Von der Idee zur Gestaltung

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Von der Idee zur GESTALTUNG [] Kurt Schumacher [] Als das Dritte Reich militärisch und politisch zusammengebrochen war, hatte der weitaus größte Teil des deutschen Volkes den ehrlichen Willen zu einer grundsätzlichen Bereinigung der Verhältni...

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Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand; Schumacher, Kurt, Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Published: 1945 - 1947
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/7E6860BE-950D-43DC-A04D-3D422DDD5F1B
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Von der Idee zur GESTALTUNG [] Kurt Schumacher [] Als das Dritte Reich militärisch und politisch zusammengebrochen war, hatte der weitaus größte Teil des deutschen Volkes den ehrlichen Willen zu einer grundsätzlichen Bereinigung der Verhältnisse. Gewiß kann man den Okkupationsmächten nicht vorwerfen, daß sie das optimistische Zutrauen des deutschen Volkes nicht rechtfertigen konnten und wollten. Aber selbst wenn man alle Illusionen der zahlreichen Unpolitischen im deutschen Volke als Hirngespinste erkennt, bleibt doch noch viel übrig, was vermeidbar gewesen wäre und nicht richtig gemacht worden ist. [] Man weiß jetzt in der Welt, daß ein großer Teil der Schwierigkeiten, die sich in Deutschland herausgebildet haben, daraus herrühren, daß die westlichen Okkupationsmächte eigentlich nicht wußten, was sie mit Deutschland anstellen sollten. Die östliche Okkupationsmacht freilich hatte ein Programm und eine Praxis, aber beide kamen mit den ökonomischen Notwendigkeiten, den kulturellen Auffassungen und den politischen Möglichkeiten des deutschen Volkes in Widerspruch. [] Während Sowjetrußland seine Besatzungszone zu einer Sonderzone ohne Kontrolle und Kritik der übrigen Sieger zu machen verstand, gelang es der humaneren Praxis Großbritanniens und der USA nicht, einen festen Boden für die Gesundung der Wirtschaft und ein politisches Fundament der Demokratie aufzubauen. Gewiß waren besonders die Amerikaner mit der Einführung demokratischer Prinzipien und ihrer verfassungsmäßigen Verankerung schnell bei der Hand. Die Atmosphäre des Morgenthau-Planes aber, die politischen und ökonomischen Irrtümer der ersten Periode wirkten mit der unsicheren Linie Großbritanniens und seiner deutschen Besatzungspolitik zusammen, um das Chaos immer größer zu machen. [] In Deutschland ist es jetzt ein beliebtes politisches Gesellschaftsspiel, die politischen Parteien als die Schuldigen hinzustellen. "Die politischen Parteien haben versagt" quäken viele Journalisten, Literaten und Rundfunksprecher, die ihr fehlendes deutsches Programm durch eine ausländische Lizenz hinreichend ersetzt glauben. Aber die politischen Parteien können schon deswegen nicht versagt haben, weil sie im Staatsleben noch nicht eine angemessene Rolle haben spielen können. Zur Klärung der Verhältnisse in Deutschland gehört nämlich eine eindeutige Fixierung von Einfluß und Verantwortung. Man hat auf allen möglichen Gebieten versucht, deutschen Faktoren die Verantwortung zuzuschieben, die kraft der Machtverteilung allein bei den Alliierten lag. [] Im übrigen muß doch darauf hingewiesen werden, daß die Gleichsetzung der Parteien eine große Ungerechtigkeit in sich trägt. Die nach militärwissenschaftlichen Gesichtspunkten dirigierten Formationen der Kommunisten und die große Herde, die in der bürgerlichen Sammelpartei der CDU von allen möglichen religiösen und gesellschaftlichen Kräften zusammengehalten wird, unterstehen anderen Gesetzen als eine auf dem Fundament rationaler Politik aufgebaute Partei wie die deutsche Sozialdemokratie. Es ist den demokratischen Elementen in Deutschland die Aufgabe zugefallen, eine Demokratie aufzubauen gegen alle Variationen der Diktatur und des Totalitarismus, gegen deutsche Interessenten und Traditionen und gegen - die demokratischen Besatzungsmächte. Militärregierungen und Demokratie sind zwei Gesichtspunkte, die einander viel Schwierigkeiten machen und gegebenenfalls sogar ausschließen. Damit soll nicht verkannt werden, daß die angelsächsischen Besatzungsmächte den guten Glauben, der Demokratie in Deutschland zu nützen, auch unter großen Opfern für sich selbst gezeigt haben. Aber es ist unmöglich, die Demokratie des eigenen Landes zu importieren. Die Angelsachsen waren gänzlich blind, gegen die großen Tatsachen, der deutschen Demokratie, die zwar 1933 in ihrer politischen Gestaltung vom Nazismus liquidiert worden ist, die aber immer noch in Millionen von Menschen lebendig war und auch in der Jugend Möglichkeiten der Entwicklung hätte. Diese deutschen Möglichkeiten unter den [] Bedingungen Deutschlands zu entwickeln, ist die Aufgabe, die allen Besatzungsmächten gestellt war und von ihnen durch ihre praktische Politik bisher nicht erfüllt wurde. [] Bei den politischen Auseinandersetzungen übersehen die Kritiker des deutschen Parteienwesens z. B. die Rolle der Sozialdemokratischen Partei in der Abwehr des Kommunismus und des Nationalbolschewismus. Ohne die deutsche Sozialdemokratie und ihre politische Leistung in der Auseinandersetzung mit den östlichen Totalitarismus wäre Deutschland - und vielleicht noch manches andere Land Westeuropas - bereits ideologisch-politisch eine Domäne des Kommunismus geworden. Dabei ist festzustellen, daß die anderen deutschen Parteien der Sozialdemokratie mehr als zwei Jahre hindurch nicht die geringste Hilfe geleistet haben. Im speziellen die Vertreter der Besitzbürger in Westdeutschland haben sich an der Idee gütlich getan, daß die Kommunisten als Pfahl im Fleische der Sozialdemokratie auch eine nützliche Funktion hätten. Der Kampf dieser politischen Richtungen in der Vergangenheit ist lediglich gegen die Sozialdemokratie als die praktisch aktuelle und gesetzmäßige Bedrohung des großen Eigentums gegangen. [] Die Tatsache, daß die rußlandhörigen Kommunisten in ihren Taten allmählich sich von jeder Form des Deutschseins oder der internationalen sozialistischen Idee losgelöst und zu einer reinen russischen Staatspartei entwickelt haben, begann gewisse Veränderungen zu zeitigen. Die Christlich-Demokratische Union und die Liberal-Demokraten der Ostzone wurden in die Position der Satelliten der SEP gebracht. Die politischen Kräfte des sowjetischen Besatzungsgebiets orientierten sich nicht mehr nach den deutschen ideenmäßigen und tatsächlichen Gegebenheiten, sondern nach dem russischen Kommando. [] Das heißumstrittene und gerade von der Sozialdemokratie gegen den Kommunismus in zahlreichen harten Gegenschlägen zurückgewonnene Berlin, die Atmosphäre der Ablehnung des östlichen Kommunismus durch die Arbeitenden der Ostzone haben ihre geschichtliche Bedeutung, die weit über die Anerkennung der Tapferkeit und der Treue der Menschen, die hier gekämpft haben und heute noch kämpfen, hinausgeht. Man nehme alle Kritiker der deutschen Sozialdemokratie und setze sie unter Anrechnung aller Möglichkeiten und Anerkennung aller eventuellen Fähigkeiten in die eine Waagschale und man lege auf die andere Waagschale die eine Tat der deutschen Sozialdemokratie: die Durchsetzung der Demokratie und die Abwehr des Kommunismus, ja man nehme nur den einzigen Kriegsschauplatz Berlin, dann sieht man, wohin sich das Schwergewicht der politischen Leistung neigt. [] Die ersten drei Jahre der Besatzungspolitik haben zuviel passives Beiseitestehen der Siegermächte gezeigt. Wenn man heute davon spricht, daß "die Deutschen" zuwenig Initiative und Verantwortungsfreude zeigen würden, so ist das eine durch die Tatsachen widerlegte Sinnlosigkeit. Im besonderen die deutsche Sozialdemokratie hat auf Entscheidungen gedrängt, sie hat seit Jahren die wirtschaftliche Gesundung Deutschlands durch die ökonomische Belebung Westdeutschlands verlangt. Sie hat den westlichen Alliierten vorgeworfen, daß die Teilung Deutschlands, wie sie seit 1945 effektiv von den Russen in Angriff genommen wurde, durch ihre Passivität erst ermöglicht wurde. Es ist sehr amüsant, dann zu sehen, daß ein Teil der Presse, die heute vor Verantwortungsfreude schäumt, uns damals eine unfruchtbare Opposition vorgeworfen und ihre liebe Siegermacht in Schutz genommen hat. Die deutschen Sozialdemokraten waren für die Kooperation, aber nicht für die Unterwerfung. [] Daran muß man denken, wenn man die Versuche kritisch würdigt, die deutsche Politik und Wirtschaft aufzubauen. Die Erinnerung an die neueste Londoner Konferenz, die Namen Frankfurt, Koblenz und Rüdesheim sprechen ihre besondere Sprache. Hier haben die Besatzungsmächte ihre Politik endlich einmal realisieren wollen. Aber sie sind an die Oeffentlichkeit getreten mit Verlautbarungen, gegen deren prinzipielle Linie eine Diskussion nur noch unvollkommen möglich war. Keine der drei Westmächte hat, bevor sie an die Lösung der Probleme ging, eine der maßgebenden politischen Potenzen Deutschlands oder gar alle Kräfte, auf deren Unterstützung sie rechnete, über ihre Ziele und die Methodik ihrer Politik unterrichtet. Daraus sind dann Schwierigkeiten entstanden. Die Sozialdemokratische Partei hat diese Art Politik zu machen erwartet. Sie hat darum nach der Abkühlung der angelsächsisch-russischen Beziehungen gegen Ende 1947 die Verantwortung der Siegermächte an der östlichen Aktion und den westlichen Reaktionen darauf eindeutig festgestellt. Das hat der Sozialdemokratie im Ausland wenig Freunde gemacht, und im Inland ist die Zahl der Klugredner enorm gewachsen. In der Zwischenzeit aber ist aus manchem Saulus ein Paulus, geworden. Das erste Prinzip deutscher Politik im Verhältnis auch zu einer wohlwollenden Siegermacht besteht darin, daß man nicht mehr Verantwortung übernimmt, als man an Einflüssen zugebilligt bekommt. Was Amerikaner, Briten, Franzosen wollen und durchsetzen, muß auch als [] Ergebnis ihrer Politik eindeutig gekennzeichnet sein. Die Sorge, daß man anders die Kommunisten nicht abwehren könne, ist heute bei der Sozialdemokratie die geringste, und es wäre vielleicht gut, wenn manche Sieger samt ihrer literarischen Lakaien etwas zurückhaltender in der Verdächtigung wären, die Deutschen und speziell die Sozialdemokraten würden mit dem Blick auf die Kommunisten und Russen ihre Politik machen. Die Sozialdemokratie macht heute dieselbe Politik wie vor zwei und drei Jahren, wie also in den Zeiten, als mancher, der heute gegenüber den Kommunisten die Handschuhe ausgezogen hat, noch seinen politischen Himmel voller Morgenthau sah. [] Viel wird einem angeblichen Versagen der Deutschen angekreidet, was, in Wirklichkeit Entschlußlosigkeit der Sieger ist. Das qualvolle Hinausziehen der Reparationen und Demontagen, die Lahmlegung wichtiger Exportindustrien, die Ausfuhr von Kohle, Holz und Schrott zu Preisen, die weit unter Weltmarkt lagen, haben das ökonomische Chaos und die Atmosphäre der Aussichtslosigkeit geschaffen. Die Gestaltung der Währung tat das ihre dazu. Die Währungsreform in Westdeutschland hat jetzt endlich die Grundlagen für eine wirtschaftliche Besserung geschaffen. Aber wieweit wir es mit einer echten Besserung zu tun haben, ist noch ungeklärt. Man hat die Währungsreform als eine isolierte finanztechnische Manipulation vorgenommen. Sie ist als ein Werk der Besatzungsmächte, vor allem der Amerikaner, nach deren Wünschen gestaltet. Aber eine Währungsreform, die nicht zu gleicher Zeit die Prinzipien des Lastenausgleichs bestimmt, ist ein halbes und gefährliches Werk. Die Wenig- oder Nichtbesitzenden, die Arbeiter und Intellektuellen, die Ausgebombten, Evakuierten und Flüchtlinge haben einen schlechten Start gegenüber der geschlossenen Front der Sachwertbesitzer. Die Besatzungsmächte hatten :doch genau wie die deutschen politischen Parteien dasselbe Bild vor Augen. Der schrankenlose Egoismus der Kreise, die die Chance der Sachwerthortungen besaßen, hat alles ihrer Verdienerwut geopfert. Die CDU, die LDP und die kleineren politischen Gruppierungen rechts von ihnen haben dabei kein politisches [] konkretes Ziel gehabt. Ihr Leitsatz war Verdienen, und zwar nicht an einer echten Konjunktur, sondern an der Ausplünderung des Volkes, dem man seine reale Arbeitskraft abgaunerte und das man mit einer Papiermark, der fast keinerlei Kaufkraft mehr innewohnte, abzuspeisen versuchte. Bei derartigen Spannungen konnte bei der Instanz, die auf der deutschen Seite die Verantwortung für die wirtschaftspolitischen Maßnahmen trug, keine Form der Zusammenarbeit gefunden werden. Das Parteiensystem rechts von der Sozialdemokratie hat durch seine Besitzbürgerpolitik im Wirtschaftsrat die Deutschen der Westzonen staatspolitisch funktionsunfähig gemacht. [] Der heutigen Währungsreform fehlt jede sozialpolitische Differenzierung. Sie ist ein Akt, der sich in der Vorstellung und den technischen Bedürfnissen des Geldes erschöpft, ohne aber diesen Komplex befriedigend geregelt zu haben. Der Kampf um die Preise und Kredite ist erst im Anfangsstadium. All diese Schwächen wird die Sozialdemokratie beim Kampf um den Lastenausgleich noch besonders auszugleichen haben. Es geht nicht um einen äußerlichen Lastenausgleich, der kleine Schönheitsfehler eines extremistischen Verdienertums zu mildern hätte. Man kann nicht übersehen, daß dieselben Kreise in der Periode, in der sie auf Kosten des Lebens des deutschen Volkes ihre Hortungspolitik getrieben haben, wohl sehr viel von Lastenausgleich sprachen. Jetzt sind die Tage der Entscheidungen gekommen, aber jetzt möchte man von seiten des deutschen Kapitalismus mit derselben Begründung der angeblichen volkswirtschaftlichen Unmöglichkeit den Lastenausgleich torpedieren, mit der man die verbrecherische Hortungspolitik vorher für notwendig erklärt hat. [] Die Sicherung der deutschen Währung als der Grundlage einer deutschen ökonomischen Prosperität, die ausreicht, genügend auszuführen und, zugleich den inneren Markt zu versorgen, kann nicht durch irgendwelche geringfügigen Manipulationen geschaffen werden. Eine Sicherheit gibt es bloß durch die radikalste Form des Lastenausgleichs, die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse in Deutschland. Hieran kann uns keine Besatzungsmacht hindern. Hier braucht es aber eine Konzentration der politischen Kräfte in Deutschland, die sich von den bankerotten [!][bankrotten] Nutznießern der vergangenen politischen Systeme nicht von neuem in die Irre führen lassen. 1914 und 1918, 1933 und 1945, das sind die großen Mahnmale einer unfähigen, Volk und Frieden zerstörenden Klassenpolitik von oben. Es ist damals offenbar geworden, daß die besitzenden Klassen in Deutschland nicht in der Lage waren, eine tragfähige politische Schicht zu bilden. Sie haben eine Unfähigkeit von unvorstellbaren Ausmaßen gezeigt. Und dieselben Kreise, die ihr Volk zweimal in den Abgrund gestoßen und Europa verwüstet haben, stellen jetzt mit einer nicht zu überbietenden Frechheit die Forderung auf, die bankerotten [!][bankrotten] Prinzipien ihrer Plündererpolitik zum dritten Male realisieren zu dürfen. Bei den letzten Versuchen waren ihre Klassenziele, denen das deutsche Volk in seinem eigentlichen Denken und Fühlen feindlich gegenüberstand, zu verwischt und vernebelt. Die Ideen eines propagandistischen Nationalismus waren die Helfer und Ablenker. Heute [] sind es die Ideen der Religion, der Persönlichkeit und des Liberalismus, die mit der gleichen zynischen Kälte, der jeder geistige und sittliche Wert nur ein Mittel der Propaganda ist, mißbraucht werden. [] Die Tatsache der zonalen Aufsplitterung, des Fehlens jeder zentralen Stelle, die administrative Individualisierung durch Länder, denen man zuviel Aufgaben aufgebürdet hat, sind große Erschwerungen für die Aktivierung der politischen Kräfte des deutschen Volkes. Der andere Umstand aber, daß sich die Amerikaner entschlossen haben, auch für Deutschland den Weg vom Morgenthau-Plan zum Marshall-Plan zu gehen, zwingt jetzt die Besatzungsmächte nicht weniger als die Deutschen, das administrative Instrument in Westdeutschland zu schaffen, durch das Wirtschaft und Politik in Westdeutschland aufgebaut werden kann. Die dogmatischen Illusionen von dem betonten Föderalismus als der Weisheit letzter Schluß erweisen sich dabei als ebenso gefährlich wie die Illusion der freien Wirtschaft. Das ERP und seine Realisierung brauchen geplante, politische und ökonomische Vernunft und nicht historischen Traditionalismus und die Spielerei einer freien Wirtschaft, die es nirgends in der Welt mehr gibt als in dem bisher wirtschaftlich luftleeren Raum Westdeutschlands unter den besonderen Bedingungen der Besatzungspolitik. Für die Europäisierung des Kontinents aber sollten die Deutschen etwas Besseres einbringen als ihre bankerotten [!][bankrotten] Nationalisten. [] Die historischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen Deutschlands und Europas sind andere als die der USA und anderer großer Länder. Die schrecklichen, politisch, sozial und kulturell zerstörerischen Folgen und Begleiterscheinungen des Totalitarismus können nur durch eine Politik abgewehrt werden, die sich in der Verneinung des Kommunismus nicht erschöpft. In Deutschland ist der Nazismus mit dem Großkapitalismus verwachsen. Die Ideen weiter Kreise, die heute ohne Scham und ohne Reue über ihre Mitschuld an den Ruinen Deutschlands und der Zerstörung Europas mit unnachahmlicher Unverschämtheit ihr Unwesen in der Politik treiben, beherrschen weite Teile der deutschen Oeffentlichkeit. Sie kommen aus der geduckten Stellung des Jahres 1945 wieder hervor. Die Tatsache, daß alle vier Besatzungsmächte in der einen oder anderen Form sich ihrer bedienen, läßt sehr schnell Schranken fallen, die im Interesse einer geordneten Entwicklung Deutschlands und Europas unübersteigbar sein sollten. [] Die Sozialdemokratie hat ihre Position bezogen. Nach mehr als drei Jahren Besatzung ist es nicht zuviel verlangt, daß die Sieger, in deren Hand noch immer alle Macht ruht, mehr Verständnis für die Besonderheit der deutschen Situation zeigen sollten. Das beginnt mit der staatsrechtlichen Konstruktion, dem Besatzungsstatut; den Besatzungskosten, die jede geordnete Finanzwirtschaft und Währung auf die Dauer unmöglich machen können, und hört mit den Demontagen und der Sabotage der Sozialisierung noch lange nicht auf. Gewiß gibt es weiterschauende Kräfte außerhalb Deutschlands. Das Bekenntnis der American Federation of Labor, das sie im Oktober 1947 für die Prinzipien der Sozialdemokratie im Kampf um die Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit in Deutschland abgelegt hat, das Verständnis der Sozialistischen Internationale und die Einsicht, die auch nichtsozialistische und nichtgewerkschaftliche Amerikaner für die Andersartigkeit der europäischen Probleme und den Sozialismus als einen wesentlichen Bestandteil der politischen Kultur Europas gezeigt haben, sind wichtige und hoffnungsreiche Verheißungen. [] In erster Linie aber muß sich die Sozialdemokratie an das deutsche Volk wenden. Das hat sich zu entscheiden. Wenn Millionen sich wieder trotz aller Erfahrungen der letzten Jahrzehnte täuschen, ablenken und mißbrauchen lassen, so gibt es vor der Geschichte keine Entschuldigung, keinen guten Glauben gegenüber traditionell geheiligten Komplexen, kein Abschieben der Schuld auf die ohne Zweifel vorhandene Verständnislosigkeit von Besatzungsregierungen. Das deutsche Volk muß wissen, ob es sich von den alten Ladenhütern der traditionellen Phraseologie einlullen lassen oder ob es erkennen will, daß die Einheit und die Freiheit der Nation in diesem Lande nur durch die Eroberung der sozialen Gerechtigkeit errungen werden kann. [] Herausgeber: Vorstand der SPD. Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Hannover.
Published:1945 - 1947