Kann es Frieden geben zwischen den Kirchen und den Kommunisten?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Kann es Frieden geben zwischen den Kirchen und den Kommunisten? [] Von Wilhelm Karl Gerst [] parteiloser Kandidat für den westdeutschen Bundestag im Wahlkreis Fulda-Lauterbach-Schlüchtern [] Vor einigen Wochen brachte die katholische "He...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Fortschrittliche Christen, Gerst, Wilhelm Karl, Pfeiffer, Kaiserslautern
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 14.08.1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/79A6FF13-3EA4-4041-B0B6-9AD65250833C
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Kann es Frieden geben zwischen den Kirchen und den Kommunisten? [] Von Wilhelm Karl Gerst [] parteiloser Kandidat für den westdeutschen Bundestag im Wahlkreis Fulda-Lauterbach-Schlüchtern [] Vor einigen Wochen brachte die katholische "Herder-Korrespondenz" einen ausführlichen Bericht über die "Fortschrittlichen Christen" in Frankreich, deren Bewegung bereits zu großer Bedeutung angewachsen ist im Grunde", so sagte die "Herder-Korrespondenz", "stehen wir doch vor dem gleichen Problem wie der christliche Glaube: Bei der Neuordnung einer modernen Welt zugegen sein können, die als Ganzes stark von den Kräften der politischen Linken bestimmt sein wird!' [] Es geht für den Christen um die Entscheidung zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Viele meinen, es sei in keiner Weise vorauszusehen, wem die Zukunft gehört, und manche kirchlichen Stellen überlegen, es sei vielleicht ganz gut, wenn Christen auf beiden Seiten stehen, das könne vielleicht in einer Zeit wie der unsrigen dazu dienen, die Kirchen vor der Gefahr zu bewahren, lau zu werden. [] "Gerade die Besten" so sagt die "Herder-Korrespondenz" weiter, "werden ja von dem angezogen, was nicht lau ist und die großen Anforderungen, die der Kommunismus an seine Gefolgschaft stellt, tragen vielleicht mit dazu bei, einige dieser Besten anzuziehen." [] Es gibt in Westdeutschland viele "Fortschrittliche Christen". Wir sind ihnen begegnet bei Intellektuellen und Arbeitern, bei Bauern, unter den Frauen und unter den Jugendlichen, bei Katholiken und Protestanten. Wir warteten auf die Gelegenheit, in einem geeigneten politischen Zeitpunkt hervorzutreten und durch die Tat zu beweisen, daß unsere politische Überzeugung richtig ist und nur in einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten verwirklicht werden kann. Die Politik aller anderen westdeutschen Parteien wird von den monopolkapitalistischen Kräften des Auslandes beherrscht. Wir könnten uns gar nicht für die Zusammenarbeit mit einer anderen Partei entscheiden, selbst wenn wir es wollten. [] Wir sind auch nicht der Meinung, es sei gut für die Kirche, wenn Christen einerseits in den kapitalistischen und andererseits in den kommunistischen Parteien stünden. [] Wir halten es für ein Unglück, daß es noch so viele Christen gibt, die nicht einsehen, [] wieviel Elend der Kapitalismus über die Menschen gebracht hat, [] und daß es unsere sittliche Pflicht ist, mit denen zusammenzuarbeiten, die dieses ungerechte System durch System der Gerechtigkeit für alle ersetzen wollen. Der Kapitalismus ist ungerecht. Er ist gegen die Freiheit und die Würde des schaffenden Menschen errichtet, er ist die Ursache der imperialistischen Kriege, er ist gegen den Willen Gottes und deshalb ist er atheistisch. Er ist es in jeder Form, in jeder Variante oder sozialen Verbrämung. [] Ich berufe mich dabei auf keine geringere Instanz, als auf das Blatt des Papstes, den "Osservatore Romano", der noch vor kurzem schrieb: [] "Der Kapitalismus monopolisiert den Reichtum, d. h. er mindert die Zahl derer, die an ihm teilhaben (deswegen sprechen wir von Monopolkapitalismus, d. Verf.) und setzt sich so in Widerspruch zu dem Willen Gottes, der die Güter der Welt für alle schuf. Er ist atheistisch durch sich selbst und seine Struktur." [] Der Kommunismus verstößt dagegen erst dort gegen das christliche Denken, so stellt das päpstliche Blatt weiter fest, wo er eine atheistische Lehre aufstellt. Das geschieht, wenn Kommunisten aus dem philosophischen Materialismus die Folgerung ziehen, daß der menschliche Geist ein Produkt der Natur sei und es keinen Schöpfer, keinen Gott gebe. Wir "Fortschrittlichen Christen" ziehen diese Folgerung nicht, wir folgern, daß [] alle Gesetze, [] die in der Natur und in der menschlichen Gesellschaft wirken, auch jene, die Karl Marx und Friedrich Engels entdeckt haben und auf denen der Marxismus fußt, [] auf einen Schöpfer, auf Gott zurückführen [] und daß diese Gesetze ein Teil der Welt sind, die der Mensch nach dem Willen Gottes sich untertan machen soll. Aus den Naturgesetzen erkennen wir das Dasein Gottes, aus der gläubigen Hinnahme der Offenbarung sein Sein. Deshalb sind wir Christen und nennen uns Christen. Um dieser Unterscheidung willen sind wir nicht Mitglieder der Kommunistischen Partei, wir stehen wie unsere französischen Gesinnungsgenossen nur in einem Hospitanten-Verhältnis zu ihr. In politischen Fragen arbeiten wir nach freier Gewissensentscheidung mit ihr zusammen, um gemeinsam erkannte Ziele zu erreichen. Die Kommunisten wissen auch, daß wir uns dieser Mitarbeit versagen, wenn unser Gewissen uns eine andere Entscheidung auferlegt so z. B. in der Frage des §218 StGB. und anderen. Wir arbeiten mit den Kommunisten zusammen nicht obwohl, sondern weil wir Christen sind. [] Gegenüber dem Dekret des Hl. Stuhles, das die Exkommunikation jener Katholiken androht, die sich kommunistisch betätigen, erklären wir, daß wir keine atheistische oder ketzerische Lehre verkünden und deswegen von dem Gesetz aus dem Jahre 1399 nicht betroffen sind. [] Ketzer im Sinne jenes Gesetzes aus der Zeit der Ketzerverbrennungen wären alle evangelischen Christen, also alle der CDU angehörenden Protestanten, die Mehrzahl der Amerikaner, Engländer usw. Auch Sie werden mit uns der Meinung sein, daß diese mittelalterlichen Ketzergesetze in unserer Zeit für die politische Entscheidung des einzelnen Christen keinerlei Bedeutung haben können, wie ja auch die gesamte Weltöffentlichkeit gegen die Praxis der gewalttätigen Intoleranz der klerofaschistischen Spaniens, das sich als den einzigen katholischen Staat Europas bezeichnet, protestiert hat. [] Der Kampf der kapitalistischen Interessenten und Agenten gegen den Kommunismus hat nach dem Zusammenbruch des Naziregimes eine Situation geschaffen, die allen Deutschen die Pflicht auferlegt, unter Zurückstellung aller anderen Ziele für die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands einzutreten. [] Das deutsche Volk befindet steh in seiner Gesamtheit in der Situation des nationalen Notstandes gegenüber den Kräften des Monopolkapitalismus, die uns auf einen Kolonialstatus drücken, Deutschland spalten, föderativ aufgliedern und ihm durch Marshallplan, Ruhrstatut, Atlantikpakt, Besatzungsstatut und Bonner Grundgesetz die wirtschaftliche und politische Fessel der Abhängigkeit auferlegen. [] Durch die Verweigerung eines Friedensvertrages und die Absicht, die Besatzung mit ihren untragbaren Lasten, auf unabsehbare Zeit fortzusetzen, wird unser Volk zum [] Siechtum in Unfreiheit und Selbstzerfleischung [] verdammt. [] Gegen diese imperialistische Politik steht in Westdeutschland leider nur die Kommunistische Partei. In der Ostzone haben sich alle Parteien, also auch die christliche CDU. zusammengeschlossen. Wir "Fortschrittlichen Christen'' stehen auf dem gleichen Boden und unterscheiden uns darin nicht von der Ost-CDU. Alle Deutschen, die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Vaterlandes wollen, sollten den Ernst der Stunde erkennen und sich zu einer gemeinsamer Front zusammenschließen, um die Einheit Deutschlands wiederherzustellen. [] Wenn wir unser geeinigtes Vaterland wieder besitzen, wenn der Friedensvertrag abgeschlossen ist und, wie es die Russen vorschlagen, alle Besatzungstruppen restlos abgezogen sind, dann ist es unsere gemeinsame Aufgabe, frei und unabhängig, ohne Befehle oder Empfehlungen fremder Herren, in einem demokratisch gewählte Parlament eine Verfassung zu beschließen, die Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand für alle verbürgt, und nicht nur für eine privilegierte Schicht. Ein künftiger Wohlstand aller kann angesichts der Not und dem Elend der Kriegsopfer, der Flüchtlinge, der Fliegergeschädigten, der Währungsgeschädigten usw. nur erreicht werden, wenn den großen Nutznießern des Krieges und der Nachkriegszeit ein wirkliches Opfer auferlegt wird, damit die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht immer ärmer werden. [] Wir "Fortschrittlichen Christen" haben noch eine besondere Aufgabe. [] Viele Vorgänge der letzten Jahre, die aus dem Kampf der Kirche mit dem Kommunismus stammen, haben uns tief bedrückt und mit Sorge erfüllt. Es steht uns nicht zu, in dem einzelnen Fall über Recht oder Unrecht zu entscheiden, aber wir möchten, daß in der weltweiten Umwälzung, die sich in unserer Zeit vollzieht und vollziehen muß, die Kirche nicht auf der Seite der ungerechten und zusammenbrechenden Mächte steht, daß sie sich aus den Bindungen löst, die ihr die Zeitnähe aus der Vergangenheit auferlegte, und daß sie allen ihren Gläubigen die volle Freiheit gewährt, an dem Neuen, dem Gerechten und dem Frieden mitzuarbeiten. [] Der Friede in Deutschland, in Europa, in der Welt, setzt den Frieden zwischen den christlichen Kirchen und den Ländern einer neuen Gesellschaftsordnung in Osteuropa und mit dem Kommunismus voraus. [] Wer das nicht einsieht, gibt Europa dem [] Untergang in einem dritten Weltkrieg [] preis. In dieser Friedensaufgabe kann es uns auch nicht beirren, wenn in der gegenwärtigen Periode des Kampfes Maßnahmen getroffen werden, die tief in die Gewissensfreiheit des einzelnen Menschen eingreifen. Wir wollen uns keinem Gewissenszwang beugen, sondern uns in allen politischen Entscheidungen nur von unserem Wissen leiten lassen. [] Wir "Fortschrittlichen Christen", als deren Sprecher ich diesen Aufruf an alle christlichen Wähler und darüber hinaus an alle Wähler richte, die gleich uns und gleich den Kommunisten die Einheit Deutschlands und einen gerechten Frieden mit allen Völkern wollen, fordern alle Deutschen auf: [] Entscheidet euch am 14. August für den Frieden und für ein ungeteiltes, unabhängiges Deutschland. [] Weil wir die Kolonialpolitik der westlichen Besatzungsmächte ablehnen und ein freies, unabhängiges Deutschland fordern, [] geben wir am 14. August in allen Wahlkreisen unsere Stimmen den Kandidaten, die von der Kommunistischen Partei aufgestellt worden sind. [] Unter diesen Kandidaten sind auch Nichtmitglieder der KPD, sind auch "Fortschrittliche Christen", sind Frauen und Männer, die, ohne Kommunisten zu sein, eine gemeinsame Forderung erheben: [] Einheit und Unabhängigkeit unseres Vaterlandes! [] Für den Frieden unter den Völkern! [] Für soziale Gerechtigkeit und Hilfe für alle Notleidenden! [] Alle christlichen Wähler, die durch diesen Aufruf für unsere Bestrebungen interessiert wurden und künftig mitarbeiten wollen, bitte ich um Mitteilung ihrer Adresse. Die Freunde unserer Sache, die im Land Hessen wohnen, lade ich ein, sich mit mir am 14. August in Fulda zu einer geschlossenen Konferenz zu treffen, auf der wir uns über unsere weitere Arbeit beraten wollen. (Wahlschein nicht vergessen). Nähere Einladung erfolgt nach Mitteilung der Adresse. [] Meine Anschrift ist: Wilhelm Karl Gerst [] Frankfurt am Main [] Eschersheimer Landstr. 4 [] Herausgeber: Gruppe "Fortschrittliche Christen". [] Verantwortlich: Wilhelm Karl Gerst, Frankfurt a. M., Eschersheimer Landstr. 4. Druck: Pfeiffer, Kaiserslautern
Published:14.08.1949