Es ist lange genug aufgerüstet worden
Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND [] DER BUNDESKANZLER [] Es ist lange genug aufgerüstet worden. [] Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. [] "Ungewöhnliche Entscheidungen erfordern ungewöhnliche Schritte. Die Bundesregierung erwägt noch im Novembe...
Main Author: | |
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Institution: | Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) |
Format: | IMAGE |
Language: | German |
Published: |
ca. 1983
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Subjects: | |
Online Access: | http://hdl.handle.net/11088/5B0CC9C3-A311-4AA7-ACF7-A936832DEAAB |
_version_ | 1771405061006557185 |
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author | N.N. |
author_facet | N.N. |
collection | AdsD leaflets |
dateSpan | ca. 1983 |
description | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals
BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND [] DER BUNDESKANZLER [] Es ist lange genug aufgerüstet worden. [] Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. [] "Ungewöhnliche Entscheidungen erfordern ungewöhnliche Schritte. Die Bundesregierung erwägt noch im November des Jahres, die Mitgliedschaft im Nordatlantischen Bündnis (NATO) aufzukündigen. Und diese wichtige Nachricht möchte ich Ihnen gerne persönlich, über eine Wurfsendung überbringen, bevor Sie diese Nachricht über Presse und Fernsehen erfahren. [] Sie wissen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, daß ich der Enkel Konrad Adenauers bin. Und eben mein Opa, dieser kluge und ehrenwerte Mann, sagte ein Jahr nach dem schrecklichen 2. Weltkrieg: "Wir sind einverstanden, daß wir völlig abgerüstet werden. Ich glaube, daß die Mehrheit des deutschen Volkes einverstanden wäre, wenn wir wie die Schweiz völkerrechtlich neutralisiert werden." Lange sind mir diese klugen Worte durch den Kopf gegangen und heute frage ich mich, warum haben wir nicht viel früher auf meinen Opa gehört? [] Ist es nicht ein Werk des Teufels, wenn wir Menschen weltweit im Jahr über eine Billion Deutsche Mark für die Rüstung ausgeben, während gleichzeitig 817 Millionen Menschen hungern müssen? [] Ist es nicht unsozial, wenn unsere Bundeswehr 25 Milliarden Deutsche Mark im Jahr bekommt, die Bundesregierung aber kein Geld für die Sicherung der Arbeitsplätze in der Werften-, Stahl- und Kohleindustrie hat? [] Ist es nicht verantwortungslos, wenn wir immer weiter aufrüsten, aber nicht an den Schutz der Bevölkerung denken? Nur für ein Prozent der Bevölkerung stehen Bunkerplätze zur Verfügung. Wo sollen Sie im Ernstfall hin? Ich fahre mit der Bundesregierung in unseren Atombunker in Marienthal/Eifel. Doch Sie sind schutzlos! [] Ich als Christ, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, kann diese Politik nicht länger mitverantworten. Ich möchte vor dem Jüngsten Gericht ein gutes Gewissen haben. [] Sie wissen, ich bin kein Freund der sowjetischen Führung und ich bleibe bei meiner festen Überzeugung: Die sowjetische Rüstung führt zum Krieg. Doch wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß alles, was bisher aus Bonn und Washington über die sowjetische Rüstung gesagt wurde, maßlose Übertreibungen sind. Jede Seite übertreibt, weil es zu ihrem Nutzen ist. Unsere Brüder und Schwestern im Osten unserer Heimat, erleben das genauso. Was wird Gott dazu sagen? Der Krieg in Afghanistan ist ein Verbrechen. Und was war der Krieg in Vietnam? Oder jetzt der Krieg Amerikas in Nicaragua? Das sind auch Verbrechen. Vor Gott sind alle Kriege gleich. [] Ich sage nur, vor der sowjetischen Führung müssen wir uns schützen, aber das sowjetische Volk dürfen wir doch nicht töten. Ein NATO-Atomkrieg wird 50 bis 100 Millionen Tote in der Sowjetunion kosten. Es gibt doch nicht 100 Millionen Andropows. Das sind doch fleißige Männer und Frauen, genauso wie wir, die wir da töten. [] Schlimmer noch: kommt es zum Krieg, dann wird kaum einer hier in Deutschlandüberleben. Wissen Sie warum die NATO die Raketen hier aufstellen will? Um nachzurüsten! Das ist richtig, doch nur rechnerisch. Wir haben dann in etwa soviele Raketen wie die Russen. Aber unsere amerikanischen Freunde wollen noch mehr. Sie wollen mit den neuen Raketen den Atomkrieg hier in Europa gegen die Russen führen. Amerika bleibt heil, doch wir müssen dann alle sterben. Glauben Sie mir, ich sage so etwas nicht leichtfertig. [] Unsere französischen Freunde haben das schon 1965 gesehen und haben ihre militärische Mitarbeit in der NATO aufgekündigt. "Wir wollen nicht in einem Atomkrieg für amerikanische Interessen sterben", hat mein Freund Pompidou gesagt. Jetzt frage ich Sie: Sollen wir sterben, damit Amerika leben kann? [] Und was wir Ihnen bisher immer verschwiegen haben: Schon morgen müssen vielleicht deutsche Soldaten, ihre Söhne, in den Krieg ziehen. Die NATO stellt eine Eingreiftruppe auf, mit Soldaten der Bundeswehr, die überall, wo NATO-Interessen bedroht sind, Krieg führen sollen. Zum Beispiel in Nahen Osten, wo das Öl ist. Finden Sie das richtig? Oder sollen wir uns nicht lieber an die Worte meines Freundes Franz Josef Strauß halten, der einmal sagte: "Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen." [] Wissen Sie, ich als Bundeskanzler bekomme ja so einiges mit. Und ich kann Ihnen sagen, es gibt eine Reihe ehrenwerter Herren in unserer Industrie, vornehmlich der Rüstungsindustrie, die wollen einen Krieg. Kann ich ja auch verstehen. Sie verdienen an der Rüstung und da ist der Krieg nun einmal das größte Geschäft. Aber ich frage mich, soll Siemens nicht lieber Spielsachen, Krauss Maffei vielleicht Fahrräder und MBB Tretroller herstellen? Da werden sich unsere Kinder jedenfalls freuen. Über einen Krieg freuen sie sich bestimmt nicht. [] Sehen Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir können die Sache betrachten wie wir wollen, es gibt nur eine vernünftige Antwort: Wir machen Schluß damit. Gemeinsam schaffen wir es schon. Wir treten aus der NATO aus und werden völkerrechtlich neutral. Dann können wir alle wieder beruhigt schlafen. - Es ist schon so, wie es mein Opa sagte. Deutschland liegt direkt zwischen den beiden Militärblöcken. Wir können aus dieser geographischen Lage ja nicht raus. Das geht nicht. Aber wir können uns aus den Militärblöcken heraushalten. Nein zur NATO, nein zum Warschauer Pakt. Neutralität. [] Früher haben wir das immer anders gesagt. Vergessen Sie diese Argumente, vom Schutz durch unsere amerikanischen Freunde. Ich habe Ihnen ja gezeigt, wie dieser Schutz aussieht. Nein, wir müssen da raus, sonst gibt es keinen Frieden in Freiheit mehr. Und Neutralität bringt etwas: Wenn wir im November neutral werden, dann zieht sich eine neutrale Zone von Schweden bis nach Albanien quer durch Europa. Und ich bin mir ganz sicher, dann macht Honecker auch mit. Der will doch auch lieber heute als morgen von dem Andropow weg, die sind sich drüben auch nicht ganz grün. Das ist wie bei uns. [] Sie glauben ja nicht, wie glücklich ich bin, daß ich Ihnen so eine Überraschung bereiten konnte. [] Endlich ist es vorbei mit diesem Blödsinn von Gleichgewicht und Abschreckung. Den Krieg vorbereiten um den Frieden zu sichern, diesen Unsinn glaubt in diesem unserem Lande doch sowieso niemand mehr." [] Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und verbleibe mit den herzlichsten Grüßen [] Ihr [] Helmut Kohl [] Da spürt man den neuen Regierungsstil [] Herausgeber: CDU-Bundesgeschäftsstelle, Hauptabteilung Öffentlichkeitsarbeit. Konrad-Adenauer-Haus, 5300 Bonn |
era | Fiktiver offener Brief an die deutsche Bevölkerung, in dem Helmut Kohl den Austritt aus der Nato ankündigt. |
format | IMAGE |
genre | visualUnit |
geographic | Bundesrepublik Deutschland (BRD) Sowjetunion (UdSSR) Vereinigte Staaten von Amerika (USA) |
id | bulk_76C4816C-5E6D-41AD-9EBC-D15532E25B38 |
institution | Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) |
language | German |
publishDate | ca. 1983 |
spellingShingle | Es ist lange genug aufgerüstet worden N.N. [Kohl, Helmut, Adenauer, Konrad, Strauß, Franz-Josef, Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), Abrüstung, Aufrüstung, Rüstungspolitik, Sicherheitspolitik, Foto, Porträt] |
thumbnail | http://hdl.handle.net/11088/8058D2EB-9DDF-44F6-B384-884D305C9F62 |
title | Es ist lange genug aufgerüstet worden |
topic | [Kohl, Helmut, Adenauer, Konrad, Strauß, Franz-Josef, Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), Abrüstung, Aufrüstung, Rüstungspolitik, Sicherheitspolitik, Foto, Porträt] |
url | http://hdl.handle.net/11088/5B0CC9C3-A311-4AA7-ACF7-A936832DEAAB |