Bauernführer einmal so - einmal anders

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Bauernführer [] einmal so - einmal anders [] Von Herbert Kriedemann, MdB [] [] Um der Landwirtschaft einen Ausgleich für die vielen Unsicherheitsfaktoren zu bieten, die im Witterungsablauf liegen, und um die deutsche Ernährung wenigstens in...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Druckhaus Deutz
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.07.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/AA321DEF-01E9-4370-9C86-BD8544D286C7
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Bauernführer [] einmal so - einmal anders [] Von Herbert Kriedemann, MdB [] [] Um der Landwirtschaft einen Ausgleich für die vielen Unsicherheitsfaktoren zu bieten, die im Witterungsablauf liegen, und um die deutsche Ernährung wenigstens in einem gewissen Umfange vor den spekulativen Schwankungen der Weltmarktpreise zu schützen, hat der Bundestag eine Reihe von Marktordnungsgesetzen beschlossen, unter denen das Getreidegesetz das wichtigste ist. Beim Bekenntnis der Sozialdemokratie zu einem planvollen Wirtschaftsablauf ist es eine Selbstverständlichkeit, daß sie an diesen Gesetzen nicht nur maßgeblich mitgearbeitet hat, sondern daß sie diesen auch zustimmte. Das ist der SPD-Fraktion im Bundestag nicht immer leicht gefallen, weil die Parteien der Regierungsmehrheit - unter dem Einfluß der Erhard-Leute - nicht als zuverlässige Partner angesehen werden konnten. Tatsächlich ist die Marktordnung von denen, die den ungeregelten Wirtschaftsablauf lieben, weil man in ihm mühelos die großen Profite machen kann, immer als störend empfunden worden, und bei der Abhängigkeit der Regierungsparteien von jenen Kreisen war es kein Wunder, daß die Praxis der Regierung der Marktordnung, wie sie für Erzeuger und Verbraucher gut ist, immer wieder Steine in den Weg legte. [] Getreu ihrem Versprechen, für eine Wirtschaftspolitik einzutreten, die der ehrlichen Arbeit auch einen anständigen Lohn sichert, hat sich die SPD im Bundestag immer wieder für eine sinnvolle Durchführung der Marktordnungsgesetze eingesetzt. Dabei ist es anläßlich der Verabschiedung des Getreidepreisgesetzes 1953 zu Auseinandersetzungen gekommen, die insbesondere die Bauern zur Kenntnis nehmen müssen, weil sich an dem, was sich im Bundestag abgespielt hat, besser als an Versammlungsreden und Propagandaschriften und Wahlversprechungen erkennen läßt, wo für die das Land bearbeitenden Menschen Freund und Feind stehen. [] In jedem Jahr hat der Bundestag durch Gesetz die Mindest- und Höchstpreise für Brot- und Futtergetreide, aus inländischer Erzeugung festzusetzen - rechtzeitig festzusetzen nach den Vorschriften des Marktordnungsgesetzes für Getreide. Eigentlich sollte man meinen, daß rechtzeitig nur so verstanden werden kann: Noch ehe der Bauer das Saatkorn im Herbst der Erde anvertraut, werden die Preise bekanntgemacht, damit der Bauer seinen Anbau danach einrichten kann. Die Bundesregierung, die bekanntlich nur von solchen Parteien gebildet wird, die sich draußen im Lande immer als die besonderen Freunde der Bauern aufspielen, hat in den vier Jahren ihrer Tätigkeit das Gesetz anders ausgelegt: Getreidepreise wurden immer erst festgelegt, wenn die Ernte schon im Gange war. Noch schlimmer aber ist, daß die in diesen Gesetzen festgelegten Preise bisher nur auf dem Papier standen. - Jedenfalls nach Auffassung der Bundesregierung und der von ihr geübten Praxis. Es steht zwar im Gesetz, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle die Aufgabe hat, die Innehaltung der gesetzlichen Höchst- und Mindestpreise zu gewährleisten, als aber in diesem Jahre Hafer in großen Mengen auch zum Mindestpreis nicht mehr abzusetzen war, hatte die Einfuhr- und Vorratsstelle vom Bundesfinanzminister nicht genügend Geld mit auf den Weg bekommen, um ihre Aufgabe erfüllen zu können, und das Bundesernährungsministerium erklärte durch den Mund seines Ministers, unterstützt von Staatssekretär Dr. Sonnemann, daß der Erzeuger auch keinen Rechtsanspruch auf die gesetzlichen Mindestpreise habe. [] Man mache sich einmal den Zynismus klar, der in diesem Verhalten liegt: Da laufen die Herren Bauernführer auf dem Lande herum, fangen die Bauernstimmen für die sog. bürgerlichen Parteien ein - damit die Händler und die Maschinenfabrikanten und was sonst noch an der Landwirtschaft verdienen will, die Wirtschaftspolitik bestimmen können - versprechen das Blaue vom Himmel herunter, machen Marktordnungsgesetze mit Mindestpreisen - und hören sich dann im Ernährungsausschuß des Bundestages seelenruhig mit an, wie ihre eigene Regierung erklärt, daß diese Preise doch nur auf dem Papier stehen! Die gewissenlose Methode dieser Sorte von Agrarpolitik - die, wenn sie Versprechungen gibt, schon entschlossen ist, sie nicht zu halten - wird in diesem Falle noch dadurch unterstrichen, daß bei der Verabschiedung des vorjährigen Preisgesetzes einer dieser Herren Bauernführer-Bundestagsabgeordneten eine Heraufsetzung des Hafermindestpreises um 10 DM beantragt hat, was dann auch von der Regierungsmehrheit beschlossen wurde. Konnte die Landwirtschaft diese Maßnahme anders verstehen als einen Anreiz zur Ausweitung des Haferanbaus? Hinterher - als der Hafer unverkäuflich blieb - haben dieselben Leute, die diese Preiserhöhung beschlossen haben, erklärt: die Bauern hätten ja nicht so viel Hafer anzubauen brauchen, dann würden sie jetzt auch nicht auf ihm sitzen bleiben. [] Um dieser Verfälschung der Marktordnung ein Ende zu bereiten und um solchen Bauernfängern das Handwerk zu legen, hat die SPD bei der Beratung des neuen Getreidepreisgesetzes im Ernährungsausschuß beantragt, daß man in das Gesetz eine Bestimmung aufnehmen solle, die die Einfuhr- und Vorratsstelle verpflichtet, dem Erzeuger sein Getreide zum Mindestpreis abzunehmen, wenn er es im freien Verkehr zu diesem gesetzlich festgelegten Mindestpreis nicht mehr unterbringen kann. Für die SPD hat es sich dabei nur um die ausdrückliche Festlegung einer Verpflichtung gehandelt, die ihrer Meinung nach zu den selbstverständlichen Aufgaben der Einfuhr- und Vorratsstelle gehört. Durch das Verhalten der Regierung, die diese Verpflichtung nicht anerkennen wollte, erschien ihr diese Klarstellung aber unbedingt notwendig, zumal das, was in diesem Jahre mit dem Hafer geschehen ist, sich in naher Zukunft bei der Gerste und sogar beim Roggen wiederholen könnte. Da die Mehrheit des Ernährungsausschusses im Bundestag aus Präsidenten von Bauernverbänden, maßgeblichen Vertretern der Raiffeisengenossenschaften, der Landwirtschaftskammern und anderen prominenten Bauernführern besteht, wurde dieser sozialdemokratische Antrag natürlich - abgelehnt! Die Herren kennen den Unterschied zwischen dem, was sie. sich gegenüber den Bauern an unverbindlichen Redensarten und Versprechungen erlauben dürfen, und dem, was sie sich als Bundestagsabgeordnete in den Reihen der Adenauer-Schäffer-Erhard-Regierung erlauben dürfen, ganz genau. Mindestpreise versprechen, - gut, ein Getreidepreisgesetz beschließen - auch gut, aber das ernst meinen, dem Erzeuger eine echte Sicherheit geben, für die Regierung eine echte Verpflichtung übernehmen - das kommt gar nicht in Frage! [] Angesichts der Entwicklung der Vorräte und Preise auf dem Weltgetreidemarkt war es für die SPD-Fraktion eine Selbstverständlichkeit, ihre Bemühungen um die Sicherung eines echten Rechtsanspruchs für den Erzeuger, d. h. ihre Bemühungen um den Sinn der Marktordnung überhaupt, bei der Verabschiedung des Getreidepreisgesetzes im Plenum fortzusetzen. Es wurde daraus ein trostloses Schauspiel. Gegen den klaren sozialdemokratischen Antrag traten unter den Augen des strengen Herrn Finanzministers - an seiner Seite der Staatssekretär Dr. Sonnemann - die agrarpolitischen Wortführer der Regierungsparteien auf die Tribüne, um in immer neuen Variationen zu erklären, daß der SPD-Antrag abgelehnt werden müsse. An seiner Stelle wurde eine Resolution vorgeschlagen, in der die Regierung zum soundsovielten Male aufgefordert werden sollte, diesmal aber die Einfuhr- und Vorratsstellen mit genügendem Kapital auszustatten, damit die Mindestpreise gesichert werden könnten - ein Hohn auf alle Erfahrungen der bisherigen Praxis der Einfuhr- und Vorratsstelle und der Regierung - ein doppelter Hohn, nachdem ausdrücklich erklärt worden war, daß ein Anspruch, auf den Mindestpreis eben nicht anerkannt werden könnte. Immer wieder wurde von der SPD auf die gewundenen Erklärungen erwidert, und als schließlich ein Redner der FDP erklärte, man sei sich in der Sache völlig einig, aber die entscheidende Bestimmung muß in einem anderen Gesetz, später einmal aufgenommen werden, erklärte der sozialdemokratische Sprecher: "Heute und hier muß gesichert werden, daß die Marktordnung nicht nur auf dem Papier steht. Weil es sich aber bei dieser Frage um das Kernstück der Marktordnung handelt, beantrage ich namentliche Abstimmung." [] Hatten sich vorher nur die Redner gedreht und gewunden, so verwandelten sich jetzt die Regierungsbank und die Reihen der Regierungsparteien in einen aufgeregten Haufen. So eine namentliche Abstimmung ist gelegentlich eine unbequeme Sache. Da muß jeder unter seinem Namen laut und deutlich ja oder nein sagen, und diese Abstimmung wird im Protokoll festgehalten - namentlich. Da gibt es hinterher in den Bauernversammlungen kein Herausschwindeln mehr, und deshalb mußte jetzt vor dem klaren Antrag der SPD Farbe bekannt werden. Vergeblich redete auf der Regierungsbank der Finanzminister auf den Staatssekretär des Ernährungsministeriums ein - Herr Sonnemann tat das Klügste was er tun konnte - er hielt den Mund. Vergeblich stieg der Finanzminister zu den Prominenten der Regierungsparteien hinab und beschwor sie. Einer von ihnen nahm das Wort und erklärte, daß man nun dem Antrag der SPD zustimmen würde - auf die namentliche Abstimmung aber möge verzichtet werden. [] Auf die namentliche Abstimmung konnte nicht verzichtet werden. Für ihre politische Entscheidung braucht die Landwirtschaft Anschauungsmaterial. Es geht auf die Dauer nicht gut, wenn sich die bäuerlichen Wähler nach dem orientieren müssen, was man ihnen in ihren eigenen Kreisen vorsetzt. Auch die Landwirtschaft kann nicht von leeren Versprechungen leben, und sie hat nichts von Politikern, die zwar auf den Dörfern wie die Löwen gegen einen Feind kämpfen, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt, die aber dort, wo die Entscheidungen fallen, vor dem Finanzminister oder vor anderen politischne [!][politischen] Faktoren kneifen und selbst ein so primitives Recht preiszugeben bereit sind wie das der Garantie der gesetzlichen Mindestpreise. Deshalb mußte einmal im amtlichen Protokoll des Bundestages der ganze Jammer der sogenannten berufsständischen Vertretung unserer Landwirtschaft festgehalten werden, die Reden der Herren, die läppischen Argumente, die Ausreden - und dann ihre Abstimmung. Mann für Mann haben sie im Ernährungsausschuß gegen den sozialdemokratischen Antrag, der, wie gesagt, nur ein selbstverständliches Recht der Bauern aus der Marktordnung gegen die Taktiken der Regierung eindeutig festlegen wollte, geredet und gestimmt. Über eine Stunde lang haben sie sich dann im Plenum gegen die Festsetzung des Rechtsanspruchs gewehrt -, weil sie es gegenüber ihren mächtigeren Kollegen in Fraktion und Regierung einfach nicht wagen können, mehr als unverbindliche Versprechungen zu machen -, und erst in der namentlichen Abstimmung sind sie Mann für Mann umgefallen - diesmal glücklicherweise einmal auf die richtige Seite, nachdem sie vorher auf der falschen Seite gekämpft haben. Bei vier Enthaltungen gab es schließlich, gegen den SPD-Antrag keine einzige Nein-Stimme mehr. [] Die Moral von der Geschichte: Das so abgeänderte Gesetz ist für die Landwirtwirtschaft [!][Landwirtschaft] von großer materieller Bedeutung. Es macht aus den Preisen auf dem Papier einen echten Rechtsanspruch gegenüber der Einfuhr- und Vorratsstelle, d. h. gegenüber dem Bund. Da dieser Rechtsanspruch auch bezüglich der Höchstpreise gilt, ist die Sozialdemokratie ihrem ersten agrarpolitischen Grundsatz treu geblieben, Erzeuger und Verbraucher in ihren gemeinsamen Interessen vor der Spekulation zu schützen. Wenn die Landwirtschaft aus dem, was sich aus dieser Gelegenheit vor aller Öffentlichkeit abgespielt hat, nun die richtigen Konsequenzen zieht und sich diejenigen, die sich als Berufsvertreter aufspielen, auf ihre Leistungsfähigkeit einmal etwas genauer ansieht, dann würde man nach den nächsten vier Jahren Bundestagsarbeit nicht mehr von enttäuschten Hoffnungen und gebrochenen Versprechungen zu reden brauchen. [] [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn. 7. 53 - Druck: Druckhaus Deutz
Published:06.07.1953