Sozialdemokratie und Wehrbeitrag

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sozialdemokratie und Wehrbeitrag [] Der Kampf um die Einheit in Frieden und Freiheit [] Die Sitzung des Deutschen Bundestages am 7. Februar 1952 erreichte ihren Höhepunkt mit der großen Rede des stellv. Vorsitzenden der SPD, Erich Ollenhauer....

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Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Published: 07.02.1952
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Online Access:http://hdl.handle.net/11088/DE78E612-241B-45DA-B411-1557CC3FFAFF
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sozialdemokratie und Wehrbeitrag [] Der Kampf um die Einheit in Frieden und Freiheit [] Die Sitzung des Deutschen Bundestages am 7. Februar 1952 erreichte ihren Höhepunkt mit der großen Rede des stellv. Vorsitzenden der SPD, Erich Ollenhauer. [] Wir geben nach folgend den vollen Wortlaut dieser Rede wieder: [] Keine ausreichenden Informationen [] Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages begrüßt diese Aussprache, die nach ihrer Überzeugung seit langem notwendig war. Wir bedauern allerdings, daß sie unter so ungünstigen Voraussetzungen geführt werden muß, denn das Hohe Haus besitzt außer einigen internen Informationen und außer einigen allgemeinen Andeutungen des Herrn Bundeskanzlers über die hier im Grundsatz zur Debatte stehenden Verträge keine ausreichenden Informationen. (Sehr richtig! bei der SPD.) Wir glauben, daß dieser Zustand absolut unbefriedigend ist. Wir wissen selbstverständlich, daß im Laufe von internationalen Verhandlungen nicht alle Einzelheiten diskutiert werden können, aber die Unvollkommenheit der Informationen über die bis jetzt bekannten und festliegenden Tatsachen steht im direkten Widerspruch zu den Notwendigkeiten einer ernsthaften Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung. (Sehr richtig! bei der SPD.) [] Ich möchte noch eine zweite Bemerkung hinzufügen. Ich tue es nicht leichten Herzens, aber ich glaube, dieses Haus, der Deutsche Bundestag als Ganzes, hat im Volk und in der Welt eine Reputation zu verlieren, und ich bedauere deswegen, daß eine so lebenswichtige Angelegenheit für das deutsche Volk und für Europa heute morgen durch den Herrn Bundeskanzler in einer so ungenügenden und dürftigen Weise vertreten worden ist, wie das der Fall war. (Beifall bei der SPD.) [] Wir sind enttäuscht [] Die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrags ist von so weittragender Bedeutung, daß sie rechtzeitig und umfassend vor dem ganzen Volke erörtert werden muß. Aber ebenso wichtig wie dieÖffentlichkeit der Aussprache ist die sachliche Fundierung dieser Aussprache. (Sehr gut! bei der SPD.) In dieser Beziehung sind wir auf das tiefste von dem enttäuscht, was wir heute als Grundlage für diese Aussprache in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers bekommen haben. (Sehr wahr! bei der SPD.) [] Die Frage, über die wir hier diskutieren, berührt das Schicksal jedes einzelnen Menschen in Deutschland. Sie ist wie kaum eine andere geeignet, aus dem Elementaren, aus dem Gefühlsmäßigen beantwortet zu werden. Ich meine, allein schon dieser Umstand verpflichtet jeden, der an öffentlicher Stelle sich mit dieser Frage beschäftigt. Jeder Versuch, mit dem Appell an das Gefühl die Entscheidung für oder gegen zu erzwingen, ist verantwortungslos. (Sehr gut! bei der SPD.) Die bisherige Behandlung des Themas durch die Regierung ist leider nicht frei von diesen Versuchen. Das gilt auch für wesentliche Teile der Rede des Herrn Bundeskanzlers von heute morgen. [] Akute Kriegsgefahr - geringer als 1950 [] Meine Damen und Herren! Wir haben heute wieder die Hinweise auf die bedrohliche Weltlage und die besondere Gefährdung des deutschen Volkes in aller Ausführlichkeit gehört. Es ist nicht das erstemal. Wäre es nicht eine gute Übung, wenn wir hier im Parlament bei der Behandlung solcher Fragen von der Annahme ausgehen, daß die Mitglieder dieses Hauses, bevor sie in die Beratung eintreten, ihre Morgenzeitung gelesen haben? Dieses Argument der bedrohlichen Weltlage und der Bedrohung des deutschen Volkes ist ein Argument, das uns seit Beginn dieser Debatte im Herbst 1950 immer wieder vorgetragen wird. Schon damals erlebten wir den Hinweis auf die Schutz- und Wehrlosigkeit des deutschen Volkes, auf die angebliche Gefahr des völligen amerikanischen Rückzugs aus Deutschland und Europa, wenn sich Europa nicht einigt und wenn wir nicht aufrüsten. Der sachliche Wert dieses Arguments ist nach unserer Überzeugung sehr fragwürdig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die akute Kriegsgefahr in der Welt heute größer ist als im Jahre 1950. In Gegenteil; wenn es richtig ist, daß die Aufrüstung der Demokratie ein friedenförderndes und krieghemmendes Element darstellt, dann muß ja die Gefahr heute geringer sein. Und außerdem: wenn es trotzdem heute eine gesteigerte Gefahr einer russischen Aggression geben sollte, dann wäre selbst eine sofortige deutsche Aufrüstung ohne praktische Wirkung auf die gegenwärtige Kräfteverteilung zwischen Ost und West, weil sie viele Monate braucht, um effektiv zu werden. (Beifall bei der SPD.) Man kann wohl von der Annahme ausgehen, daß dieser Umstand allen Beteiligten in der Welt bekannt ist. [] Das zweite. Wir möchten darum bitten, daß in der Auseinandersetzung über diese Frage das sogenannte Zeitmotiv endlich zum alten Eisen gelegt wird (Sehr gut! bei der SPD.), daß uns nicht immer wieder gesagt wird: die Entscheidungen drängen, es ist höchste Zeit, wir haben nur noch wenige Wochen. Dieses Zeitmotiv war nie ein echtes Argument in der internationalen Diskussion der letzten Jahre. Es wurde immer dann ins Feld geführt, wenn man von den Deutschen schnelle und für sie unerfreuliche Entscheidungen erreichen wollte. (Beifall bei der SPD.) [] Schumanplan - ein klassisches Beispiel [] Sie haben ja ein klassisches Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: es ist der Schumanplan. Anfang Dezember 1951 hing das Heil der Welt davon ab - so wurde uns jedenfalls erzählt -, daß der Bundestag die Ratifizierung des Planes den anderen Partnern noch als Weihnachtsgeschenk darbrächte. Nun, wir sind noch einmal davongekommen, obwohl wir erst im Januar die Schumanplan-Debatte hatten. Dann haben Sie den Vertrag ratifiziert. Und was erleben wir jetzt? Was tun die anderen, die Partner, was tut insbesondere Frankreich? Frankreich hat beschlossen, die Entscheidung im Rat der Republik auf den 24. Februar dieses Jahres zu vertagen (Hört! Hört! bei der SPD). d. h. bis nach der Lissaboner Konferenz; und heute spricht man in Frankreich davon, die endgültige französische Ratifizierung des Planes von der Entscheidung über den Plan der Europaarmee und des deutschen Wehrbeitrags abhängig zu machen. (Erneute Rufe von der SPD: Hört! Hört!) Erinnern Sie sich noch, wie man uns erklärte, daß nach der Lissaboner Konferenz eine sehr gefährliche Situation über uns käme, wenn bis dahin nicht alles unter Dach und Fach sei?! Nun, die ängstlichen unter Ihnen können sich damit trösten, daß wir Deutschen nicht die einzigen sein werden, die bis Lissabon ihr Soll nicht erfüllt haben. (Sehr gut! bei der SPD.) Im Ernst: wir erwarten von der Regierung nicht nur, daß sie uns mit diesem Argument nicht mehr kommt, sondern wir erwarten auch, daß sie sich in ihren weiteren internationalen Verhandlungen mit aller Entschiedenheit gegen Pressionen dieser Art zur Wehr setzt. (Beifall bei der SPD.) [] Das Volk erfuhr nichts [] Wir haben noch eine zweite Beschwerde gegen die Regierung, soweit es die Prozedur betrifft. Die bisherige Behandlung dieser ganzen Angelegenheit in der Öffentlichkeit ist einfach indiskutabel schlecht. Monatelang hat das Volk so gut wie nichts über den Gang der internationalen Verhandlungen erfahren. Von Zeit zu Zeit sprach Herr Staatssekretär Hallstein und erklärte der erstaunten Welt, man sei fast fertig, und alles sei in bester Ordnung. Aber niemand hatte die Möglichkeit, eine sachliche Nachprüfung dieses Optimismus des deutschen Verhandlungsführers vorzunehmen. Und die Krönung dieser Behandlungsmethode des Volkes in einer so wichtigen Lebensfrage waren dann die Offenbarungen des Herrn Abgeordneten Blank als deutscher Verhandlungsleiter in der militärtechnischen Konferenz in Paris. [] Ich will heute auf dieser Ebene nicht über die bisherigen Resultate der Pariser Verhandlungen sprechen. Denn wir haben uns hier nicht mit dem Wie einer deutschen Verteidigung zu beschäftigen. Es steht bis jetzt nur auf der Tagesordnung, ob es einen deutschen Verteidigungsbeitrag geben soll. (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Das allein ist die Frage, die wir heute zu besprechen und zu behandeln haben. Demgegenüber war die Art und Weise, wie man mit einemmal vor dem deutschen Volk eine ganze Spielzeugkiste ausschüttete, als handele es sich nur noch darum, daß wir uns mit den neuen Bleisoldaten in europäischer Uniform recht bald befreunden sollten - diese ganze Art und Weise war unmöglich, und sie hat im Volke wie eine Provokation gewirkt. (Sehr wahr! bei der SPD.) Es ist schwer zu sagen, ob die bisherige mangelnde Information oder diese Verlagerung der Diskussion auf die zweitrangigen militärtechnischen Fragen das Vertrauen im Volk zu dieser Regierung mehr erschüttert hat. (Sehr gut! bei der SPD.) Jedenfalls: die Reaktion auf diese Methoden ist außerordentlich tief und scharf, und die Diskussion ist jetzt mit einem Maß von Mißtrauen belastet worden, das jede sachliche Auseinandersetzung noch mehr erschwert. Die Verantwortung für diese Entwicklung trägt allein die Bundesregierung. (Sehr gut! bei der SPD.) [] Deutschland verbunden mit dem Westen [] Bei der Diskussion über einen deutschen Verteidigungsbeitrag steht das Problem der Behauptung und der Sicherung der Demokratie und ihrer politischen und individuellen Freiheitsrechte in seiner Gesamtheit, zur Diskussion. (Beifall bei der SPD.) [] Es erschöpft sich nicht in der Sammlung und Konzentration von Menschen und Mitteln zu militärischen Zwecken. Über die Notwendigkeit der Verteidigung der Freiheit und der Demokratie brauchen wir hier nicht mehr zu sprechen. Das deutsche Volk in seiner erdrückenden Mehrheit fühlt sich unlösbar verbunden mit den Lebensvorstellungen der westlichen Welt (Sehr gut! in der Mitte und Beifall bei der SPD), und wir wissen, daß seine nationale Existenz und seine Zukunft von der Erhaltung des Friedens und eines freien demokratischen und sozialen Europas abhängt. (Sehr gut! bei der SPD. - Zurufe von der Mitte: Auch gut!) Das festzustellen, ist in diesem Hause nach den Reaktionen, die meine Bemerkungen gefunden haben, vielleicht doch noch notwendig gewesen. (Sehr wahr! bei der SPD.) Aber ich habe sie auch deshalb hier gemacht, weil wir uns hier ja nicht nur mit den Vorstellungen auseinanderzusetzen haben, die unmittelbar in genügender Weise in diesem Hause zum Ausdruck kommen, sei es pro oder kontra, sondern auch mit den Empfindungen und Stimmungen, in dieser Frage, die wichtige Teile des deutschen Volkes bis aufs tiefste berühren. (Zurufe von der Mitte: Sehr richtig!) [] ... und die Jugend? [] Ich möchte hier sagen: Wir achten eine pazifistische Gesinnung, die aus ethischen, religiösen oder anderen weltanschaulichen Gründen jeden Dienst mit der Waffe ablehnt. Wir verstehen vor allem die Empfindungen so vieler junger Deutscher, die nach dem Grauen des zweiten Weltkrieges nichts mehr von irgendeiner Form militärischen Dienstes wissen wollen, und wir haben uns mit diesen Auffassungen ernst und gewissenhaft auseinanderzusetzen. (Beifall bei der SPD.) Der Vorwurf, daß diese Jungen aus mangelnder Verantwortung nicht bereit seien, der Demokratie den gleichen Dienst zu leisten wie ihre Altersgenossen in den westlichen Demokratien, sollte vor allem von Außenstehenden gegenüber dieser deutschen Jugend nicht erhoben werden. (Zustimmung bei der SPD und bei Abgeordneten der Regierungsparteien.) Schließlich war der Ohne-mich-Standpunkt noch vor zwei Jahren das Idealbild eines nach dem Willen der Alliierten für alle Zeiten dauernd abgerüsteten Deutschlands (Beifall bei der SPD und Zustimmung von Abgeordneten der Mitte), und es ist nicht die Schuld der deutschen Jugend, wenn diese Idealbilder der neuen Erziehung sich so schnell und grundlegend geändert haben. [] Verteidigungsbeitrag keine moralische, sondern eine politische Frage [] Die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages ist aber keine moralische, sondern eine politische Frage, und sie muß und kann allein unter politischen Gesichtspunkten entschieden werden. Die Anhänger einer pazifistischen Idee müssen sich darüber klar sein, daß sie die Freiheit, nach ihren pazifistischen Grundsätzen zu leben, nur so lange haben werden, wie es gelingt, die Freiheit der Demokratie zu erhalten. (Sehr richtig! bei der SPD und bei den Regierungsparteien.) Die Alternative sind die Konzentrationslager der totalitären Systeme. Der Ohne-mich-Standpunkt löst keines der menschlichen Probleme seiner Anhänger. Im Falle einer Aggression der Totalitären ist ihnen die Uniform auf alle Fälle sicher. (Sehr richtig! in der Mitte.) Politisch aber bedeutet dieser Standpunkt unter den gegenwärtigen Umständen eine Hilfeleistung für die Extremen in unserem Volk, sowohl für diejenigen, die einen deutschen Beitrag unter keinen Umständen leisten wollen, wie auch für diejenigen, die ihn unter allen Umständen wollen (Sehr wahr! bei der SPD) und die heute schon wieder auch in Deutschland von den alten militärisch-machtpolitischen Vorstellungen befangen sind. (Zustimmung bei der SPD.) [] Das politische Problem, vor dem wir hier und heute stehen, ist die konkrete Frage, der niemand ausweichen kann, ob die von der Bundesregierung eingeschlagene Politik und die von ihr angewandten Mittel zu einer sinnvollen und vertretbaren Mitwirkung der Bundesrepublik an einer europäischen Verteidigung führen können. Wir Sozialdemokraten verneinen diese Frage. [] Zunächst eine Feststellung: es geht um mehr als um Divisionen, Kampfgeschwader und Atombomben; es geht auch und zuerst um die Herstellung der Krisenfestigkeit der deutschen Demokratie. (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Die Aufrüstung der Demokratie hat als erstes und vornehmstes Ziel die Erhaltung und die Sicherung des Friedens. Die Frage nach der Größe der Kriegsgefahr und nach den aggressiven und kriegerischen Absichten der Sowjetunion gehört für uns alle weitgehend in das Reich der Spekulation; aber der Kalte Krieg ist eine Realität. (Sehr richtig! bei der SPD.) Vieles spricht dafür, daß die Sowjetunion die Zersetzung und die Auflösung der Demokratien von innen her als wirksamere und billigere Mittel ihrer Expansionspolitik in Europa ansieht als das Experiment einer gewaltsamen Auseinandersetzung. (Zustimmung bei der SPD.) DieseÜberlegung müssen wir mit allem Ernst und in erster Linie in Betracht ziehen, wenn wir über die Verteidigung der Demokratie sprechen. Denn vergessen wir eines nicht: auf die Dauer ist die Politik des bewaffneten Friedens, die die westlichen Demokratien jetzt betreiben müssen, auf Kosten des Lebensstandards der breiten Masse eine schwere Belastung der demokratischen Ordnung ihrer Länder. (Sehr gut! bei der SPD.) Hier in Deutschland, in unserer besonderen Situation, mit unseren außergewöhnlichen sozialen Verpflichtungen muß die soziale Sicherung der Demokratie vor der militärischen stehen. (Beifall bei der SPD.) [] Unsere erste Aufgabe ist deshalb eine wirksame Antwort auf die Methoden des Kalten Krieges durch eine Politik, die die Demokratie im Bewußtsein des ganzen deutschen Volkes verteidigungswürdig macht. (Beifall bei der SPD.) Eine zu ihrer Verteidigung entschlossene Demokratie muß der Infiltration und Zersetzung offensiv, durch wirksame und umfassende soziale Leistungen begegnen. Ich bemerke hier, daß der Herr Bundeskanzler es nicht für nötig gehalten hat, über dieses Kapitel auch nur ein einziges Wort zu sagen. (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. - Zuruf von der SPD: Unglaublich!) Ich möchte hinzufügen, daß das bisherige Versagen der Regierung auf diesem Gebiet eine dauernde Schwächung der Demokratie darstellt. (Lebhafter Beifall bei der SPD. - Oho-Rufe und Widerspruch bei den Regierungsparteien.) [] Erst soziale Sicherung - dann Diskussion über Wehrbeitrag [] Damit ich die Behauptung, die Sie anscheinend aufregt, etwas begründe: ich wäre der Meinung gewesen, daß in diesem Hause vor einer Debatte über die militärische Verteidigung die Fragen des Lastenausgleichs, die Fragen eines Arbeitsbeschaffungsprogramms und die Fragen der Mitbestimmung der arbeitenden Menschen in Deutschland hätten entschieden werden müssen. (Lebhafter Beifall bei der SPD. - Zuruf des Abg. Dr. Freiherrn von Rechenberg.) - Daß Sie, Herr von Rechenberg, nicht für Sozialpolitik sind, das weiß jeder in diesem Hause. - Ich wiederhole: das bisherige Versagen der Regierung auf diesem Gebiet ist eine dauernde Schwächung der Demokratie, die auch nicht durch die Aufstellung von deutschen Divisionen wettgemacht werden kann. (Beifall bei der SPD.) [] Die Bundesregierung verhandelt jetzt schon über die finanziellen Verpflichtungen, die sich aus einem deutschen Verteidigungsbeitrag ergeben. Auch das tut sie - ich stelle das nur fest -, ehe hierüber das ob eines deutschen Verteidigungsbeitrages entschieden ist. (Sehr richtig! bei der SPD.) Wir werden darüber noch zu reden haben. Aber schon jetzt eine eindeutige Feststellung: für die Sozialdemokratische Partei ist auch nur eine Diskussionüber einen militärischen Verteidigungsetat ohne die vorherige Sicherstellung eines sozialen Verteidigungsetats unmöglich. (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Dieser soziale Verteidigungsetat muß die Erhaltung und Sicherung eines menschenwürdigen Lebensstandards der breiten Massen des deutschen Volkes einschließen. [] Ein internationales Problem [] Nun, meine Damen und Herren, zu dem, was wir heute als deutschen militärischen Verteidigungsbeitrag diskutieren. Die Frage des deutschen Verteidigungsbeitrages ist kein deutsches Problem, sie ist ein europäisches und internationales Problem. Sie ist uns aufgezwungen durch die Entwicklung und durch Umstände, die nicht durch die deutsche Politik nach 1945 ausgelöst wurden. Das deutsche Volk war in seiner erdrückenden Mehrheit bereit, die dauernde Abrüstung Deutschlands auch als eine Entscheidung aus seinem eigenen freien Willen zu akzeptieren. (Beifall bei der SPD. - Abg. Dr. Schröder (Düsseldorf): Sehr richtig!) Jetzt aber geht es an der Zonengrenze, an der Elbe, nicht nur um die deutsche Sicherheit und Freiheit. Diese Grenze ist wie jeder andere Brennpunkt der Interessengegensätze zwischen Ost und West eine Verteidigungslinie der freien Welt. Die Verteidigung der Bundesrepublik liegt daher ebenso im gemeinsamen Interesse aller freien Völker wie die Verteidigung jedes anderen freien Volkes. [] Die erste indiskutable Voraussetzung für einen deutschen Beitrag muß daher die Gewißheit sein, daß die entscheidenden Mächte der demokratischen Welt, in erster Linie die Vereinigten Staaten, entschlossen sind, Deutschland mit demselben Einsatz zu verteidigen wie irgendeinen Punkt ihres eigenen Gebiets. Wir haben diese Frage bereits in der ersten Debatte im November 1950 aufgeworfen. Sie ist auch heute noch nicht zufriedenstellend und beruhigend beantwortet. Wir wissen durchaus, daß man Fragen der Strategie nicht auf offenem Markt diskutieren kann. Aber solange die Brückenkopftheorie noch ernsthaft in derÖffentlichkeit diskutiert wird, solange man davon spricht: "Wir brauchen deutsche Soldaten, damit unsere Boys endlich nach Hause gehen können", solange ist bei der gegebenen internationalen Situation und Machtverteilung eine Aufforderung zu einem Einsatz ohne Aussicht auf eine erfolgreiche Verteidigung unseres Landes und der europäischen Demokratie. (Beifall bei der SPD.) [] Gleiches Risiko - gleiche Chancen für alle [] E s gibt natürlich keine Politik der Verteidigung, die jedes Risiko ausschließt. Es ist nicht unsere Meinung, daß wir mit den Händen in den Hosentaschen beiseite stehen sollen, wenn es um die Verteidigung von Werten geht, die auch uns angehen. Aber in dieser Lage, in diesem weltumspannenden Konflikt gibt es nur eine sinnvolle und aussichtsreiche Konzeption der Konzentration aller Kräfte, nämlich die Konzeption des gleichen Risikos und der gleichen Chance für alle. (Beifall bei der SPD.) Wir können und wir dürfen nach unserer Auffassung nicht ja sagen, solange diese Konzentration in der Realität nicht durchgeführt ist. [] Gegen die Regierung erheben wir in diesem Zusammenhang den Vorwurf, daß sie in konkrete Vertragsverhandlungen eingetreten ist, ohne vorher diese grundlegende Voraussetzung zu klären (Sehr gut! bei der SPD), und daß sie damit in eine Position gekommen ist, in der man auch bei den anderen Verhandlungspartnern zu der Annahme kommt, als sei die Bundesregierung unter allen Umständen entschlossen, einen solchen Verteidigungsbeitrag zu leisten. [] Dieselben Bedenken und dieselben Gefahren zeigen sich nach unserer Auffassung aber auch in den eigentlichen Vertragsverhandlungen. Es ist unmöglich, die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrags isoliert und ohne Bezugnahme auf die Verhandlungen über den Generalvertrag und die Zusatzverträge zu diskutieren. [] Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen in einer Antwort auf dieses Argument von uns erklärt, aus der Präambel des zu beschließenden Generalvertrags gehe hervor, daß tatsächlich Generalvertrag und Verteidigungsvertrag ein Ganzes seien. Das ist sicher richtig. Das bestätigt nur unsere These. Aber der eigentliche Punkt, in dem wir uns von der Auffassung der Regierung unterscheiden, liegt woanders. Er liegt nämlich da, wo die Washingtoner Beschlüsse der drei Außenminister ein Junktim zwischen Verteidigungsbeitrag und Generalvertrag in der Weise hergestellt haben, daß die Bundesrepublik erst in den Genuß der erweiterten Rechte des Generalvertrags kommen soll, wenn sie vorher den deutschen Verteidigungsbeitrag akzeptiert hat. (Sehr richtig! und Hört! Hört! bei der SPD.) Diese Politik der Belohnung für Wohlverhalten steht nach unserer Auffassung in krassem Widerspruch zu der Theorie von der Partnerschaft freier Völker (Lebhafter Beifall bei der SPD), und wir lehnen sie ab. Wir müssen zuerst Klarheit über den Generalvertrag und die Zusatzverträge haben; denn wir wollen wissen, woran wir sind. [] Wir können heute noch nicht über die Einzelheiten der Verträge sprechen, die noch Gegenstand von Verhandlungen sind. Immerhin: Einiges wissen wir, und mein Freund Carlo Schmid wird im Laufe der Debatte auf einige der bereits bekannten Punkte der bisherigen Verhandlungsergebnisse eingehen. Aber ich möchte hier ganz allgemein sagen: Es ist jetzt schon klar - und man muß gerechterweise hinzufügen: Es war aus dem Text der Washingtoner Empfehlungen klar, im Gegensatz zu der Emser Denkbotschaft des Herrn Bundeskanzlers -, daß uns wichtige Souveränitätsrechte auch nach der Ablösung des Besatzungsstatuts vorenthalten werden sollen. (Hört! Hört! links.) Die Frage ist ganz grundsätzlich die: Erreichen wir überhaupt einen Grad von Souveränität, der uns tatsächlich eine freie Entscheidungüber den Verteidigungsbeitrag ermöglicht? Auf keinen Fall, meine Damen und Herren, ist diese Entscheidungsfreiheit für das deutsche Volk gegeben, wenn wir gezwungen werden, über den Verteidigungsbeitrag vor der Inkraftsetzung des Generalvertrages zu entscheiden! (Sehr richtig! bei der SPD.) [] Der Verteidigungsbeitrag löst nicht das Problem der deutschen Einheit [] Und ein zweiter Punkt, den ich schon in dieser ersten Lesung mit allem Nachdruck in den Vordergrund rücken möchte: Zu den Vorbehalten der Alliierten gehört, wie es auch der Herr Bundeskanzler heute morgen bestätigt hat, neben dein Komplex der Sicherheit der Besatzungstruppen auch der Komplex der Fragen, die mit der Einheit Deutschlands zusammenhängen. Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, daß in der Präambel, wie er sagte, alle vier Signatarmächte die Erreichung der Einheit Deutschlands auf friedlichem Wege als gemeinsames Ziel deklariert haben. Das ist gut. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie wissen doch genau, daß die Aufnahme dieser Bestimmung in Ausführung der Washingtoner Beschlüsse praktisch nicht nur die Anerkennung unserer Einstellung zur Frage der Einheit bedeutet, sondern daß sie zugleich auch die Freiheit der Bundesrepublik, in Fragen der Einheit selbständig zu agieren, weitgehend beschränkt. (Sehr wahr! bei der SPD.) Dias ist ein Punkt, über den wir - ohne daß ich die Frage in diesem Augenblick vertiefen möchte - im Laufe der weiteren Verhandlungen jedenfalls absolute Klarheit bekommen müssen. (Sehr wahr! bei der SPD.) Denn die Einheit Deutschlands berührt nicht nur die Interessen der Alliierten, sie berührt in allererster Linie das Interesse des deutschen Volkes. Nachdem die Frage der Einheit zum Bestandteil des Generalvertrages wird, nachdem sie gemäß der Erklärung der Alliierten auch fernerhin zu ihren Vorbehaltsrechten gehört, und nachdem wir weiterhin jetzt in ein Vertragssystem für die Verteidigung des Westens eingegliedert werden sollen, erhebt sich für uns vom deutschen Interesse her die Frage: Wie verhält sich die Eingliederung der Bundesrepublik in das Verteidigungssystem des Westens zur Frage der deutschen Einheit? (Sehr richtig! bei der SPD.) Wir möchten wissen, ob diese Frage in den Verhandlungen von der Regierung klargestellt worden ist und welches ihre Auffassung in dieser Angelegenheit ist. Ich glaube, wir sind uns darin einig, daß es sich hier um eine noch weittragendere Entscheidung als beim Schumanplan handelt. Schon dort hat die Vernachlässigung der Frage Berlins und der Frage der russisch besetzten Zone bei den Pariser Verhandlungen in weiten Schichten des deutschen Volkes große Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Willens der Regierung zur Einheit hervorgerufen. Denn beim Schumanplan handelt es sich um eine Union mit vorwiegend wirtschaftlichen Zielen ohne direkte Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Ost und West. Jetzt handelt es sich um eine militärische Allianz, wenn auch mit defensivem Charakter. [] Meine Damen und Herren, was geschieht, wenn der Beitritt der Bundesrepublik zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft staatsrechtliche Konsequenzen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs auslöst, wenn die erste Folge dieses Schrittes die Verhärtung und Vertiefung der Spaltung Deutschlands ist? (Sehr richtig! links.) Die These: Wenn wir den Westen stark machen, wird die Einheit Deutschlands leichter zu erzwingen sein, entspricht doch einem machtpolitischen und illusionären Denken, das sicher nicht im deutschen Interesse liegt. (Beifall bei der SPD.) [] Meine Damen und Herren, ich mache diese Bemerkung vor allem auch deshalb, weil der Herr Bundeskanzler heute morgen die Behauptung aufgestellt hat, die deutsche Einheit sei nur im Zusammenwirken mit den drei Westmächten zu erreichen. Herr Bundeskanzler, ich möchte Sie fragen, ob Sie sich der ganzen inneren und internationalen Tragweite dieser Feststellung bewußt gewesen sind. (Sehr gut! bei der SPD.) Denn wenn wir nicht an den offenen Konflikt zwischen West und Ost glauben - und der Herr Bundeskanzler hat bestritten, daß das seine Anschauung ist -, dann ist die These, die Einheit mit den drei Westmächten herstellen zu können, falsch. (Sehr richtig! bei der SPD.) Dann ist die Frage der Einheit Deutschlands - wenn man eine solche gewaltsame Auseinandersetzung als Mittel unserer Überlegung außer Betracht läßt - die Frage der Möglichkeit der Verständigung zwischen den vier Besatzungsmächten. (Zustimmung bei der SPD.) Jedenfalls: Wir Sozialdemokraten werden keine Politik akzeptieren, die auf kaltem Wege das Provisorium Bundesrepublik in ein kaum noch zu korrigierendes Definitivum umwandelt. [] In jedem Falle muß die Entscheidung über den Generalvertrag zuerst gefällt werden, und wir sind leider der Auffassung, daß nach Lage der Dinge und nach dem bisherigen Stande der Verhandlungen die politische Gleichberechtigung durch diesen Vertrag nicht erreicht wird. Ohne eine solche politische Gleichberechtigung ist für uns die Zustimmung zu einem Verteidigungsbeitrag nicht möglich. Es geht hier nicht um eine Politik der Erpressungen, es geht um den ganz einfachen und klaren Grundsatz, daß die Freiheit nur verteidigt werden kann von freien Völkern und von freien Menschen. (Lebhafter Beifall bei der SPD und den Regierungsparteien.) [] Klarheit, aber keine Diskussion durch Hintertüren [] Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem andern Kapitel kommen. Dieser Grundsatz ist keineswegs erfüllt, wenn man jetzt auf der militärtechnischen Ebene jede Diskriminierung der Deutschen ausgeschaltet zu haben glaubt. Mit einer solchen Argumentation zäumt man das Pferd am Schwanze auf. Die Gleichberechtigung im Militärtechnischen muß die notwendige und selbstverständliche Konsequenz der Gleichberechtigung im Politischen und Militärpolitischen sein. (Beifall bei der SPD. -- Abg. Dr. von Brentano: Richtig!) [] Die Überbewertung des Militärtechnischen in der Regierungspropaganda ist entweder die Illustration einer unmöglichen Verhandlungsführung oder der Versuch einer Irreführung. Das eine wie das andere ist beklagenswert. (Sehr richtig! bei der SPD.) [] Meine Damen und Herren, ich will hier wiederum nicht im einzelnen über die organisatorischen Vorstellungen sprechen, die inzwischen bei den Verhandlungen über die europäische Verteidigungsgemeinschaft entwickelt worden sind. Alles in allem: sie sind ein besonders trübes Kapitel der Versuche, zu übernationalen europäischen Gemeinschaften zu kommen, denn wir sind weit entfernt von einer für uns tragbaren Lösung. Das hat sich herausgestellt, als, wie der Bundeskanzler es heute morgen sagte, ganz plötzlich, nach monatelangen Verhandlungen über die europäische Verteidigungsorganisation am Ende der vorletzten Weiche in Paris die Kardinalfrage zur Diskussion gestellt wurde, nämlich die Kardinalfrage der Verfügungsgewalt über die deutschen Kontingente in einer europäischen oder internationalen Gemeinschaft. Das Aufwerfen dieser Frage hat zum sofortigen Abbruch der Konferenz geführt. Meine Damen und Herren, diese Frage mußte am Anfang der Verhandlungen gestellt werden. (Sehr richtig! bei der SPD.) Denn keine deutsche Regierung kann und darf doch eine Lösung akzeptieren, die die deutsche Mitbestimmung in der entscheidenden politischen und militärischen Position der Verteidigungsorganisation nicht in der gleichen Weise wie die irgendeines anderen Partners sicherstellt. [] Meine Damen und Herren, ich möchte hier auf einen anderen Punkt eingehen. Der Herr Bundeskanzler hat sich nicht mit der Frage beschäftigt, in welcher Weise und mit welchen Mitteln die deutschen Unterhändler den Versuch machen wollen, in der europäischen Verteidigungsgemeinschaft diese entscheidende Mitbestimmung der Deutschen sicherzustellen, sondern er hat erklärt: selbstverständlich könne diese Frage nur gelöst werden im Zusammenhang der Beziehungen zwischen europäischer Verteidigungsgemeinschaft und NATO, und ihm erscheine es selbstverständlich, daß wir, wenn wir uns an einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligten, ganz von selbst in diese Atlantikorganisation kommen. Nein, meine Damen und Herren! Es ist absolut unmöglich, daß die deutsche Regierung die Frage der Mitbestimmung und Mitentscheidung der Deutschen in der Verfügungsgewalt über deutsche Menschen behandelt als eine technische Frage ihrer Mitgliedschaft in der Atlantikorganisation. (Sehr richtig! bei der SPD.) Das ist ein zweiter oder dritter entscheidender Schritt in unseren internationalen Vertragsverpflichtungen, der die Bundesrepublik in noch weitgehenderem Maße als eine europäische Gemeinschaft verpflichten würde. Denn wenn Sie sich das Statut der Atlantikpaktorganisation ansehen und wenn Sie die Frage untersuchen - die Sie untersuchen müssen -, welche Beziehungen zwischen der Atlantikpaktorganisation und den Grundsätzen und Praktiken der kollektiven Sicherheit der Vereinten Nationen bestehen, dann kommen Sie auf den Punkt, daß das deutsche Volk oder die deutsche Regierung mit einer solchen Entscheidung internationale Verantwortung und Verpflichtung. übernimmt, über deren Umfang und Größe man sich anscheinend bei der bisherigen deutschen Diskussion keine richtigen Vorstellungen gemacht hat. (Sehr richtig! bei der SPD.) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur eines ausdrücklich feststellen. Auf diesem Wege, sozusagen durch die Hintertür, kann die Frage der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in dieser Organisation unter keinen Umständen diskutiert oder gelöst werden. (Beifall bei der SPD.) [] Der Punkt, der durch diese Diskussion aufgekommen ist, liegt ja im Grunde ganz woanders, und ich verstehe durchaus, daß der Herr Bundeskanzler darauf nicht im einzelnen eingegangen ist. Denn praktisch bedeutet die Aufwerfung der Frage der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO in diesem Augenblick das Zugeständnis der Erkenntnis, daß innerhalb der jetzt geplanten Verteidigungsorganisation eine deutsche Mitwirkung an der effektiven Verfügungsgewalt über deutsche Kontingente nicht möglich ist. (Sehr richtig! bei der SPD. - Unruhe in der Mitte.) Wir stehen hier vor einem Fiasko der Politik der Bundesregierung in bezug auf die europäische Verteidigungsgemeinschaft vor allem aus dem Grunde, weil bei den Partnern der europäischen Verteidigungsgemeinschaft sehr verschiedene Auffassungen über den Zweck dieser Gemeinschaft bestehen. Ich darf Ihnen vielleicht eine Auffassung zur Kenntnis bringen, die deshalb interessant ist, weil sie vom 31. Januar 1952 stammt, und zwar handelt es sich um eine Äußerung des französischen Botschafters Hervé Alphand, der ständiger Vertreter Frankreichs im Rat der Stellvertreter des Atlantikpaktes ist. Der Botschafter Alphand hat in London mit Nachdruck dargelegt, daß die direkte Teilnahme Deutschlands an der Nordatlantik-Organisation nicht in Frage käme, da die europäische Verteidigungsgemeinschaft ja gerade zum Zweck habe, die Teilnahme Westdeutschlands an dem System einer gemeinsamen Verteidigung zu sichern, ohne ihm dafür eigenständige Rechte auf militärischem Gebiet zu gewähren. (Hört! Hört! bei der SPD.) Es ist das Geheimnis der Regierung, wie sie unter diesen Umständen überhaupt noch eine vertretbare Lösung mit ihrer Konzeption erreichen will. (Sehr wahr! bei der SPD.) [] Ich will auf Einzelheiten der Untersuchung der bisherigen Resultate der Verhandlungen über die europäische Verteidigungsorganisation verzichten, aber das eine möchte ich sagen: Wenn Sie alles in allem prüfen, so stehen Sie erneut vor der Situation, daß auch hier eine internationale Organisation der Vorwand und das Mittel ist, deutsche Substanz - in diesem Fall deutsche Menschen -in fremde Verfügungsgewalt zu bekommen. (Zustimmung bei der SPD.) Es gibt keinen erfolgreicheren Weg, die europäische Idee im Bewußtsein der Völker und vor allem der Jugend zu diskreditieren, als den Mißbrauch des Europabegriffs im Interesse nationalegoistischer Wünsche und Bestrebungen. (Beifall bei der SPD.) [] Wo bleibt die Regelung der Saarfrage? [] Ich möchte meine Zeit nicht über Gebühr lange in Anspruch nehmen, aber ich möchte noch einmal die ernste Warnung an die Regierung unterstreichen, in diesem Stadium der Verhandlungen auf alle Fälle eine Politik zu vermeiden, bei der man ungelöste Probleme dadurch zu beseitigen oder zu überdecken versucht, daß man sie in eine europäische Manschette steckt. Ich denke, daß die Erfahrungen, die der Herr Bundeskanzler seit der Ratifizierung des Schumanplan-Vertrages in der Saarfrage gemacht hat, wohl eine sehr empfindliche Bestätigung unserer Warnung darstellen. (Sehr wahr! bei der SPD.) Sicher war der Protest des Herrn Bundeskanzlers gegen den Schritt der französischen Regierung berechtigt, aber hier darf wohl hinzugefügt werden: Die Lautstärke dieses Protestes war nicht ganz erklärlich; denn das, was jetzt die französische Regierung vollzieht, ist Gegenstand der Abkommen zwischen der französischen Regierung und der saarländischen Regierung aus dem Januar 1950. (Hört! Hört! links.) - Ich rechtfertige damit diese Politik der französischen Regierung gar nicht, aber ich wiederhole den Vorwurf, den wir schon in der Schumanplan-Debatte erhoben haben, daß unsere Unterhändler in Kenntnis dieser Tatsache die Saarfrage nicht am Beginn der Schumanplan-Verhandlungen zu einer ernsthaften Diskussion gebracht haben. (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.) Jetzt ist genau das eingetreten, was wir ebenfalls vorausgesagt hatten. Indem man versuchte, das ungelöste Saarproblem durch den Schumanplan-Vertrag zu überdecken, hat dieser Unruheherd innerhalb der Montan-Union eine doppelte und dreifache Sprengwirkung gehabt mit dem Resultat, daß heute die Diskussion über das Saarproblem die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland viel mehr belastet, als es eine freie Diskussion vor Monaten zur Folge gehabt hätte. Und, meine Damen und Herren, jetzt kommt es darauf an, daß man in dieser Frage eine Lösung herbeizuführen sucht, die tatsächlich freie und demokratische Verhältnisse an der Saar schafft. Dabei reicht es nicht aus, daß die Wahlen zum Landtag im September dieses Jahres freie Wahlen nach demokratischen Vorstellungen sind; denn wenn wir uns mit dieser Forderung begnügten, würden wir durch freie Wahlen eine Verfassung legalisieren, die weder frei noch demokratisch ist. (Sehr gut! bei der SPD.) Deshalb ist es notwendig, daß, wenn man diese Frage jetzt anpackt, von Grund auf freie und demokratische Verhältnisse an der Saar geschaffen werden, die nicht nur freie Wahlen ermöglichen, sondern auch echte demokratische Lebensbedingungen für die Deutschen, die an der Saar leben. [] In jedem Falle warnen wir vor einem neuen Ausweichen vor diesem Problem etwa mit der Lösung, das Saargebiet zu europäisieren. (Sehr gut! bei der SPD) In dieser Lage wäre eine solche Idee doch nichts anderes als der Versuch, eine schwärende Stelle in den Beziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Volke mit einer Europa-Flagge zuzudecken, aber die Stelle selber nicht wirklich auszuheilen. Und auf dieses Ausheilen kommt es an. (Sehr gut! bei der SPD.) [] Voraussetzungen sind nicht erfüllt [] Meine Damen und Herren, ich komme zurück zum Verteidigungsbeitrag und stelle fest: Die Überprüfung der Situation, wie sie sich seit dem November 1950 bis heute entwickelt hat, ergibt nach unserer Auffassung ein eindeutiges Resultat: Keine der Voraussetzungen, die nach Auffassung der Sozialdemokratie für eine positive Entscheidung für einen deutschen Verteidigungsbeitrag gegeben sein müssen, sind erfüllt. Es bleibt daher bei dem Nein der Sozialdemokratie. (Lebhafter Beifall bei der SPD.) [] Änderung des Grundgesetzes notwendig [] Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch zu zwei Punkten einige Bemerkungen! Sie wissen, daß sich der Herr Bundeskanzler heute morgen auch mit der Klage beschäftigt hat, die die sozialdemokratische Fraktion und eine Reihe anderer Mitglieder dieses Hohen Hauses beim Bundesverfassungsgerichtshof eingebracht haben. Der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, hier die Feststellung zu treffen, daß diese Klage aussichtslos und überflüssig sei. (Hört! Hört! bei der SPD.) Herr Bundeskanzler, das entscheiden Sie nicht! (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Das entscheidet allein der oberste Verfassungsgerichtshof der Republik. Und ich möchte sagen: diese öffentliche massive Beeinflussung des obersten Gerichts ist ein neuer erschreckender Beweis für Ihr sehr loses inneres Verhältnis zu den Institutionen und zu den Funktionen eines demokratischen Staates. (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.) Mit diesem Beweis Ihres mangelnden Respekts vor den Rechtsinstitutionen haben Sie der deutschen Demokratie einen sehr schlechten Dienst erwiesen. (Stürmischer Beifall bei der SPD.) Es bleibt für uns bei dem verfassungsrechtlichen Standpunkt der SPD, wie ihn Dr. Kurt Schumacher bereits vor 15 Monaten, im November 1950, dargelegt hat. Eine Entscheidung über einen deutschen Verteidigungsbeitrag ist ohne vorangegangene Ergänzung und Änderung des Grundgesetzes nicht möglich. Sie wußten seit dieser Zeit, mit welchen Rechtsauffassungen der Opposition Sie zu rechnen hatten. (Lebhafte Zurufe und große Unruhe bei den Regierungsparteien. - Glocke des Präsidenten.) Trotzdem haben Sie es länger als ein Jahr unterlassen, sich mit diesen Rechtsauffassungen auseinanderzusetzen oder auch nur den Versuch zu machen, mit uns darüber ins Gespräch zu kommen. Meine Damen und Herren, ich stelle das nur fest; wir werden im einzelnen im Laufe dieser Debatte auch auf diesen Punkt noch zurückkommen. Aber ich möchte hier sagen, daß nach unserer Auffassung sowohl nach dem Geist wie nach dem Wortlaut des Grundgesetzes wie auch nach dem Geist und dem Wortlaut früherer Verfassungen der Standpunkt, daß man Grundsatzfragen von dieser Bedeutung in einer einfachen Entscheidung des Parlaments ohneÄnderung des Grundgesetzes entscheiden kann, irrig ist und daß wir diese Auffassung mit aller Entschiedenheit zurückweisen. [] Dieser Bundestag ist nicht legitimiert [] Nun noch ein letztes Wort. Unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit stellen wir die Frage der Legitimation dieses Bundestages, über eine deutsche Wehrverfassung zu entscheiden. (Sehr richtig! bei der SPD.) Die sozialdemokratische Fraktion bestreitet diesem Bundestag die Legitimation, in der Frage des Wehrbeitrags eine Entscheidung zu fällen. Kein Wähler und kein Gewählter hat im August 1949 bei seiner Stimmabgabe oder bei der Annahme des Vertrauensvotums seiner Wähler daran gedacht (lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien), daß der Bundestag im Laufe seiner Amtsdauer über die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages zu entscheiden haben werde. Es war jedermann bewußt, daß der Aufbau der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz viele weittragende Entscheidungen erfordern würde. Aber selbst bei diesen Überlegungen stand die Frage einer deutschen Wehrverfassung außerhalb jeder Diskussion. (Sehr richtig! bei der SPD). [] Es sind aber nicht nur diese zeitbedingten Umstände, die unsere Forderung nach Neuwahlen zu einem neuen Bundestag rechtfertigen. Es gibt auch grundsätzliche Anschauungen, daß das Parlament über Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht ohne Auftrag der Nation entscheiden kann. (Sehr richtig! bei der SPD.) [] Wir alle sollten in einer so entscheidenden Frage jedenfalls das Problem mit mehr Ernst und Würde behandeln, als Sie es in diesem Falle tun. (Beifall bei der SPD.) [] Meine Damen und Herren! Die Verantwortung, die Sie übernehmen, wenn Sie sowohl die verfassungsrechtlichen Bedenken der Sozialdemokratie als auch unsere Forderung nach Neuwahlen in den Wind schlagen, ist außerordentlich groß. Die Frage des deutschen Verteidigungsbeitrags bewegt das deutsche Volk wie keine andere Frage seit vielen Jahren. Jeder einzelne Mensch fühlt sich angesprochen und betroffen, insbesondere unsere Jugend. Die Tiefe der Bewegung ist unbestreitbar, sie berührt den Kern unseres staatlichen und demokratischen Lebens, und ihr kann nur begegnet werden durch die Möglichkeit, in freien Wahlen zu einem neuen Bundestag den Willen des Volkes neu festzustellen. (Beifall bei der SPD.) [] Die unausweichliche Notwendigkeit dieser Forderung ergibt sich auch aus der unbestreitbaren Tatsache, daß die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause nicht mehr mit dem Volkswillen von heute übereinstimmen. (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Jeder Versuch, die Frage eines deutschen Wehrbeitrages unter Beiseiteschiebung der verfassungsrechtlichen Bedenken und unter Ausnutzung einer überholten Mehrheitsbildung in diesem Bundestag zur Entscheidung zu bringen, ist neben der weittragenden Bedeutung der Frage an sich eine lebensgefährliche Bedrohung der demokratischen Grundlagen unserer Gemeinschaft. [] Die Pflicht dem Volke gegenüber [] Angesichts der innen- und außenpolitischen Gesamtlage kann keine Partei, die die Grundlagen unserer Demokratie bejaht, dieses Risiko auf sich nehmen. Wir appellieren deshalb an das Hohe Haus, den Weg für die Neuwahlen freizumachen. [] Meine Damen und Herren, die Ignorierung unseres Appells, die Durchsetzung eines deutschen Wehrbeitrages unter den jetzt gegebenen Voraussetzungen gegen die Stimmen der Sozialdemokratie, müßte eine sehr ernste Situation schaffen. Angesichts der schwerwiegenden Bedeutung dieser Lebensfrage für das deutsche Volk ist es eine Pflicht der Verantwortung und der Aufrichtigkeit gegenüber unserm Volke, diese Warnung hier klar auszudrücken. Die Entscheidung, meine Damen und Herren, liegt bei Ihnen! (Langanhaltender, lebhafter Beifall bei der SPD.) [] EINHEIT IN FREIHEIT [] SPD [] Berlin-Charlottenburg, Langobardenallee 14
Published:07.02.1952