"Verräter" am laufenden Band

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" [] am laufenden Band [] Warum wurde Müller, der 2. Vors. der KP, in Acht und Bann getan? [] Die...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1950
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/03F87536-5894-4D08-8A7B-E9A4B145968A
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" "VERRÄTER" [] am laufenden Band [] Warum wurde Müller, der 2. Vors. der KP, in Acht und Bann getan? [] Die Kommunistische Partei Westdeutschlands hat wieder ihre Sensation. Der 2. Vorsitzende, Kurt Müller, also der Mann, der gleich hinter Max Reimann kommt, wurde als "Agent und Provokateur entlarvt und aus der Partei ausgeschlossen. Da Müller Bundestagsabgeordneter ist, hat sein Fraktionskollege Renner am gleichen Tage dem Bundestagssekretariat ein Schreiben vorgelegt durch welches Müller seinen Rücktritt als Abgeordneter erklärt. Das Schreiben ist nicht von Müller selbst unterzeichnet, sondern trägt nur seine Faksimile-Unterschrift. [] Die kommunistischen Zeitungen Westdeutschlands veröffentlichen die Anschuldigungsrede Max Reimanns gegen seinen bisherigen Parteifreund. Wir sind an dem Inhalt dieser Rede verhältnismäßig wenig interessiert, da sie im wesentlichen eine Wiederholung der bereits langweilig gewordenen Anklagen gegen plötzlich entdeckte "Verräter, Agenten und Provokateure" enthält. Müller soll bewußt die Partei zersetzt, soll enge Beziehungen zu ausländischen Agenten unterhalten haben und - frei nach Max Reimann - sei überhaupt ein Subjekt, das die tiefste Verachtung der Arbeiterklasse der Welt verdiene. [] Das sind natürlich Redensarten. Denn wenn man überlegt, daß sogar der langjährige 2. Vorsitzende der Kommunistischen Partei Westdeutschlands ein Verräter gewesen sein soll, dann muß man sich fragen, wie diese Partei überhaupt an eine kontinuierliche Arbeit denken kann. Durchschnittlich wird jede Woche ein "Verräter" entdeckt, den man mit viel Tam-Tam aus der Partei hinausbefördert. Die Uebriggebliebenen schlagen sich an die Brust, bezichtigen sich selbst der "Unwachsamkeit" und geloben im Biedermannston, daß sie in Zukunft wachsamer sein werden. Während sie das proklamieren, knobeln in Moskau irgendwelche Leute schon aus, wer der nächste "Verräter" ist. [] Ein Satz in Reimanns Exposé ist aber doch sehr interessant: "Müller ist verantwortlich für die Einsetzung von Helmut Schmalz als Funktionär und Vorsitzender der niedersächsischen Landtagsfraktion, obwohl ihm die Vergangenheit von Schmalz, seine Mitgliedschaft in der trotzkistischen Organisation und sein Ausschluß aus der KP wegen Unterschlagung bekannt waren." [] Dieser Satz spricht Bände. Er bestätigt aus höchstem Munde, was bisher von jedem Kommunisten abgestritten wurde, was wir jedoch schon immer behaupten. Die Kommunisten wählen nicht ihre Funktionäre, sondern setzen sie ein. Kein Mitglied wird gefragt, ob der Mann für diese oder jene Funktion qualifiziert ist; er wird einfach eingesetzt und - wenn er nicht mehr artig - ist unter Anklage irgendwelcher "Verbrechen" wieder abgesetzt. [] Reimann, der 1. Vorsitzende der KP, bestätigt also öffentlich, daß die KP eine totalitäre Partei ist, die genau so wie die Nationalsozialisten ihren Funktionärkörper nicht wählt, sondern von einer vorgesetzten Stelle kommandiert. [] Man könnte beinahe annehmen, daß Max Reimann jetzt von Moskau unter Anklage "titoistischer Umtriebe" gestellt wird. Denn schließlich hat er durch seine Erklärung den Gegnern der Kommunistischen Partei eben Beweis für die undemokratische Organisation seiner Partei geliefert, wie sie von einem wirklichen Agenten nicht besser erfinden werden könnte. [] Es ist anzunehmen, daß der Hinauswurf Müllers noch andere Konsequenzen nach sich ziehen wird. Wir sind darüber unterrichtet, daß die Versetzung des früheren Landesvorsitzenden der KP in Rheinland-Pfalz, Prinz, nach Hamburg, die Absetzung Fellers als Chefredakteur der kommunistischen Zeitung "Neues Leben" und einige andere Vorgänge innerhalb der KP Westdeutschlands ursächlich mit dem Fall Müller in Zusammenhang stehen. [] Als Prinz vor einigen Monaten von Mainz nach Hamburg ging, war er bereits verdächtigt worden, mit Müller enge Beziehungen zu unterhalten. Er wurde damals zur Parteileitung berufen, einem hochnotpeinlichen Verhör unterzogen und schließlich über Nacht nach Hamburg geschickt. Dort sollte er beweisen, daß er guten Willens sei und Müllers Haltung nicht billige. [] Prinz, ein eifriger junger Mann aus der alten Kominternschule, machte sich dementsprechend ans Werk. Zunächst wurde er am dritten Tag nach seiner Ankunft in Hamburg einstimmig zum Landesvorsitzenden "gewählt". Dann begann er aufzuräumen. Er steigerte mit der ganzen Autorität Max Reimanns seinen Angriff gegen alte bewährte Kommunisten, die im Verdacht standen, mit Müller Beziehungen zu unterhalten, führte eine ganze Reihe von Ausschlußverfahren durch und nahm - was besonders interessant ist - einem Parteibefehl zufolge, enge Beziehungen zu ehemaligen Wehrmachtsoffizieren und Hitler-Jugend-Führern auf. [] Damit hatte Prinz bewiesen, daß er die neue Linie begriffen hat und ein sicherer Mann sei. [] Zu gleicher Zeit wurde ein Verfahren gegen Willi Feller eingeleitet. Auch Feller gehörte zum engeren Freundeskreis von Kurt Müller. Er wollte sich zunächst aus der Affäre ziehen, indem er sich selbst der Unwachsamkeit beschuldigte. Vorübergehend sah es so aus, als ob Max Reimann, der Oberkosak der KP Westdeutschlands, ihn noch etwas zappeln lassen wollte. Als Feller jedoch eines Tages von Spitzenfunktionären bei einem Rechtfertigungsversuch ausgelacht wurde und außerdem das "Verbrechen" beging, gegen verschiedene Parteianweisungen zu polemisieren, wurde er ausgekippt. [] Auch in diesem Falle erfolgte eine Einsetzung und Absetzung nach echt volksdemokratischer Methode. Kein Mitglied, nicht einmal der mittlere Funktionärkörper, wurde - weder im Fall Prinz noch im Fall Feller - nach seiner Meinung gefragt. Die Kommunisten von Rheinland-Pfalz erhielten erst durch ihr Parteiorgan Nachricht von der Abberufung ihrer Spitzenfunktionäre, die sie monate- und jahrelang tatsächlich für ihre unantastbaren Führer gehalten hatten. [] Was ist nun eigentlich der innere Grund für dieses Generalreinemachen? [] Vor ungefähr einem Jahr hatte Max Reimann, von einer Reise aus Moskau zurückgekehrt, verkündet, die KP müsse jetzt ihren Rahmen sprengen und in Kreise Eingang finden, die für den Kampf um die "nationale Befreiung" geeignet sind. Dazu gehören in erster Linie ehemalige Wehrmachtsoffiziere, Hitler-Jugend-Führer, hohe nationalsozialistische Polizeichefs und Geschäftsleute sowie mittlere Industrielle, die sich eine Verbesserung ihrer Geschäfte durch eine Steigerung des Ost- und Westhandels versprechen. [] An diesen Kreis kann man natürlich nicht mit der alten und bereits durch allzu viele Schwenkungen kompromittierten Funktionärgarde der KP herankommen. Sie muß in den Hintergrund treten, um "unbelasteten" Funktionären den Vortritt zu lassen. [] Unter "unbelastet" versteht die KP Leute, die von keiner grundsätzlichen ideologischen Erwägung beschwert sind, sondern nur den taktischen Anordnungen Moskaus gehorchen. [] Selbstverständlich haben alte, verdiente Funktionäre der KP den Versuch gemacht, gegen diese Art von Politik anzurennen. Sie haben sich die Köpfe eingerannt und sind einer nach dem andern als "Agenten entlarvt" und hinausgeworfen worden. Die Mitglieder werden immer erst nachträglich davon unterrichtet. [] Einmal mehr beweist die Kommunistische Partei durch diese "Abschießerei" ihrer Funktionäre, daß sie in der Spitze ideologisch völlig verlumpt ist und ihre Mitglieder und Anhänger lediglich als Instrumente zur Durchsetzung der außenpolitischen Interessen der Sowjetunion betrachtet und danach behandelt. [] Herausgeber: Vorstand der SPD
Published:1950