Sehr geehrte Wählerin! Sehr geehrter Wähler! . Am 6. dieses Monats wählt das deutsche Volk einen neuen Bundestag;

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Ernst Baumann [] Bundestagskandidat [] Kleve, im September 1953. [] Lindenallee 10 [] Sehr geehrte Wählerin! Sehr geehrter Wähler! [] Am 6. dieses Monats wählt das deutsche Volk einen neuen Bundestag; der Wahlkampf läuft auf hohe Touren. Sie...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Baumann, Ernst
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/68172228-2553-4F95-9F03-37049A85A4A5
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Ernst Baumann [] Bundestagskandidat [] Kleve, im September 1953. [] Lindenallee 10 [] Sehr geehrte Wählerin! Sehr geehrter Wähler! [] Am 6. dieses Monats wählt das deutsche Volk einen neuen Bundestag; der Wahlkampf läuft auf hohe Touren. Sie erhielten von den Parteien und Kandidaten, die sich um ihre Stimme bewerben, viele Flugschriften, Handzettel und Wahlzeitungen; von den Plakattafeln, Bäumen und Mauern leuchten bunte Plakate, die sie auffordern, zur Wahl zu gehen und die angepriesene Partei zu wählen. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen, das gehört nun einmal zu den Wahlvorbereitungen. [] Aber ist es notwendig, daß durch Plakate, Flugschriften, Zeitungsartikel und Wahlreden die politischen Gegner diffamiert werden??? Ist es notwendig, daß man die gegnerische Partei mit Unwahrheiten und Lügen heruntersetzt??? [] Sie werden mit mir der Meinung sein, daß diese Methoden dazu geeignet sind, die Wähler abzuschrecken und das Urteil, das sich jeder vor der Wahl über die Parteien und Kandidaten bilden muß, zu verwirren. [] Ich bedauere es außerordentlich, daß der Wahlkampf auch in unserem Wahlkreis eine solch üble Form angenommen hat. Ich lehne es ab, in derselben Art wie ein Teil meiner politischen Gegner Wahlkämpfe zu führen. Ich habe die Wähler über die Ziele der von mir vertretenen Partei aufgeklärt und ihnen gesagt, welche Auffassung ich als Bundestagskandidat von der Politik habe. Das heißt aber nicht, daß ich unwidersprochen die Anwürfe gegen mich und die von mir vertretene Partei hinnehmen will. [] Es ist eine Lüge, wenn man behauptet, der Weg der SPD führe nach Moskau. Die SPD hat bereits 1945, als noch andere bürgerliche Politiker in Berlin Brücken mit den Kommunisten schlagen wollten, den Kommunisten ein klares und kompromißloses NEIN entgegengesetzt. Unter sozialdemokratischer Führung von Frau Luise Schröder und Prof. Reuter verteidigte und verteidigt die Berliner Bevölkerung den freien Westen und die Demokratie gegen den kommunistischen Totalitarismus. Die SPD hat immer wieder erklärt und durch die Tat bewiesen, daß es für sie keine Gemeinsamkeit mit den Kommunisten gibt. In allen Ländern, wo Sozialdemokraten regieren oder maßgeblich an der Regierung beteiligt sind (Norwegen, Schweden, Dänemark, Holland) gibt es kaum Kommunisten, weil in diesen Ländern die soziale Frage befriedigend gelöst ist. Und wie ist es in Frankreich und Italien? [] Nicht der Weg der SPD führt nach Moskau, sondern eine unsoziale und auf die Interessen des Kapitalismus ausgerichtete Politik führt auf die Dauer durch eine dadurch eintretende Radikalisierung der Massen zum Kommunismus oder Faschismus. [] Eine weitere Lüge ist es, wenn bei jeder Wahl behauptet wird, das Christentum sei durch die SPD in Gefahr. In den oben genannten Ländern mit sozialdemokratischen Regierungen sind die Religionsgemeinschaften in ihrer Freiheit durch nichts gehemmt. Glauben Sie, daß in der SPD-Bundestagsfraktion drei amtierende evangelische Pfarrer wären, wenn die SPD das Christentum gefährden würde?? Glauben Sie, daß ein evangelischer Pfarrer sozialdemokratischer Minister wäre, wenn die SPD christentumfeindlich eingestellt wäre?? [] Bitte wenden! [] Die SPD tritt für volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ein, sie lehnt aber jeden Missbrauch kirchlicher Einrichtungen zu parteipolitischen Zwecken ab. Als Katholik bin ich fest davon überzeugt, daß die jetzige Verbindung der Kirche über die CDU mit dem Liberalismus (FDP) und dem konservativen Nationalismus (DP) sich nachteilig für die Kirche und unser Volk auswirken wird. [] Es ist anerkannte Lehrmeinung der kath. Kirche, daß alle Erklärungen geistlicher Autoritäten, wenn sie sich mit der diesseitigen Ordnung oder gar der Parteipolitik befassen, dem Irrtum unterworfen sind. Zweimal irrte die Kirche in den letzten 20 Jahren in politischen Entscheidungen: Vor 1933 wurden die kath. Wähler ebenfalls von der Kirche aufgefordert, christlich, d. h. Zentrum zu wählen. Dieses Zentrum stimmte aber leider unter Führung des Prälaten Kaas 1933 dem Ermächtigungsgesetz zu, das Hitler die Macht gab, die Demokratie in Deutschland zu zerschlagen und die Welt mit dem letzten Krieg und all seinen Schrecken zu überziehen. Bei der sogenannten Volksabstimmung in Östereich [!][Österreich] über den Anschluß forderten die östereichischen [!][österreichischen] Bischöfe die Katholiken auf, für den Anschluß an Deutschland und damit für Hitler zu stimmen. [] Welches Unglück und Leid ist aus diesen Irrtümern kirchlicher Autoritäten entstanden? Ich glaube, daß sich die Kirche jetzt wieder irrt. [] Sozialismus und Christentum stehen sich nicht mehr wie Feuer und Wasser gegenüber. In dem "Wörterbuch der Politik" sagt der führende kath. Sozialtheoretiker und Theologe, Prof. von Nell-Breuning: "Vielleicht darf man annehmen, ... daß auch im kontinentalen, ursprünglich von Marx (historischem Marxismus) herkommenden, aber längst nicht mehr marxistisch-orthodoxen Sozialismus die Zahl derer im Wachsen ist, für die Sozialismus gleichfalls, nur eine sozialethisch begründete Zielsetzung besagt." Und das ist in der Tat der Fall. Unter den Mitgliedern der SPD sind Tausende praktizierender Christen aller Bekenntnisse, und ich gehöre dazu. Keine Partei kann von sich allein behaupten, die allein christliche Partei zu sein. Der kath. Pater Ivo Zeiger erklärte auf dem Mainzer Katholikentag: "Ein horizontaler Querschnitt durch alle Parteisäulen würde offenbaren, daß es überall Christen und Nichtchristen gibt." [] Man sollte auch in Wahlkämpfen nicht den politischen Gegner als kirchenfeindlich bezeichnen, wenn man genau weiß, daß es nicht wahr ist. Ich meine, daß auch im Wahlkampf das 8. Gebot Geltung hat!! [] Lassen Sie sich keine Märchen erzählen und lassen Sie sich bei Ihrer Stimmabgabe nicht durch Lügen und Verleumdungen davon abhalten, sozialdemokratisch zu wählen. [] Mit freundlichen Grüßen! [] Ernst Baumann
Published:06.09.1953