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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; [?] = vermutete Leseart Arbeiter in Stadt und Land! [] Heraus zum Protest gegen Zuchthausgesetze! Auf zum Kampf für die Erhaltung eurer Organisationen! [] In wenigen Tagen tritt der Deutsche Reichstag wieder zusammen und eine der Fragen, mit der er sich zunächst zu beschäftigen hat, ist die Frage des [] Koalitionsrechts der Arbeiter, [] ist die Frage, ob die wirtschaftliche Entwicklung Zustände gezeitigt hat, die einen [] Schutz der Arbeitswilligen [] in besonderer Gesetzesform notwendig machen. Ganz besonders liegt den Scharfmachern am Herzen das [] Verbot des Streikpostenstehens. [] Ein Antrag Westarp und Genossen, über den in den nächsten Tagen der Reichstag zu befinden hat, lautet: [] Der Reichstag wolle beschließen, den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, noch vor der in Aussicht gestellten allgemeinen Revision des Strafgesetzbuches dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den ein wirksamer gesetzlicher Schutz gegen den zunehmenden Mißbrauch des Koalitionsrechts geschaffen und dem immer schärfer ausgeübten Terrorismus gegenüber arbeitswilligen Arbeitern entschieden entgegengetreten und insbesondere aber das Streikpostenstehen verboten wird. [] Obwohl der Reichstag sich verschiedentlich mit großer Majorität gegen ein neues Zuchthausgesetz und den Erlaß eines Streikpostenverbotes ausgesprochen hat, lassen die Scharfmacher keine Ruhe. Ganz besonders in den letzten Jahren wiederholen sich immer wieder die Vorstöße gegen das Koalitionsrecht der Arbeiter, die man versteckt unter die Bezeichnung [] Schutz der Arbeitswilligen. [] Kein Mensch hat Achtung vor dem Streikbrecher, [] sobald er sich in den eigenen Reihen zeigt. Dann beehren die Unternehmer, die Akademiker, die Gewerbetreibenden solche Leute mit einem Haß, der nicht übertroffen werden kann. Dann sind sie derselben Ansicht wie der engliche [!] Richter, der 1888 in einer Londoner Gerichtsverhandlung folgendes Urteil über die Streikbrecher abgab: [] Ein Streikbrecher ist für seine Klasse das, was ein Verräter für sein Land ist, und obgleich beide in beschwerlichen Zeiten nützlich sein mögen für die andere Partei, so sind sie doch mißachtet von allen, sobald der Friede zurückkehrt. Der Streikbrecher ist der Letzte, der einem andern Hilfe gibt, aber der Erste, der Hilfe verlangt, doch arbeitet er niemals gesichert. Er nimmt nur auf sich Rücksicht, aber er sieht nicht über den Nächsten hinaus, jedoch für Geld und würdelose Zubilligung wird er seine Freunde verraten, seine Familie und sein Land. Mit einem Wort, er ist ein Verräter in kleinem Maßstäbe, der erst seine Kollegen verkauft, und nachher wird er von seinem Arbeitgeber verkauft, bis er zuletzt verachtet und verabscheut ist von beiden Parteien; er ist ein Feind seiner selbst, der Gegenwart und der kommenden Gesellschaft. [] Ganz anders aber mit dem Streikbrecher, wenn er sich in den Reihen der Arbeiter zeigt. Da wird er auf einmal zum [] nützlichsten Element der Gesellschaft, zum Liebling der Unternehmer, zum ganz besonderen Schützling des Staatsanwalts! [] Natürlich gilt die rührende Liebe des Unternehmers nicht dem Streikbrecher als Menschen! Was die Unternehmer lieben, ist der Streikbruch, die Tätigkeit des Streikbrechers, die aus die Vernichtung der Bestrebungen der Arbeiter zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage abzielt. [] Der Streikbrecher ist dem Unternehmer nichts anderes, als ein erbärmliches Mittel zu einem niederträchtigen Zweck! [] Daß die Unternehmer zur Förderung dieser Zwecke besonderen staatlichen Schutz verlangen, ist eine arge Kurzsichtigkeit. Die Organisationen der Arbeiter sind eine Notwendigkeit, die man durch kein Gesetz wegdekretieren kann; eine Ausbildung eines besonderen Ehrbegriffes, der die im Streitbruch liegende Bekämpfung der organisatorischen Kulturarbeit besonders verächtlich erscheinen läßt, ist nicht allein aus die Arbeiterklasse beschränkt geblieben, und wollte man heute den Streikbruch für geheiligt erklären und Beleidigungen der Streikbrecher mit Todesstrafe belegen: man änderte doch nichts mehr an der moralischen Wertschätzung dieser Elemente! [] Nicht durch Erschwerung der Organisationsmöglichkeit, nicht durch strenge Strafen beseitigt man, was die Gegner der Arbeiterorganisationen als Terrorismus bezeichnen, helfen kann ans diesem Gebiet nur ein [] wirkliches Koalitionsrecht, Anerkennung der Arbeiter-Organisationen, Rechtssicherheit für ihre Abmachungen! [] Das sieht selbst ein bürgerliches Urteil über diese Frage ein, das wir in der "Frankfurter Zeitung" vom 17. Dezember 1913 finden: [] Man vergegenwärtige sich nur den Sachverhalt: eine Koalition beschließt einstimmig den Streik, es werden Unterstützungsgelder bezahlt usw. Plötzlich findet es ein Teil der Koalition für sich nützlich, trotz Ehrenwort, Unterschrift und empfangenen Unterstützungsgeld auszubrechen und den Kollegen in den Rücken zu fallen. Hier gilt keine Heiligkeit des Vertrags, der Gesetzgeber billigt dieses Verhalten ganz ausdrücklich. Was ist nun die naturnotwendige Folge? Die mangelnde gesetzliche Sanktion muß durch irgendein Surrogat ersetzt werden. Aus einer bloßen Rechtsfrage wird eine Ehrensache: ehrlos, wer gegen seine Koalition handelt. Man muß den Korpsgeist unter den Mitgliedern bis zur Ueberreizung pflegen, man muß dem, der den Vertrag bricht, es in einer anderen Weise empfindlich machen: das Surrogat für den verweigerten Rechtsschutz ist der Terror! Also mache man nicht die deutsche Arbeiterbewegung als solche für ihn verantwortlich, sondern eine fehlerhafte und ungerechte Gesetzgebung. [] Wir behaupten: [] Die deutschen Arbeiter haben kein wirkliches Koalitionsrecht, und sie werden weiter an der Ausnutzung der vorhandenen Organisationsmöglichkeiten gehindert nicht nur durch die Unternehmer, sondern in hohem Maße auch durch die staatliche Verwaltung und Rechtsprechung. [] Die Haltung der Unternehmer ist verständlich. Die wirksame Arbeiterorganisation beschränkt die Rate ihres Mehrwertes, vermindert ihren Profit. Das Unternehmertum ist deshalb von je der erbitterte Feind der Arbeiterorganisation gewesen, wie wir das gerade hier bei uns im Ruhrgebiet beobachten können. [] Zehntausende von braven Arbeitern haben die Gruben- und Hüttenbarone im Laufe der Jahre gemaßregelt, [] nm die Organisation niederzuhalten, bei Strafe der Entlassung verboten Krupp und die übrigen Scharfmacher das Abonnieren von sozialdemokratischen und - Zentrumszeitungen, als diese in Zeiten des Kulturkampfes noch eine scharfe Sprache gegen den kapitalistischen Liberalismus führten. (Heute wäre das letztere natürlich nicht mehr denkbar, denn heute sind die Zentrumsleute diejenigen, die die Schildhalter [?] der nationalliberalen Großindustrie, einen Dr. Böttger - Duisburg und einen Heckmann - Bochum in den Reichstag wählen halfen.) [] Die verschiedensten Hüttenwerke des Industriegebietes bildeten jahrzehntelang untereinander [] ein Maßregelungs-Syndikat, [] das "unbotmäßige" Arbeiter auf lange Zeit von der Beschäftigung ausschloß. [] Der Zechenverband verhängte wider Recht und gute Sitte monatelange Aussperrung über unzählige Bergleute, er führte mit Hilfe der vom Polizeispitzel Beyer gestohlenen Mitgliederliste einen vernichtenden Schlag gegen den Steigerverband. [] Der Bund der technisch-industriellen Beamten wurde 1911 aus der Gutehoffnungshütte in Sterkrade kaputgemaßregelt und hat auch heute noch seine grimmigsten Feinde in den Kreisen der Großindustrie. [] Wo es galt, durch die Gesetzgebung einen Schlag gegen die Arbeiter-Verbände zu führen, da standen die Schwerindustriellen des Ruhrgebiets stets an erster Stelle! [] 1890 verlangte der Zentralverband der Industriellen Verschärfung des § 158 der Gewerbeordnung, eine Mindeststrafe von einem Monat, bei gewohnheitsmäßigem Vorgehen (also bei Gewerkschaftsangestellten!) Gefängnis nicht unter einem Jahr! [] 1894/95 standen unsere Scharfmacher hinter der Umsturzvorlage, 1898/99 hinter dem Zuchthausgesetz. [] Von den 12 000 Mark, die Posadowsky zur Popularisierung der Zuchthansvorlage zusammenbettelte, spendete allein die Firma Krupp 5000 Mark. [] Anläßlich des Bergarbeiterstreiks 1905 verlangten die Wortführer der Scharfmacher, Bueck und Leidig, mit der "Rheinisch - Westfäl. Zeitung" die schärfsten Maßnahmen gegen die Streikenden, Militärgewalt und Streikpostenverbot. [] 1910 sprach Bueck vor den Delegierten des Zentralverbandes über die furchtbare Macht der Gewerkschaftsorganisationen, die es "mit unerschütterlichem Willen zu erschüttern und niederzuschlagen" gelte. Er forderte verschärfte Strafbestimmungen und Vorgehen der Regierung mit den schärfsten Mitteln, wenn der Reichstag sich nicht gefügig zeigen sollte. Das hieß: [] Zuchthausgesetz oder Staatsstreich! [] 1911 beantragte der Zentralverband Aenderung des § 241 des Strafgesetzbuches dahin, daß [] für Streikpostenstehen Gefängnis bis zu einem Jahr [] verhängt werden könnte! [] Der Reihe nach kamen dann die anderen Unternehmerverbände: der Deutsche Arbeitgeberverband, der Verband sächsischer Industrieller, der Reichsdeutsche Mittelstandsverband, neuerdings sogar der: Hansabund und ein besonderes Scharfmachersyndikat: Bund der Landwirte, Zentralverband der Industriellen und Reichsdeutscher Mittelstandsverband mit Forderungen nach Arbeitswilligenschutz. Im Preußischen Landtag, im Abgeordnetenhaus, wie im Herrenhaus, mußte man sich mit den Scharfmacherwünschen beschäftigen. Der Reichstag hat sich mit großer Majorität gegen neue Bestimmungen ausgesprochen. [] Aber heute ist die Gefahr eines neuen Zuchthausgesetzes näher denn je! [] Die Nationalliberalen, die mit wenigen Ausnahmen im Reichstag zu der ablehnenden Mehrheit gehörten, haben neuerdings einen Ausschuß zur Prüfung dieser Frage eingesetzt, die Scharfmachen Schiffer und Fuhrmann geben heute bei den Nationalliberalen den Ton an, Bassermann bekam erst vor einigen Tagen ein Vertrauensvotum der saarabischen Großindustrie ausgestellt, alles Anzeichen dafür, daß die Nationalliberalen bei künftigen Entscheidungen eine andere Haltung einnehmen werden, als zuletzt im Reichstag. [] Der Reichskanzler hat noch am 10. Dezember 1913 angekündigt, daß dem "Mißbrauch des Koalitionsrechts" durch Schritte auf dem Boden des gemeinen Rechts gesteuert werden solle. [] Wäre auf das Zentrum Verlaß, würde es sich bis zum letzten Mann gegen jede Erschwerung [?] des Koalitiousrechts wehren, so wäre die Gefahr [...] nicht so groß. [] Aber die Anzeichen mehren sich, daß auch das Zentrum, oder wenigstens ein [...] Parlametarier, sich anschickt, neue Fesseln für die Arbeiterorganisationen schmieden zu helfen! [] Daß die christlich organisierten Arbeiter in ihrer großen Mehrzahl auch heute noch ein wirkliches, uneingeschränktes Koalitionsrecht wollen, halten wir für sicher. Ob sie aber unter den Einflüssen ihrer Führer heute noch so handeln würden, wie sie das früher für selbstverständlich hielten, ist schon eine andere Frage. Am 23. September 1898 schrieb der "Bergknappe" gegen die Zuchthausvorlage, darauf würde die deutsche Arbeiterschaft die nötige und richtige Antwort geben, den Generalausstand, und "wir werden zu unserem Teil nach Kräften dazu beitragen, dieses zu verwirklichen, und wenn wir die ersten wären, die ins Zuchthaus kämen." [] Seit der Zeit ist viel Tinte zwischen Rom und Köln verschrieben worden, manchem reaktionären Handstreich haben die christlichen Organisationen Knappendienste geleistet und unter ihren Führern sitzen gar viele Freunde eines eingeschränkten Koalitionsrechts. Ein wirkliches Koalitionsrecht darf den Streik nicht ausschließen, es muß für alle Staatsbürger ohne Einschränkung gelten. [] An der Hetze gegen den Süddeutschen Eisenbahnerverband, die diesen Verband zum Verzicht auf das Streikrecht zwang, beteiligten sich aber in hervorragendem Maße christliche Organisatoren! [] Herr Franz Behrens, dem man bitter Unrecht täte, wollte man ihn den Freund eines wirklichen, uneingeschränkten Koalitionsrechts der Arbeiter nennen, der mithalf, durch das Vereinsgesetz von 1908 die Polen des Gebrauchs ihrer Muttersprache in Versammlungen zu berauben, der ein Feind des Wahlrechts der Landarbeiter zu den Krankenkassen ist, der mit den Konservativen gegen das Koalitionsrecht der Landarbeiter stimmte, sitzt heute noch im Vorstand des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften! [] Neuerdings mehren sich nun die Stimmen aus christlichem Lager, die befürchten lassen, daß [] das Zentrum für Zuchthausgesetze [] eintreten oder wenigstens in ihrer Abwehr nicht mehr die Energie entwickeln wird, wie früher. Seit Jahr und Tag hörte man ans den Rechen der christliches Gewerkschaften das sonst nur bei Scharfmachern und Gelben übliche Terrorismusgeschrei, den Ruf nach Polizei und Militär bei Streiks, den lezteren besonders beim letzten Bergarbeiterstreik beim Krefelder Färberstreik. [] Zentrumsabgeordnete nahmen kürzlich eine Haltnug ein, die allen gewerkschaftlichen Anschauungen direkt ins Gesicht schlägt. Bei der Anfang Dezember 1913 im Bayerischen Landtag geführten Debatte über die Gewerbeaufsicht lehnte der christliche Arbeiterführer Oswald zwar ein Arbeitswilligenschutzgesetz ab, dann aber verlangte dieser Arbeiterführer schärfste Strafen bei Terrorismusfällen, so wie sie in Norddeutschland üblich seien, er forderte die Arbeitgeber auf, in jedem Falle, der ihnen als Terrorismus erscheine, die betreffenden Arbeiter beim Staatsanwalt zu denunzieren, weiter verlangte er "Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen in allen zulässigen Formen." [] Fürwahr ein liebliches Bild: [] Ein christlicher Arbeiterführer, dessen Freunde selbst tausendmal über norddeutsche Klassenjustiz geklagt haben, Verlangt norddeutsche Schneidigkeit gegen streikende Arbeiter auch im Süden! Schlimmer als dieser Arbeiterführer es getan, kann man kaum Unternehmertum, Gerichte und Staatsgewalt gegen das Koalitionsrecht hetzen! [] Der Zentrumsabgeordnete Erzberger, der rede- und schreibgewaltigste Mann im Zentrumslager, hat in der letzten Zeit verschiedentlich einen ähnlichen Standpunkt eingenommen. So ließ sich am 20. November 1913 die "Köln. Ztg." über eine Hamburger Rede Erzbergers telegraphieren: [] Er bezeichnete es als Anfang des Staatsbankerotts, wenn in der Frage des Arbeitswilligenschutzes nichts geschehe, und wenn die Rechtsprechung den freien Arbeiter nicht vor dem sozialdemokratischen Terrorimus [!] zu schützen vermöge. Er wollte kein Ausnahmegesetz, es müßten aber Mittel allgemeiner Art in hinreichendem Umfang gefordert werden, wozu die Reichstagsmehrheit sicher die Hand bieten würde. [] Sind schon diese Auslassungen bekannter Zentrumsparlamentarier bemerkenswert, so nicht minder ein Artikel des Abgeordneten Giesberts in der "Köln. Volkszeitung" vom 12. Dezember 1913, in der er die oben schon erwähnte Reichskanzlerrede bespricht und über den Arbeitswilligenschutz auf dem Boden des gemeinen Rechts u. a. sagt: [] Wenn das Strafgesetz paritätisch gestaltet wird - darüber kann doch kein Zweifel bestehen - so können solche Bestimmungen gegen Terrorismus und Boykott und für den "Schutz persönlicher Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Individuums" den Koalitionen der Arbeitgeber usw. gefährlicher werden als den Organisationen der Arbeiter. Das soll aber die Arbeiterorganisationen nicht abhalten, sich schon rechtzeitig auf diese Strafrechtsreform gefaßt zu machen und die Abwehrmaßnahmen frühzeitig zu treffen, die notwendig sind, [...] einen Anschlag auf Koalitionsfreiheit auf diesem Umwege [?] zu vereiteln. [] [...] hier den christlichen Arbeitern ein gefährliches Schlafpulver, und wenn sie sich von demselben [?] einlullen lassen, tragen sie die Verantwortung mit für eine arbeiterfeindliche Strafgesetzreform! [] Kann denn im kapitalistischen Klassenstaat von paritätischer, d. h. gleichmäßiger Behandlung von Kapitalisten und Arbeitern die Rede sein? Sind nicht tausendfach Arbeiter aus Grund des § 153 der Gewerbeordnung bestraft worden, während Unternehmer die gleichen "Straftaten" begingen und straffrei blieben? [] Wer die Arbeiter einlullt mit der Erwartung: Sie werden schon nichts Schlimmes machen, denn das träfe ja die Unternehmer ebensogut wie die Arbeiter, begeht geradezu ein Verbrechen an der Arbeiterklasse! [] Auch der Abgeordnete Giesberts hat nicht immer das felenfeste [!] Zutrauen zur Parität in Preußen-Deutschland gehabt, wie das heute der Fall [?] zu sein scheint, denn sonst würde er nicht vor Jahren ausgerufen haben: [] Man muß sich fast schämen, eine [!] Preuße zu sein! [] Die deutschen Arbeiter haben ja noch gar kein wirkliches Koalitionsrecht! Als die §§ 152 und 153 der Gewerbeordnung geschaffen wurden, hieß es in dem Regierungsentwurf: [] "Die bestehenden Koalitionsverbote werden beseitigt, dagegen bleibt der Koalition der staatliche Schutz vorenthalten und der im Interesse der Freiheit notwendige Schutz gegen den Mißbrauch, die freie Entschließung der Arbeiter (wohlgemerkt: nur der Arbeiter!) durch Drohungen und Anwendung von Gewalt zu beeinträchtigen, wird in einer Strafbestimmung (§ 153) gesichert." [] Der § 152 hob also lediglich die Koalitionsverbote auf, schuf aber kein positives, rechtlich anerkanntes Koalitionsrecht der Arbeiter, schützte nicht gesetzlich die rechtliche Handlungsfreiheit der Organisationen. [?] [] Der § 153 ist ein nacktes Ausnahmegesetz gegen die Arbeiter! [] Er bedroht mit Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten den, der durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder Verrufserklärung andere bestimmt oder zu bestimmen versucht, an Verabredungen nach § 152 teilzunehmen. Damit setzt dieser Paragraph sich über das gemeine Recht hinweg. Er bedroht mit Strafe Handlungen, die, wenn sie zu anderen Zwecken begangen werden, nicht strafbar sind. Körperlicher Zwang, Drohung, Ehrverletzung, Verrufserklärung sind in der Tot dem gemeinen Strafrecht unbekannt. Das Strafgesetzbuch verfolgt den körperlichen Zwang nur unter gewissen Umständen, z. B. als Mittel zum Raub (§ 249), die Drohung als Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen, als Mittel der Nötigung (§§ 240, 241) oder allgemein als Mittel zur Erpressung, die Verrufserklärung in keiner Gestalt. [] Mildernde Umstände, die das gemeine Strafrecht bei Delikten, die zur Wahrnehmung berechtigter Interessen oder in der Erregung begangen werden, ohne weiteres zubilligt, sind bei Prozessen aus § 153 nahezu unbekannt. [] Im Gegenteil: [] Fast immer fällt die Tatsache, daß der Sünder ein streikender Arbeiter ist, strafverschärfend ins Gewicht! [] Und wie sieht's mit der Strafverfolgung aus? Werden Unternehmer und Arbeiter gleich behandelt? Ein paar Fälle mögen's beweisen! [] Ein Arzt bezeichnete seinen Nachfolger als einen nicht anständigen Menschen, weil er in seine Stelle, die er Differenzen halber verlassen hatte, eingesprungen war. Das Gericht nahm an, daß der Beleidiger dem Kläger seine Mißachtung habe ausdrücken wollen, er habe aber in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt und sei auch nicht zu weit gegangen! [] Urteil: Freispruch in beiden Instanzen. [] Beim Kölner Krankenkassenstreik klagten mehr als 20 Aerzte gegen einen anderen, der sie Streikbrecher [?] genannt [?] hatte. [?] Urteil: [?] Freispruch, [?] weil der Arzt in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt habe! [] In Halle zerschlug ein Student einem Arzt wiederholt ein Firmenschild, weil er den Arzt für einen Streikbrecher hielt. Urteil: 50 Mk. Geldstrafe! [] Ein Obermeister Müller sagt: "Mit den Bäckermeistern, die die Forderungen der Gesellen bewilligten, müßte man allein im Walde spazieren gehen und . . . ." Der Staatsanwalt schritt nicht ein! [] Der Unternehmer-Verband der Tischler versandte 1911 an die Materiallieferanten eine Liste der Firmen, die sich mit dem Holzarbeiter-Verband geeinigt haben, um ihnen das Material abzuschneiden und sie so geschäftlich zu ruinieren! Staatsanwalt, Oberstaatsanwalt und Hanseatisches Oberlandesgericht lehnen ein Einschreiten ab! [] Ein Bäcker-Obermeister in Berlin, der seine bewilligt habenden Kollegen Verräter, charakterlose Wichte usw. geschimpft, ihnen Hefesperre und Kreditentziehung angedroht hatte, bekam drei Tage Gefängnis. Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt sahen keinen Grund zum Einschreiten, erst das Kammergericht ordnete die Erhebung der Anklage an! [] Doch genug dieser Fälle, die sich verhundertfachen ließen. Besehen wir uns einen Augenblick die Kehrseite der Medaille. Da finden wir: [] Ungeheuerliche Strafen für streikende Arbeiter! [] Seit Erlaß des Sozialistengesetzes, also unter der Herrschaft des "gemeinen Rechts", sind über freie Gewerkschaftler und Sozialdemokraten annähernd [] 1500 Jahre Gefängnis [] verhängt worden, ein erheblicher Teil davon kommt auf das Konto von Streikvergehen, auf das Konto des § 153. Beim letzten Bergarbeiterstreik wurden [] über 43 Jahre Gefängnis [] verhängt, [] Frauen mit ihren Säuglingen mußten ins Gefängnis! [] Und Gesetze, die solche Urteile zulassen, sollen ungenügend sein zur Bekämpfung des Terrorismus? [] Wofür wurden denn 1912 Wochen nnd Monate Gefängnis verhängt? Nur einige Urteile seien zitiert: [] Für: Pfui, Streichdrecher = je 2 Monat, [!] 2 Monat, [!] 3 Wochen Gefängnis; [] Streikbrecher, Dickkopf = 4 Wochen Gefängnis; [] Judas, Streikbrecher = 2 Monate, 2 Monate, 8 Wochen Gefängnis; [] Pfui = 6 Wochen Gefängnis; [] Streikbrecher = 1 Monat Gefängnis; [] Pfui, Zuchthäusler, Streikbrecher = 3 Monate Gefängnis. [] Und wofür mußten 1912 eine Reihe von Frauen ins Gefängnis? [] Es bekamen Strafe: [] Frau L.-Aplerbeck für den Ruf: Streikbrecher = 14 Tage Gefängnis; [] Frau Sch. und Frau D. aus Herne für: Pfui-Streikbrecher, je 1 Monat Gefängnis; [] Frau K.-Herne für: Streikbrecher = 1 Monat Gefängnis! [] Man vergleiche diese Urteile mit der Milde, mit der das Gesetz oftmals Unternehmer trifft, mit der Tatsache, daß Unternehmer hundertfach die Straftaten, die durch den § 153 bedroht sind, begehen, ohne daß sie gefaßt und verurteilt werden. Man stelle nur einen Vergleich an zwischen folgenden zwei Fällen: [] Der Obermeister Schmidt, den wir schon zitierten, bekam für die Beschimpfung seiner Kollegen als Verräter, charakterlose Wichte usw. 3 Tage Gefängnis, die ihm auf dem Gnadenwege in 30 Mark Geldstrafe umgewandelt wurden. [] Der [?] Angestellte [?] des [?] Transportarbeiter-Verbandes, [?] Kröner-Erfurt, erwidert auf die Aeußerung einer Frau: "Ein Hund, wer meinen Mann einen Streikbrecher nennt", die Worte: "Ja, Ihr Mann ist auch einer", und bekommt für diese Worte fünf Monate Gefängnis! [] Wer angesichts solcher Urteile, die man mit Leichtigkeit um das Hundertfache vermehren könnte, noch behauptet, daß die heutigen Gesetze nicht ausreichten, um Ausschreitungen zu verhüten oder zu ahnden, ist entweder ein böswilliger Scharfmacher, oder ein unheilbarer Idiot! [] Nein, diejenigen, die auf neue offene oder versteckte Zuchthansgesetze drängen, wollen damit dem Koalitionsrecht der Arbeiter an den Kragen! [] Alle Arbeiterorganisationen ohne Unterschied, mit Ausnahme der Gelben, wenden sich gegen diese Scharfmacherwünsche. Damit ist's aber nicht genug! Dem in den nächsten Tagen zusammentretenden Reichstag muß aus Tausenden von Versammlungen, von Millionen von Arbeitern, der Ruf entgegenschallen: [] Nieder mit allen offenen und versteckten Zuchthausgesetzen! - Heraus mit einem wirklichen Koalitionsrecht für die deutsche Arbeiterschaft! [] Zwei große öffentliche Protest-Versammlungen [] am Sonntag, dem 11. Januar 1914, nachmittags 3 ½ Uhr, im Saale des Herrn W. Gather in Essen-West und im Saale des Herrn Neuwöhner (früher Maas) in Essen-Rüttenscheid. [] Tagesordnung in beiden Ansammlungen: [] Die geplante Abwürgung des Koalitionsrechts. [] Referenten: Redakteur Heinrich Limbertz, Essen, und Reichstagsabgeordneter Wilhelm Dittmann, Solingen. [] Männer des schaffenden Volkes! Erhebt flammenden Protest gegen die beabsichtigte Vergewaltigung eurer elementarsten Menschenrechte. [] Darum heraus aus Fabrik, Werkstatt und Grube und hinein in die Versammlungen! [] Die sozialdemokr. Parteileitung des Kreises Essen. Das Gewerkschaftskartell des Kreises Essen. [] Verlag: C. Weyers. - Druck: "Arbeiterzeitung", Essen.
Published:11.01.1914