Eine tote Stunde dem Thema Kohle gewidmet

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Eine tote Stunde dem Thema KOHLE gewidmet [] Interview [] mit dem Herrn Minister [] Ich war überrascht: auf Anhieb war der Herr Minister bereit, mir das erbetene Interview zu gewähren. Schon auf meine erste Anfrage hin teilte mir sein Pressec...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Heine, Fritz, Karlsruher Verlagsdruckerei GmbH
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/22812FD9-4E96-46FE-8DC9-6807AEA9F2E7
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Eine tote Stunde dem Thema KOHLE gewidmet [] Interview [] mit dem Herrn Minister [] Ich war überrascht: auf Anhieb war der Herr Minister bereit, mir das erbetene Interview zu gewähren. Schon auf meine erste Anfrage hin teilte mir sein Pressechef mit, der Herr Minister habe nach der Feierstunde sowieso "eine tote Stunde", und die wolle der Herr Minister gern dazu verwenden, mir meine Fragen zu dem Thema "Kohle" zu beantworten. Der Herr Minister empfing mich in seinem Hotelzimmer. Nachdem ich meinen Namen genannt hatte, begann der Herr Minister zu reden. Nicht über die Kohle, sondern von sich. Der Herr Minister erzählte mir Geschichten von sich als Minister, von sich als Politiker, von sich als Wirtschaftler, von sich als Delegationsleiter, von sich als einer Art vorzeitigem Sonderbotschafter in den USA, von sich als Erstem Vorsitzenden einer Partei, die "heute immerhin vier Millionen Wähler hat", und schließlich sprach der Herr Minister von sich als Mensch, als Mensch durch und durch ... [] "Ich weiß, daß man mir nachsagt, ich sei eitel", ging der Minister bei dem Thema "Ein Minister ist auch ein Mensch" ins Detail. "Nun ja - ich wasche mich gern und oft, ich hänge meine Anzüge - wie spät es auch sein mag, wenn ich zu Bett gehe - immer über den Bügel. Wenn Sie das eitel nennen wollen - bitte sehr." Nun ist es zwar rasend interessant, zu erfahren, ob und wenn, wann und wie oft sich ein Minister wäscht, ob und wenn, ob er immer seine Anzüge auf den Bügel hängt - gewiß, so etwas ist von hoher politischer Bedeutung, aber es streift das Thema "Kohle" natürlich nur am Rande. Bei aller Hochachtung vor den ministeriellen Kleiderbügeln - ich saß wie auf Kohlen. [] Der Herr Minister indes begann eine neue Geschichte zu erzählen Sie fing - wie die vorangegangenen - mit den beiden Worten "Als ich ..." an. "Als ich nach einer Sitzung bei der OEEC in Paris auf einer Gesellschaft war, sagte dort eine Französin zu mir: "Ah monsieur, vous avez une belle taille!" erzählte der Minister, der nicht eitel war, sondern sich nur gern wusch. Natürlich weiß ich schon, wie wertvoll es für Deutschlands außenpolitische Beziehungen ist, wenn eine Französin feststellt, daß unser Herr Minister "une belle taille" eine gute Figur hat; aber was hat das mit Kohlen zu tun, fragte ich mich. [] Den Herrn Minister zu fragen - dazu kam ich nicht. [] Der Herr Minister redete. Er hatte eben seine "tote" Stunde. (Eine "tote" Ministerstunde" hat 120 bis 150 Minuten.) Von der französischen Dame kam der Herr Minister auf die deutsche Jugend, von der deutschen Jugend auf sich, von sich wieder auf die deutsche Jugend, von der deutschen Jugend auf seine Nichte zu sprechen. Ihren Lebenslauf erzählte er gestrafft in etwa 20 Minuten. Ich hielt aus; denn ich setzte nun meine ganze Hoffnung auf die Nichte des Herrn Ministers. Ich klammerte mich geradezu an sie - im Geiste, versteht sich, in, banger Sorge um meine Kohlen-Fragen, zu denen ich noch immer nicht gekommen war. Vielleicht, dachte ich, ist sie mit einem Kohlenhändler verlobt, die Minister-Nichte. Mitnichten. Oder der Herr Minister hat es mir verschwiegen. Das allerdings müßte ich ihm ernstlich übelnehmen - wo er doch genau wußte, daß ich lediglich wegen der Kohlen zu ihm gekommen war und wo sein abschließender Vortrag über das Thema "Der Minister als Onkel" doch ansonsten vollkommen erschöpfend war. [] Die Zeit verrann, Der Herr Minister redete. Ich hing groggy in den Lehnen des Sessels. Von fern hörte ich noch immer die Stimme des Herrn Ministers. Sie hatte jetzt einen klagenden Ton angenommen. Der Herr Minister sprach von seinen Spesen. Sie seien zu niedrig, viel zu niedrig, meinte er. Und als Delegationsführer bei der Ruhrbehörde hätte erüberhaupt keine Spesen bekommen. Wenn ich das nicht glaubte, könnte ich ja seine Reisekostenabrechnungen durchsehen. Hei, wie war ich da mit einem Male wach, hellwach! Nicht wegen der einmaligen Chance, die Reisekostenabrechnung eines deutschen Ministers zu sehen, sondern wegen eines einzigen Wortes. "Ruhrbehörde" hatte der Herr Minister gesagt. Sicher nur aus Versehen. Aber rücksichtslos, wie Journalisten einmal sind, griff ich das Wort, auf und stellte die erste meiner 15 ausgearbeiteten Kohle-Fragen an den Herrn Minister. [] Möglicherweise sehr überrascht, daß ein Journalist während eines Interviews doch einmal dazu kommt eine Frage zu stellen, antwortete der Herr Minister zunächst mit Schweigen und dann mit dem, was vor vier Wochenüber das Thema "Kohle" in den Zeitungen stand. Ich stellte Kohlen-Frage 2. Der Herr Minister zitierte die Presse der vergangenen Woche. Kohlen-Frage 3: Der Herr Minister antwortete, daß er leider nur noch wenig Zeit habe. Kohlen-Frage 4: Der Herr Minister ruft: "Ich weiß schon, aus welcher Ecke der Wind weht!" Ich versichere dem Herrn Minister, daß der Wind aus gar keiner Ecke weht, schlechthin überhaupt nicht weht und stellte Kohlen-Frage 5. Der Herr Minister antwortete, daß er nun gar keine Zeit mehr habe. Jetzt ging ich ran wie Blücher und stellte schnell noch Kohlen-Frage 6. Darauf der Herr Minister: "Bedenken Sie, Sie sprechen immerhin mit einem der Big Three ..." Ich stand auf, verabschiedete mich: denn, so sagte ich mir, wenn der Herr Minister von sich als einem der Großen Drei spricht, dann sind wir wohl sowieso am Ende. [] Jawohl, diese Regierung ist am Ende! [] Helft uns eine bessere Bundesregierung schaffen! [] Wir versprechen keine Wunder ... [] aber wir halten unser Wort! [] Herausgeber: Vorstand der SPD Bonn - Verantwortlich: Fr. Heine [] Druck: Karlsruher Verlagsdruckerei GmbH., Karlsruhe
Published:06.09.1953