Die SPD und der Generalvertrag!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Die SPD und der Generalvertrag! [] Ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Carlo Schmid und Rüdiger Proske am 9. Mai 1952 im Nordwestdeutschen Rundfunk [] Rüdiger Proske: Seit am vergangenen Mittwoch, also vorgestern, die Nachrichtenagentur United Pr...

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Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Vereinsdruckerei und Verlag GmbH, Koblenz
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Published: 09.05.1952
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Online Access:http://hdl.handle.net/11088/07D5BA4B-2F9E-4243-BD50-636F3E45AFBA
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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Die SPD und der Generalvertrag! [] Ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Carlo Schmid und Rüdiger Proske am 9. Mai 1952 im Nordwestdeutschen Rundfunk [] Rüdiger Proske: Seit am vergangenen Mittwoch, also vorgestern, die Nachrichtenagentur United Preß [!][United Press] Teile aus dem Inhalt des Generalvertrages veröffentlichte, steht dieses Vertragswerk mehr noch als zuvor im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Die Fraktionen der Regierungsparteien waren bereits vor mehr als einer Woche über den Inhalt des Vertrages unterrichtet worden. Hingegen ist die Opposition, wenn ich es richtig sehe, Herr Prof. Schmid, bis zu dem Zeitpunkt, da dieses Gespräch geführt wird, noch nicht offiziell von den bisher fertiggestellten Teilen des Vertrages in Kenntnis gesetzt worden? [] Carlo Schmid: Sie haben recht, der Sozialdemokratischen Partei zum mindesten ist weder der Inhalt des Generalvertrages noch der Zusatzverträge auch nur in Auszügen oder in Inhaltsangaben mitgeteilt worden. Der sogenannte "Sechserausschuß" des Bundestages, den der Bundeskanzler laufend und in kurzen Zwischenräumen über den Gang der Verhandlungen zu informieren versprach, konnte aus den verschiedensten Gründen seit Monaten nicht einberufen werden. Im übrigen hat die Unterrichtung von sechs Männern, denen die Auflage gemacht wird, die ihnen zuteil gewordenen Informationen als Geheimsachen zu behandeln, wenig politischen Sinn. [] Rüdiger Proske: So bleibt als sachliche Grundlage für unser Gespräch über den Generalvertrag nur, was über den Inhalt bislang in der Zeitung stand. Im übrigen wird das Gespräch angesichts der Vielschichtigkeit des Soll und Haben und angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit einen nur fragmentarischen und möglicherweise die eine Seite mehr als die andere bewertenden Charakter haben. Nun, was über den Generalvertrag bekannt ist, läßt nun doch vielleicht schon die Frage zu, Herr Professor Schmid, welches Ihre Haupteinwände gegen den Inhalt des Vertrages sind? [] Carlo Schmid: Zunächst möchte ich bemerken, daß der Generalvertrag eine ganze Reihe höchst allgemeiner Formulierungen enthält, die im einzelnen wohl in den sogenannten Zusatzverträgen konkretisiert werden, und diese sehr inhaltsreichen und bedeutungsvollen Zusatzverträge kennt man noch nicht. Darum ist es eine riskante Sache, sich ein Urteil über die Tragweite gewisser Bestimmungen des Generalvertrages zu bilden, denn manches ist so formuliert, daß es in höchst verschiedener Weise, ja sogar gegensätzlich ausgelegt werden kann. Das Gefährliche bei solchen Dingen ist, daß - Schiedsgericht hin, Schiedsgericht her - im jeweiligen kritischen Fall die Auslegung durch den bestimmt wird, der über den Ausnahmezustand verfügt. [] Und da komme ich nun gleich zum ersten Punkt, der mir äußerst mißfällt. Der erste Artikel des Generalvertrages sagt, daß die Bundesrepublik volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten erhalten soll, jedoch vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrages. Und wenn man sich die Vorbehalte in dem Vertrag näher ansieht, kann man nicht gut anders als die durch den Generalvertrag geschaffene Situation wie folgt zu charakterisieren: die Besatzungsmächte behalten die oberste Gewalt in Deutschland; sie delegieren sie jedoch für normale Zeiten an die Bundesregierung - wobei das Recht zu bestimmen, was normale Zeiten und was Ausnahmezeiten sind, ausschließlich bei ihnen liegt. Unter diesen Uniständen scheint es mir reichlich gewagt, davon zu sprechen, daß der Generalvertrag Deutschland die Souveränität und die volle Handlungsfreiheit zurückgäbe. [] Rüdiger Proske: Bezieht sich, was Sie sagen, Herr Prof. Schmid, auf die allerseits stark kritisierte Notstandsklausel? [] Carlo Schmid: Ein Teil dieser Notstandsklausel entspricht fast wörtlich der im bisherigen Besatzungsstatut enthaltenen Notstandsklausel. Das ist eine bedenkliche Sache. Bedenklicher aber ist, daß diese Notstandsklausel allzu allgemein formuliert ist. Was heißt schon eine umstürzlerische Störung der demokratischen Ordnung der die Bundesrepublik nicht Herr werden kann? Wo ist hier die Grenze, zumal, wenn es in Absatz 3 heißt, daß die Notstandsklausel schon dann zum Zuge kommen soll, wenn eines dieser Ereignisse ernsthaft einzutreten droht? Wenn die Vertragspartner Deutschlands der Meinung sind, daß sie den Notstand im Bundesgebiet erklären sollten, können sie nach dem Text des Generalvertrages diejenigen Maßnahmen ergreifen - wohl gemerkt, es heißt nicht "nur" diejenigen Maßnahmen - die erforderlich sind, die Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen und die Sicherung ihrer Truppen zu gewährleisten. Darunter kann man letztlich alles verstehen bis zur Übernahme der Regierungsgewalt mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Freilich wird man sich darauf berufen, daß dieser Notstand nur 30 Tage dauern dürfe und daß nach Ablauf von 30 Tagen die Organisation des Nordatlantikpaktes, die NATO also, über die Weiterleitung zu bestimmen habe. In dieser NATO ist aber Deutschland nicht vertreten, dagegen spielen dort die Mächte, die den Notstand verhängt haben, die dominierende Rolle. [] Rüdiger Proske: Eine andere Klausel, um die gerade in letzter Zeit und über die deutschen Grenzen hinaus ein heftiger Meinungsstreit entbrannte, ist die Revisionsklausel. Sie wird in der Bundesrepublik weitgehend für bedenklich gehalten. In welcher Hinsicht sehen Sie diese Klausel für ungenügend an? [] Carlo Schmid: Man spricht sehr viel von der Revisionsklausel und manche tun so, als glaubten sie, daß eine solche Klausel automatisch unhaltbar gewordene Vertragsbestimmungen beseitigen werde. Die Revisionsklausel des Generalvertrages sieht aber vor, daß der Vertrag und die Zusatzverträge nur in gegenseitigem Einvernehmen, d. h. doch wohl unter Zustimmung aller Vertragspartner revidiert werden können. Mt anderen Worten, es genügt das Nein eines der Vertragspartner, um die Revision auszuschließen. Eine solche Revisionsklausel hätte man sich ersparen können. Besonders mißfällt mir die Bestimmung des Generalvertrages, daß ein wiedervereinigtes Deutschland "durch die Verpflichtungen nach diesem Vertrag gebunden sein wird in einer gemäß dieser Bestimmungen oder durch Vereinbarungen der Parteien diesen Änderungen angepaßten Fassung" und daß einem wiedervereinigten Deutschland ebenso die Rechte der Bundesrepublik aus diesem Vertrag zustehen werden. Abgesehen davon, daß es mir eine juristische und politische Monstrosität zu sein scheint, Gesamtdeutschland durch eine Vereinbarung der Bundesrepublik - also eines bloßen Teiles - mit ihren Besatzungsmächten verpflichten zu wollen, bedingt diese Vertragsbestimmung, daß man offensichtlich sich die Wiedervereinigung Deutschlands als eine Art von Eingemeindung Mitteldeutschlands in die Bundesrepublik vorstellt, während doch Form und Inhalt der politischen Existenz Gesamtdeutschlands nur durch eine Gesamtentscheidung des deutschen Gesamtvolkes bestimmt werden kann. [] Weiter setzt diese Bestimmung die Meinung voraus, daß man die Russen dazu bringen kann, sich im vornhinein damit einverstanden zu erklären, daß Gesamtdeutschland integrierender Bestandteil des politischen und militärischen Atlantiksystems wird, das sie als gegen sich gerichtet betrachten. Ist das nicht ein bißchen viel Zumutung? Hat man aber die Bestimmung aufgenommen, um den Russen gegebenenfalls etwas verkaufen zu können, dann macht man die Einigung mit den Russen davon abhängig, daß alle Vertragspartner einwilligen, Deutschland aus der Verflechtung mit dem atlantischen System zu entlassen. Damit gibt man jeder einzelnen der Vertragsmächte ein Vetorecht gegen die deutsche Einheit, das durch die sehr platonischen Beteuerungen der Präambel nicht entkräftet wird. [] Rüdiger Proske: Ein weiterer Punkt, der schon im Bundestag und auch im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten mehrfach diskutiert wurde, ist die Koppelung des Generalvertrages mit dem Vertrag über die europäische Verteidigungsgemeinschaft. [] Carlo Schmid: Ja, der Generalvertrag verpflichtet die Bundesrepublik, der sogenannten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft beizutreten, d. h. militärische Streitkräfte für eine Europa-Armee aufzustellen und der Kommandogewalt der Organe zu unterstellen, die über die Europa-Armee politisch und militärisch verfügen. Ich will hier die Frage nicht diskutieren, ob ein Beitritt Deutschlands zu einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft sinnvoll ist oder nicht. Ich will mich darauf beschränken, festzustellen, daß man sich auch hier wieder auf die schlechte Methode des Junctim [!] [Junktim] eingelassen hat. [] Nur ein Volk, das Herr seiner Entschlüsse ist, kann sich frei entscheiden, und Dinge wie eine europäische Verteidigungsgemeinschaft setzen die freie Entscheidung ihrer Mitglieder voraus. Es hätten also die Besatzungsmächte zunächst Deutschland in die Lage versetzen müssen, sich frei entscheiden zu können, ehe sie von ihnen schicksalbestimmende Bindungen verlangen. Es ist eine schlechte Methode, wenn man Situationen, die sowieso schon unhaltbar geworden sind, nur unter der Bedingung aufgibt, daß der andere - also in diesem Falle Deutschland - einen wesentlichen Teil dessen, was man einseitig nicht mehr aufrechterhalten kann, als vertragliche Verpflichtung übernimmt. So etwas zwingt geradezu zu einer revisionistischen Außenpolitik, durch die, wie nach 1919, die politische Atmosphäre in der Welt vergiftet werden könnte. [] Rüdiger Proske: Nun bringt der Generalvertrag bei allen Schwierigkeiten, die in ihm stecken, im Vergleich zu dem bisherigen Zustand offenbar auch gewisse Erleichterungen. Sie kennen, Herr Professor Schmid, die Auffassung, daß unsere Lage nur allmählich verbessert werden könne und daß auf dem Wege der Rehabilitierung Deutschlands der Generalvertrag eine notwendige Etappe darstelle. Teilen Sie diese Auffassung? Oder noch konkreter gefragt: Halten Sie es überhaupt für sinnvoll, daß zwischen das Besatzungsstatut und einem künftigen Friedensvertrag ein Vertrag von der Art des Generalvertrages eingeschoben wird? [] Carlo Schmid: Ich kenne das Argument. Es ist das alte Argument, "ein wenig ist besser als nichts". Und ich kenne den Satz: "Wir können nur schrittweise vorankommen". Beide Sätze sind richtig, wenn man sie auf die konkrete Situation richtig anwendet. Aber ein wenig ist dann besser als gar nichts, wenn man sich dadurch nicht die Aussicht auf die Erreichung des notwendigen Endzieles verbaut. Und schrittweise kommt man nur dann ans Ziel, wenn man diese Schritte auf dem richtigen Wege macht. [] Das Besatzungsstatut war von uns seinerzeit bewußt als eine einseitige Festlegung der Befugnisse der Besatzungsmächte durch die Besatzungsmächte selbst verlangt worden. Damit war ihnen die Verantwortung für das Funktionieren aufgebürdet und behielten die Deutschen jede Freiheit, gegen dieses Regime Politik zu machen. Nunmehr werden den Besatzungsmächten auf Grund der Unterschrift einer deutschen Regierung Befugnisse eingeräumt, die praktisch Deutschland zu einem Lande minderen Rechts machen. Insoweit scheint mir hier der Satz "besser ein wenig als gar nichts", sehr falsch am Platz zu sein. [] Nun zu Ihrer Frage: Ich glaube nicht, daß es eine gute Politik ist, wenn eine deutsche Regierung vor Rückgewinnung echter Entscheidungsfreiheit - und damit meine ich gesamtdeutsche Entscheidungsfreiheit - Verträge abschließt, die den Status Deutschlands bestimmen sollen. Denn die Bundesrepublik ist staatsrechtlich und politisch ein Provisorium und kann darum auch völkerrechtlich nichts Endgültiges schaffen. Andernfalls würde sie ihre spezifische Aufgabe im Hinblick auf die Erhaltung der gesamtdeutschen Chance verfehlen. Ich glaube, daß man sich darauf beschränken sollte, mit den Besatzungsmächten von Fall zu Fall einen modus vivendi zu vereinbaren. Man kann dabei sehr weit gehen. Der entscheidende Unterschied zum Generalvertrag würde sein, daß die Vertragspartner keine politische Grundentscheidung wollen, sondern nur eine unter dem Gesetz der Vorläufigkeit stehende Anpassung wechselseitiger Kompetenzen an die jeweilige politische Realität. [] Rüdiger Proske: Es ist nun bereits mehrfach das Wort Gesamtdeutschland gefallen. Nach Auffassung der Westmächte und auch der Bundesregierung ist eine Wiedervereinigung Deutschlands aber nur möglich, wenn der Westen sich stark macht. Nur ein starker Westen könne mit einer Verhandlungsbereitschaft der Sowjets rechnen. Die zur Zeit behandelten Verträge seien ein integrierender Bestandteil dieser Politik der Stärke und damit ein direkter Beitrag zur Wiedervereinigung Deutschlands. [] Carlo Schmid: Die Regierung und ihre Anhänger sagen, daß der Westen sich vor allem militärisch stark machen müsse, weil nur dann mit den Russen die Sprache gesprochen werden könne, die sie verstünden. Was heißt denn das? Will man von dieser militärischen Stärke Gebrauch machen? Wenn ja, bis zu welchem Grade? Etwa bis zur letzten Konsequenz? Das ist doch ganz offenbarer Unsinn, denn niemand will doch den Krieg. Am allerwenigsten das deutsche Volk. Ist man aber entschlossen, von der gepriesenen militärischen Stärke keinen Gebrauch zu machen - was hat es denn für einen Sinn davon zu reden, daß man auf sie gestützt die Russen zu Konzessionen bringen könne, zu denen man sie heute mangels genügender Stärke nicht zu bringen vermöge? [] Rüdiger Proske: Sicher kann die deutsche Einheit nur auf dem Wege über Verhandlungen wiedergewonnen werden. Nun haben die beiden Sowjetnoten vom 10. März und 9. April in Deutschland die Hoffnung erweckt, daß die Sowjets mit sich über eine Wiedervereinigung Deutschlands reden lassen könnten. Was sollten die Westmächte Ihrer Ansicht nach darauf antworten? [] Carlo Schmid: Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands darf nur auf friedlichen Wegen betrieben werden. Das setzt aber die Einsicht voraus, daß sie nur über eine Einigung der vier Besatzungsmächte verwirklicht werden kann, d.h. auf Grund von Verhandlungen mit den Russen. Dies wiederum setzt voraus, daß man nicht vor dem Eintritt in Verhandlungen Tatbestände schafft, die den Russen das Interesse an solchen Verhandlungen von vornherein nehmen. Nun scheint es mir, daß man den Russen reichlich viel zumutet, wenn man von ihnen verlangt, sich im vornherein damit abzufinden, daß dieses Gesamtdeutschland - also auch die heute von ihnen besetzte Zone - einem militärischen und politischen Vertragssystem eingegliedert wird, das sie als gegen sich gerichtet betrachten. Man hätte sich in der Antwort auf die russische Note darauf beschränken sollen, den Russen zu sagen, daß man mit ihnen in Verhandlungen über freie gesamtdeutsche Wahlen eintreten wolle und daß alle materiellen Fragen in einer zweiten, nach Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen einzuberufenden Konferenz erörtert und gelöst werden sollten. [] Rüdiger Proske: Nun haben die Amerikaner bei den Verhandlungen über die Formulierung der Antwort an die Sowjets, die unterdessen abgelehnte Anregung gegeben, zunächst Viererverhandlungen auf der Ebene der Hohen Kommissare einzuleiten. Halten Sie diesen Weg für gangbar? [] Carlo Schmid: Eine Konferenz der drei Hochkommissare mit dem russischen Oberkommandierenden könnte natürlich nur den Charakter einer einleitenden Vorverhandlung haben. Aber schon das könnte sehr nützlich sein. Man darf von solchen Prälimierverhandlungen jedoch nicht erwarten, daß sie im positiven oder negativen Sinn Endgültiges zeitigen. Es wäre schlimm, wenn die amerikanische Anregung der Absicht entsprungen sein sollte, auf zu billige Weise den Deutschen vorzuführen, daß die etwaige Ergebnislosigkeit dieser "kleinen Viererkonferenz" beweise, daß die Russen gesamtdeutsche Wahlen gar nicht wollten. Man muß schon bereit sein, die Geduld aufzubringen, die notwendig ist, um in Verhandlungen mit den Russen zu endgültigen Resultaten zu kommen. [] Rüdiger Proske: Einige politische Beobachter haben gemeint, den Schritt der Amerikaner als einen Hinweis darauf deuten zu können, daß ihnen, falls die Bundesrepublik den Generalvertrag ablehnt, noch immer direkte Verhandlungen mit den Sowjets möglich seien, daß sie also nicht unbedingt die europäische Karte spielen müßten. Welche Wirkungen würde Ihrer Ansicht eine Ablehnung des Generalvertrages im internationalen Feld haben? Und vor allem: meinen Sie, daß die USA, des Versuches müde, Europa unter Umständen fallen lassen könnten? [] Carlo Schmid: Jede ernsthafte und dauerversprechende Lösung auch des Problems der deutschen Einheit hat zur Voraussetzung die Verständigung der Russen und der USA über alle wichtigen Differenzpunkte, die sie bisher einander feindlich entgegensetzten. Das mag für uns bedauerlich sein, aber es ist nun einmal so, daß ohne eine Grundverständigung der beiden einzig übriggebliebenen Weltmächte Teilverständigung, mit Dauercharakter höchst unwahrscheinlich bleiben. Wenn man das einsieht, darf man keine vollendeten Tatsachen schaffen wollen, die dem einen Partner das Interesse an einer solchen Grundverständigung nehmen könnten. [] Was nun die Frage anbetrifft, was im Falle der Ablehnung des Generalvertrages die Amerikaner tun würden, so bedauere ich, sie mangels prophetischer Gaben nicht exakt beantworten zu können. Ich glaube aber, daß man mit einiger Sicherheit sagen kann, daß eine Macht wie die Vereinigten Staaten ihre politische Grundlinie nicht abhängig von dem Gelingen oder Scheitern einzelner Vorhaben ihrer jeweiligen Administration machen kann. Der von manchen Leuten in Deutschland so gefürchtete Präsidentschaftskandidat Taft hat in klarer Erkenntnis dieses Umstandes vor einigen Wochen gesagt, daß die Vereinigten Staaten ihr Interesse an Deutschland nicht aufgeben werden, auch wenn es der europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht beitritt. Man kann nicht Deutschland aufgeben, ohne gleichzeitig den Rest Europas aufzugeben. Und wenn Europa aufgegeben ist, lassen sich auch der Vordere Orient und Nordafrika nicht mehr halten. Glaubt man wirklich, daß irgendeine Regierung der Vereinigten Staaten bereit sein werde, ein solches Risiko zu verantworten? [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn [] Druck: Vereinsdruckerei und Verlag GmbH., Koblenz.
Published:09.05.1952