Arbeiter und Angestellte!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Risse Arbeiter und Angestellte! [] [] Der Herr Bundeskanzler regt sich mächtig auf, weil der DGB sich erlaubt hat, die Leistungen seiner Regierung und der Bundestagsmehrheit zu kritisieren und zu sagen, was ihm nicht gefällt. Herr Adenauer i...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/0D31A5BB-C373-4AAE-A367-5645E1A76320
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Risse Arbeiter und Angestellte! [] [] Der Herr Bundeskanzler regt sich mächtig auf, weil der DGB sich erlaubt hat, die Leistungen seiner Regierung und der Bundestagsmehrheit zu kritisieren und zu sagen, was ihm nicht gefällt. Herr Adenauer ist sehr empfindlich, wenn man gegenüber seiner Militärpolitik und der sog. EVG mißtrauisch ist. Er verlangt vom DGB politische Neutralität, während er sich die Wahlpropaganda für seine Partei von den Unternehmerverbänden bezahlen läßt. Von was bezahlen denn die Unternehmerverbände den Regierungsparteien Millionenbeträge? [] [] Es ist der vorenthaltene Lohn und das Gehalt, [] die in die Wahlkassen der Koalitionsparteien fließen, weil sich das für die Unternehmerinteressen rentiert. Und da will man Euch das Maul zubinden und droht mit der Spaltung der Gewerkschaft! [] Kolleginnen und Kollegen! Solange Unternehmer und Kirchen CDU-Propaganda machen, solange habt Ihr als organisierte Arbeiterschaft auch das Recht, frei und offen Eure politische Meinung zu äußern. [] Da sitzt in Bonn ein Professor, der sich als die Hebamme des sog. Deutschen Wirtschaftswunders vorkommt. Jeder Lehrling weiß, daß ohne den Fleiß der Arbeiter und Angestellten das ganze Geschwätz vom Deutschen Wirtschaftswunder kalter Kaffee wäre. Gewiß hat sich das Sozialprodukt, das ist die Summe aller erzeugten Güter und Werte, von 79,8 Milliarden auf 125,6 Milliarden gesteigert, aber wesentlich für die Arbeitermassen ist, wie dieses Sozialprodukt verteilt wird! [] Und siehe da, hinter der Fassade sieht es anders aus: Anteil der privaten Verbraucher am Sozialprodukt [] 1936 62,2% [] 1949 65,8% [] 1952 56,6% [] Berechnet man diesen privaten Verbrauch nach Preisen, so verbrauchte jeder Deutsche [] 1938 905.- DM [] 1952 817.- DM [] Das heißt, daß der Verbraucher 1952 trotz Wirtschaftswunder rund 100 DM wenig er verbrauchen konnte. Hier liegt der Hase im Pfeffer! Hier zeigt sich, wie die Bevölkerung über die Lohn-Preisdifferenz und über die unsozialen Verbrauchssteuern geschröpft worden ist. Diese Verbrauchssteuern sind ein Thema für sich. Bekanntlich hat die Bundesregierung die Umsatzsteuer von 2 bis 4% erhöht. [] Wir sind nicht so naiv, daß wir glauben, man könne ganz ohne solche Steuern auskommen. Nein, aber man muß bei der Steuergesetzgebung die wirtschaftlich Schwachen schonen und die wirtschaftlich Starken mehr heranziehen. Das geschieht, indem man die direkten Steuern erhöht und die indirekten Steuern niedrig hält. Was tat die Bundesregierung? Sie machte das Gegenteil, sie senkte die direkten Steuern und erhöhte die indirekten Steuern. Der Finanzbedarf des Bundes wurde wie folgt gedeckt: [] 1949 zu 48% aus Einkommensteuern - 52% aus allgemeinen Verbrauchssteuern [] 1951 zu 39% aus Einkommensteuern - 61% aus allgemeinen Verbrauchssteuern [] Seht Euch diese Zahlen an! Sie zeigen nicht nur, daß der Staat an jeder Zigarette mitraucht, an Zucker, Kaffee, Bier, kurz an allen Waren des täglichen Bedarfs mitbeteiligt ist, sondern sie zeigen, daß jede Lohnerhöhung durch eine Erhöhung der Verbrauchssteuern sofort wieder aufgehoben wird. Und das, Kolleginnen und Kollegen, ist der Betrug, den wir Sozialdemokraten dieser Bundesregierung und ihren Koalitionsparteien vorwerfen! [] Eine vierköpfige Arbeiterfamilie muß nämlich 44%, eine zwei- bis dreiköpfige Rentnerfamilie sogar 50,5% ihres Einkommens allein für Lebensmittel ausgeben. Folgender Vergleich zeigt, wie der deutsche Arbeiter gegenüber seinen ausländischen Kollegen benachteiligt ist. [] Für den Lohn aus einer Arbeitsstunde kann sich der Industriearbeiter kaufen: [] In der Bundesrepublik In England In USA [] Weißbrot 1,8 kg 4,8 kg 4,7 kg [] Zucker 1,3 kg 2,7 kg 8,0 kg [] Rindfleisch 0,4 kg 0,8 kg 1,0 kg [] Schweinefleisch 0,3 kg 0,7 kg 0,9 kg [] Butter 0,2 kg 0,5 kg 0,9 kg [] Margarine 0,7 kg 1,2 kg 2,1 kg [] Milch 3,9 Liter 3,7 Liter 7,9 Liter [] Eier 6 Stück 9 Stück 23 Stück [] Wir fragen: Ist der deutsche Arbeiter und Angestellte fauler oder dümmer, als sein englischer und amerikanischer Kollege? Nein, er arbeitet genau so wie jene und wird nur durch die raffinierte Lohn-Preisdifferenz des Herrn Professors um den Ertrag seines Fleißes betrogen. Man sieht es ja überall, daß ein Händler noch kurzer Zeit eine Bretterbude in einen modernen Verkaufsraum umbauen, sogar mit dem eigenen Wagen fahren kann. Es gibt tausend Beispiele dafür. Wir mißgönnen niemand die Früchte seiner Arbeit, aber es soll alles sein richtiges Verhältnis haben. Wenn man dann noch zusehen muß, wie Arbeiter und Angestellte im Alter mit einer lächerlichen Rente abgespeist werden, obwohl sie ihr ganzes Leben lang in die Versicherung gezahlt haben, dann muß man erkennen, daß das ganze System falsch ist. Wir lehnen dieses System ab und ersetzen es durch ein besseres. Eine Wirtschaftsordnung der Vollbeschäftigung, in der derjenige, der die Werte schafft, auch entsprechend berücksichtigt wird. Wir wollen uns nicht auf ein besseres Jenseits vertrösten lassen, sondern wir wollen, daß bereits das Diesseits so gestaltet wird, daß man darin menschenwürdig leben kann. Am 6. September habt Ihr Gelegenheit dazu. [] [] Nehmt Eueren Stimmzettel und helft, der SPD eine bessere Regierung bilden! [] Wir versprechen keine Wirtschaftswunder, aber wir halten unser Wort.
Published:06.09.1953