Das war der Faschismus!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: SPD-Landesverband Bayern, Signatur 76 Das war der Faschismus! [] Ruf an die Frauen und Mütter [] Wenn wir, ihr Mütter, an der Wiege unseres Neugeborenen stehen, dann können wir ihm keine Güter verschreiben wie der Kapitalist, dessen...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ)
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 25.11.1945
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/E4E6F5A5-C44A-45CE-BB79-D21F391EED1C
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: SPD-Landesverband Bayern, Signatur 76 Das war der Faschismus! [] Ruf an die Frauen und Mütter [] Wenn wir, ihr Mütter, an der Wiege unseres Neugeborenen stehen, dann können wir ihm keine Güter verschreiben wie der Kapitalist, dessen Sprößling schon, wenn er noch die Windeln naß macht, Besitzer von ungezählten Werten ist. Aber wir haben in unserem Herzen den heißen Wunsch und den heiligen Schwur, daß es unseren Kindern einmal besser gehen soll als uns, daß sie in eine glücklichere Jugend, in eine schönere Welt hineinwachsen sollen. Und wie reich an Opfern und Entbehrungen ist das Leben einer proletarischen Mutter! Sie wird hungern und frieren, sie wird alles ertragen, sie kann nur eines nicht: in die hungrigen Augen ihrer Kinder sehen. [] Und stürzte nicht für uns Mütter eine ganze Welt zusammen, wenn der Briefträger um die Kunde brachte, daß unser heißgeliebter Bub gefallen ist für Führer und Vaterland? Wo ist die Mutter, in deren Herzen stolze Trauer Platz griff, wenn ihr bewußt wurde, daß ihr Sohn nie mehr heimkehrt, daß er nie mehr mit schelmischem Lächeln bei der Tür hereinblicken wird? Für die Mutter stürzte die ganze Welt zusammen. Und in unzähligen schlaflosen Nächten quält sie sich mit der Frage, wie er gestorben ist, ob er noch ihr rief, ob ihm jemand zur Seite stand in seiner letzten Stunde oder ob er elend zugrunde ging, hilflos und verlassen. Erinnern wir uns daran, Mütter, sie haben uns eiserne, silberne und goldene Mutterkreuze an die Brust geheftet, und eingetauscht haben wir dafür ein einfaches Holzkreuz in fremder Erde, und wir wissen nicht einmal, ob wir jemals das Stückchen Erde sehen werden, wo unser Geliebtestes ruht. [] Aber nicht nur der Krieg war die Folge des Nationalsozialismus, sondern seine Begleiterscheinungen waren Gefängnis, Kerker und Konzentrationslager. [] Man sagt, daß wir keine Demokraten sind, weil wir uns dafür eingesetzt haben, daß die Nazi nicht wählen dürfen. Gewiß, Tausende und aber Tausende Menschen haben nur infolge des ungeheuren Terrors und ihrer eigenen Schwäche den Nazi Gefolgschaft geleistet, aber hätte Hitler die Möglichkeit gehabt, all die Grausamkeiten durchführen zu lassen, wenn nicht hunderttausende Menschen ihr "Heil Hitler!" gebrüllt hätten? [] Wenn man Bilder vom KZ. sieht, wenn man Berichte im Radio hört, wenn man in der Zeitung Artikel über die Konzentrationslager liest, dann wird immer gefragt, [] ob es denn wirklich so furchtbar gewesen ist. [] Und wir müssen immer wieder zur Antwort geben, nein, es war noch viel ärger, denn es gibt keinen Photographen, keinen Journalisten und keinen Redner, der imstande wäre, die Leiden der Konzentrationslager so zu schildern, wie sie wirklich gewesen sind. [] Wir sind nach Ravensbrück gekommen, wo wir erwartet wurden von der männlichen und weiblichen SS. Zur Schande unseres Geschlechtes müssen wir sagen, daß die Frauen, es handelte sich zumeist um junge BDM.-Mädchen, an Brutalität und Grausamkeit den Männern in nichts nachstanden. Wir sahen sie nie ohne die Peitsche in der Hand und ohne die Hunde an der Leine, die auf uns abgerichtet waren. [] Wir wurden am ersten Tag nicht geschlagen, aber wir mußten uns nackt ausziehen vor der anwesenden SS, deren Mütter und Großmütter wir sein konnten, und es ist nicht möglich, die Fragen und Bemerkungen zu wiederholen, die sie sich uns gegenüber erlaubten. Wir standen einmal weinend dabei, als tschechische Nonnen eingeliefert wurden, die herzerschütternd baten, man solle ihnen nicht die Schmach antun und ihnen ihr Ordenskleid wegnehmen. Es half alles nichts, sie mußten sich genau so entblößen, sie mußten dieselben Fragen und Bemerkungen über sich ergehen lassen wie wir. [] Wir standen jeden Tag, ob Sommer oder Winter, ab halb vier Uhr früh stundenlang beim Zählappell, ab 1. April bis Ende Oktober ohne Strümpfe, ohne Schuhe und ohne Jacken, und neben uns, und das war das, was man nie vergessen kann, standen Kinder aller Altersgruppen, die in ihren mageren Ärmchen die Häftlingsnummer eintätowiert hatten. [] Es war erschütternd, wie, als die Kinder ins Lager eingeliefert wurden, plötzlich alle, oft seit zwölf Jahren eingesperrten, Mütter entdeckten, daß dieses Kind ganz ihrer Annerl, das andere der Hermi ähnlich sei und daß der Bub ihrem Hansl ganz aus dem Gesicht geschnitten war. In der jahrelangen Sehnsucht nach ihren Kindern endeckte [!] die Mutter plötzlich in den Zügen des fremden Kindes ihr eigenes. [] Glaubt jemand, daß man das vergessen kann, [] wenn man ein Kind einmal heimlich zu sich ins Bett genommen hat, um es zu wärmen, und das Kind flüsterte plötzlich vor sich hin: "Weißt du, wenn der Krieg einmal aus ist, wenn sie uns nicht vorher erschießen oder vergasen, dann kaufe ich mir jeden Tag ein ganzes Brot, aber glaubst du, kommen wir noch einmal hinaus?" [] Könnt ihr das verstehen, und eine Mutter wird es verstehen, daß wir dieses Kind dann fest an uns preßten und daß wir uns heiß gelobten, für eine Welt zu kämpfen, in der Kinder nicht Opfer solch furchtbarer Geschehnisse werden. Gewiß, die Kinder der Nationalsozialisten sind nicht haftbar zu machen für die Untaten ihrer Eltern, aber auch die sollen und werden Nutznießer sein unserer künftigen sozialistischen Arbeit. [] Wir standen frierend beim Zählappell und aus unseren Reihen heraus wurden Namen und Nummern gerufen. Welch erschütternde Szenen spielten sich dabei ab - denn wir wußten alle, was das bedeutet, und die Kinder, die zitternd neben uns standen, wußten es auch. [] Die aufgerufenen Frauen mußten einsteigen in die "blaue Minna", vorher aber gingen sie vorbei an dem Lastauto, auf dem die Särge aufgestapelt waren, und sie wußten, daß sie in längstens zwanzig Minuten in diesen Särgen liegen werden. Wir aber standen atemlos lauschend, bis wir die Salve hörten, und dann die Gnadenschüsse, und dann wußten wir, daß unsere Kameraden nicht mehr lebten, daß sie eben ermordet wurden. [] Noch im März 1945 wurden in Ravensbrück dreieinhalbtausend Frauen vergast, nicht weil sie sich eines besonderen Verbrechens schuldig gemacht hätten, nein, nur deshalb, weil sie alt, kränklich oder weniger arbeitsfähig waren als die anderen. Kann man jemals die Szene vergessen, wenn der Finger des Herrn Dr. Winkelmann auf eine arme Frau wies, diese dann mit einem verzweifelten Blick aus der Reihe trat und sich einreihte in die Formation der Todgeweihten? Sie weinten und sie schrien nicht, still und stumm schritten sie durch den Appell, und wir sahen Tag und Nacht zwanzig Meter hohe Rauchsäulen aus dem Schornstein schlagen, und dann wußten wir, daß im Krematorium ganze Arbeit geleistet wurde. [] Hätten wir nur die Möglichkeit, der ganzen Welt einen einzigen der unzähligen, blutig geschlagenen Frauenkörper zu zeigen, die an den Bock geschnallt wurden und auf den bloßen Körper 25 Hiebe mit der Peitsche bekamen. Sie hatten uns alle versichert, daß sie nicht schreien würden, und mit einer einzigen Ausnahme haben sie alle geschrien, denn die Pein war zu groß. Und wenn der Herr Lagerkommandant Kögel einen schlechten Tag hatte, dann ordnete er an, daß die Frauen, die aus unzähligen Wunden bluteten, splitternackt in eine Zelle gesperrt wurden. [] Nach ein paar Tagen haben uns unsere Kameraden, die dort arbeiteten, gemeldet, daß sie wieder eine aus dem Zellenbau geholt hätten, die sie vom Boden herunterreißen mußten, weil sie mit ihrem eigenen Blut auf dem Boden an gefroren war. Und die nicht so zugrunde gingen, die starben daran, daß man ihnen die Nieren zerschlagen hatte: es war kaum eine, die die Folgen des Prügelns je überwinden konnte. [] So manche Kameradin, die all das seelische und körperliche Leid nicht ertragen konnte, wählte den Freitod im elektrischen Draht, und wir mußten an ihr vorbeimarschieren, vorbei an der lachenden SS, die sich königlich amüsierte über unsere bestürzten Gesichter und über unser Gefühl der tiefsten Ohnmacht. Wir marschierten vorbei mit der stummen Frage in unserem Herzen, [] wie lange all die Qual noch dauern soll. [] Wenn heute all die Millionen zu Tode gemarterten, vergasten und erschlagenen Menschen ihre Stimme erheben könnten, sie wären auf das tiefste erschüttert, daß sich Menschen zum Sprachrohr jener Partei und damit all dieser Scheußlichkeiten machen! [] Auch die Opfer der Österreichischen Volkspartei könnten dies nicht verstehen. Sie müßten zurückkehren in das Dunkel, mit der quälenden Überzeugung, daß sie umsonst gestorben sind. Doch sie sollen und dürfen nicht umsonst gestorben sein. [] Wir, die wir vor den Leichen unserer zu Tode gequälten Kameraden gestanden sind, die wir in ihren weitaufgerissenen Augen die stumme Frage lasen, warum sie dies alles erdulden mußten, wir, die wir bei den abgemagerten Körperchen unserer Kinder gestanden sind, die mit einem letzten befreiten Seufzer starben, daß dieses Leben ausgelebt sei, wir bleiben die ewigen Warner und die niemals müden Ankläger - wir werden es verhindern, daß jemals wieder eine Zeit kommt, in der Menschen in einer so barbarischen Art gequält werden! [] Und ihr, Jungen, die ihr zum erstenmal zur Wahlurne geht, ihr, die ihr keine goldene Kindheit hattet, und die ihr erstaunt bei den Dichtern lest, daß die Jugend die Wonnezeit des Lebens sei, ihr, die man zum Morden erzog und, denen man den Glauben gab, daß die Idee der Gewalt der Menschheit Glück bedeute, ihr müßt nicht in der Vergangenheit suchen nach den Helden, von denen ihr kämpfen lernen und an deren Beispiel ihr euch begeistern könnt für höhere Ziele, denn der Weg der Arbeiterklasse, der Weg der letzten elf Jahre ist getränkt mit dem Blute der Märtyrer des Proletariats, die mit beispiellosem Mut für ihre Sache kämpften und starben. Sie sollen euch Vorbild, Wegweiser und Fahne sein! [] Darum, wenn wir am 25. November zur Wahlurne gehen, dann tun wir dies mit einem heiligen Gefühl in unserem Herzen, mit dem Gefühl, mit dem der gläubige Mensch zur Kirche geht. Und wir müssen wissen, daß wir, das sogenannte zarte Geschlecht, [] in unseren schwachen Händen das Schicksal unserer Kinder halten. [] Wollt ihr, daß die Arbeiter- und Angestelltenschaft wieder rechtlos wird, daß die Landbevölkerung draußen in härtester Fron ihr Leben fristen muß, daß die Hausgehilfinnen zurücksinken zum recht- und schutzlosen Dienstboten, daß die Arbeiter kummervoll ihrem ungesicherten Alter entgegensehen, daß wir unsere Kinder großziehen zum künftigen Kanonenfutter, daß Gefängnisse, Zuchthäuser und Konzentrationslager triumphieren, daß Galgen und Schafott diese grauenhafte Symphonie krönen - dann, ihr Frauen und Mütter, wählt uns nicht! [] Wollt ihr aber, daß der Schwur, den ihr am Bettchen eures Neugeborenen ablegtet, daß es in ein besseres Leben hineinwachsen soll, Wahrheit wird, daß jauchzende Kinder um euch herum aufwachsen, daß gesunde Wohnungen gebaut und ausreichende Fürsorge geleistet wird, daß unsere Alten nicht mehr betteln gehen, daß nicht die Idee der Gewalt siegt, sondern die Gewalt der Idee, wollt ihr, daß endlich der Friede sich über unser geliebtes Österreich senkt - dann wählt die Partei, die nicht nur verspricht, sondern die es immer bewies, daß sie ihre Versprechen hält. Dann wählt die Partei, die stolz ihre Fahne trug durch die finsterste Zeit der Unterdrückung, dann wählt, ihr Frauen, Mütter und Jungwählerinnen, [] die Sozialistische Partei!
Published:25.11.1945