Kurz durchleuchtet. Die Bundesregierung verlangt: Du sollst zahlen

Bemerkungen: handschriftlicher Vermerk: DW 5-4d7; Eingangsstempel: 17.2.1960<NZ>vgl. auch Krankenversicherung-Neuregelungsgesetz, Bundestagsdrucksache III/1540 vom 14.1.1960 ; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Sofort lesen - weitergeben - sofort [] Kurz durchleuchtet [] Die...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Bundesvorstand, Beermann, Hermann, Union-Druckerei, Frankfurt am Main
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 14.01.1960
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/8C3AE936-DEEC-419D-8A2B-37D49352B60B
Description
Summary:Bemerkungen: handschriftlicher Vermerk: DW 5-4d7; Eingangsstempel: 17.2.1960<NZ>vgl. auch Krankenversicherung-Neuregelungsgesetz, Bundestagsdrucksache III/1540 vom 14.1.1960 ; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Sofort lesen - weitergeben - sofort [] Kurz durchleuchtet [] Die Bundesregierung verlangt: Du sollst zahlen ... [] Als ob die Krankenkassenbeiträge nicht schon hoch genug wären: Wer künftig irgendeine ärztliche Leistung in Anspruch nehmen will, der soll zuzahlen. Schamhaft als "Selbstbeteiligung" getarnt, soll allen gesetzlich Versicherten zusätzlich Geld aus der Tasche gezogen werden. Und das kraft Gesetzes. Den entsprechenden Gesetzentwurf verfertigten beflissene Referenten im Bonner Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Übereifriger Verfechter dieses arbeitnehmerfeindlichen Gesetzes ist der Bundesarbeitsminister Blank. Er und die von ihm Beauftragten scheuen seit Monaten keine Steuermittel, um der Öffentlichkeit den unsozialen Reformentwurf mundgerecht schmackhaft zu machen. Sie erreichten aber damit das Gegenteil: Die Bevölkerung durchschaut immer mehr die Irreführung. Es ist zuviel des Schlechten. Für wie dumm müssen uns die Väter des Entwurfs halten, daß sie uns gleichzeitig tief in die Taschen greifen wollen und uns dabei trostreich im Brustton der Überzeugung erzählen, wir erhielten das größte Sozialgeschenk aller Zeiten. [] Inzwischen haben sich Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen zu Blanks "Reform" geäußert. Sie sind mit uns grundsätzlich einer Meinung: Dieses Gesetz darf nie Wirklichkeit werden. Die Bundesregierung steht mit ihren Plänen isoliert an der Seite der Arbeitgeberverbände und - natürlicherweise - der Privatkrankenversicherungen. Die Arbeitgeber sind für den Gesetzentwurf einmal, weil sie diese "Reform" schon seit langem zu ihren Gunsten fordern und zum anderen, weil sie die "Reform" von sozialen Kosten befreit, die auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden. Am 17. Februar liegt Blanks Gesetzes-"Reform" dem Bundestag zur ersten Lesung vor. Der Bundestag hat nunmehr zu entscheiden. Wir halten das Recht und die Pflicht zur demokratischen Meinungsbildung. Denn es geht um mehr, als nur um Geld: es geht um Deine Gesundheit und die Deiner Familie! [] Dein Bundestagsabgeordneter entscheidet mit, ob der unsoziale, die Volksgesundheit untergrabende Gesetzentwurf auch Gesetzeskraft bekommt. Dein Bundestagsabgeordneter wird sich sicher sehr dafür interessieren, wie Du darüber denkst! [] Blank vor dem Bundesrat: "Wenn Sie bedenken, meine sehr verehrten Herren, daß nach der der Begründung beigefügten Berechnung über die finanziellen Auswirkungen der Selbstbeteiligung - bei aller Problematik, die einer solchen Berechnung anhängen mag - hier mit einer Summe von etwa 500 Millionen DM gerechnet wird, und wenn Sie damit vergleichen, daß allein für Tabak und Spirituosen in der Bundesrepublik eine Summe von 15 Milliarden DM ausgegeben wird, dann mögen Sie bitte daraus ersehen, daß die Selbstbeteiligung in ihrer Höhe jedenfalls nicht zumutbar - nicht unzumutbar ist." Zuruf Hemsath: "Das erste war richtiger, Herr Kollege Blank!" [] Der DGB stellt fest: Unangebracht - Unzutreffend [] Auch dem Bundesarbeitsminister müßte inzwischen aufgefallen sein, daß die Kostenbeteiligung keineswegs die Gesunden in der Bevölkerung, sondern ausschließlich die Kranken trifft. Die wiederholt vorgebrachten unzutreffenden Vergleiche zeigen, wie wenig der Minister in der Lage ist, die von den Ärzten und fortschrittlichen Sozialpolitikern befürchteten gesundheitlichen Folgen dieses Reformentwurfes in seiner vollen Tragweite zu beurteilen. Die Arbeitnehmer müssen es ein für alle Mal ablehnen, sich von Minister Blank vorschreiben zu lassen, wie sie ihren schwer erarbeiteten Lohn verwenden; sie sind mündig genug, dies selbst zu entscheiden. Der Bundesarbeitsminister sollte sich besser Gedanken darüber machen, wie die riesigen Gewinne der Unternehmer zum Vorteil der gesamten Bevölkerung verwendet werden könnten. "Wegen so ein bißchen Bauchweh gehe ich doch nicht gleich zum Arzt", hatte er morgens gesagt. Am Abend lag er auf dem Operationstisch. Anders war der eitrigen Blinddarmentzündung nicht mehr beizukommen. Der Regierungs-Entwurf zur Krankenversicherungsreform fördert die Unvernunft, er wird viele vom rechtzeitigen Arztbesuch abhalten. [] Das will die Regierung - weil es die Arbeitgeberverbände wollen: - Die Krankmeldungen sollen verringert, - die Krankheitsdauer soll verkürzt werden. Minister Blank vermutet, Du bist ein Drückeberger, - deshalb mußt Du Dich innerhalb von zwei (!) Tagen bei dem sogenannten "Beratungsärztlichen Dienst" (Vertrauensarzt) melden. Man vermutet, Dein Arzt ist Dein Komplice, - deshalb soll bei jeder Krankmeldung ein Kontrollarzt des "Beratungsärztlichen Dienstes" bestätigen, daß Dich Dein Arzt auch zu Recht krankgeschrieben hat. [] Und darfst Du aber krank sein, - dann zahlst Du außer Deinem Krankenkassenbeitrag für jede einzelne ärztliche Leistung 1,50 DM zusätzlich. Für jede einzelne Leistung, wohlgemerkt. (Das kann bei einer einzigen Behandlung pro Sprechstunde 3,- DM bis 6,- DM zusätzlich kosten.) - dann zahlst Du für Medikamente und Verbandzeug in der Apotheke außerdem noch zwischen 1,- DM und 3,- DM. (Auch zusätzlich zu Deinem Krankenkassenbeitrag.) Dir soll auf jeden Fall die Lust vergehen, krank zu werden, - deswegen werden die berüchtigten Karenztage wieder eingeführt: Für die ersten beiden Tage der Arbeitsunfähigkeit sollst Du künftig keinen Anspruch auf Krankengeld haben. [] Und das sagen die Ärzte dazu (Entnommen dem Gesundheitsmagazin "Du und die Welt", herausgegeben im Auftrage der Bundesärztekammer) "Repräsentanten der Arbeitgeberschaft und des Arbeitsministeriums scheinen sich auf diesen Gesetzentwurf zu versteifen. Sie scheinen von der fixen Idee beherrscht, in der Zeit der Vollbeschäftigung ausschließlich mit einem solchen Gesetz, das vorübergehend Arztbesuche und Krankmeldungen um ein Geringes verringern mag, zusätzliche Arbeitsstunden und Arbeitstage gewinnen zu können. Und dabei noch am Beitragsanteil zu sparen - auf Kosten der Masse der Versicherten und ihrer Gesundheit. Aber selbst diese Arbeitgeberrechnung mit Arbeitsstunden geht nicht auf. Denn jede verschleppte Krankheit fordert irgendwann erst recht ärztliche Behandlung: teurere und längere! Und der eventuelle anfängliche Gewinn von Arbeitsstunden und Arbeitstagen würde aufgehoben von dem dann mit Sicherheit zu erwartenden größeren Verlust von Arbeitstagen und Arbeitswochen." Wir haben dem nichts hinzuzufügen. [] Gutes Geschäft erwartet [] Herzlich willkommen ist der privaten Krankenversicherung die vorgesehene Gesetzesvorschrift, daß zum ersten Male in der Geschichte der deutschen Krankenversicherung Arbeiter aus der Versicherungspflicht ausscheiden. Davon werden nämlich alle Arbeiter betroffen, die über 660 DM brutto im Monat verdienen und einen Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes auf 6 Wochen haben. Deswegen erwartet die private Krankenversicherung einen "Zuwachs auch aus den Reihen der Lohnempfänger", wie das "Handelsblatt" am 15. Januar 1960 berichtet. Darüber hinaus betrachtet sie die 3,6 Millionen in der gesetzlichen Krankenversicherung "freiwillig Versicherten als Reservoir für die Gewinnung neuer Mitglieder"; mit Familienangehörigen sind dies 7 bis 8 Millionen Personen. Natürlich befürworten die Unternehmer dieses Versicherungsgeschäft mit den Arbeitern und Angestellten; sie sparen dann nämlich für jeden einzelnen, der aus der Pflichtversicherung ausscheidet, den Arbeitgeberanteil für den Krankenkassenbeitrag. So arbeiten Bundesregierung, Unternehmer und Privatversicherung Hand in Hand, um auch mit der Krankheit der Arbeitnehmer gewinnbringende Geschäfte zu machen. [] DGB: Beiträge können gesenkt werden [] Es ist jedem bekannt, daß die Krankenkassen viele Aufgaben durchführen, die mit einer echten Krankenversicherung nicht das geringste zu tun haben. Die Kosten für solche Fremdaufgaben zahlen die Versicherten mit einem überhöhten Beitrag. Es ist höchste Zeit und eine Voraussetzung für eine fortschrittliche Reform, daß - 320 Millionen DM für die Betreuung der Unfallverletzten in den ersten 45 Tagen - 270 Millionen DM für die Mutterschaftshilfe - 30 Millionen DM für die Betreuung von Kriegsbeschädigten den Krankenkassen als kostendeckender Ersatz für diese Fremdaufgaben gegeben werden. Außerdem steht die Lohnfortzahlung an Arbeiter im Krankeitsfalle immer noch aus. [] Wer ehrlich bereit ist, die Krankenkassen auf eine gesunde finanzielle Basis zu stellen, hat die Gelegenheit dazu. Die Folge davon wäre: ein Beitragssatz in allen Kassen unter 6 Prozent und damit ein Beitrag zu dem wir alle ja sagen könnten. Außerdem könnten mit diesem Finanzierungsvorschlag alle geforderten Leistungsverbesserungen bezahlt werden. Was hält die Regierung davon ab, diesen Finanzierungsvorschlag zu verwirklichen? Es könnte nur das Versprechen sein, den Unternehmern und dem öffentlichen Haushalt weiterhin "Sozialgeschenke" zu machen. [] Auch die Apotheker warnen Die Apotheker befürchten, daß die im Regierungsentwurf vorgesehene Zahlung für Arznei- und Verbandmittel für alle Versicherten, Ehefrau und Kinder zu einer ernsten Bedrohung ihres Berufsstandes führen wird. Nach ihren Berechnungen werden die Umsätze schlagartig um mindestens 20 Prozent zurückgehen. Neue Lieferungsbedingungen müßten sofort mit den Krankenkassen ausgehandelt werden, um die Nutzensätze der Arzneitaxe zu erhöhen und bisher gewährte Abschläge herabzusetzen. Die Kostenbeteiligung der Versicherten würde somit mit einer Verteuerung der Arzneimittel für die Kassen beantwortet! Die Apotheker befürchten als Ergebnis der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Reform, daß sie ihrer Aufgabe, die Arzneiversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, nicht mehr nachkommen können! Das Zentralorgan der Apotheker schreibt, "... daß, wenn die vorgesehene Kostenbeteiligung Gesetz werden wird, gerade die Gesundheit der Ärmsten der Armen, nämlich der Rentner, nicht gefördert, sondern sich verschlechtern wird und daß eines Tages das Schlagwort von vor einigen Jahren wahr werden wird, das lautete: "Weil Du arm bist, mußt Du früher sterben."" [] "Schmatz-Plan" [] Der "Erfinder" der als Schmatzplan in den Regierungsentwurf eingegangenen Kostenbeteiligung, Ministerialrat Dr. Schmatz aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, schrieb in der Deutschen Versicherungszeitschrift Nr. 3/58 über die Angemessenheit der Zuzahlung von 1,50 DM für jede einzelne ärztliche Leistung folgendes: "Dieser Betrag entspricht dem Gegenwert von 2 Flaschen Bier, 15 bis 20 Zigaretten, 2 bis 3 illustrierten Zeitschriften, des billigsten Kinoplatzes. Er stellt also einen Wert dar, den heute jeder Arbeitnehmer bei einem durchschnittlichen Arbeitsentgelt, das bei etwa 400 DM monatlich liegt, unbedenklich für Güter verauslagt, die weit weniger wichtig und bedeutungsvoll sind als die Gesundheit." Kann sich ein Beamter der Bundesregierung, der mit sozialpolitischen Aufgaben betraut ist, wirklich nicht mehr vorstellen, was ein Arbeitnehmer mit 400 DM monatlich anfangen kann, zumal wenn er davon Miete bezahlen und eine Familie ernähren muß? Hier ein Beispiel bei einem Neteinkommen von 400,- DM im Monat bei 20 Arbeitstagen: Für einen arbeitsunfähigen Versicherten können sich bei einmonatiger Erkrankung mit einer möglichen Selbstkostenbeteiligung an der ärztlichen Behandlung von 40,- DM folgende finanzielle Belastungen ergeben: [] 2 Karenztage, Ausfall netto 40,- 18 Arbeitstage mit 10 Prozent Nettolohnausfall a 2,-DM netto 36,- Selbstbeteiligung an der ärztlidien Behandlung 40,- Selbstbeteiligung an Arzneimitteln, ca. 20,- Gesamtbelastung 136,- Nach diesem Beispiel, das für viele andere gilt, verbleiben dem Kranken und seiner Familie noch 264 DM zum Leben. In vielen Fällen wird damit noch nicht einmal der Fürsorgerichtsatz erreicht. [] Sparkasse Krankenhaus Die "Reformer" finden nichts dabei, die zusätzliche Kostenbeteiligung im Falle des Krankenhausaufenthalts mit angeblich häuslichen "Ersparnissen" zu rechtfertigen. Man tut so, als ob bei Krankenhausaufenthalt der "Sparstrumpf" zu Hause immer voller wird, obwohl doch jeder weiß, daß z.B. der Krankenhausaufenthalt der Mutter viele zusätzliche Ausgaben im Haushalt verursacht. Die "Reformer" haben vergessen, daß nur für sie die soziale Frage mit Hilfe unserer Steuermittel schon längst gelöst ist. [] Bei einer akuten Lebensgefahr ist die sofortige Einweisung in das nächstgelegene Krankenhaus oftmals die einzige Hilfe. Die gesamte ärztliche Kunst muß in solchen Fällen unverzüglich angewandt werden, um das Leben des Erkrankten zu retten. Nach den Reformplänen der Bundesregierung muß der Versicherte, wenn er kein Krankengeld erhält, pro Tag 1 DM bis 3,30 DM an das Krankenhaus zahlen. Ein Krankenhausaufenthalt von 1 Monat kann daher bis zu 100 DM kosten. Allein die Rentner müßten von den Mehreinnahmen der Krankenhäuser 25 Prozent aufbringen. Frauen und Kinder zahlen die Hälfte dieser Zuzahlungsbeträge. [] Die zusätzliche Kostenbeteiligung beim Arzt und Apotheker wird im Entwurf der Bundesregierung unter anderem wie folgt begründet: "... Die Beteiligung ... will ihnen (den Versicherten) zum Bewußtsein führen, daß die ärztliche Behandlung ... maßvoll in Anspruch genommen werden soll ..." "... Um den Versicherten zur Besonnenheit im Verbrauch von Arzneimitteln anzuhalten, wird ... eine Beteiligung an den Arzneikosten als notwendig erachtet ..." ... und so sind die Tatsachen: [] Systematische Vorsorgeuntersuchungen der Innungskrankenkasse Krefeld und der Landkrankenkasse Dachau hatten folgendes Resultat: Von 616 untersuchten Versicherten, die sich selbst als gesund bezeichneten, waren 468 (also ca. 75 Prozent) behandlungsbedürftig krank. [] Zur Kasse [] Der Regierungsentwurf bringt in seinem finanziellen Teil - einen Zusatzbeitrag für Versicherte, die krank sind, von über 600 Millionen DM im Jahr ("Selbstbeteiligung") und damit - eine Entlastung der Unternehmer von über 300 Millionen DM ("Sozialgeschenk") - keinerlei Beitragssenkung und beläßt damit weiterhin überhöhte Beiträge in der Krankenversicherung [] Preisfrage! Prämienangebot! Der Versicherte soll in Zukunft an den einzelnen ärztlichen Leistungen, auch denen des Zahnarztes, mit je 1,50 DM Zuzahlung belastetet werden. Nach der Bonner Sprachregelung zu § 186 des Gesetzentwurfes geschieht das nicht etwa, um den Versicherten vom Arztbesuch abzuhalten, sondern damit der Zahnarzt maßvoll in Anspruch genommen wird. Weil wir wissen, daß der häufige Besuch auch beim Zahnarzt in den schönsten Lustempfindungen, die dort fühlbar sind, begründet ist, finden wir es von der Bundesregierung nicht nett, daß sie uns das allseitige Vergnügen am Zahnarztbesuch nehmen will. [] Um uns die Vergnüglichkeit besonders schmerzhafter Wurzelbehandlungen nicht mutwillig zu verscherzen, wollen wir den Vätern des Gesetzentwurfes unseren guten Willen zeigen: Wir fordern dazu auf, alle jene zu melden, die durch maßlose Besuche beim Zahnarzt unseren heimlichen Freuden in den Rücken fallen. Wir bieten hohe Prämien für den Nachweis jedes einzelnen, der maß- und schamlos den Zahnarzt in Anspruch nimmt. [] Der DGB fordert: - Umfassende Gesundheitssicherung - Für alle Arbeitnehmer Versicherungsschutz - Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfalle - Freie Wahl des Hausarztes - Keine zusätzliche Kostenbeteiligung - Finanzielle Entlastung der Krankenversicherung von allen Fremdaufgaben - Senkung der überhöhten Beiträge [] FORTSCHRITT Wehrwirtschaftlicher Überlegungen wegen setzten die Machthaber des Dritten Reiches die Meldepflicht bei Arbeitsunfähigkeit auf 3 Tage herab. Vorher brauchte man der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit erst innerhalb einer Woche nach Krankheitsbeginn zu melden Der Krankengeldanspruch ruhte nur dann, wenn die Krankmeldung innerhalb dieser Woche versäumt wurde. Der Gesetzentwurf "reformiert" nicht etwa die Nazibestimmung und dehnt die 3-Tage-Frist wieder aus. Im Gegenteil: binnen zwei Tagen soll künftig der Versicherte seine Arbeitsunfähigkeit dem ominösen "Beratungsärztlichen Dienst" mitteilen. Bei den Nazis waren es wehrwirtschaftliche Überlegungen. Welche Überlegungen hatten wohl die Stiefväter des Gesetzentwurfes? Nicht bezweckter Zweck Die amtliche Begründung von § 186 des Regierungsentwurfes lautet: "... Die Beteiligung bezweckt nicht, die Versicherten vom Arztbesuch abzuhalten, sondern will ihnen zum Bewußtsein führen, daß die ärztliche Behandlung maßvoll in Anspruch genommen werden soll." [] Heißt das nun, daß der Versicherte vom Arztbesuch abgehalten werden soll oder nicht? Die in ihrer Unlogik nicht zu überbietende Stilblüte der Bonner Ministerialbürokratie kommentiert das Gesundheitsmagazin der Bundesärztekammer so: "Wer sich entschuldigt, klagt sich an! Dieses alte Sprichwort bewahrheitet sich auch hier: Sollen also die Versicherten vom Arztbesuch abgehalten werden? Soll der Zusatzbeitrag den kranken Versicherten abschrecken, seinen Arzt aufzusuchen oder zum Hausbesuch zu bitten, in der Hoffnung, daß die Krankheit wieder abklingt? Soll der Arbeiter an der Maschine, soll der Angestellte am Schreibtisch aushalten, bis aus der Erkältung eine Lungenentzündung, bis aus Kopfweh und Schnupfen eine schwere fiebrige Grippe wird? Soll der Kranke veranlaßt werden, sich für weniger Geld selbst zu "verarzten"? Wenn auch nur ein einziger Kranker wegen des künftigen Zusatzbeitrags ein Leiden verschleppt, bis es zu Komplikationen kommt, müßte das Gesetz auf dem Gewissen der Verantwortlichen lasten! Und niemand sollte sagen: Dann ist der Kranke schuld ..." "... Es gibt keine Bagatellfälle. Wer weiß, was hinter der Bagatelle eines Hustens steckt - eine Lungenentzündung? Oder eine Tuberkulose? Die Ärzteschaft hält es daher für unmöglich, mit einer "Inanspruchnahmegebühr" die Selbstverantwortung der Versicherten gegenüber ihrer Gesundheit zu fördern." Wahllos aus der Praxis gegriffen: Bei einer Grippe kann der Zusatzbeitrag innerhalb sechs Wochen 31,50 DM betragen, bei Ischias 24,- DM, bei Kreislaufstörungen 22,50 DM, bei Asthma 18,- DM, bei einer Gallenblasenentzündung 15,- DM. Der eine zahlt vielleicht mehr, der andere weniger. Aber dazu kommen noch die Zusatzbeiträge für Arzneimittel und gegebenenfalls für Krankenhausaufenthalt. (Entnommen dem Gesundheitsmagazin "Du und die Welt", herausgegeben im Auftrage der Bundesärztekammer) ... und nun [] Nachdenken - und handeln [] Herausgeber: Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes [] Verantwortlich: Hermann Beermann [] Druck: Union-Druckerei, Frankfurt a.M.
Published:14.01.1960