Haltet den Dieb!

Bemerkungen: Text teilweise in Jugendstil Haltet den Dieb! So schreit, wer gestohlen hat, um den Schuldverdacht von sich abzulenken und der Strafe zu entgehen. Haltet den Juden! So rufen heute die Kriegstreiber und Kriegsverlängerer von gestern, die jeden beschimpften, der zu einem rechtzeitigen, eh...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Buchdruckerei Wilhelma R. Saling & Co., Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: ca. 1919
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/60BCFDFE-D1D8-4C3B-9574-813B9E1ECBB2
Description
Summary:Bemerkungen: Text teilweise in Jugendstil Haltet den Dieb! So schreit, wer gestohlen hat, um den Schuldverdacht von sich abzulenken und der Strafe zu entgehen. Haltet den Juden! So rufen heute die Kriegstreiber und Kriegsverlängerer von gestern, die jeden beschimpften, der zu einem rechtzeitigen, ehrenvollen Verständigungsfrieden unter Verzicht auf Annexionen riet. So ungerecht wie jetzt die Anklage der Welt gegen das deutsche Volk, so verlogen ist die der Antisemiten gegen die Juden. So wenig man das deutsche Volk für die Sünden der Alldeutschen verantwortlich machen darf, so wenig die Juden dafür, daß sich Einzelne von ihnen im Krieg bereichert oder gedrückt haben. Fragt unsere Hausfrauen! Waren unsere Lebensmittelverteuerer nicht Getaufte und Ungetaufte? Fragt unsere Soldaten! Gab es unter den Drückebergern nicht ebenso Christen wie Juden? Und sogar hohe Herren und gerade solche, die das Kriegsmaul am weitesten aufrissen? Gerade unter den Juden sind viele Tausende begeistert in den Krieg gezogen, ausgezeichnet, verkrüppelt und getötet worden. In den stillen Schmerz ihrer Mütter und Gattinnen brüllen jetzt roh die Antisemiten hinein: Eure Söhne sind keine Deutschen gewesen! Wenn einzelne Juden sich vergangen haben, so bedenkt: In jeder Herde gibt es räudige Schafe. Sie sollen bestraft werden! Aber die Schuld am Krieg und seinem Ausgang sucht anderswo! War die Leitung der auswärtigen Politik, die uns vor dem Krieg nicht zu bewahren wußte, etwa in den Händen von Juden? Saßen in der Heeresleitung die, so groß ihre militärischen Leistungen waren, die politische Herrschaft an sich gerissen und daher jedes Augenmaß verloren hatte, etwa Juden? Waren in der Vaterlandspartei, die den unbeschränkten U-Bootkrieg durchsetzte und dadurch Amerika auf uns hetzte, etwa Juden von Einfluß? Aber das Kapital ist am Krieg schuld, heißt es, und das Kapital haben die Juden. Das glauben nur die Dummen und Unwissenden. Schlagt die amtliche Statistik auf und Ihr werdet finden: die größten Grund- und Geldbesitzer in Deutschland sind gar keine Juden! Und wo die Juden Kapital besitzen, steckt es zumeist im Handel, und der Handel braucht gerade den Frieden und verdirbt im Krieg. Aber in der Schwerindustrie, die im Krieg die größten Gewinne macht, finden sich so gut wie keine Juden. Dort herrschen die Krupp und Konsorten, und aus diesen Kreisen stammte das Geld zur Gründung alldeutscher Zeitungen, die gleichzeitig auf den Verständigungsfrieden und die Juden schimpften. Gewiß, es gibt unter den Juden Kapitalisten, aber am meisten kleiner Mittelstand und vermögenslose Proletarier. Gewiß, die Juden haben dem Kapital Führer gestellt, aber wahrlich nicht weniger liberale und demokratische Führer im politischen Befreiungskampfe des Volks. Weil Sie selbst politisch entrechtet waren, hatten sie Herz und Verständnis für alle Unterdrückten. Die bisher allein im Lande herrschten, die Euch das Wahlrecht, das freie Koalitionsrecht für Stadt und Land, den Anteil an der Regierung usw. vorenthielten, rufen Euch aus dem Hinterhalte, wo sie sich vor der Revolution verbergen und plötzlich ihr Herz für des Volkes Gleichberechtigung entdeckt haben, jetzt zu: Die Juden beherrschen Euch! Haltet den Juden! Haltet den Dieb! Aber das sagen sie Euch nicht, daß unter den rund 70 Millionen Einwohnern Deutschlands es nicht mehr als rund sage und schreibe 600000 Juden gibt! Also noch nicht ein Prozent der Bevölkerung! Und diese winzige Minderheit soll das deutsche Schicksal in der Hand haben? Welch eine Beleidigung des großen deutschen Volks! Von Seiten der wahren Schuldigen! Bei den politisch geschulten Arbeitern verfängt deshalb auch längst ihre Hetze nicht mehr. Drum versuchen sie, das Bürgertum, den Mittelstand, die Beamten, Angestellten und Handwerker auf ihren Leim zu locken, um ihre Wahlaussichten zu verbessern. Seht Euch vor! Laßt Euch nicht übertölpeln! Haltet den Dieb! Aber haltet den rechten! Herausgeber und Druck: Buchdruckerei Wilhelma R. Saling & Co., Berlin SW. 68, Hollmannstrasse 10.
Published:ca. 1919