Dr. Kurt Schumacher spricht: Die Zeit des Abwartens ist vorüber!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: SPD-Landesvorstand Bayern, Signatur 76 Dr. Kurt Schumacher spricht: [] Die Zeit des Abwartens ist vorüber! [] Wir haben Tatsachen zu meistern und nicht nur Ideen zu wählen. Wir sind bisher im Grundsätzlichen noch Funktionäre der Pol...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Landesvorstand Bayern, Albert, M.
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: ca. 1946
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/0D2BD3D6-1E4B-496E-B3B8-83D866711DB3
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: SPD-Landesvorstand Bayern, Signatur 76 Dr. Kurt Schumacher spricht: [] Die Zeit des Abwartens ist vorüber! [] Wir haben Tatsachen zu meistern und nicht nur Ideen zu wählen. Wir sind bisher im Grundsätzlichen noch Funktionäre der Politik der Besatzungsbehörde. [] Aber wir wollen selbständige Akteure sein! [] Doch wenn wir verantwortlich sein sollen, dann laßt uns als Freie verantwortlich sein. Denn wir haben eine schwere Aufgabe. Wir haben es mit einem Volk zu tun, bei dem ein großer Teil noch nicht in das Stadium der Selbstbesinnung und inneren Einkehr eingetreten ist und das zum Teil in seinen Träumen eigentlich mehr darüber trauert, daß dieser Krieg verloren ging, als daß er überhaupt möglich war und geführt wurde. Dieses Volk hat zwar eine große Geschichte es Geistes und der Kultur, seine politische Geschichte ist aber eigentlich die Geschichte der militärischen Siege des Fürstentums und der Herrschaft gewesen. Wir haben heute noch eine Art, als Untertan zu fühlen und zu denken, die einfach unmöglich ist. [] N/0261 [] Ein sozialdemokratischer Funktionär, der mit einem Offizier der Besatzungsmacht spricht und der bei allem Anstand der Form, bei aller notwendigen Zurückhaltung, die einem Angehörigen einen besiegten Volkes geziemt, nicht doch den Mut hat, dasselbe zu sagen, was er auch in der Parteiversammlung sagt, gehört nicht zu uns. [] ... Wir haben manches Wort der Kritik an unserem Volk gesprochen. Laßt uns auch ein Wort der Anerkennung sagen. Wenn jemand von draußen nach Deutschland kommt, dann erlebt er sicher, wenn er fühlen kann und Fingerspitzengefühl hat, wenn er seelisch in den anderen eindringen kann, das große Wunder, daß nach 12 Jahren Diktatur noch so viele Menschen innerlich anständig geblieben sind. Und er erlebt das andere Wunder, daß auch Tapferkeit gezeigt wird. [] Letzten Endes zeigt auch der kleinste Mann in seiner Lebenshaltung, in seiner persönlichen Moral, in seiner Lebensführung, in der Art, wie er für seine Familie sorgt, eine Leistung, die so groß ist, daß wir für diesen Vorteil unseres Volkes und für diese Art deutsch zu sein, die Konkurrenz mit keinem anderen Volke zu scheuen brauchen. [] ... Wir werden erst wissen, woran wir sind, wenn wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, wenn wir genau wissen, woran wir sind. [] Das aber wird erst dann sein, wenn die Siegermächte eine gemeinschaftliche Regierung und Verwaltung für ganz Deutschland geschaffen haben und die Zonenregelung überwunden ist. [] Bis aber dieser Zustand geschaffen worden ist, solange können wir einfach nicht warten. Wir haben schlimme Probleme in Deutschland, aber das schlimmste ist das Siegerproblem, daß nämlich die Sieger in ihrer Politik keinen gemeinsamen Generalnenner haben. [] Wir sind zwar nur das Objekt der Militärregierung, aber wir melden heute an, daß wir dabei Subjekt sein wollen. [] ... Wir Sozialdemokraten sind völlig damit einverstanden, daß das gesamte Kriegspotential völlig vernichtet wird. Aber wir sind nicht damit einverstanden, daß man uns erzählt, ihr könnt mit jedem Hammer und Nagel auch Waffen schmieden. So geht das nicht. Man muß uns den Aufbau des deutschen Friedenspotential gestatten. Eine noch so große totale Demontage aller Industriezweige erreicht ja das eigentliche Ziel der Sicherheitspolitik nicht. [] Ein Volk von hungernden und verhungernden Menschen ist kein Sicherheitsfaktor, sondern ein Herd der Fäulnis und Zersetzung. [] Wir wollen diesen fürchterlichen Zustand gar nicht haben, daß heute die Sieger Reparationsleistungen an uns in Gestalt von Lebensmittel geben, sondern wir wollen mit unserer Eigenarbeit und Kraft diese Dinge leisten. [] ... Wir sind in einer Periode, in der nur ein radikaler Bruch mit den überkommenen Einkommensverhältnissen helfen kann. 35 % unseres Volkes besitzen heute noch alles, was sie einst hatten; 25 % haben fast nichts, aber doch die Möglichkeit, die allerschlimmsten Nöte auszugleichen, und 40 % haben gar nichts. [] Wir brauchen nicht nur die Kalorien des Weizens und den Fettes, sondern auch die politischen und moralischen Kalorien der Zuversicht und Hoffnung. Mit den Rationen von heute kann nicht gelebt werden. Man kann vielleicht vegetieren, aber nicht produzieren, und Produktion ist notwendig. [] Wir bekennen uns mit allem Nachdruck zu einem einheitlichen Deutschland. Ein neues Deutschland sieht seine Aufgabe darin, Bestandteil der vereinigten Staaten von Europa zu sein. Die Sozialdemokratie will eine bewußt internationale Politik, weil sie als erste Partei in Deutschland den Mut zu einer echten nationalen Selbstbehauptung hat. [] Würden Rhein und Ruhr aus dem nationalen Verband Deutschlands herausgenommen, dann hat die deutsche und die sozialdemokratische Politik überhaupt keinen Sinn mehr. [] Die politischen Konsequenzen einer solchen Balkanisierung sind gar nicht auszudenken. Die wirtschaftlichen Kräfte des Ruhrgebietes müssen zur Wiedergutmachung der Zerstörung Europas herangezogen werden. Eine internationale wirtschaftliche Kontrolle und Verteilung halte ich für richtig, aber an dieser Kontrolle müssen auch die Deutschen entsprechend ihrer Bedeutung beteiligt sein. [] So wie Europa das Ruhrgebiet braucht, so braucht Deutschland als Teil Europas die Mitbeteiligung am Ruhrgebiet. [] Wir wollen aber nicht den deutschen Kapitalisten gegen einen ausländischen Kapitalisten eintauschen, sondern wir wollen die Beteiligung der internationalen Regierungen und der internationalen Arbeiterschaft. Der Sozialismus ist die höchste Form der menschlichen Kultur. [] Ein freiheitliebendes, demokratisches und friedfertiges Deutschland ist eine wertvollere Reparation als alle Maschinen, die auf deutschem Boden stehen. [] Wir können nicht mehr in der Defensive bleiben, sondern müssen als Sozialdemokratische Partei offensiv werden. Das ist unsere Forderung und Haltung. Wir rufen das Volk: [] Schafft mit im kühnen Geist der Sozialdemokratie! [] Wählt SPD [] Landesvorstand der SPD - Verantwortl.: M. Albert, München, Schackstr 2.
Published:ca. 1946