Lockerung der Bewirtschaftung?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Lockerung der Bewirtschaftung? [] Von Staatsminister Alfred Kubel [] Der Direktor der Wirtschaftsverwaltung des Wirtschaftsrates, Dr. Semler, hat in einer Rede vor Vertretern der bayerischen Wirtschaft eine Lockerung der Bewirtschaftung angek...

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Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand, Kubel, Alfred, Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 07.1947 - 01.1948
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/2F6BE5BD-473C-4B70-89AF-3622A140206D
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Lockerung der Bewirtschaftung? [] Von Staatsminister Alfred Kubel [] Der Direktor der Wirtschaftsverwaltung des Wirtschaftsrates, Dr. Semler, hat in einer Rede vor Vertretern der bayerischen Wirtschaft eine Lockerung der Bewirtschaftung angekündigt. Bei etwa 20 Verbrauchsgütern soll geprüft werden, ob sie aus der Bewirtschaftung herausgenommen werden können. [] Auch der sozialdemokratische Wirtschaftssenator von Hamburg, Otto Borgner, hat nach Mitteilung einer Nachrichtenagentur eine Herausnahme eines Teiles bisher bewirtschafteter Artikel aus der Bewirtschaftung empfohlen. Die Nachrichtenagentur stellte fest, daß also auch die Sozialdemokratische Partei eine Beschränkung von Bewirtschaftungsmaßnahmen auf das Allernotwendigste fordert. [] Diese Bemerkung zu der Aeußerung Senator Borgners ist es, die mich veranlaßt, einige Ausführungen zu dem Problem zu machen. Denn es ist ja so, daß gewisse Kreise aus lauter Kampfeifer gegen sozialistische Wirtschaftspolitik gar nicht mehr dazu kommen, einmal ruhig zu prüfen, was Sozialdemokraten in volkswirtschaftlichen Fragen eigentlich wollen. Sie wollen ganz bestimmt nicht - ich brauche dies wohl nicht noch zu beschwören - ein wirtschaftspolitisches System, in dem alles bis zum letzten Hosenknopf staatlich geplant, gelenkt, (zwangs)bewirtschaftet und verteilt wird! [] Senator Borgner und die anderen Sozialdemokratischen Wirtschaftsminister haben nämlich fast alle Ehefrauen und sind auch nur Normalverbraucher. Das ist ein gewichtiges Argument! [] Vielleicht hilft diese Feststellung mehr als die verzweifelten Bemühungen unserer Theoretiker, mit wissenschaftlicher Logik und dem Hinweis auf unseren bewiesenen Freiheitswillen, ein ängstliches deutsches Bürgertum aus der Verschüchterung gegenüber unserem wirtschaftspolitischen Wollen zu befreien. [] Ich riskiere also gar nichts, wenn ich ohne mich vorher mit irgendjemand darin abgestimmt zu haben - namens aller sozialdemokratischen Wirtschaftspolitiker einschließlich der Minister erkläre: [] 1. Die Zwangswirtschaft ist nicht von uns erfunden. Die Nazis führten sie ein. Sie taten das nicht, um dem Sozialismus zu dienen, sondern dem Kapitalismus, für dessen Erhaltung sie besoldet wurden. Uns - verzeihen Sie vielmals - hängt sie zum Halse heraus. [] 2. Je eher wir die Glieder dieser Zwangswirtschaft amputieren können, um so glücklicher werden wir sein, bis wir ihr auch den Hals durchschneiden können. [] 3. Wir sind auch psychologisch gar nicht so dumm, um nicht zu wissen, wie sympathisch es allgemein berührt, wenn man von Lockerung der Wirtschaft spricht. [] 4. Sozialdemokraten sind auch nicht so ungeschickt, um nicht zu wissen, daß man eine Planwirtschaft mit feineren Mitteln viel erfolgreicher führen kann, und daß die Zwangswirtschaft mit ihrer Unterdrückung jeder Freiheit sehr unmoralisch sein kann und sehr unwirtschaftlich außerdem. [] Insoweit also sollte weder böswillig, noch aus Ignoranz heraus ein Unterschied zwischen den sogenannten Liberalisten und den Sozialisten konstruiert werden. Wo der Unterschied liegt, das will ich im Rahmen dieser Ausführungen nicht wiederholen. Aber - und wenn manche Leute platzen -: Die Sozialisten lieben die Freiheit außerordentlich, und zwar gerade auch in der Wirtschaft. Die Neo- und sonstigen Liberalisten schwärmen von Freiheit, konservieren den Kapitalismus und lassen sich - sofern sie sich nicht überhaupt opportunistisch tarnen - vom Monopolkapitalismus ihre Wirtschaft lenken. Das nennen sie dann "freie Wirtschaft", um, wenn es wieder einmal paßt, ihre politischen Freiheiten totschlagen zu lassen. [] Die Frage ist nun: "Wie kommen wir aus dem Dickicht der Zwangswirtschaft heraus?" Daß solche Waren freigegeben werden, die genügend produziert werden, ist natürlich vernünftig. Daß so etwas vorkommt, ist schon ein Erfolg der Planung, die mit dem Wiederaufbau der Grubenindustrien begann. Gewiß kann man auch manches freigeben, was nicht unbedingt zum lebensnotwendigen Bedarf gehört. Hier also ist eine Ueberprüfung der Listen zu begrüßen! [] Dafür, daß die Bäume von Erzeugern solcher Waren nicht in den Himmel wachsen und unsere Wirtschaft allzusehr beschatten, können wir durch die Rohstoff-, Kohle-, Energie- und Arbeiterzuteilung sorgen. [] Wird man damit viel Behördenarbeit sparen? Ich warne vor Optimismus! So viele Beamte und Angestellte werden mit der Bewirtschaftung entbehrlicher Dinge und der weniger wichtigeren Dinge, wie die immer zitierten Bratpfannen, nicht beschäftigt. Das läuft nebenbei mit. Aber dennoch! Freude soll herrschen über jedes solcher Güter, das nicht mehr bewirtschaftet zu werden braucht! [] Aber: Dr. Semler will auch wichtige Güter freigeben, nur weil so wenig davon produziert wird, daß ihre Bewirtschaftung nicht lohnt. Und da gehe ich nicht mit ihm einig! [] Zunächst: Wir wissen, daß auch mehr Möbel - das Beispiel wurde genannt - produziert werden, als von den Verteilungsstellen "erfaßt" werden. Vielleicht lohnt sich also die Bewirtschaftung schon, wenn die Produktionskontrolle verbessert wird. [] Daraus geht bereits das Merkwürdige einer solchen Begründung - zu geringe Produktion - hervor! Wenn die Produktion also nun steigt oder besser erfaßt wird, dann sollen offenbar Möbel wieder bewirtschaftet werden? Das wäre jedenfalls die Logik. [] Darüber muß Klarheit sein: Es ist keineswegs alles getan, um eine tragbare und wirtschaftliche Produktionskontrolle durchzuführen und vernünftige Produktionsauflagen an die Industrie zu geben, verbunden mit entsprechenden Rohstoff- und Energiezuteilungen. [] Die Betriebsräte dürfen die Produktionsmeldungen nicht kontrollieren und gegenzeichnen. In dieser Forderung sah die Militärregierung eine unzulässige Ausweitung des Rechtes der Betriebsräte. [] Ist nun die Meinung vorhanden, daß aus dem Namen Betriebsrat abgeleitet werden soll, daß die Betriebsräte "raten" sollen, was in ihrem Betrieb vorgeht? Die Militärregierung dürfte sich - sicherlich ungewollt - in Uebereinstimmung mit vielen Unternehmern befinden, wenn sie die Betriebsräte nicht kontrollieren und die Produktionsberichte nicht gegenzeichnen läßt. In jedem Falle darf man dann aber nicht den deutschen Verwaltungsstellen vorwerfen, sie täten nicht genügend gegen das Versickern von Waren in illegale Kanäle. [] Die Aufgabe liegt also darin, zu Lasten des Unwichtigen die Produktion des Wichtigen zu steigern! Es ist auch nicht so, daß ein Heer von Beamten sich damit beschäftigt, Möbel zu verteilen, die nicht da sind! Aber ich denke, wir Stehen vor einer allgemeinen Steigerung der Produktion? Da sollte man also nicht davon sprechen, solche Güter, deren Bewirtschaftung wegen des allgemeinen Mangels wünschenswert ist, deshalb aus der Bewirtschaftung herauszunehmen, weil ihre Produktion zur Zeit noch zu gering ist und vor allem zu schlecht erfaßt wird. [] Das Beispiel Schnürsenkel! Er verschwindet also, weil er bewirtschaftet wird! Selbst das psychologische Moment zugegeben: wer glaubt denn, daß es Schnürsenkel gäbe, wenn sie nicht bewirtschaftet wären? Manches Wünschenswerte wird nicht bewirtschaftet und ist doch nicht zu haben. So zum Beispiel: [] Zigarettenpapier, Konservendosen, Einmachegläser, elektrische Bügeleisen, Scheuertücher, Fleischwölfe, Haushaltswaagen, Kerzen, Taschenlampenbatterien, Taschenlampengehäuse. [] Sollte es nicht möglich sein, Rohstoffe für Schnürsenkelproduktion zuzuteilen, eine Produktionsauflage zu machen, die Produktion zu erfassen und die Schnürsenkel dann zu verteilen? Wenn das nicht möglich ist, bei dem bekannten deutschen Organisationstalent (hier sind nicht die Schieber gemeint!), dann sollen sich in der Tat die verantwortlichen Beamten zwar nicht am letzten dreimal geknoteten Schnürsenkel erhängen, aber vielleicht in anderer Weise aktiv werden. [] Nun zum Verlangen nach Legalisierung der Kompensation. Das wird bisher, fast immer so verstanden, daß ein Teil der erfaßten Produktion aus der Zwangswirtschaft herausgenommen und dem Produzenten zur freien Verfügung überlassen wird. Das geht so nicht, denn das könnte leicht dem Grauen Markt ein neues Tor öffnen, ohne das alte zu verschließen. [] Ich weiß mich mit vernünftigen Unternehmern in einem anderen Vorschlage einig. Er soll nur skizzenhaft angedeutet werden: [] 1. Produktionsauflage gekoppelt mit Rohstoff- oder Kohle- oder Energiezuteilung, je nach Art der Produktion. [] 2. Wenn ein Unternehmen durch Tüchtigkeit, etwa durch Rationalisierung, ohne Qualitätsminderung mehr als sein an die Roh- oder Hilfsstoffzuteilungen gekoppeltes Soll produziert, dann können wir überlegen, wie weit wir diese Ueberproduktion frei lassen. [] Ich will also nur andeuten, daß eine Legalisierung der Kompensation oder viel besser gesagt: der Einbau eines freien Marktsektors in die Zwangswirtschaft niemals zu Lasten der heute so geringen und mangelhaft erfaßten Produktion gehen kann. Bevor hier ernsthaft diskutiert wird, muß die Wirtschaft nach einem sich ständig verfeinernden System von Produktionsauflagen arbeiten. Und ein freier Marktsektor muß durch außerordentliche Leistungen erarbeitet werden. [] Aber auch hierbei wird mit Differenzierungen gearbeitet werden müssen. So lange etwa die deutsche Bevölkerung zum Beispiel in ihrer Fettversorgung absolut von der Einfuhr abhängig ist und wegen des Fettmangels große Teile des Volkes langsam am Verhungern sind, werden wir auch dem tüchtigsten Bauern keine Butter zum freien Verkauf überlassen können. [] Der allmähliche Abbau eines ganz großen Teiles der Produktionsauflagen schließlich muß dann der nächste Schritt aus der Zwangswirtschaft zu einer Planwirtschaft sein. [] Nach diesen Darlegungen könnte es klar werden, wieviel leichter es doch gewesen wäre, aus der kapitalistischen Wirtschaft - sagen wir zu Beginn dieses Jahrhunderts, selbst noch vor 1933 - eine sozialistische Planwirtschaft zu machen. Dazu fehlte es an der nötigen Einsicht! Da Sozialisten nach 1918 erstmalig in Deutschland und nun nach 1945 wiederum den Versuch machen müssen, eine Erneuerung des verderblichen kapitalistischen Systems zu unterbinden und aus einer Zwangswirtschaft eine Planwirtschaft zu machen, haben ihre Gegner es natürlich leicht, an die Dummheit derer zu appellieren, die ein Zuchthaus von einem freien Turnverein nicht unterscheiden können. [] Herausgeber: Vorstand der SPD - Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Hannover.
Published:07.1947 - 01.1948