An die Wählerinnen und Wähler des Wahlkreises Bielefeld

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; An die Wählerinnen und Wähler des Wahlkreises Bielefeld [] Sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr, [] da ich nicht weiß, in wessen Hände dieses Exemplar meines Briefes gelangt, muß ich Ihnen die Wahl der für Sie zutreffenden Anrede überlassen....

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Ladebeck, Artur, Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Presse-Druck GmbH, Bielefeld
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/A1E7CCAD-2A42-41B4-8DA8-70286948B135
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; An die Wählerinnen und Wähler des Wahlkreises Bielefeld [] Sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr, [] da ich nicht weiß, in wessen Hände dieses Exemplar meines Briefes gelangt, muß ich Ihnen die Wahl der für Sie zutreffenden Anrede überlassen. Sie sollen und wollen (hoffentlich!) am 6. September ja eine noch weit schwierigere Wahl treffen. [] Und der Zweck meines Briefes ist es, Ihnen dabei behilflich zu sein mit einigen wenigen Mitteilungen über mich und meine bisherige politische Tätigkeit. Prüfen Sie bitte nach dem bewährten Grundsatz: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! [] Der Dichter Stephan Andres, damals noch in Italien lebend, sagte mir gelegentlich seiner Teilnahme an einem internationalen Jugendtreffen in Bielefeld, ich sei für ihn eine gewisse Enttäuschung. Nach dem Grunde befragt, erwiderte er, er habe sich eine ganz andere Vorstellung von mir gemacht, nachdem ich seine Einreisegenehmigung trotz aller Schwierigkeiten bei den Besatzungsbehörden erreicht und er meine große Unterschrift in den Schriftstücken gesehen hätte. Ich habe ihm darauf zur allgemeinen Erheiterung gesagt, daß ich in der Tat ein ganz alltäglicher Mitteleuropäer sei, aber doch ein guter Europäer. Und damit habe ich nun auch schon meine Vorstellung bei Ihnen begonnen. [] Mein nunmehr gut 60jähriges Leben zeigt einen anomalen Ablauf nur insoweit, als ich nach mehr als 20jähriger Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter noch im Alter von mehr als 40 Jahren mehrmals meinen Beruf wechseln mußte. 'Das verdanke ich dem Führer', dessen Gestapo mich wiederholt und insgesamt mehrere Jahre ins Gefängnis schickte. In der übrigen Zeit während des "Tausendjährigen Reiches" schippte und schleppte ich Kohlen, Kartoffeln und Getreide, und noch mehr verkaufte ich davon als Angestellter bei zwei Bielefelder Firmen, trotzdem mir selbst das verboten wurde. Das habe ich zwar nie ganz verstanden, denn die in Bielefeld so beliebten 'Roten Heidelberger' und selbst die etwas weniger gefährlichen 'Blauen Odenwälder' waren schon vom Kartoffelmarkt mehr oder weniger verschwunden. Immerhin habe ich so bestätigt gefunden, daß die Politik bis in die Kartoffelkiste und in den Kochtopf hineinreicht, was viele Frauen immer noch nicht erkannt haben, trotz der Preise. [] 1945, kurz nach dem Einmarsch, wurde ich zu den Amerikanern geholt. Ich war als Oberbürgermeister in Vorschlag gebracht worden, ohne, mein Zutun, denn ich lebte damals in der Senne. Auch sie selbst hatten meinen Namen, ebenso wie die Engländer, mitgebracht mit der Kennzeichnung, daß ich ein Gegner des Nationalsozialismus und überzeugter Demokrat sei. Was übrigens zutraf und auch heute noch gültig ist, ebenso wie der Zusammenhang zwischen Kartoffeln und Politik . Sie sehen, es gibt auch auf diesem Gebiete Beständiges und Beständige. (Hand aufs Herz! Waren Sie nicht der Meinung Politik verdirbt den Charakter? - Umgekehrt ist es richtig: Schlechte Charaktere verderben die Politik!) [] Die Amerikaner erklärten mir auf die Frage nach meinen Rechten, daß sie als Soldaten Befehle erteilten, aber nicht Rechte vergäben. Ich verließ sie darauf mit dem Rat, sich einen Befehlsempfänger zu suchen, aber nicht einen Oberbürgermeister. Sie und die Engländer haben das, wie ich später feststellen konnte, mir nicht übelgenommen, sondern sehr geachtet, als sie mich nach Monaten baten, zunächst als Landrat und dann als Oberbürgermeister tätig zu sein. [] Damals habe ich vor der Bürgerschaft unserer Stadt gelobt, dieses Amt zu führen: "Gerecht, wie das Gesetz es befiehlt, hart, wie die Zeit es verlangt, milde, wo die Not der heilenden Hand bedarf, und sauber, wie wir es in unserer Stadt immer gewohnt waren". Meine Arbeit in den sieben Jahren dieser Tätigkeit hat wie die wohl kaum eines anderen Bürgers vor aller Öffentlichkeit gestanden, so daß Sie selbst ein Urteil darüber haben oder es sich leicht verschaffen können. Wenn viele Wünsche und Forderungen nicht erfüllt werden konnten, so darf ich doch hoffen, die Bestätigung des guten Willens wie des persönlichen Einsatzes in den Grenzen der gegebenen Kraft und der Verhältnisse auch von Ihnen zu erhalten. [] In den langen Jahren kommunaler Tätigkeit - als Stadtverordneter bis 1933 und als Landrat und Oberbürgermeister seit 1945 - glaube ich mir die Grundlagen erarbeitet zu haben, um auch im Bundestag erfolgreich tätig sein zu können. Meine seit mehr als 30 Jahren bestehende Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei ist das Fundament meiner politischen Überzeugung. Als junger 'Welterneuerer' machte ich in ihr die ersten politischen Gehversuche, in vieler Hinsicht angeregt und beraten von Carl Severing, dem unvergeßlichen Repräsentanten der Bielefelder Sozialdemokratie. [] Als Bundestagsabgeordneter würde ich eine besondere Aufgabe darin sehen, die Rechte der Gemeinden und ihrer Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetzgebung des Bundes und einer kommenden europäischen zu wahren, zumal ich durch das Vertrauen der Bürgermeister von mehr als 20000 Gemeinden im 'Rat der Gemeinden Europas' beauftragt war, auf diesem Gebiet international anerkannte Vorarbeit zu leisten. [] Die Probleme der Nachkriegszeit sind mir durch meine bisherige Tätigkeit größtenteils mit allen ihren Schwierigkeiten eingehend bekannt, so daß ich aus dieser engen Berührung vor einer Sicht 'vom grünen Tisch' bewahrt bleibe. [] Wenn das Vertrauen meiner Parteifreunde mich als Kandidaten für den Bundestag berief, so halte ich es doch für meine Pflicht, allen Wählern fortlaufend Rechenschaft zu geben. Denn nur so kann in unserem Volke die Demokratie Wurzel schlagen. Selbstverständlich hat ein Abgeordneter für seine Überzeugung einzutreten, aber ebensosehr soll er die ehrliche andere achten. Das ebenso in der Zukunft zu tun wie in der Vergangenheit, verspreche ich auch Ihnen, wie das andere und meiner Ansicht nach Wichtigste: im neuen Bundestag alle Kraft dafür einzusetzen, [] daß Deutschland wieder einig und frei werde in Frieden! [] Hochachtungsvoll [] Artur Ladebeck [] So wählen Sie richtig! [] Erststimme für die Wahl der Wahlkreisabgeordneten [] Presse-Druck GmbH., Bielefeld [] Zweitstimme für die Wahl der Landeslisten [] Presse-Druck GmbH., Bielefeld [] Postwurfsendung [] An alle Haushaltungen
Published:06.09.1953