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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals DGB BLITZINFORMATION [] Unternehmer mißbrauchen ihre Macht - deshalb: [] Kampf gegen Aussperrung [] Streik in der Stahlindustrie! Die in der IG Metall organisierten Arbeitnehmer haben den Kampf um die Erhaltung Ihrer Arbeitsplätze aufgenommen. Die Unternehmer antworteten mit brutalen Massenaussperrungen. Die Kollegen der IG Metall haben den Wunsch, daß alle organisierten Arbeitnehmer der übrigen 16 DGB-Gewerkschaften, daß alle Arbeitnehmer erfahren, worum es in der Stahlindustrie geht. Und daß alle wissen, zu welchen Mitteln die Unternehmer greifen. Diesem Wunsch der kämpfenden Arbeitnehmer in der Eisen- und Stahlindustrie kommt der DGB in solidarischer Verbundenheit nach. [] Hier die Fakten: In der Stahlindustrie wurden in den letzten Jahren 140 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert. In diesem Jahre trotz wieder steigender Produktion in jedem Monat [?]. Ein Prozeß, wie er auch in vielen anderen Zweigen abläuft. [] Die IG Metall hat zum Widerstand gegen diese Wegwerfwirtschaft der Unternehmer aufgerufen. 86,96% der Arbeitnehmer in der Stahlindustrie stimmten für Kampfmaßnahmen. Konkret: [] Durch Einstieg in die 35-Stunden-Woche, durch Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit sollen die Arbeitsplätze in der Stahlindustrie gesichert, die Folgen der Rationalisierung aufgefangen werden. [] Das Nein der Unternehmer [] Dem setzten die Unternehmer ein hartes "Nein!" entgegen. Sie weigerten sich rundweg, über die Sicherung von Arbeitsplätzen auch nur zu verhandeln. Sie wollen weitere Arbeitsplätze vernichten. Für größere Profite zerstören sie brutal menschliche Existenzen. Das ist ihre Auffassung vom "sozialen Rechtsstaat" und von "Menschenrechten". Auf diese Herausforderung antworteten die Arbeitnehmer mit der Urabstimmung. Und mit dem Streik von 40 000 Arbeitnehmern der Stahlindustrie in 9 großen Betrieben. Die Industriegewerkschaft Metall organisierte den Kampf um die Arbeitsplätze, um den Einstieg in die 35-Stunden-Woche in der Stahlindustrie. [] Aussperrungs-Terror [] Um ihre menschenfeindliche Politik durchzusetzen, griffen die Unternehmer zum Mittel der Aussperrung. Die streikenden 40 000 Kolleginnen und Kollegen der bestreikten Betriebe und über 30 000 Arbeitnehmer in weiteren 6 Betrieben wurden für ausgesperrt erklärt. Mit diesem frühkapitalistischen Gewaltmittel wollen sie die Arbeitnehmer disziplinieren und ihren Herr-im-Hause-Standpunkt durchsetzen. Zugleich wollen sie die Gewerkschaften zerbrechen. Sie proben ihre totale Machtergreifung. Und das bedroht alle Arbeitnehmer unseres Landes. Würden sich die Unternehmer in der Stahlindustrie durchsetzen, bekämen dies alle Arbeitnehmer zu spüren. Die Möglichkeit, für die Sicherung der Arbeitsplätze zu kämpfen, würde blockiert, Dabei ist es gleichgültig, ob diese Arbeitsplatzsicherung wie in der Stahlindustrie durch Einstieg in die 35-StundenWoche oder wie in anderen Zweigen durch dort ratsame Methoden erfolgt. Deshalb geht das, was sich heute in der Stahlindustrie vollzieht, uns alle an. [] "Unverhüllte Kriegserklärung" [] Dies hat die Industriegewerkschaft Metall sehr klar ausgesprochen: [] "Die Aussperrung gegen die Kollegen der IG Druck und Papier im März, die Aussperrung gegen die Metaller in Nordwürttemberg/Nordbaden im März und April, und jetzt die Aussperrung durch die Stahlbarone sind die unverhüllte Kriegserklärung nicht nur gegen die eine oder andere Gewerkschaft, sondern gegen jede gewerkschaftliche Interessenvertretungüberhaupt." Das ist die Wahrheit, der jetzt alle Arbeitnehmer gegenüberstehen. [] Verletzung der Menschenrechte [] Scheinheilig erklären die Unternehmer, es gebe ein "vom Grundgesetz verbrieftes Recht auf Aussperrung". Dies ist schlichtweg eine Lüge. Im Grundgesetz steht keine Silbe, daß dieses unmenschliche Mittel erlaubt sei. Im Grundgesetz steht vielmehr, daß die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer Rechtsstaat sei. Und daß sie die Menschenrechte anerkenne. [] Artikel 23 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" von 1948, die auch von unserem Land unterschrieben wurde, lautet wörtlich: [] "Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit." [] Durch die Aussperrung wird dieses Menschenrecht gröblichst verletzt.[] Der soziale Rechtsstaat erfordert [] Verbot der Aussperrung [] "Eine Art der Geiselnahme!" Mit diesen Worten charakterisiert Richard Schmidt, Oberlandesgerichtspräsident a. D., die Aussperrung. Dadurch, daß die Unternehmer Zehntausenden Arbeitnehmern die Existenzgrundlage entziehen, um sie gleichsam auszuhungern, wollen sie die Arbeitnehmer insgesamt und die Gewerkschaften zwingen, sich ihrem Diktat zubeugen. Geiselnehmer werden mit Recht verfolgt und hart bestraft. Geiselnahme durch Aussperrung darf nicht straflos bleiben. [] Die Unternehmer versuchen zur Zeit, die Öffentlichkeit irrezuführen. Aussperrung sei ein legitimes und legales Arbeitskampfmittel, so behaupten sie. Und zugleich drohen sie den Arbeitnehmern: "Wer nicht kuscht, der wird ausgesperrt!" Wie steht es mit der Rechtmäßigkeit der Aussperrung? [] Waffengleichheit? [] Die Unternehmer behaupten, die Aussperrung sei ein dem Streikrecht entsprechendes Kampfmittel. Es stelle die "Waffengleichheit"' her. [] Dies ist ein Scheinargument. Die "Waffe" der Unternehmer ist der Besitz der Produktionsmittel und des Kapitals. Sie bestimmen über Eröffnung und Schließung von Betrieben. Ober die Zahl der Beschäftigten. Ihre Besitzerrolle gibt ihnen entscheidenden Einfluß auf Arbeits- und Lohnentwicklung. [] Die einzige Waffe der Arbeitnehmer ist ihre Organisation und die Möglichkeit, als letztes Mittel ihrer Interessenvertretung zu streiken. Die Aussperrung soll eben diese Waffe der Arbeitnehmer zerstören. Streiks sollen durch die "Geiselnahme" des Aushungerns Zehntausender von Arbeitnehmern gebrochen und unmöglich gemacht werden. [] Deshalb bedeutet Aussperrung nicht Waffengleichheit, sondern die Aufhebung der Waffengleichheit. Sie soll eine Unternehmerdiktatur im Arbeitsleben bringen. [] Unmenschlichkeit [] Die Aussperrung trifft die Existenzfähigkeit der Arbeitnehmer. Sie verfolgt das Ziel, sie auszuhungern. Selbst bei Gewährung einer Unterstützung durch seine Gewerkschaft verliert der Arbeitnehmer einen Teil seines Einkommens. Bei Erschöpfung der gewerkschaftlichen Mittel verliert der Arbeitnehmer alle Einkünfte. Die nackte Not soll ihn zur Annahme aller Unternehmerdiktate zwingen. [] Dies ist schiere Unmenschlichkeit. Es ist eine Methode, wie sie in Kriegen - und auch dort bei Verletzung des Völkerrechts - angewandt wird. [] Gegen Koalitionsfreiheit [] Aussperrung verfolgt das Ziel, die Gewerkschaften zu vernichten und somit die vom Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit auf kaltem Wege zu beseitigen. [] Mit der Aussperrung weiten die Unternehmer Arbeitskämpfe gewaltig aus. Damit sollen die Gewerkschaften finanziell ausgeblutet und letztlich ruiniert werden. [] Die Gewerkschaften gewinnen ihre Finanzkraft aus den Beiträgen ihrer Mitglieder. Daraus bilden sie ihre Rücklagen, um im Falle eines Streiks ihre Mitglieder zu unterstützen. Die Massenaussperrung zwingt die Gewerkschaften, auch die ausgesperrten Kollegen zu unterstützen. Dies zehrt dann die Rücklagen schnell auf. Die Arbeitnehmer haben dann keine Rücklagen mehr. Sie sind dann nicht mehr voll handlungsfähig. Die Unternehmer können diktieren. [] Damit aber wird genau ein Zustand geschaffen, den das Grundgesetz durch die Garantie der Koalitionsfreiheit verhindern wollte. [] Aussperrung ist also Mißbrauch wirtschaftlicher Macht. Aussperrung ist zugleich der Versuch, Ordnungsvorstellungen des Grundgesetzes auszuhebeln. [] Wer auf dem Boden unserer verfassungsmäßigen Ordnung steht, muß deshalb gegen die Aussperrung eintreten. [] Keine gesetzliche Grundlage [] Trotz dieser eindeutigen Lage behaupten die Unternehmer immer wieder, Aussperrung sei gesetzlich gerechtfertigt. [] Es gibt im deutschen Gesetz keine einzige Bestimmung, die diese Behauptung abdecken könnte. [] Die einzige Berufungsgrundlage sind einige äußerst fragwürdige Arbeitsgerichtsurteile, deren Prüfung durch das Bundesarbeitsgericht noch aussteht. [] Die Heranziehung solcher Urteile zur Begründung von Massenaussperrungen ist eine Argumentation, die unhaltbar ist und der Mentalität von unredlichen Advokaten entspricht. Die Gewerkschaften erwarten vielmehr, daß das Bundesarbeitsgericht die Unveränderbarkeit solcher Massenempörungen mit den Grundsätzen des sozialen Rechtsstaates feststellt. [] Verbot der Aussperrung [] Es muß endlich Rechtssicherheit werden in unserem Land. Menschenrechte der Arbeitnehmer, Koalitionsfreiheit, Streikrecht und Waffengleichheit der Tarifparteien sind zu sichern. Nur dann gibt es Sicherheit für die Arbeitnehmer. Nur dann wird der soziale Rechtsstaat verwirklicht. Nur dann wird es einen sozialen Ausgleich der Interessen geben. [] Solidarität [] Der Kampf der IG Metall und der Stahlarbeiter ist so zu unser aller Sache geworden. Das Ziel der Arbeitsplatzsicherheit ist das Ziel aller Arbeitnehmer. Die Abwehr der Aussperrung geht uns alle an. Nur wenn die Aussperrung als unmenschliches frühkapitalistisches Kampfmittel verurteilt und auf den Kehrichthaufen der Geschichte geworfen wird, gibt es Sicherheit für die Arbeitnehmer. [] Deshalb sind alle Arbeitnehmer solidarisch mit den kämpfenden Kollegen. [] Solidarität bricht Unternehmerwillkür! Solidarität wird siegen! [] Aussperrungsland Nr. 1 ? [] In keinem anderen europäischen Staat gibt es solche Aussperrungswillkür wie in der Bundesrepublik: [] - In keinem westeuropäischen Land ist die Aussperrung verfassungsmäßig garantiert, in keinem dieser Länder wird sie in die Verfassung hineininterpretiert. [] - In den meisten Ländern [] - so Frankreich, Italien, Großbritannien, Niederlande, Belgien, Irland - [] werden Aussperrungen durch die Rechtsordnung so eingeschränkt, daß sie keine Rolle mehr spielen. [] - In einigen Ländern, so z. B. Portugal, sind Aussperrungen ausdrücklich verboten. [] Sollen wir auf diesem Gebiet das rückständigste Land Europas bleiben? [] So sperren sie aus! [] Die Aussperrungsstrategie der Unternehmer hat in der Bundesrepublik eine traurige Geschichte. [] Von 1949 bis 1976 wurden - 728843 Arbeitnehmer ausgesperrt; - 5794756 Arbeitstage durch Aussperrung verloren; - allein bei sieben sogenannten Verbandsaussperrungen rund 685000 Arbeitnehmer auf die Straße geworfen. [] 1978 gab es bereits dreigroße Aussperrungsaktionen: [] - gegen die Drucker; [] - gegen die Metaller in Nordwürttemberg/Nordbaden; [] - gegen die Arbeitnehmer der Stahlindustrie. [] Das hat System! Die Unternehmer wollen die Rechte der Arbeitnehmer zerschlagen. Dieser An griff muß abgeschlagen werden! [] Herausgeber: Bundesvorstand des DGB, Hans-Böckler-Straße 39, [] 4000 Düsseldorf. [] Verantwortlich: Gerd Muhr.[] Druck: Union-Druckerei, Theodor-Heuss-Aliee 90-98, 6000 Frankfurt/Main 12/78
Published:28.11.1978