafts - Organisationen sind der sicherste Schuhwall gegen die Ausbeutung seitens des Unternehmerthums und gegen alle reaktionären Bestrebungen. [] Der Arbeiterschaft zum Schutz! Den Gegnern zum Trutz! [] Verlag von E. Legten, Hamburg 6. Druck: Hamburg" Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co. in Hamburg |
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institution | Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) |
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publishDate | 11.12.1897 |
spellingShingle | Flugschriften der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. Nr. 4. . Ein Angriff auf das Koalitionsrecht in Sicht Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co., Hamburg / C. Legien, Hamburg [Jacoby, Johann, Posadowsky-Wehner, Arthur Graf von, Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, Arbeiterbewegung, Gewerkschaften, Kaiserreich, Koalitionsrecht, Streik] |
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