Zurück vom Abgrund!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Zurück vom Abgrund! [] Arbeiter, Arbeiterinnen. Gewerkschaftskollegen! [] Eure gewerkschaftlichen Organisationen sind in voller Auflösung. In den letzten Wochen und Monaten sind Hunderttausende aus den Gewerkschaften ausgetreten, Millionen wei...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), Zentrale, Abteilung Gewerkschaften, Otto Richter, Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: ca. 1929
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/735F4B07-CA08-4154-9626-632869DD61A7
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Zurück vom Abgrund! [] Arbeiter, Arbeiterinnen. Gewerkschaftskollegen! [] Eure gewerkschaftlichen Organisationen sind in voller Auflösung. In den letzten Wochen und Monaten sind Hunderttausende aus den Gewerkschaften ausgetreten, Millionen weigern sich, die Beiträge zu bezahlen. Die Einnahmen der Gewerkschaften - die überdies von der rasenden Geldentwertung stark in Mitleidenschaft gezogen werden -, reichen infolgedessen bei weitem nicht mehr, um auch nur die allernotwendigsten Ausgaben zu bestreiten und die dringlichsten Aufgaben zu erfüllen. Viele Gewerkschaftsblätter haben ihr Erscheinen eingestellt, andere kommen nur 14tägig oder gar allmonatlich und noch dazu in stark verkümmertem Umfang heraus. Die statutarisch festgelegten Unterstützungen werden von vielen Verbänden überhaupt nicht mehr, von anderen in geradezu lächerlichen Beträgen ausgezahlt. Keine Gewerkschaft ist mehr imstande, größere Streiks zu finanzieren, die so viel gepriesenen Tarifverträge sind praktisch wertlos geworden. So wie die Gewerkschaften heute sind, haben sie für die große Masse keine Anziehungskraft mehr. Gehen die Dinge noch kurze Zeit so weiter, dann treiben die Gewerkschaften ihrer restlosen Vernichtung entgegen. [] Warum gehen die Gewerkschaften zugrunde? [] Etwa weil die Mitglieder außerstande sind, die Beiträge zu zahlen? Es ist gewiß wahr, daß viele, viele Gewerkschaftsmitglieder so erbärmlich entlohnt werden, daß sie beim besten Willen nicht mehr in der Lage sind, ihre Beiträge zu zahlen. Aber jede Organisation hat für solche Mitglieder, die mit ihr in Treue verbunden, aber außerstande sind, die Beiträge zu zahlen, Bestimmungen getroffen, die dennoch die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft gewährleisten. Daß große Massen von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch machen, das beweist, daß sie sich nicht mehr mit ihren Organisationen verbunden fühlen, daß die Gewerkschaften jede Anziehungskraft und jedes Vertrauen bei den Massen verloren haben. Das ist in einem solchen Maße der Fall, daß viele Arbeiter die Gewerkschaften direkt verabscheuen und ihren Zerfall mit unverhohlener Genugtuung betrachten. [] Wie ist das möglich geworden? [] Sind die Gewerkschaften nicht von Arbeitern für die Arbeiter ins Leben gerufen worden? Haben nicht die Besten der Arbeiterklasse in jahrzehntelangem, opferreichem Kleinkrieg gegen ein rücksichtsloses Unternehmertum und gegen eine skrupellose Staatsgewalt die Gewerkschaften aufgebaut? Füllten nicht Zehntausende unerschrockener, opferbereiter Arbeiter die schwarzen Listen des Unternehmertums, wurden sie nicht, weil sie Kämpfer für eine bessere Zukunft waren, von den Toren der Fabriken zurückgewiesen und von Stadt zu Stadt gehetzt? [] Und steht heute nicht die ganze Lohnarbeiterschaft in unerträglich schlechten Verhältnissen einem profitgierigen Unternehmertum gegenüber, und sind deswegen heute nicht starke Kampforganisationen für die Arbeiter notwendiger als je? [] Aus der Geschichte der freien Gewerkschaften kann jeder ersehen, daß sie gerade deswegen das schrankenlose Vertrauen der Massen eroberten, weil sie angefeindet, verfolgt und unterdrückt wurden. Angefeindet, verfolgt und unterdrückt wurde sie aber, weil sie auf dem Boden des Klassenkampfes standen, weil sie vom Geist des revolutionären Marxismus erfüllt waren. Und gerade dies hat den freien Gewerkschaften eine so große Überlegenheit gegenüber allen anderen gewerkschaftlichen Richtungen gesichert. Ihr offenes Bekenntnis zum Klassenkampf, ihre enge Verbindung mit dem revolutionären Sozialismus hat bewirkt, daß die freien Gewerkschaften auf<NZ>die breite Masse eine zehnmal stärkere Anziehungskraft ausübten wie die von allen möglichen Seiten begönnerten christlichen, Hirsch-Dunkerschen und nationalistischen Gewerkschaften, ganz zu schweigen von den gelben Gewerkschaften. Heute kann man mit der Lupe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem freigewerkschaftlichen ADGB. und den Gewerkschaftsverbänden entdecken, die wir früher mit dem Beiwort "harmonieduselig" zu kennzeichnen pflegten. Hier sind wir bei der wahren [] Ursache des Verfalls der Gewerkschaften [] hier ist die Antwort zu suchen auf die Fragen, wie ein solch katastrophaler Zusammenbruch der Albeitergewerkschaften möglich ist. Die freien Gewerkschaften haben sich das Vertrauen der Arbeiter verscherzt, sie zerfallen, weil die reformistische Führerschaft das sozialistische Erstgeburtsrecht um das Linsengericht der Arbeitsgemeinschaft verkauft hat, weil die Führer den Boden des Klassenkampfes verlassen haben und nach ihren eigenen Worten zu Verbündeten des kapitalistischen Staates geworden sind und weil die Massen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter jahrelang an der Spitze der Gewerkschaften solche Führer duldeten. Die ausschlaggebenden Führer des ADGB. sind, bewußt oder unbewußt, zu Verrätern an der Arbeiterklasse geworden. Die Wurzeln dieses Verrats reichen weit in die Vorkriegszeit zurück. Mit aller Deutlichkeit offenbarte er sich bei Ausbruch des Krieges, als sie mit fliegenden Fahnen ins Lager von Hindenburg gingen und während der ganzen Dauer des Krieges die verläßlichsten Spitzen der Durchhaltepolitik waren. Bei Ausbruch der November-Revolution waren es dieselben Gewerkschaftsführer, die mit den Unternehmern die Arbeitsgemeinschaft bildeten und so verhinderten, daß die Arbeiter mit den Kriegsverbrechern abrechneten. [] Der Novembersturm hat Millionen bisher indifferenter Arbeiter aufgerüttelt und den Gewerkschaften zugeführt. Ueber 3 Millionen gewerkschaftlich organisierte Arbeiter und Arbeiterinnen haben sich im ADGB. vereint. [] Eine Riesenmacht war in die Hände des Vorstandes des ADGB. gegeben. Diese hat er nutzlos und frivol vertan. [] Nicht ein einziges Mal hat der Vorstand des ADGB. diese Macht im Interesse der Arbeiterklasse eingesetzt. Zur Mobilisierung des gewerkschaftlichen Riesenheeres haben sich die reformistischen Führer immer nur dann entschlossen, wenn es den kapitalistischen Staat zu verteidigen galt. [] Dieser feige Verzicht auf eine energische Verfechtung der Arbeiterinteressen mußte, sowohl für die Arbeiter sowie für die Organisationen selbst, die verhängnisvollsten Folgen zeitigen. Die große Masse der Mitglieder der Gewerkschaften war in den letzten Jahren, in allen entscheidenden Phasen zum Kampf und allen notwendigen Opfern bereit. Statt diesen berechtigten Kampfwillen auszunutzen und zu steigern, hat der ADGB. sein berüchtigtes Spiel mit seinen verschiedenen Punkten getrieben, hat er die Arbeiter mißbraucht und solange genasführt, bis jeweils die Spannkraft der Arbeiter erlahmte. Die Folgen liegen auf der Hand: [] Freche Spekulationen, Papiergeldschwindel, Senkung der Reallöhne, maßlose Auswucherung der Armen, erhöhte steuerliche Belastung, blutige Unterdrückung der hungernden rebellierenden Arbeiter, Knebelung der Arbeiterpresse, Belagerungszustand, Ermächtigungsgesetz, Diktatur der Generale, offenes Paktieren der Schwerindustrie mit ihren französischen Prositbrüdern. Herrschaft des Faschismus in ganz Deutschland, Niederschlagung des proletarischen Sachsen und Thüringen, Verhaftung von vielen Hunderten revolutionären Arbeiter, Not und Verzweiflung in den Hütten des schaffenden Volles. [] Kann man sich wundern, daß sich heute viele Arbeiter sagen, wozu brauchen wir Gewerkschaften, wenn sie jedem Kampf ausweichen; kann man sich wundern, daß große Kreise der Arbeiter, darunter auch solche, die bewiesen haben, daß sie nicht zu den Schlechtesten gehören, die Gewerkschaften ehrlich hassen und ihren Zerfall mit Befriedigung betrachten? [] Gewerkschaftsmitglieder! Ihr Ausgetretenen und Mißmutigen! So begreiflich diese Stimmung ist, wir sagen Euch: [] sie ist falsch und für die Arbeiterklasse schädlich! [] Ihr dürft nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, [] Wenn je, so brauchen die Arbeiter heute starke wirtschaftliche Kampforganisationen. [] In ihrer heutigen Form und unter ihrer gegenwärtigen Leitung sind die Gewerkschaften für den Befreiungskampf der Arbeiter unbrauchbar. Das ist erwiesen. Aber es liegt bei Euch, die Leitung und die Form der Gewerkschaften zu ändern und so zu gestalten, daß sie imstande sind, Euch zum Kampf für ein menschenwürdiges Dasein zu führen. [] Erfreulicherweise beginnen die Arbeiter ohne Unterschied der Partei zu begreifen, daß es verkehrt ist, einfach aus den Gewerkschaften davon zu laufen, daß es vielmehr gilt, die Gewerkschaften von Grund auf umzugestalten und mit einem anderen Geist zu erfüllen. [] Die Ortsausschüsse des ADGB. von Halle, Jena, Weißenfels, Meuselwitz, Mansfeld und Wittenberg haben für den 25. November eine [] Konferenz aller Ortsausschüsse des ADGB. [] nach Weimar einberufen, auf der Stellung genommen werden soll "zur Rettung der Gewerkschaften und der deutschen Arbeiterklasse vor dem Untergang". Wir begrüßen diesen Schritt in der Erwartung, daß diese Konferenz zu einem Signal für alle Gewerkschaftsmitglieder wird und daß es ihr gelingt, die Masse der Gewerkschaftsmitglieder für eine große Rettungsaktion zu mobilisieren. Nach unserem Dafürhalten muß die Weimarer Tagung der Auftakt für eine Massenbewegung aller Gewerkschaftsmitglieder werden, die sich auf jeden Großbetrieb, auf jede Ortsverwaltung, auf jede Betriebs- und Gewerkschaftsversammlung und auf sämtliche Gewerkschaftsrichtungen erstreckt. Die Arbeitermassen selbst müssen in den nächsten Wochen auf den Plan treten. Sie müssen [] einen außerordentlichen Gewerkschaftskongress erzwingen [] und dort allen Widerständen zum Trotz ungeachtet aller statuarischen Zwirnsfäden die Maßnahmen durchführen, die die ernste Stunde erfordert. [] Was muß geschehen? [] Der außerordentliche Gewerkschaftskongreß muß [] die unfähigen und verräterischen Führer aus den Reihen der Gewerkschaften hinauswerfen, [] die bestehenden Berufsverbünde in Industrieverbände zusammenfassen, [] den widernatürlichen Gegensatz zur oppositionellen Betriebsrätebewegung beseitigen, [] die engste Kampfgemeinschaft mit den revolutionären Betriebsräten herstellen und so [] die Voraussetzung schaffen, allen Versuchen des Unternehmertums, das Stinnesprogramm in die Praxis durchzuführen, eisernen Widerstand entgegensetzen und [] im ganzen Reich den Kampf für die Einführung von Friedensreallöhnen aufnehmen. [] Darüber hinaus gilt es, alle Folgerungen aus der gegenwärtigen Lage zu ziehen und festzustellen, daß die bisherigen Kampfmethoden der Gewerkschaften überlebt sind und daß folglich die Gewerkschaften, wenn sie den Arbeitern eine auskömmliche Existenz sichern und so ihre Aufgabe erfüllen wollen, sich einstellen müssen auf den [] Kampf um die Eroberung der politischen Macht. [] Vergeblich ertönt von der arbeitenden Bevölkerung in den Städten der [] Schrei nach Brot. [] Ihr Hunger kann gestillt werden, wenn beschlagnahmt wird, was die vollen Scheunen der Groß-Agrarier bergen. Das aber ist nur möglich, wenn sich die Arbeiterklasse mit Hilfe der Gewerkschaften die politische Macht erkämpft! [] Alle gegenwärtigen und künftigen Lohnbewegungen werden nicht verhindern, daß die Lohn- und Gehaltsempfänger durch den [] Papiergeldschwindel [] in schamloser Weise betrogen und ausgebeutet werden. Die Versprechungen der Stresemann-Regierung über ein wertständiges Geld sind Schwindel, alle diesbezüglichen von der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie genährten Hoffnungen Betrug. [] Ein wertbeständiges Geld kann in Deutschland erst dann geschaffen werden, wenn die Devisen, Grund und Boden, die Forsten, Fabriken und Bergwerke, kurz die gesamten kapitalistischen Sachwerte zugunsten des Staates beschlagnahmt werden. Das ist aber nur möglich, wenn sich die Arbeiterklasse mit Hilfe der Gewerkschaften die politische Macht erkämpft! [] Millionen Erwerbslose liegen heute auf der Straße, [] weil sabotierende Unternehmer die Betriebe schließen, um die Arbeiter durch die knöcherne Hand des Hungers mürbe und für eine schrankenlose Ausbeutung gefügig zu machen.<NZ>Die Tore dieser Fabriken können für die Arbeiter erst dann wieder geöffnet werden, wenn die Betriebe sabotierender Unternehmer rücksichtslos beschlagnahmt werden. Das aber ist nur möglich, wenn sich die Arbeiterschaft mit Hilfe der Gewerkschaften die politisch Macht erkämpft. [] Weil dem so ist, muß der außerordentliche Gewerkschaftskongreß radikal mit der Vergangenheit brechen und die ganze Gewerkschaftsarbeit auf eine revolutionäre Linie einstellen. Das ist der Weg zur Rettung der Arbeiterklasse und das ist auch der Weg zur Rettung der Gewerkschaften. [] Arbeiter! Gewerkschaftsfunktionäre! [] Wir wissen, die Aufgabe, die Euch gestellt ist und die nur Ihr lösen könnt, sie ist schwer. Die herrschende Gewerkschaftsbürokratie wird ihre Position mit allen Mitteln verteidigen und lieber die Gewerkschaften in Trümmer schlagen als freiwillig abtreten. Aber gegenüber Eurem vereinten Willen ist die Gewerkschaftsbürokratie ohnmächtig, Euer Wille, Eure Energie wird die Gewerkschaften retten. [] Nehmt in allen Euren Veranstaltungen, in allen Werkstätten und Betrieben, in allen Gewerkschaftsversammlungen zu der Lage Stellung! Seid, Euch bewußt, daß ohne starke Gewerkschaften die Eroberung der politischen Macht und Ihre Behauptung und Ausnutzung unmöglich ist. Laßt Euch durch nichts von der Aktion zur Rettung und Reinigung der Gewerkschaften abhalten, von deren Gelingen Euer Schicksal und Eure Zukunft abhängt. [] Es lebe die revolutionäre Einheit der deutschen Gewerkschaften! [] Nieder mit der Passivität und der Politik des Ausweichens! [] Es lebe der Klassenkampf des geeinten Proletariats! [] Zentrale der KPD. Abt. Gewerkschaften. [] Otto Richter, Berlin NW. 51
Published:ca. 1929