Offene Worte . Ein CDU-Wähler zur CDU-Politik

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; handschriftlicher Vermerk: HC 27<NZ>Lochung Offene Worte [] Ein CDU-Wähler zur CDU-Politik [] FRANZ WILD [] Brühl b. Köln, den 22. November 1949 Kaiserstraße 43 [] An den [] Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes [] z. Hd....

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/792901D3-E835-4A1D-8D4E-27B6E627FF3A
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; handschriftlicher Vermerk: HC 27<NZ>Lochung Offene Worte [] Ein CDU-Wähler zur CDU-Politik [] FRANZ WILD [] Brühl b. Köln, den 22. November 1949 Kaiserstraße 43 [] An den [] Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes [] z. Hd. des stellv. Vorsitzenden Herrn Matthias Föcher [] Düsseldorf [] Stromstraße [] Am 30. August d. J. nahm ich zu Ihrem Artikel in der Allgemeinen Kölnischen Rundschau Nr. 101 vom 26. 8. Stellung und möchte heute meine Ausführungen ergänzen mit der Einleitung, daß dunkle Wolken auf wirtschaftlich-sozialpolitischem Gebiet die deutsche Erde - das werktätige Volk - beschatten. Wer die Zeichen der Zeit auf unternehmerisch-kapitalistischem internationalen Gebiet zu lesen versteht, der fühlt die Kettenreaktion, von der diese Geister ergriffen sind, mit der Devise: Getrennt marschieren, vereint schlagen. [] Die wirtschaftlichen Wellen jenseits des Ozeans, die bis zu den deutschen Ufern spülen und in letzter Zeit noch ihren Niederschlag in der Begrüßung der Liberalisierung des Handels fanden, der reaktionäre Angriff der Opposition des Inselreiches, die "soziale" (skandalöse) Marktwirtschaft im eigenen Lande, die neben der Teuerungswelle den gänzlich unzureichenden Reallohn auf dem Gewissen hat, sind alles deutlich fühlbare Symptome einer wirtschaftlichen Geistesrichtung, die der schärfsten Beobachtung bedürfen. Alle bekennen sich zur Demokratie - nach ihrer Art - ja, es paßt auf sie, was ein boshafter Kritiker mit den Worten bezeichnet: "Die Diktatur ist die beste Demokratie". [] Das haben bewiesen, um nur einige Beispiele zu nennen: Währungsreform, Lastenausgleich, Wohnungsfrage, freie, ungebundene, zügellose Wirtschaft, wirtschaftliche und politische Gerichtsurteile, Amnestie für Schieber und Wirtschaftsverbrecher, die alle nur auf dem Rücken der Minderbemittelten - der Werktätigen - ausgetragen wurden. Dazu die Steuersenkung der großen Einkommen mit der Begründung, diese zur Steuerehrlichkeit zu erziehen. Traurig, daß es bei den in Frage kommenden Kreisen solcher Methoden bedarf, um deren Moral zu heben, während bei den wirtschaftlich Schwachen, Arbeitern, Angestellten und Beamten in anderer Form der letzte Pfennig herausgeholt wird. Während dem größten Teil der Steuersünder die Aufrüstung, der Krieg, der zum Teil durch sie verschuldet, wenigstens gefördert wurde, ihnen erhebliche Gewinne einbrachten, dazu die RM-Zeit durch Korruption, Kompensation und Hortung auf Kosten der Schwachen einen guten Übergang bei der Währungsreform in die D-Mark gewährleistete, haben die Berufstätigen, Beamte, Angestellte usw., im Gegensatz zu den Begünstigten ihre Steuer bis zum letzten Pfennig stets zahlen müssen, mangels Sachwerte alles eingebüßt und durch ganz unzureichenden Reallohn - Gehalt - ungeheure Opfer gebracht. Letztere mußten infolge der Steuergroschen ihre Lebenshaltung weiter einschränken, während die großen Einkommen dieselben vom Überschuß leisteten. [] Dazu trat Anfang 1948 die infolge der Kohlen- und Eisenpreiserhöhung hervorgerufene neue Preisfestsetzung von Halbzeug- und Fertigfabrikaten ein, die von 80 bis 100% lag, Hierdurch floß den Sachwertbesitzern, den Hortern im Schlaf eine Vermögenserhöhung zu, die insgesamt in die Hunderte von Millionen hineinwuchs. Das sind keine Redensarten, sondern Tatsachen. Mir sind eine große Anzahl von Fabrikunternehmen sowohl wie Handelsfirmen bekannt, die Millionengewinne dadurch ,erzielten, weil die gehorteten Bestände sich wertmäßig fast verdoppelten und die sie aus der RM-Zeit in die DM-Zeit herüberbrachten. Was das Bedauerlichste ist, ist die Tatsache, daß diese Werterhöhung auch für den Lastenausgleich überhaupt nicht erfaßt wird, weil nach den gesetzlichen Bestimmungen in die Bilanz die niedrigen Einkaufspreise an Stelle der Tageswerte einzusetzen gestattet ist. Mir sind auch kleine Handelsfirmen und Unternehmen. bekannt, die hierdurch allein 300000 bis 1000000 DM Gewinn erzielten. Und daß diese Firmen schon wissen, wie und wo sie die Gelder unterbringen, wird ja durch die Tatsache und den Schrei über die mangelnde Steuermoral bestätigt, daß also trotz der Finanzämter bei den in Frage kommenden Unternehmen in der Verschleierung bzw. Unterschlagung der Gewinne eine größere Gerissenheit besteht, als die Intelligenz der Finanzämter zu werten ist. [] Man stolpert zum Beispiel über die Personenautos - auf jeden zehnten Kölner Einwohner kommt bekanntlich ein Auto -, die zum sehr großen Teil persönlicher Bequemlichkeit dienen, aber deren Kosten als Geschäftsunkosten verbucht werden. An den Vergnügungsstätten, Theatern, Schlemmerstuben, Tennisplätzen, ebenso wie in den Ausflugsorten der näheren und weiteren Umgebung stauen sich die Autos bis in die Nacht hinein. Wie werden die Fahrten finanziert? Durch die Geschäftsunkosten, während der Werktätige, der Angestellte, Beamte das Geld für die Straßenbahnfahrt zu einem Sonntagsausflug vorher hat versteuern müssen. Man wage nicht zu behaupten, es seien Bagatellen, Spitzfindigkeiten, es sind Beträge, die in die Millionen gehen und die Kreise in Anspruch nehmen, welche von der Teuerung nicht berührt Werden, weil sie daraus ihren erhöhten Nutzen ziehen. [] Die erste Tagung der Vereinigung der Industrie- und Handelskammern, der Industrie- und Handelstag, beweist in der Kette der offenen und versteckten Erklärungen und Methoden der Unternehmerschaft den vorgezeichneten Kurs. Man bedient sich zuweilen der Worte, um die Gedanken zu verbergen. [] Lassen Sie sich daher nicht abdrängen nur auf die Mitwirkung bei der Gesetzgebung auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Erfahrung aus der Weimarer Zeit hat Sie hoffentlich gewitzigt. Formulierungen sind keine praktische Durchführung, die heute jedenfalls relativ leichter Wahrheit werden kann, als es später der Fall sein wird. Später würde sie nur unter schwersten Kämpfen und nicht ohne nachteilige politische Erschütterungen, die vielleicht östliche Atmosphäre auslösen, zu erreichen sein. Es muß in nächster Zukunft Dauerbeschäftigung und Kündigungsschutz gesetzlich verankert werden, damit nicht bei Wirtschaftskrisen, beim Darniederliegen der Industrie - gleich welcher Ursache sie sind - von dieser Seite infolge des Drucks bei Entlassungen, Kurzarbeit nicht eine Atmosphäre geschaffen wird, die psychologisch verständlich, die Arbeitnehmer in der eigenen Not und Sorge und derjenigen ihrer Familie, nennen wir das häßliche aber leider zutreffende Wort, gefügiger macht, wie es angestrebt wird. Die Abstimmung über das Mitbestimmungsrecht hat deutlich gemacht, daß dieses Wort nicht in der berechtigten Forderung nach personeller, wirtschaftlicher und sozialer Beteiligung auszulegen angestrebt wird. Ich warne Sie auch deshalb vor dem so oft genannten dritten Weg. Es hat sich bis heute immer erwiesen, daß jeder millimeterweise Fortschritt der Arbeitnehmer nur im Kampf, in schwerem Ringen, niemals auf freiwilligem Entgegenkommen seitens der Unternehmer erzielt worden ist. Deshalb kann und [] darf das Streikrecht, diese einzige wirksame Notwaffe vor allem nicht für ein Linsengericht geopfert werden. [] Es ist unerläßlich und für die Gewerkschaft von allergrößter Wichtigkeit, daß sie durch das Mitbestimmungsrecht in der Lage ist, daß sie laufend die einzelnen Unkostenkonten einschließlich der sogenannten Handlungs- und Geschäftsunkosten prüfen und in diese Konten stets Einblick nehmen kann. Auf diesen und ähnlichen Konten werden sie nicht nur feststellen, wohin große Summen wandern (denke an Nazi, Wahlpropaganda, Förderung von Parteien usw.), sondern auch wahrnehmen, welchen Zwecken dieselben dienstbar gemacht werden, ob getarnten persönlichen Interessen oder solchen, die den Interessen der Belegschaft zuwiderlaufen. [] Daß die heutige führende Partei im Wahlkampf - sei es wider besseres Wissen, aus Bosheit oder Dummheit - erklärt hat: Die angewandten Methoden der Arbeiterpartei haben England an den Rand, des Abgrundes gebracht, ist eine Geschichtslüge und ein Schandfleck, der mit Wahlpropaganda nicht entschuldigt werden kann. Daß ein Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung es nicht für notwendig erachtete, die Gewerkschaften, also jene Kreise anerkennend hervorzuheben, noch zu erwähnen, denen der bisherige wirtschaftspolitische Erfolg durch ihre vorbildliche Disziplin, ihre beispiellose Rücksichtnahme auf die Allgemeinheit, durch Drosselung und Zurückstellung notwendiger und berechtigter Lohnforderungen mit an erster Stelle zu verdanken ist, sind bedauerliche Feststellungen, die eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern, auch aus Gründen, die nicht weit von Ihnen im Weichbild des Düsseldorfer Bezirks sehr beachtenswert sind. [] Das erkläre ich als Mitglied der CDU, zu der ich mich nur auf Grund meiner Weltanschauung, ebenso wie früher dem linken Flügel des Zentrums bekenne. Die unzureichende Sozialpolitik, noch mehr die besitzfreudige Wirtschaftspolitik der CDU bedaure ich gerade vom christlichen Standpunkt aus. Eine solche Politik schafft meines Erachtens mehr radikale Elemente als eine solche, die ihre Betonung auf Außen-, Innen-, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik legt und wahrhaft sozial ist, ohne das Wort "christlich" in den Vordergrund zu schieben. Die erschreckenden Beispiele in Italien, Spanien und Frankreich dürften das beweisen. [] Ein tiefer Denker unserer Zeit, Prof. Dessauer, der während der Nazi-Herrschaft als Emigrant in der Türkei lebte, hat in seinem Buch "Die Philosophie der Technik" sinngemäß ausgeführt, daß die wirtschaftspolitischen und sozialen Krisen dem ungleichen Fortschritt derselben gegenüber den anderen Wissenschaften - Technik, Physik, Chemie, Medizin usw. - zuzuschreiben sind. Das soziale Problem hätte besonders in den letzten hundert Jahren bei der progressiven Entwicklung der Technik nicht gleichen Schritt gehalten mit dem intellektuellen Fortschritt. Also ist es an der Zeit, das Versäumte endlich nachzuholen. [] Ich habe niemals den Arbeiterkreisen angehört und kann deshalb nicht in den Verdacht kommen, pro domo zu reden. Meine jahrzehntelangen Erfahrungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet und meine Tätigkeit, die mir ausreichenden Einblick in das geschäftliche Geschehen von Groß- und Kleinunternehmern geboten hat, zwingen mich, und zwar schon seit Jahrzehnten, den auch in diesen Darlegungen niedergelegten Standpunkt aus Gründen der Gerechtigkeit zu vertreten. [] Ich begrüße Sie hochachtungsvoll! [] gez. Franz Wild [] Herausgeber: Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Hannover, Odeonstr. 15-19
Published:1949