Gemeinsame Persönliche Erklärung

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Prof. Michael Benjamin, Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Prof. Heinz Karl, Dr. Heinz Marohn, Sahra Wagenknecht [] [] Gemeinsame Persönliche Erklärung [] [] 1. Der Sonderparteitag im Dezember 1989 stellte fest: "Die Große Sozialistische...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Benjamin, Michael, Brombacher, Ellen, Hecker, Thomas, Karl, Heinz, Marohn, Heinz, Wagenknecht, Sahra
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 19.01.1995
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/B36BDF41-3551-46CF-A08C-0075A4620D90
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Prof. Michael Benjamin, Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Prof. Heinz Karl, Dr. Heinz Marohn, Sahra Wagenknecht [] [] Gemeinsame Persönliche Erklärung [] [] 1. Der Sonderparteitag im Dezember 1989 stellte fest: "Die Große Sozialistische Oktoberrevolution wurde durchgeführt und siegte im Zeichen der Freiheit, der Demokratie, der Menschenrechte und der Menschenwürde. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte sollten Freiheit und Demokratie auf eine reale ökonomische und politische Basis gestellt werden." Weiter heißt es: "In den 20er und 30er Jahren vollzogen sich in der ökonomisch rückständigen, durch Weltkrieg und Bürgerkrieg verwüsteten Sowjetunion grundlegende Veränderungen wie die Industrialisierung, die Kulturrevolution, die Konsolidierung ihrer internationalen Positionen - das waren Tatsachen von historischer Bedeutung, die vor der Geschichte Bestand haben. Doch gleichzeitig entstanden in der Partei und im Lande Erscheinungen, die immer mehr den sozialistischen Idealen widersprachen, die den Sozialismus diskreditierten." [] [] 2. Diese auf dem Sonderparteitag vorgenommene Charakterisierung grundlegend unterschiedlicher Tendenzen sowjetischer Entwicklung trägt die Kommunistische Plattform der PDS von anfang an im wesentlichen mit. [] Im Vorfeld des 80. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution sollte der PDS über die historische Bedeutung des frühen Sozialismus für die Entwicklung der Zivilisation im 20. Jahrhundert sowohl unter Wissenschaftlern, als auch an der gesamten Parteibasis weiter debattiert werden. [] Wer sich auf die sogenannte Totalitarismuskonzeption einläßt, vergibt die Möglichkeit einer objektiven Bewertung auch der Stalinperiode und ersetzt sie durch die Pseudoeinschätzung "Realsozialismus gleich Stalinismus gleich Faschismus" und stellt hiermit letztlich die Berechtigung kommunistisch-sozialistischer Standpunkte überhaupt in Frage. [] Der 50. Jahrestag der Befreiung Europas vom Hitlerfaschismus durch die Antihitlerkoalition, in der die Sowjetunion die Hauptlast des Krieges trug, wird uns erneut in Erinnerung rufen, daß einer Bewertung jener Periode der Sowjetgeschichte mit verkürzten, vereinfachten Antworten nicht beizukommen ist. [] In dieser Diskussion sollten die Erfahrungen von fünf Jahren ungebremster Kapitalherrschaft in Deutschland berücksichtigt werden; ebenso die Auswirkungen des Zerfalls der Sowjetunion sowie des europäischen Sozialismus. [] Über das Maß der Auswirkungen derart eklatanter Verletzungen sozialistischer Gesetzlichkeit in der Stalinzeit und der mit ihnen verbundenen Deformationen auf die Entwicklung des frühen Sozialismus ist die Debatte unter uns noch nicht abgeschlossen. [] Zugleich wenden wir uns gegen eine Geschichtsbetrachtung, die die spezifischen historischen Bedingungen der Entwicklung des frühen Sozialismus ignoriert, und vernachlässigt, daß die gesamte sozialistische Entwicklung sich in härtestem Klassenkampf vollzog und das internationale Kapital, ausreichend von einer Position ökonomischer und lange Zeit auch militärischer Überlegenheit, diesen Versuch, eine sozialistische Alternative zu errichten, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfte. [] [] 3. Höhepunkt des antisowjetischen Kampfes war der Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion. Der Anteil der Sowjetunion am Sieg über den Faschismus. der die Welt vor der Barbarei bewahrte. kann nicht hoch genug bewertet werden. [] Wir bagatellisieren die Fehler, Irrtümer und Strukturdefizite des frühen Sozialismus nicht, schon gar nicht die begangenen Verbrechen. Zugleich entspricht es unserer Überzeugung, daß die Welt berechenbarer und um viele Hoffnungen reicher war, als dieser unvollkommene, frühe Sozialismus ungebremste Kapitalherrschaft auf diesem Planeten verhinderte. [] Sollten wir für diese Sicht auf einen äußerst widersprüchlichen historischen Prozeß als "Stalinisten" bezeichnet werden, so trifft uns dieser Vorwurf nicht, käme er doch von Leuten, die der Dialektik abgeschworen haben. [] [] 4. Wir bekennen uns zur Legitimität des frühen Sozialismus, und wir bedauern es zutiefst, daß der Beginn realer sozialistischer Entwicklung, - zumindest in Europa - vorerst abgebrochen ist. Der Mitverantwortung hierfür sind wir uns bewußt. [] Zweifellos war der frühe Sozialismus von sozialistischen und nicht-sozialistischen Zügen geprägt. Man kann ihn unseres Erachtens jedoch nicht in sozialistische und nicht-sozialistische Perioden aufteilen. Und wir lehnen es ab, die schmerzhafte Widersprüchlichkeit frühsozialistischer Entwicklung dadurch aus der Welt schaffen zu wollen, daß die Periode von 1917 bis 1990 als nicht-sozialistisch aus der Geschichte des gesellschaftlichen Fortschritts gestrichen wird. [] [] 5. Wir weisen mit großem Ernst auf die Gefahren hin, die aus der weiteren Instrumentalisierung der Stalinismuskeule als ideologische Waffe in Orientierungsdebatten innerhalb der Linken, insbesondere der PDS, resultieren. Wir begreifen diese Instrumentalisierung als politisch-moralisches Druckmittel, "um die Zwangstaufe von Kommunisten und Marxisten zu systemkonformen Linken zu befördern." (H. Jung) [] Wir lassen uns durch den Stalinismusvorwurf nicht stigmatisieren. sondern bleiben bei unserem Standpunkt: ahistorische Sicht auf Geschichte ist keine Analyse. Sie bringt keine Schlüsse für Gegenwart und Zukunft. Um die aber geht es uns. [] [] Berlin, den 19. Januar 1995
Published:19.01.1995