An die Wählerinnen und Wähler des Wahlkreises Stuttgart II (Ost)

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; An die Wählerinnen und Wähler des Wahlkreises Stuttgart II (Ost) [] Zum zweiten Male wird in der westlichen Hälfte Deutschlands das Parlament gewählt. Leider ging in den vier vergangenen Jahren der große Wunsch aller Deutschen nach Wiedervere...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Schöttle, Erwin, Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Druckhaus Friedrich-Ebert-Bau, Stuttgart
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/2FD350C1-9BB0-481D-8B33-3AE153031745
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; An die Wählerinnen und Wähler des Wahlkreises Stuttgart II (Ost) [] Zum zweiten Male wird in der westlichen Hälfte Deutschlands das Parlament gewählt. Leider ging in den vier vergangenen Jahren der große Wunsch aller Deutschen nach Wiedervereinigung nicht in Erfüllung. Ich glaube, je fester die Deutschen diesen Wunsch zum zentralen Mittelpunkt ihres politischen Wollens erheben, desto unwiderstehlicher wird er sein. [] Ich bin den Stuttgarter Wählern kein Unbekannter. Im August 1949 in direkter Wahl gewählt, wurde ich auch für diese Wahl wiederum im Wahlkreis II aufgestellt. Weil aber in einer Großstadt auch ein Abgeordneter nicht jedem Wähler bekannt sein kann, seien hier einige Angaben über meine Person gemacht [] Ich bin am 18. Oktober 1899 als Sohn eines Fabrikschuhmachers in Leonberg geboren. Nach dem Besuch der Realschule meiner Heimatstadt wurde ich Schriftsetzer. Sechs Wochen nach Beendigung der Lehrzeit wurde ich Soldat. Nach dem Krieg wurde ich Sozialdemokrat. In der sozialistischen Jugendarbeit und in der politischen Arbeit in meiner kleinen Heimatstadt erfuhr ich den großen Wert echter Gemeinschaft für die Entwicklung zur Persönlichkeit. Als Journalist und - von 1931 bis 1933 -als Stuttgarter Sekretär der Sozialdemokratischen Partei trat ich schließlich in das politische Leben der Landeshauptstadt und des alten Landes Württemberg ein. Gerade die letzten Jahre vor der NS-Diktatur wurden für mich durch eine enge Kampfgemeinschaft mit dem verstorbenen Dr. Kurt Schumacher besonders fruchtbar. Das Dritte Reich stellte mich vor die Wahl: KZ oder Emigration. Ich wählte das letztere und habe in 13jährigem Auslandsaufenthalt unendlich viel Wertvolles gesehen und erlebt, was meiner politischen Arbeit in den letzten Jahren sehr zustatten kam. [] Seit 1946 stehe ich wieder im politischen Leben unseres Landes. Das Vertrauen meiner Freunde hat mich an die Spitze der Sozialdemokratischen Partei zuerst im Lande Württemberg-Baden und dann im neuen Bundesland berufen. Dem Zentralvorstand der SPD gehöre ich seit 1949 an. Meine parlamentarische Tätigkeit führte mich über den Württ.-Badischen Landtag 1947 in den Frankfurter Wirtschaftsrat und 1949 in den Bundestag. [] Ich darf sagen, daß ich meinen parlamentarischen Auftrag, ohne meiner politischen Überzeugung auch nur einen Augenblick untreu zu werden, nie im engen parteipolitischen Sinne aufgefaßt habe. Wer sich in den letzten vier Jahren an mich als den Stuttgarter Abgeordneten um Rat oder Hilfe gewandt hat, ist nie nach seiner politischen Zugehörigkeit gefragt worden. [] Als Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages hatte ich die keineswegs leichte Aufgabe, zusammen mit den Angehörigen der verschiedenen Fraktionen des Parlaments, in der schwierigen Übergangszeit die Haushaltsgesetzgebung der Bundesrepublik wieder in normale Bahnen zu lenken. Diese Aufgabe, die sich nicht im Rampenlicht großer Parlamentsdebatten vollzog, und deren Erfüllung jenseits parteipolitischer Interessen den Blick für das Ganze forderte, hat meine Kraft zum großen Teil in Anspruch genommen. Daneben habe ich als stellvertretender Vorsitzender der Sozial demokratischen Bundestagsfraktion, als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und vor allem des Vermittlungsausschusses, der Meinungsverschiedenheiten zwischen den gesetzgebenden Körperschaften zu schlichten hat, ein beträchtliches Maß parlamentarischer Verantwortung zu tragen gehabt. [] Die Erfüllung meiner politischen Aufgabe ist mir erleichtert worden durch die Arbeit meiner Frau Helene, die nicht nur als gute Kameradin in den wenigen freien Stunden zu mir stand, sondern als echte Mitarbeiterin mir manche Aufgabe abnahm und seit ihrer Wahl in den Stuttgarter Gemeinderat vielen Bürgern, die mich nicht erreichen konnten, Rat und praktische Hilfe angedeihen ließ. [] Ich bin Sozialdemokrat. Meine politische Überzeugung ist für mich Verpflichtung zum Dienst für die Allgemeinheit. Das Programm meiner Partei ist auch mein eigenes. Ich glaube aber, daß politische Überzeugungen nur dann wirksam werden können, wenn sie durch die menschliche Anteilnahme am Schicksal der Millionen ergänzt werden, wie sie mir durch meine Herkunft aus dem arbeitenden Volk zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Aus dieser Gesinnung kämpfe ich mit meinen politischen Freunden auch im neuen Bundestag [] für soziale Sicherheit für alle in einer freien, demokratischen Ordnung, [] die alle Deutschen in Ost und West zu friedlicher Arbeit vereint. [] Erwin Schoettle [] Das Ergebnis der Bundestagswahl von 1949 war eine Regierung, die innenpolitisch gegen die SPD und außenpolitisch ohne die SPD regierte [] Die Folge war eine zunehmende Verschärfung der Gegensätze im Innern, außenpolitisch aber eine bedenkliche Aufspaltung deutscher Politik. [] Einige Tatsachen zur Innenpolitik: [] Die Umsatzsteuer wurde von 2% auf 4% erhöht. [] Die Folge: eine enorme Belastung des Haushaltungsgelds der breiten Verbraucherschichten. Eine gerechte Steuerpolitik schont die wirtschaftlich Schwachen und zieht die wirtschaftlich Starken mehr heran. Die Bundesregierung aber machte das Gegenteil, sie erhöhte die Verbrauchssteuern und ermäßigte die direkten Steuern. Wie die Einnahmen des Bundes gedeckt wurden, zeigt folgende Tabelle. [] 1949 zu 48% aus Eink.-Steuern = direkte Steuern, [] zu 52% aus allgem. Verbrauchssteuern [] 1951 zu 39% aus Eink.-Steuern = direkte Steuern, [] zu 61% aus allgem. Verbrauchssteuern [] Die kleinen Sparer wurden bei der Währungsreform enteignet, das Aktienkapital dagegen wurde geschont. Folgende Übersicht zeigt das klar: [] Spareinlagen des Volkes [] 1 Tag vor der Währungsreform 71 Milliarden [] 1 Tag nach der Währungsreform 3,6 Milliarden [] Aktienbesitz [] 1 Tag vor der Währungsreform 21 Milliarden [] 1 Tag nach der Währungsreform 17 Milliarden [] Trotz aller Propaganda um das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder hinken die Löhne hinter den Kapitalgewinnen drein. Während die industrielle Lohnquote von 1936 auf 1951 um mehr als 10 % fiel, stieg die Bruttogewinnquote im selben Zeitraum um mehr als 10 % an. [] Eine vierköpfige Arbeiterfamilie muß 44%, eine zwei/dreiköpfige Rentnerfamilie sogar 50,5% ihres Einkommens allein für Lebensmittel ausgeben. Steigende Preise und Verbrauchssteuern machten jede kleine Erhöhung des Lohnes wett. Die Rentenempfänger werden durchweg mit viel zu niederen Renten abgespeist. [] 931000 Angest.-Vers.-Rentner erhalten durchschn. 70.70 DM [] 3,2 Millionen Sozialrentner erhalten durchschn. 58.50 DM [] 1.8 Millionen Fürsorgeempfänger erhalten ganze 38.- DM [] insgesamt sind es etwa sechs Millionen Menschen, die mit ihren Angehörigen von Bezügen leben müssen, die unter dem Existenzminimum liegen. Auf der anderen Seite ermöglichte es die Steuerpolitik der Bundesregierung, daß über 10000 Personen noch Abzug ihrer Steuern [] über ein Einkommen von mehr als 65000 DM [] verfügen können, und dies noch einer Währungsreform, nach der alle mit 40.- DM in der Hand dastanden. Im sozialdemokratisch regierten Schweden geht es gerechter zu. Dort ehrt man das Alter durch eine Volkspension von 4886.- Kronen = 3909,- DM im Jahr. Während bei uns an den notwendigsten Sozialausgaben gespart wird, behauptet Bundesfinanzminister Dr. Schäffer, ohne neue Steuern [] 10 Milliarden für die neue Aufrüstung [] aufbringen zu können. Gegen denselben Minister erzwang die SPD auch die Senkung der Kaffee- und Teesteuer. Immer mußte es zu Kampfabstimmungen im Bundestag kommen, bevor sich die Regierungsparteien zu kleinen Verbesserungen bereit fanden. Meist aber wurden die Vorschläge der SPD stur niedergestimmt. [] Es ist derselbe Pharisäer-Geist, [] der auch in der Außenpolitik den Gegensatz zwischen Regierung und Opposition immer scharfer hervortreten ließ. Von Anfang an betrieb die Regierungskoalition unter dauernder Ausschaltung der SPD ihre sogenannte [] Politik der Stärke. [] Man behauptet, nur dadurch könne man Rußland zum Entgegenkommen zwingen. Diese Auffassung wurde durch die jüngsten Ereignisse glatt widerlegt. Durch diese Politik kam immer wieder [] neues Elend über die Menschheit [] und die Gefahr, daß es auch diesmal so sein wird, ist viel größer, als man wahrhaben will. [] Wir warnen das Volk vor Adenauers Rüstungspolitik! [] Jede Regierung, die sich einbildet, sich nur auf Divisionen verlassen zu brauchen, hat diese Auffassung mit dem Blut ihres Volkes bezahlen müssen. [] Wollt Ihr wieder Kanonen statt Butter? [] Wer mit seinem Stimmzettel die Fortsetzung dieser CDU-Politik ermöglicht, lädt eine ungeheure Verantwortung auf sich. [] Noch ein Wort zum sogenannten "Nein-Sagen der SPD": Wir nehmen diesen Vorwurf deshalb ernst, weil er für viele Wähler etwas Bestechendes haben mag. Die Außenpolitik der Bundesregierung war keine Politik aus deutschem Willen, sondern war der Wunsch der westlichen Alliierten. Unsere Hinweise auf die Verfassungswidrigkeit dieser Politik wurden in den Wind geschlagen. Die von uns beantragte [] Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde hintertrieben. [] Da diese Entscheidung immer noch aussteht, kann die SPD aus politischen und verfassungsrechtlichen Gründen dieser Politik weder ganz noch teilweise folgen. Unser Nein ist die logische Folge des Verhaltens des Bundeskanzlers und seiner Regierung, die ausländische Presse und Staatsmänner besser unterrichtete als die eigenen Landsleute. [] Dr. Kurt Schumacher sagte einmal: "Wenn einer seine Jacke beim ersten Knopf falsch zumacht, dann ist nachher der ganze Anzug nicht in Ordnung." So ist es auch mit der Außenpolitik Adenauers. [] Liebe Wählerinnen und Wähler! Sie werden in diesen Tagen viel Propagandamaterial erhalten. Für die CDU wird es von der Industrie bezahlt, denn diese Kreise haben ein lebhaftes Interesse an der Fortsetzung dieser Politik. [] Wir können Sie nur noch einmal auf die Ergebnisse der letzten vier Jahre verweisen und Sie aufrufen, daraus auch politische Schlußfolgerungen zu ziehen. Es liegt in Ihrer Hand, diesen Kurs zu ändern. Die SPD und ihre Kandidaten versprechen keine Wirtschaftswunder für die oberen Zehntausend, sondern arbeiten unermüdlich für das große Ziel: Soziale Sicherheit für alle für Frieden in Freiheit. [] Wählen Sie den Kandidaten und die Liste der SPD [] Druckhaus Friedrich-Ebert-Bau, Stuttgart
Published:06.09.1953