Die Brücke [Serie ?] . Nr. I Deutsche sprechen zu Deutschen

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; englisches/ amerikanisches Propaganda-Flugblatt Die Brücke [] Herausgegeben von deutschen Kriegsgefangenen in England [] Deutsche sprechen zu Deutschen [] Nr. I Februar 1945 [] Die nachfolgenden Berichte stammen nicht vom "Feind". S...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Deutsche Kriegsgefangene in England
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1945
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/1A2EE09C-6C64-46A7-9411-AF02F4145CC7
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; englisches/ amerikanisches Propaganda-Flugblatt Die Brücke [] Herausgegeben von deutschen Kriegsgefangenen in England [] Deutsche sprechen zu Deutschen [] Nr. I Februar 1945 [] Die nachfolgenden Berichte stammen nicht vom "Feind". Sie sind von deutschen Kriegsgefangenen im Londoner Rundfunk gehalten oder eigens für dieses Blatt geschrieben worden. [] Nichts ist an diesen Berichten geändert worden. Kein deutscher Kriegsgefangener, der über den Londoner Rundfunk spricht oder für dieses Blatt schreibt, wird dazu gezwungen. Er tut es, weil er seinem Volke helfen will. [] Namen werden nicht genannt, damit keine Vergeltungsmassnahmen gegen die Angehörigen deutscher Kriegsgefangener getroffen werden können. [] Hier endet unsere Einleitung. Deutsche haben das Wort. [] Warum "Die Brücke"? [] Täglich sprechen wir deutschen Kriegsgefangenen über amerikanische und britische Sender mit unseren Kameraden an der Front und in der Heimat. [] Wir sind seit 12 Jahren die ersten Deutschen, die aussprechen und schreiben, was sie denken, ohne dass sie von der Gestapo verhaftet, gefoltert und ermordet werden. [] Wir sind nicht alle alte Gegner des Nazi-Regimes. [] So geschickt hat es Hitler verstanden, in Deutschland seine Ziele und Methoden zu verschleiern, dass mancher deutsche Soldat, der ehrlich gekämpft hat, erst in diesen letzten Jahren erkannt hat, was der Nationalsozialismus bedeutet und was für ein furchtbares Zerrbild Hitler aus dem Gesicht des deutschen Volkes gemacht hat. [] Was wir wollen [] Diese Erkenntnis unserer Heimat zu vermitteln, die aus Eigenem noch nicht vermag, das Joch des Terrors und der Propaganda abzuwerfen, haben wir Kriegsgefangenen zu unserer Aufgabe gemacht. [] Unsere Aufgabe ist es, die Verbrechen des Nationalsozialismus wieder gutzumachen, das geschändete Antlitz unseres Volkes wiederherzustellen und das Vertrauen der Welt wiederzugewinnen, damit wir eines Tages zurückkehren können in die Gemeinschaft der Völker. [] Wir wollen unserer Heimat wieder das wahre Deutschland bewußt machen, das Deutschland der Bach und Beethoven, der Goethe, Heinrich Heine und Thomas Mann, der Albrecht Dürer und Franz Marc, der Robert Koch und Albert Einstein - dieses wahre Deutschland, das mit Hitlers Reich nichts gemein hat. [] Wir wollen unsrer Heimat aufklären, dass die Fortsetzung des verlorenen Krieges sich nur noch zu unserem Schaden auswirken kann. [] Wir wollen der Propaganda, mit der Hitler unsere Frauen und Kinder in den sicheren Tod schicken will, entgegensetzen, dass die Alliierten nicht die Versklavung und Ausbeutung unseres Volkes wollen. [] Wir wollen der Heimat die Zuversicht geben, dass wir noch eine Zukunft haben, dass das Leben auch für uns wieder lebenswert werden wird. [] Dieser schweren Aufgabe können wir schon heute als Kriegsgefangene dienen. Darum sprechen wir als Deutsche am Rundfunk des Feindes. [] Darum schreiben wir für Euch diese Zeitung. [] Erkennungszeichen: Zuckerrübe [] Aus einem Arbeitslager in Südengland wird der "Brücke" berichtet: [] Unser Lager ist vor allem für die Feldarbeit eingesetzt. Als Lagersymbol wird die Zuckerrübe gewählt, die auf Schulterklappen und Ärmelstreifen getragen wird. [] Am Abend laufen derzeit fünf Lehrgänge für Englisch, einer über Rechtskunde, einer über Grundrechnungsarten, mit Einführung in die Algebra, und einer über organische Chemie. Für Studenten der Rechtswissenschaften besteht eine besondere Arbeitsgemeinschaft. [] Am Sonntag geht ein bunter Abend über die Bretter. Neben dem Lager wurde ein grosser Sportplatz geschaffen, auf dem am Sonntag nachmittag die Fussballkämpfe zwischen den verschiedenen Mannschaften der grossen Baracken ausgetragen werden. [] So geht's bei uns zu [] Ein Lagerführer aus einem grösseren Durchgangslager berichtet der "Brücke": [] Wir befinden uns mit 3000 Mann in einem Lager, welches jedoch nicht unser festes Lager für die Zeit unserer Kriegsgefangenschaft ist. [] Tagsüber geht ein Teil der Besatzung in ein anderes Lager arbeiten. [] Die Arbeiten werden bezahlt, und die Leute erhalten Zigaretten für ihren Arbeitsverdienst. Die Arbeit selbst ist freiwillig und dient nur zur Verbesserung unserer Lage. Sie ist also keine irgendwelche Kriegsarbeit. [] Im Lager selbst wird auch viel gearbeitet. Wege werden ausgebessert, und sanitäre Einrichtungen werden in Schuss gehalten. Andere arbeiten in der Küche und sorgen für eine abwechslungsreiche Kost, die nach deutscher Art zubereitet wird und gut und reichlich ist. [] Zwei Schreiber arbeiten beim englischen Quartiermeister. Diese erledigen die schriftlichen Arbeiten, die mit der Ausgabe der Kleidung an die Kameraden verbunden sind. Sechs Schreiber arbeiten für die Kriegsgefangenenpost, für die Dokumentation, für das Internationale Rote Kreuz und für die Abrechnungen der Arbeitsverdienstes der Kriegsgefangenen. [] Wir haben auch für unsere Unterhaltung Sorge getragen. Eine bunte Bühne und eine kleine Musikkapelle bringen öfters Abwechslung. [] Kleine Kreise haben sich gebildet und treiben Berufsförderung, halten Vorlesungen u.s.w. Viele Leute machen Holzschnitzereien, andere wieder modellieren mit einfachstem Material. [] So verbringen wir unsere Tage fern der Heimat ... unsere Gedanken aber sind immer bei all den Lieben zuhaus. [] Wie der Landser die Lage sieht [] Wir Kriegsgefangenen kennen die Wirklichkeit nicht nur aus Zeitungen und Rundfunksendungen, sondern wir können sie beurteilen auf Grund eigener Erfahrungen an allem Fronten. In unserem Lager treffen täglich Kameraden ein, die erst im Verlauf der gescheiterten Rundstedt-Offensive in Gefangenschaft gerieten. Was berichten sie? [] Bahn frei für die SS [] Ein Gefreiter in einer Volksgrenadier-Division berichtet: In den Nachmittagsstunden des 13. Dezember hielt unser Einheitsführer eine feurige Ansprache, in der er sagte, dass nun die langersehnte Stunde gekommen sei. Er versprach uns weitgehende Unterstützung von Panzern, schweren Waffen und 2000 Flugzeugen, die vom Führer der Offensive zugesprochen wurden. [] Am nächsten Morgen griffen wir an. Wir gingen ziemlich flott vorwärts. Aber der amerikanische Widerstand wurde stärker. Bald hatten wir schwere Verluste. Die versprochenen Panzer waren nicht da, auch die schweren Waffen fehlten. [] Wir wussten aber genau, dass die hinter der HKL liegenden Dörfer voll belegt waren mit SS-Panzern, motorisierter SS-Infantrie und Sturmgeschützen. Erst am Mittag des 17. Dezember, als die amerikanische Verteidigung einigermassen gebrochen war, kamen die ersten Einheiten der SS mit ihren schweren Waffen. [] Wo waren die 2000 Flugzeuge? [] Ein Unteroffizier von einer Pionierkompanie fährt fort: Am 21. Dezember bekam ich von Dresden aus den Befehl, zur Feldeinheit zu fahren, wo ich am 2. Januar nach langem Suchen eintraf. [] Von militärischen Neuigkeiten wusste man dort wenig. Man sagte uns, dass am Neujahrstag nahezu 600 feindliche Flugzeuge am Boden zerstört worden seien. [] Trotzdem entwickelten die Amerikaner eine rege Lufttätigkeit. Die feindlichen Flugzeuge kamen zu Hunderten, dann zu Tausenden. Ununterbrochen flogen schwere Bomberverbände nach dem Osten und zurück. Feindliche Jagdbomber stürzten sich auf jedes Fahrzeug, ja gar auf jeden einzelnen Mann, der sich im Gelände oder auf der Strasse zeigte. [] Überall sah man ausgebrannte Überreste von Fahrzeugkolonnen, die sich auf der Vormarschstrasse vorgewagt hatten. Die Fortbewegung am Tage war ausgeschlossen. Wir warteten auf die versprochenen 2000 Flugzeuge. Statt dessen kamen ab und zu morgens fünf bis zehn deutsche Jäger, die über das Gelände hinwegbrausten. [] Im Bombenhagel [] Hier ist der Kurzbericht eines Feldwebels, der bei Houffalize eingesetzt war: Für mich gibt es von der Rundstedt-Offensive ein Erlebnis, das unvergesslich in meiner Erinnerung weiterlebt. [] Wir lagen in der Nähe von Houffalize in Bereitschaft. In der vorletzten Nacht des Jahres stürzten plötzlich ohne Vorwarnung die alliierten Bomber auf uns und über uns hinweg. Es war unbeschreiblich - ein Stück Weltuntergang. Tausende Kameraden büssten ihr Leben ein oder wurden verwundet. Wir Überlebenden waren nur noch Nervenbündel, vollkommen aus dem Gleichgewicht gerissen. [] Aber Verstärkung wurde herangeführt, und so gelang es im letzten Moment, die Front noch einmal zu stabilisieren. Die Einsichtigen unter uns fragten: Wie lange? [] Unser Kommandeur kümmerte sich den Teufel darum. Er verkündete stolz: Nie werden wir den Weg nach Houffalize freigeben. Und so mussten wir aushalten in der Hölle von Houffalize. [] Heute ist Houffalize in der Hand der Anglo-Amerikaner. [] Die Wahl [] Für uns Kriegsgefangene enthalten die obigen Berichte unserer Kameraden keine Neuigkeit. Wir kennen die riesige Überlegenheit der Alliierten an allen Fronten. Wir kennen die Lügen, die falschen Versprechungen und hohlen Phrasen, mit denen uns eine gewissenlose Führung immer wieder in den Todeskessel der Materialschlachten hineingetrieben hat. [] Heute, wo der Russe immer tiefer in Deutschland eindringt - heute, wo Rundstedts gescheiterte Offensive und die Zehntausende von Kameraden, die ihr zum Opfer fielen, schon wieder der Vergangenheit angehören - heute sagen wir Euch: Ihr, die Ihr an den Fronten und in der Heimat weitermacht, Ihr kämpft und arbeitet nicht mehr für Deutschland. Ihr bezahlt mit Eurem Leben und mit Eurer Zukunft die Galgenfrist, die sich die Parteifanatiker erkaufen wollen. Der Krieg ist verloren. Kein Opfer und kein Heldenmut können daran etwas ändern. [] Für uns gibt es nur noch die Wahl: Weitermachen oder Schluss machen. [] Man kann es auch so ausdrücken: Für die Partei sterben oder für Zukunft leben. [] Wehrwirtschaft im Todeskampf [] In einer unserer letzten Kriegsgefangenensendung, noch vor dem Verlust des oberschlesischen Industriegebietes, sprach ein Kamerad, der bis vor kurzem noch beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsmunition, Speer, in leitender Stellung tätig war, über die Frage, wie es um die weltwirtschaftliche Lage unserer Heimat bestellt ist. Wir entnehmen seinen Ausführungen: [] In jeder industriellen Fertigung ist die Lage der Schlüsselindustrien von ausschlaggebender Bedeutung, z.B. in der Zahnradfabrikation. In Deutschland haben wir nur zwei Zahnradfabriken von Bedeutung - "Zahnradfabrik Friedrichshafen" und "Rank-Augsburg". [] Beide Werke sind durch Bombardement fast ausgeschaltet. Die Produktion erbringt nur ein Bruchteil der Sollzahlen. [] Die Firma MAAG in der Schweiz, die uns sehr grosse Mengen Zahnräder gegen Kohle im Kompensationsverfahren lieferte, hat seit sechs Monaten sämtliche Beziehungen mit Deutschland gestoppt. Sogar die Lieferung der Spezialmaschinen zum Auffüllen der bombardierten Produktionsbänder ist nicht mehr möglich. [] Die 7 deutschen Kugellagerfabriken in Schweinfurt, Stuttgart-Cannstatt, Leipzig und Erkner bei Berlin fertigen nur unter allergrössten Schwierigkeiten. Alle Werke sind mehrfach schwerstens angegriffen worden. [] Auch das schwedische Stammhaus der Vereinigten Kugellager-Fabriken in Schweinfurt, die Svenska Kugellager-Fabriken, die bis vor drei Monaten entscheidende Lieferungen getätigt hatten, sind durch ein Embargo der schwedischen Regierung für jede Lieferung ausgefallen. [] Kein Serienbau mehr [] Den grössten Engpass und das grösste Durcheinander in der gesamten Rüstung zeigt die Kugellagerfertigung. [] Die Zulieferungen aus Frankreich sind ausgefallen, und die einzelnen Bedarfsträger wie Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine führen um jede Kurbelwelle beinahe einen Privatkrieg. Der verantwortliche Ausschussleiter, Oberingenieur Vatterroth von Krupp-Essen, einer der Nichtskönner im Ministerium Speer, hat überhaupt keine Übersicht mehr. Die schon fertiggestellten Fahrzeuge können daher nicht montiert und der Truppe zugeführt werden. [] Die verheerenden Zustände in den obengenannten Schlüsselindustrien herrschen in der gesamten Rüstungswirtschaft. Kein Programm kann mehr durchgeführt werden. Eine Serienfertigung ist schon seit langem nicht mehr möglich. [] Die deutschen "gepanzerten" Waffen sind meist nur noch scheinbar gepanzert, denn ohne die Legierungsmetalle erhält man keinen Panzerstahl. [] Alle technisch noch so guten Leistungen der deutschen Eisen- und Stahlindustrie können da nichts ändern, auch nicht die letzten an sich sehr guten Entwicklungen der Glüh- und Härtetechnik der "Deutschen Edelstahl-Werke A.G." in Krefeld, Remscheid und Hannover oder der DURFERIT G.m.b.H., der "Deutschen Gold- und Silberschmiede-Anstalt" in Frankfurt am Main. [] Seit August 1944 führen wir einen Todeskampf. Jeder Tag bringt auch auf unserem Sektor das Ende dieses wahnsinnigen Krieges näher. [] Aus dem Gefangenenlager [] Das Lagerparlament [] Wöchentlich einmal kommt das ganze Lager in dem "Lagerparlament" zusammen. Der Leiter der Versammlung wird mit einer Zweidrittel-Mehrheit auf zwei Monate gewählt. Er hat die Aufgabe, die Diskussion sachlich zu steuern, geeignete Entwürfe und Gedankengänge zu fördern und Abschweifungen und Unpassendes abzuschneiden. [] Manche Gegenstände werden in einer Weise durchgefochten, dass als Abschluss eine allgemeine geheime Abstimmung vorgenommen werden muss, was natürlich das Interesse an der Sache und der Prozedur bedeutend steigern kann. [] Die Diskussionsthemen werden im allgemeinen von den verschiedenen Arbeitsgemeinschaften im Lager gestellt. Es gibt eine wirtschaftliche, dann eine juristische Arbeitsgemeinschaft; weiter eine solche für Rassenfragen sowie eine für die Neugestaltung des deutschen Erziehungswesens. [] Vor etwa zwei Monaten führte die Diskussion über die Katastrophe der Stadt Aachen zu einer gemeinsamen Resolution, die wir in unserer Sendung mehrere Male wiederholt haben und die sinnlose Verteidigung der Stadt Aachen als einen unverantwortlichen Akt der Grausamkeit gegen unser eigenes Volk, als Kriegsverbrechen kennzeichnete. [] Wir sprechen zu Euch persönlich! [] Achtung, Ihr hört unsere Stimmen jeden Abend zweimal im Rundfunk, und zwar um 19 Uhr und um 23 Uhr. Unsere Sendung geht über die Sender der Britischen Rundfunkgesellschaft auf Langwelle 1500 Meter, Mittelwelle 373, 285 und 261 Meter, Kurzwellen im 49, 41, und 31 Meterband. Unsere 19-Uhr-Sendung wird ausserdem noch vom Sender Luxemburg auf 1293 Meter, unsere 23-Uhr-Sendung vom Sender Algier im 31-Meterband übertragen. [] B 151
Published:1945