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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; gelocht Sonderdruck aus [] konkret [] Jürgen Seifert [] Jürgen Seifert ist wissenschaftlicher Assistent von Professor Gurland am Institut für politische Wissenschaften der Technischen Hochschule in Darmstadt. Er ist Autor des Buches "Gefahr im Verzuge - Zur Problematik der Notstandsgesetzgebung", erschienen in der Europäischen Verlagsanstalt, 1965. Er gilt als der Notstandsexperte der deutschen Linken. [] NOTSTAND [] Gewerkschaften und Notstandsgesetzgebung [] Die Beratungen über die Notstandsgesetze sind wieder aufgelebt. Eine Kommission aus neun Vertretern der drei Bundestagsfraktionen und den Länderinnenministern Hans Filbinger und Otto Bennemann wurde gebildet. Bundesinnenminister Paul Lücke führte mit Gewerkschaftsrepräsentanten Gesprächeüber die Notstandsgesetzgebung. Wie vor dem DGB-Kongreß in Hannover fehlt es auch diesmal nicht an lancierten Pressemeldungen, in denen behauptet wird, daß "Ansätze zu einer Änderung des unbedingten Neins der Gewerkschaften schon jetzt erkennbar" seien 1). Die Reihenfolge, in der Bundesinnenminister Lücke mit den Gewerkschaftsvertretern verhandelte, zeigt, daß die Regierungsseite sehr zielbewußt und auf Grund exakter Analysen der gewerkschaftlichen Äußerungen vorgeht: Leber, Kluncker, DGB-Vorstand. Der IG-Metall-Vorsitzende Otto Brenner hatte als einziger die Einladung abgelehnt, die darauf abzielte, die Geschlossenheit der Gewerkschaften aufzuspalten. [] Bezeichnend für die Art, in der dabei die Frage der Notstandsgesetzgebung behandelt wird, ist eine Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Danach soll Bundesinnenminister Lücke am 27. Februar 1966 vor Journalisten geäußert haben: "Gespräche mit einigen Gewerkschaften seien gut gewesen, bei einigen anderen müßten noch Vorurteile abgebaut werden." 2) Auch Herbert Wehner sprach davon, er habe versucht, "allen zu helfen, über bestimmte, sei es aus Ressentiments, Mißverständnissen, Vorurteilen, Mißtrauen ... geborene Fehlurteile hinwegzukommen" 3). [] Beide Äußerungen zeigen, wie notwendig es ist, daß die Gewerkschaften erneut ihre Position darlegen. Die Befürworter der Verfassungsänderung machen es den Gewerkschaften nicht gerade leicht, das gewerkschaftliche Nein zur Notstandsgesetzgebung mit der erforderlichen Prägnanz zu begründen. Es gibt keinen verbindlichen Entwurf, von dem die Kritik ausgehen könnte. Die Geheimberatungen und die verschiedenen vorgelegten Entwürfe verwirren. Dazu kommt eine bewußt gehandhabte Methode der Verschleierung, die Bundesminister Hermann Höcherl am 13. April 1962 als einen Weg des "Finassierens und Taktierens" bezeichnet hat. Offen bekannte Höcherl, das Notdienstgesetz habe er in Zivildienstgesetz "- das ist ein kleiner psychologischer Trick! - umgetauft, um die Nerven zu schonen" 4). Man spricht nicht von einer Änderung der Verfassung, sondern stets von einer "Ergänzung des Grundgesetzes". Man behauptet, es ginge um die Sicherung der "totalen Verteidigungsbereitschaft", um - wie Rainer Barzel und Kai Uwe von Hassel im Sommer 1965 im Bundestag sagten - die "Glaubhaftigkeit der Abschreckung". Man behauptet schließlich, die Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung wäre eine"Verbesserung" des bestehenden Zustandes, der den ehemaligen Besatzungsmächten Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten unbegrenzte Notstandsbefugnisse gewähre" 5). [] Angesichts dieser vielfältigen Versuche, die Problematik der Notstandsgesetzgebung zu bagatellisieren, ist es sinnvoll, sich erneut darüber klarzuwerden, worum es bei dieser vorgesehenen Verfassungsänderung geht. [] Eine Verfassung ist kein bloßes Organisationsstatut, nicht lediglich eine auf das Gemeinwesen übertragene Vereinssatzung, die jederzeit den Bedürfnissen der Praktikabilität angepaßt werden kann. Die Verfassung ist - wie es der liberale Jurist Josef Esser einmal sehr prägnant formulierte - das "Produkt wirtschaftlicher und sozialer Machtkämpfe". Esser spricht von "Friedens- oder Waffenstillstandsbedingungen, auf die sich die kämpfenden Interessengruppen (z. B. Thron und Lehnsadel, Fabrikant und Handwerker, Unternehmer und Arbeiter) bis zum nächsten Waffengang geeinigt haben und die in Wahrheit die Verfassung, d. h. die Bestandsgrundlage des Staates, sind" 6). Auch der konservative Staatsrechtler Carl Schmitt konstatiert: "Verfassung und Gesetz" werden, von innen her gesehen, zu Kompromissen der Sozialpartner 7). [] Bei der Notstandsverfassung - so wie sie auch noch in dem Entwurf des Rechtsausschusses vorn Sommer 1965 vorgesehen ist - geht es im wesentlichen um eine Veränderung dieser Waffenstillstandsbedingungen. Die in der Verfassung verankerten demokratischen Rechte der sozialen Gegenspieler sollen beschnitten werden. Das bedeutet faktisch eine Beeinträchtigung der Gewerkschaften als derjenigen politisch-gesellschaftlichen Kraft, für deren Bestand heute die Existenz der demokratischen Grundrechte Voraussetzung ist. [] Das Grundgesetz wurde geschaffen als ein Bollwerk, das eine Wiederholung dessen unmöglich machen sollte, was am Ende der Weimarer Republik und im Dritten Reich in Deutschland geschehen war. Die Macht der Exekutive wird ausschließlich von parlamentarischen Gremien abgeleitet und bleibt - wenigstens in der Theorie - der parlamentarischen Kontrolle unterworfen; Macht ist auf verschiedene Organe verteilt; die Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht und binden Legislative, Exekutive und Judikative; sie sichern nicht nur individuelle Rechte des einzelnen Staatsbürgers, sondern gewährleisten die Teilhabe gesellschaftlicher und politischer Gruppen und Kräfte. [] Diese vom Verfassungsgeber bewußt errichtete Schranke gegen jedes totalitäre und autoritäre System soll durch die Notstandsgesetzgebung eingerissen werden: [] - Die Exekutive soll Befugnisse erhalten, die es ihr erlauben, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, in der das Recht der Normalsituation durch ein Krisenrecht abgelöst wird, [] - die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern soll zuungunsten der Länder weitgehend aufgehoben werden, [] - Wahlen sollen ausgesetzt werden, und [] - wesentliche demokratische Grundrechte sollen "über das sonst zulässige Maß hinaus eingeschränkt" werden können. [] Die Befürworter der Notstandsgesetzgebung verweisen darauf, daß durch die vorgesehene Institution eines Notstandsausschusses eine weitgehende Sicherung der parlamentarischen Kontrolle angestrebt wird. Demgegenüber muß jedoch festgestellt werden, daß auch nach dem letzten Entwurf des Rechtsausschusses des Bundestages 8) die Ausnahmesituation letztlich die "Stunde der Exekutive" ist: [] - Die Bundesregierung kann nach den bereits verabschiedeten und den übrigen noch vorgesehenen sogenannten einfachen Notstandsgesetzen die Feststellung treffen, daß eine Situation eingetreten ist, die die Anwendung der in diesen Gesetzen bzw. Gesetzentwürfen vorgesehenen Sonderbefugnisse erforderlich macht, [] - die Bundesregierung kann ohne ausdrückliche Beschlußfassung parlamentarischer Gremien und ohne ausdrückliche Verkündung des Notstandsfalles den Eintritt des Zustandes der inneren Gefahr für gegeben ansehen und daraufhin Streitkräfte - auch mit der Waffe - im Innern einsetzen und wesentliche demokratische Grundrechte einschränken, [] - der Bundespräsident kann im Zustand der äußeren Gefahr im "Extremfall" (d. h. bereits bei einer mutwillig herbeigeführten Beschlußunfähigkeit der ordentlichen parlamentarischen Gremien und des Notstandsausschusses) mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers den Eintritt des äußeren Notstandes erklären; die Bundesregierung kann dann unter denselben Voraussetzungen vorläufige Maßnahmen anordnen und dabei wesentliche demokratische Grundrechte "über das sonst zulässige Maß hinaus" einschränken. [] Wenn sich - was in der Regel der Fall sein wird - die Regierungsmehrheit hinter die von ihr gewählte Regierung stellt, hat (da in keinem der drei Fälle eine wirksame Befristung des Notstandes vorgesehen ist) die Opposition keine Möglichkeit, eine ungerechtfertigt aufrechterhaltene Anwendung der Ausnahmebefugnisse zu unterbinden. Selbst die Mehrheit des Bundesrates hat keine Möglichkeit, ein Veto einzulegen. [] Die Gewerkschaftsbewegung hat die politisch-gesellschaftliche Bedeutung der vorgesehenen Verfassungsänderung, die in dem von Gerhard Schröder im Jahre 1960 vorgelegten Entwurf offen zutage trat, in den späteren Entwürfen durch unübersichtliche Bestimmungen verschleiert ist, in ihrer Tragweite erkannt. Wissenschaftler haben die Gewerkschaften in ihrer Einschätzung der Notstandsgesetzgebung bestärkt. Das von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V. vorgelegte und den Professoren Helmut Ridder und Ekkehart Stein ausgearbeitete Gutachten DER PERMANENTE NOTSTAND hat nachgewiesen, daß durch die vorgelegten (und teilweise bereits verabschiedeten) Entwürfe die Grenzlinie zwischen Friedensrecht und Kriegsrecht verwischt und der Entscheidung der Exekutive anheimgegeben wird. [] SPD und FDP haben den von Schröder vorgelegten Entwurf zu Fall gebracht, sich aber grundsätzlich mit einer Verfassungsänderung einverstanden erklärt. Beide Parteien - im gewissen Umfang auch die CDU/CSU - haben versucht, den Regierungsentwurf zu modifizieren. Sie konnten sich nicht dazu entschließen, die strikte Einhaltung des im amerikanischen Verfassungsrecht geltenden Grundsatzes zu fordern: Emergency does not create power, d. h. der Ausnahmezustand gewährt der Exekutive keine Sonderbefugnisse, die nicht an eine ausdrückliche parlamentarische Ermächtigung geknüpft sind. Beide Parteien haben sich für den Notstandsfall mit der Einschränkung demokratischer Grundrechte einverstanden erklärt. Dadurch wird die Koalitionsfreiheit - obwohl ihre Einschränkung formal nicht vorgesehen ist - angetastet; denn ohne Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes und das Recht der Arbeitsniederlegung, ohne Versammlungsrecht und Pressefreiheit ist die Koalitionsfreiheit - das hat die Sozialdemokratische Partei auf Grund der Erfahrungen unter Hitler in dem sogenannten Prager Manifest aus dem Jahre 1934 dargelegt - eine Farce. [] Der Vorstand der SPD hat am 21. Januar 1966 unter anderem für die weiteren Beratungen der Notstandsgesetzgebung den Grundsatz aufgestellt: "Die grundgesetzlichen Rechte der Arbeitnehmer müssen auch im Fall eines Notstandes gesichert sein." Es ist noch nicht abzusehen, ob dieser sehr allgemein gehaltene Satz wirklich eine Veränderung der bisherigen Haltung der SPD bedeutet, In den auf dem Kölner Parteitag beschlossenen 7 Punkten zur Notstandsgesetzgebung hieß es bisher: "Es ist auszuschließen, daß eine Einschränkung oder Drosselung der demokratischen Grundrechte im gewerkschaftlichen und betrieblichen Bereich unter dem Vorwand des Notstandes praktiziert werden kann." Diese Formel hatte allerdings nicht. verhindert, daß sich die Vertreter der SPD im Rechtsausschuß des Bundestages im Januar 1965 grundsätzlich mit einer Umkehrung des Art. 12 Abs. 2 des Grundgesetzes einverstanden erklärt hatten. Artikel 12 Abs. 2 verbietet jede allgemeine Dienstpflicht. Die SPD hat später ihre Haltung zu Art. 12 revidiert. Nach dem Saarbrückener Beschluß zur Notstandsgesetzgebung vom 29. Mai 1965 hat sich die SPD nicht gegen jede Zivildienstpflicht ausgesprochen. Fritz Erler forderte allerdings, es müsse sichergestellt werden, daß nicht "jeder an seinem Arbeitsplatz einem wehrdienstähnlichen Verhältnis" unterliege. [] Es hat auch unter Gewerkschaftern nicht an Stimmen gefehlt, die den Sinn des grundsätzlichen Neins der Gewerkschaften zur Notstandsgesetzgebung bezweifelt haben. So hatte man schon auf dem Gewerkschaftskongreß in Hannover gefordert, die Gewerkschaften sollten ihre Einwände auf wenige Punkte konzentrieren. Die Vertreter dieser Meinung konnten sich in Hannover mit ihrer Auffassung nicht durchsetzen. Eine Analyse der Vorgänge im Jahre 1965 zeigt auch, daß diese Gewerkschafter auch dann noch schwiegen, als die Gefahr bestand, daß die von ihnen als unantastbar bezeichneten Rechte der Arbeitnehmer angetastet werden. Es waren die Vertreter des grundsätzlichen Neins, die sich zu Wort meldeten, als zu befürchten war, daß eine allgemeine Zivildienstverpflichtung sogar in "Normalzeiten " zur "Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft" für zulässig erklärt wurde. Sie haben in der Detailargumentation wesentlich dazu beigetragen, daß die SPD ihre Haltung revidierte. [] Der Beschluß von Hannover zur Notstandsgesetzgebung hat eine weit größere Bedeutung erlangt, als mancher, der für diese Resolution gestimmt hat, vielleicht zu hoffen wagte. Im einzelnen läßt sich rückblickend 3 1/2 Jahre danach sagen: [] 1. Der Beschluß hat verhindert, daß ein Nein der Gewerkschaften zu einzelnen Punkten der Notstandsgesetzgebung umgedeutet werden konnte in ein grundsätzliches Ja zur Verfassungsänderung. Wie groß die Gefahr einer Umdeutung ist, zeigt die Behandlung der Rede des Vorsitzenden der Gewerkschaft ÖTV, Heinz Kluncker, auf dem Berliner Gewerkschaftstag. Kluncker hatte von einer die "Grundrechte sichernden Notstandsregelung" gesprochen, die man bejahen müsse. Er hatte hinzugefügt: "Aber ich glaube, bis dahin ist noch ein weiter Weg." Die Bedingung, unter der Kluncker sich für eine Notstandsregelung aussprach, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Nach dem gegenwärtigen Stand der Beratungen besteht auch keinerlei Aussicht, daß diese Bedingung realisiert wird. Trotzdem wurde Klunckers modifizierte Haltung in der Presse vielfach als ein Ja zur Notstandsgesetzgebung gefeiert. [] 2. Der Beschluß hat verhindert, daß die Befürworter der Verfassungsänderung sich darauf berufen konnten, man sei sich mit den Vertretern der Gewerkschaften bereits "weitgehend" einig. Derartige Behauptungen wurden vom früheren Bundesinnenminister Hermann Höcherl wiederholt unternommen. Die Sprecher der Gewerkschaften, die diesen Versuchen widersprachen, konnten jederzeit auf den jede Notstandsregelung ablehnenden Beschluß verweisen. [] 3. Der Beschluß überläßt den Bundestagsabgeordneten allein die Verantwortung für die Verfassungsänderung; d. h. es ist ihnen verwehrt, die Verantwortung auf die Gewerkschaftsbewegung mit abzuwälzen. [] 4. Der Beschluß verleiht den Gewerkschaften für den Fall einer Verabschiedung der Verfassungsänderung die moralische Berechtigung, sich gegen eine mißbräuchliche Anwendung der Notstandsvollmachten zu wenden. Eine Arbeitnehmerschaft, der man sagen könnte, dieser Regelung haben eure Vertreter zugestimmt, würde vermutlich weniger bereit sein, die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen eine mißbräuchliche Anwendung von Notstandsbestimmungen zu verteidigen. [] 5. Die ablehnende Haltung der Gewerkschaften gegenüber der Notstandsgesetzgebung konnte denjenigen, die versuchen, die von der Regierung angestrebte Notstandsregelung zu modifizieren, einen wesentlichen Rückhalt. verleihen. Die SPD hat diese Chance allerdings nicht ausgenutzt und war so ungeschützt den Erpressungsmanövern derjenigen ausgesetzt, die den Entwurf des Rechtsausschusses vom Sommer 1965 als das letzte bezeichneten, was allenfalls zugestanden werden könnte, und die ganz offen damit drohten, im Notfall auch außerhalb oder sogar gegen die Verfassung tätig zu werden. [] Diese fünf Punkte zeigen, daß das Nein der Gewerkschaften zur Notstandsgesetzgebung seine Bedeutung behält, ja im Jahre 1966 eher noch wichtiger geworden ist. [] Anmerkungen [] 1) R. K., "Diskussion im DGB geht weiter", Die Welt, 4. 3.1966, Nr. 53, S. 5. [] 2) R., "Lücke: Notstandsverfassung nicht gegen die Gewerkschaften", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. 2. 1966, Nr. 49, S. 5. [] 3) Hans-Werner Graf von Finckenstein, "Welt-Interview mit Herbert Wehner. 'Mitunter denke ich - Feierabend'", Die Welt, 12. 3. 1966, Nr. 60, S. 3. [] 4) Deutscher Industrie- und Handelstag, Hrgb., Notstandsvorsorge als Aufgabe der Wirtschaft (DIHT-Schriftenreihe, Hft. 79), Bonn, 1962, S. 15 ff. [] 5) Auf diese auf seiten der "Linken" häufig übernommene Argumentation kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, vgl. meine Schrift Gefahr im Verzuge. Zur Problematik der Notstandsgesetzgebung, 3. neubearbeitete und erweiterte Auflage, Frankfurt am Main, 1965, S. 27 ff. u. 82; auch die Zeitschrift Deutsches Panorama hat jetzt die Fragwürdigkeit dieser Argumentation dargelegt; zu den dort erwähnten sogenannten Schubladenverordnungen siehe den Beschluß des Gewerkschaftstages der IG Metall im Herbst 1965 zur Notstandsfrage und meinen Abschnitt "Das Notparlament und die sogenannten Schubladenverordnungen", a.a.O., S. 95 ff. [] 6) Josef Esser, Einführung in die Grundbegriffe des Rechts und Staates, Wien, 1949, S. 3 f. [] 7) Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin, 1958, S. 385; Schmitt sprach schon im Jahre 1929 davon, daß dann, wenn "eine pluralistische Staatstheorie sich auch praktisch durchsetzt ... die Verfassung eines Tages auch rechtlich als ein Kompromiß verschiedener Faktoren angesehen werden" kann, "den politische Parteien, Interessenverbände, Religionsgesellschaften, Länder, Kommunalverbände usw. miteinander geschlossen haben", ebenda, S. 76. [] 8) Bundestagsdrucksache IV/3494. [] ANTRAG NR. 16 [] (ANTRAGSTELLER INDUSTRIE-GEWERKSCHAFT METALL) [] AN DEN 7. ORDENTLICHEN BUNDESKONKRESS [!] [Bundeskongress] DES DEUTSCHEN GEWERKSCHAFTSBUNDES [] Notstand - Notdienst [] Der 7. Ordentliche Bundeskongreß bekräftigt die 1962 auf dem DGB-Kongreß in Hannover gefaßten Beschlüsse zur Notstands- und Notdienstgesetzgebung. Er stellt mit Befriedigung fest, daß die Bundesregierung mit ihrer seit Jahren verfolgten verfassungsändernden Notstandsgesetzgebung und der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht bisher nicht zum Ziele gekommen ist, und sieht darin nicht zuletzt einen Erfolg der gewerkschaftlichen Haltung. [] Die Gewerkschaften lehnen auch weiterhin jede Notstandsgesetzgebung ab, weiche die demokratischen Grundrechte einschränkt und besonders das Versammlungs-, Koalitions- und Streikrecht der Arbeitnehmer und ihrer gewerkschaftlichen Organisationen bedroht. Nach wie vor wenden sie sich vor allem gegen eine allgemeine Dienstverpflichtung und die dafür erforderliche Abänderung des Artikels 12 Absatz 2 des Grundgesetzes, der eine allgemeine Zwangsarbeit verbietet. [] Die Bundesregierung wendet schon jetzt mit den sogenannten Schubladenverordnungen ein Verfahren an, das sich außerhalb der Verfassung bewegt. Bei diesen Verordnungen handelt es sich um einschneidende geheime Bestimmungen, die teilweise schon heute bei den Länder- und Gemeindebehörden unter Verschluß liegen, um notfalls auf Anordnung der Bundesregierung schlagartig in Kraft gesetzt zu werden. Diese Praxis beweist, wie wichtig es ist, da die Exekutive keine Vollmachten erhält, die es ihr gestatten, unter Umgehung der Legislative die Rechte des einzelnen und gesellschaftlicher Gruppen zu beschneiden. [] Der 7. Bundeskongreß des DGB bekräftigt die Entschlossenheit der Gewerkschaften, die Grundrechte und die Prinzipien des Grundgesetzes gegen jeden Angriff zu verteidigen. Er erinnert die Abgeordneten des Bundestages an ihre demokratische Verantwortung und fordert sie auf, im Bunde mit den Gewerkschaften, den Vertretern der Wissenschaft und anderen demokratischen Kräften allen weiteren Versuchen entgegenzutreten, Grundrechte im Wege der Notstands- und Notdienstgesetzgebung einzuschränken. [] Verantwortlich: Klaus Rainer Röhl. Druck: A. Beig, Pinneberg
Published:1966