90 Jahre Sozialdemokratie in Südtirol

Bemerkungen: Das vorliegende Flugblatt wurde in Form eines Faltblattes als Sonderausgabe zur Südtiroler Zeitung "SZ" Nr. 3/ März 1981 mit verteilt. [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; 90 Jahre Sozialdemokratie in Südtirol [] Sozialdemokratische Partei Südtirols [] Aus dem Elend wä...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Südtiroler Bildungsverein (SBV), Schweiggl, M., Pöder, R., Eigendruck des SBV
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 28.09.1980
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/26929367-828C-4870-A845-EBC329F6DC51
Description
Summary:Bemerkungen: Das vorliegende Flugblatt wurde in Form eines Faltblattes als Sonderausgabe zur Südtiroler Zeitung "SZ" Nr. 3/ März 1981 mit verteilt. [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; 90 Jahre Sozialdemokratie in Südtirol [] Sozialdemokratische Partei Südtirols [] Aus dem Elend wächst die Solidarität [] Keine Krankenvorsorge, keine Altersrente, kein Urlaub, kein Mutterschutz, kein Kindergeld, kein Wahlrecht; dafür 80-Stunden-Woche und Ausbeutung der Arbeitskraft - das war die von Unternehmern und konservativen Parteien als »gottgewollte Ordnung« verteidigte Lage der Arbeiterschaft im vorigen Jahrhundert. [] Das war auch die Geburtsstunde der Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie: es bildeten sich Arbeiterbildungsvereine, Gewerkschaften, sozialdemokratische Ortsgruppen. Trotz Unterdrückungsmaßnahmen und Polizeiverboten konnte in zähem solidarischem Kampf eine soziale Verbesserung nach der anderen erreicht werden: Verbot der Kinderarbeit, Krankengeld, Altersrente, Urlaub, 8-Stunden-Tag, Mutterschutz, allgemeines Wahlrecht, bessere Bildungschancen ... [] All dies mußte Schritt für Schritt erkämpft werden, wobei sich die Sozialdemokratie immer als treuester Bundesgenosse der Werktätigen bewährte. Obwohl Unternehmer und Konservative jedesmal den Ruin der Wirtschaft prophezeiten, brachte jede soziale Errungenschaft mehr allgemeinen Wohlstand, mehr Lebensqualität und gesellschaftlichen Fortschritt für die breiten Bevölkerungsschichten. [] In der konservativen Hochburg Tirol wurden noch lange jede fortschrittliche Gesinnung und alle Andersdenkenden verfolgt. Vergessen war die große Epoche der Tiroler Bauern, Bergarbeiter und Knechte, die sich schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts unter Michael Gaismair gegen feudale Willkür und Ausbeutung erhoben hatten. [] Aus den elenden Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und ihrer Familien entstand in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Südtiroler Sozialdemokratie. [] Im Bild: Sensenschmiede in Gossensaß um 1890. [] Gemeinsamer Kampf für Recht und Freiheit [] Die Gründung des Arbeitervereins der Bozner Buchdrucker markiert 1868 den organisatorischen Beginn der Südtiroler Arbeiterbewegung. 1869 folgen Arbeiterbildungsvereine in Meran und Bozen. In der Folge schließen sich die Holzarbeiter, Schneidergehilfen, Metallarbeiter, Tischlergesellen, Schuhmacher, Bauarbeiter, Eisenbahner zu Gewerkschaftsvereinen zusammen. [] Schon 1869 gründeten sich Arbeiterbildungsvereine in Meran und Bozen. [] Hand in Hand ging der politische Zusammenschluß der Arbeiterschaft, die sich am 28. September 1890 mit der Gründung der Sozialdemokratischen Partei Tirols ihr organisatorisches Fundament schuf. In der Folge entstanden in Bozen, Meran, Schlanders, Kastelruth, Sarnthein, Brixen, Klausen die ersten sozialdemokratischen Ortsvereine. 1906 mußte die konservative »Brixner - Chronik« bereits feststellen, daß »in Deutschtirol ca. 30000 Sozialdemokraten ihr Unwesen treiben können «. Tiroler Sozialdemokraten wurden in den Landtag und in den Reichsrat gewählt. Im Mittelpunkt der ersten sozialdemokratischen Frauenkonferenz Tirols (1912) stand die Forderung nach dem Frauenwahlrecht. [] Die Liquidierung durch den Faschismus [] Diese blühende Aufwärtsentwicklung wurde nach der Angliederung Südtirols an Italien jäh zunichte gemacht. Die Entlassung deutschsprachiger Arbeitnehmer bei Ämtern, Bahn und Post riß empfindliche Lücken unter die 11000 sozialdemokratischen Parteimitglieder. [] So wie in Deutschland und Österreich die Sozialdemokraten in vorderster Front im Kampf gegen den Nationalsozialismus standen und für die Freiheit einen hohen Blutzoll leisteten, wurde auch bei uns die Sozialdemokratische Partei Deutsch-Südtirols das erste Ziel der faschistischen Unterdrückungspolitik. [] 1920 stand im VOLKSRECHT: [] »Die Sozialdemokraten Deutschsüdtirols fordern das Selbstbestimmungsrecht des im Gebiete Südtirols lebenden deutschen und ladinischen Volkes.« [] 1923 besetzten faschistische Horden das Bozner Gewerkschaftshaus, Sitz der Südtiroler Arbeiterorganisationen und Sozialdemokraten. Die freien Gewerkschaften wurden verboten und die Zeitung »Volksrecht«, das Organ der Südtiroler Sozialdemokraten, eingestellt. [] Aufschwung in Europa [] In der Zeit nach 1945 finden in der sozialdemokratischen Bewegung auch die Intellektuellen, Gewerbetreibenden, Beamten, die Jugend, die Frauen und die Landbevölkerung in zunehmendem Maße eine politische Heimat. Diese Öffnung ebnet den Sozialdemokraten in zahlreichen Ländern den Weg zur Regierungsverantwortung. Mit einer mutigen Reformpolitik gehen sie daran, Privilegien und Ungerechtigkeiten abzubauen und die Lebensbedingungen der breiten Bevölkerungsschichten zu verbessern. [] Mit Männern wie Bruno Kreisky, Willy Brandt und Helmut Schmidt genießen heute die deutschsprachigen Sozialdemokraten weltweites Ansehen. [] Neubeginn nach 50 Jahren [] Durch Option, Entlassungen, Abwanderung, Schulverbot war die Südtiroler Volksgruppe 1945 zu einer Agrargesellschaft zurückgesunken. Es brauchte Jahrzehnte, bis eine neue, selbstbewußte Werktätigenschicht und Intelligenz herangewachsen war. [] Nach verschiedenen früheren Ansätzen erfolgte erst 1972, mit der Gründung der Sozialdemokratischen Partei Südtirols (SPS), wieder eine dauerhafte Fortsetzung der sozialdemokratischen Bewegung in Südtirol. [] Die SPS ist seit 1973 im Südtiroler Landtag vertreten, Südtiroler Sozialdemokraten arbeiten heute wieder in zahlreichen Gemeinderäten, Ortsgruppen und Bezirksorganisationen für mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Demokratie in Südtirol. [] Als autonome Südtiroler Partei ist die SPS aus der Tradition und Realität unseres Landes und unserer Volksgruppe gewachsen. Die SPS ist aber auch ein Glied der europäischen Sozialdemokratie. Ihre programmatischen und gesellschaftlichen Hauptziele orientieren sich an denen der sozialdemokratischen Bruderparteien in Österreich und Deutschland, mit denen die SPS freundschaftliche Kontakte pflegt. [] Wollen Sie weitere Informationen? [] Gewünschtes bitte ankreuzen und einsenden an die Sozialdemokratische Partei Südtirols (SPS), Landessekretariat, 39100 Bozen, Eisackstraße 6, Tel. (04 71) 97 1159, oder wenden Sie sich persönlich an die Ortsgruppen, Gemeinderäte und Vertrauenspersonen der SPS. [] Ich möchte mich über die Ziele und Arbeit der Südtiroler Sozialdemokraten informieren. Senden Sie mir bitte kostenlos [] Geschichte der Arbeiterbewegung in Südtirol [] Grundsatzprogramm der SPS [] Parteistatut der SPS [] Abonnement der »Südtiroler Zeitung« [] Beitrittserklärung [] Name [] Anschrift [] Was will die SPS? [] Freiheit von entwürdigenden Abhängigkeiten, Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit und die Solidarität aller Benachteiligten sind die Grundwerte der Sozialdemokratie, auf denen das Grundsatzprogramm der SPS aufbaut. Hier einige Punkte daraus: [] Friedliches Zusammenleben der Volksgruppen [] Ausbau einer umfassenden Landesautonomie [] Mehr Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bezirke, Gemeinden und Bürger [] Gerechte Einkommen- und Vermögensverteilung [] Ausbau der sozialen Sicherung in allen Lebensbereichen [] Vollbeschäftigung und menschengerechte Arbeitsplätze [] Förderungsmaßnahmen in wirtschaftsschwachen Gebieten [] Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieb und Gesellschaft [] Demokratisierung aller Lebensbereiche [] Freiräume für die Entfaltung der Jugend [] Menschenwürdige Wohnungen für alle [] Bekämpfung der Spekulation mit der Wohnungsnot [] Ausgewogene Raumplanung auf Orts-, Bezirks- und Landesebene [] Förderung der Klein- und Bergbauern [] Schutz der Natur, Umwelt und Erholungslandschaft [] Verbesserung der Lebensqualität [] Bessere Bildungschancen für alle [] Ausbau der öffentlichen Dienste und Verkehrsmittel [] Bürgernahe Gesundheitsversorgung ohne Privilegien [] Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz [] Hilfe für alte und behinderte Mitmenschen [] Preisüberwachung und Konsumentenschutz [] Steuergerechtigkeit [] Herausgeber: Südtiroler Bildungsverein (SBV). Sonderausgabe zur SÜDTIROLER ZEITUNG »SZ« Nr. 3/ März 1981. Text: M. Schweiggl. Für den Inhalt verantwortlich: R. Pöder. Alle: 39100 Bozen, Eisackstr. 6. Eigendruck des SBV. Bildnachweis: Archiv der Sozialen Demokratie (4), Sozialdemokratische Partei Südtirols (5), G. Rauch (3), G. Ennemoser (1). [] Südtiroler Sozialdemokraten im Kampf gegen den Faschismus [] Ein Beispiel für viele: [] Auch in Franzensfeste bestand zu Beginn unseres Jahrhunderts bereits eine recht aktive und rührige Ortsgruppe der Sozialdemokratischen Partei. Die zahlreichen hier tätigen Eisenbahnbediensteten kämpften für eine Besserstellung der Arbeiterschaft und deren Familien. [] Im Bild: Die Sektionsleitung der Ortsgruppe. [] 1921 streikten in ganz Deutsch-Südtirol die Eisenbahner aus Protest gegen die faschistischen Gewaltakte, deren erstes Opfer die Sozialdemokraten waren. Wenige Tage vorher war in Bozen Lehrer Franz Innerhofer ermordet worden. Ebenso wie nach dem schrecklichen Bombenattentat auf dem Bahnhof von Bologna im Jahr 1980 war bereits vor 60 Jahren der Wille vorhanden, gegen Terror und Gewalt solidarisch zusammenzustehen. Die Geschlossenheit der Arbeiter aller Sprachgruppen und politischen Ausrichtungen in Südtirol war im Jahre 1921 eher noch größer als heute. [] Als führender Mann der Sozialdemokratischen Partei Deutsch-Sütitirols [!] [Deutsch-Südtirols] hielt Franz Tappeiner auf der Kundgebung nach der Ermordung von Franz Innerhofer eine mutige Rede gegen den Faschismus. [] Ganz vorn in der Streikfront standen auch die Sozialdemokraten (in der Mitte mit Gehstock Adolf Berger vom Sektionsvorstand Franzensfeste). [] Die streikenden Arbeiter nach Beendigung des fast vier Wochen dauernden Streiks vor der festlich geschmückten Lok. Später wurden fast alle Südtiroler Eisenbahner nach Österreich abgeschoben und die italienischen, meist sozialistischen Arbeiter wurden durch faschistisch gesinnte ersetzt. Nichts wurde in Südtirol von den Faschisten so total zerstört wie die sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen. [] Nach der widerrechtlichen Besetzung des Gewerkschaftshauses in Bozen am 16. August 1923 stellten sich die Faschisten am Eingang des Gebäudes protzig zur Schau. [] Südtiroler Antifaschisten bei einer illegalen Zusammenkunft, die als Ausflug getarnt wurde. 1928 schrieb Adolf Berger im Innsbrucker Exil: »Auch drinnen wird wieder Vernunft einkehren müssen, und dann wird auch die Stunde der Befreiung für Südtirol wieder schlagen, ... Nicht aber Rache und Vergeltung, sondern siegen wird der Gedanke: Nie wieder Krieg.« Dieser Aufruf hat auch heute noch seine volle Gültigkeit. Nicht Rache und Vergeltung, sondern Frieden für die Bevölkerung der deutschen, italienischen und ladinischen Sprachgruppe.
Published:28.09.1980