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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; An der Zonengrenze Deine Heimat darf kein Armenhaus werden! In den Zonenrandgebieten wächst die Not - Die Bundesregierung versagt auch in dieser gesamtdeutschen Aufgabe - Die SPD ergreift nach jahrelangem Kampf von neuem die Initiative [] In den Zonenrandgebieten wächst die Not. Von der Ostsee bis Passau droht entlang der Zonen- und der tschechischen Grenze über mehr als 1700 Kilometer ein etwa 50 Kilometer breiter Streifen westdeutschen Gebietes zu einem wirtschaftlichen Ödland zu werden. Die Länder Schleswig - Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern stöhnen unter ,der Dauer-Arbeitslosigkeit in ihren Zonenrandgebieten. Industrie, Handwerk und Handel erliegen der schleichenden Existenzkrise und können im Wettbewerb nicht mehr bestehen. Immer mehr Betriebe wandern nach Westen ab, ihre Zahl geht schon in die Hunderte. Tausende von Arbeitsplätzen gehen verloren. Die Landwirtschaft, vor allem in den kleinen Betrieben, leidet bittere Not. Die Straßen werden immer schlechter. Die Schulen können ihre Erziehungsaufgabe nicht mehr erfüllen. Von Lübeck bis Passau droht das Zonenrandgebiet zum "Armenhaus" der Bundesrepublik zu werden - 7 Millionen deutsche Menschen müssen ohne eigene Schuld schlechter leben als ihre Brüder und Schwestern in den übrigen Gebieten Westdeutschlands! Was aber unternimmt die Bundesregierung in Bonn? Wo bleibt die Verwirklichung der vielen Hilfe-Versprechungen der Regierung Adenauer-Erhard? Die Bewohner der Zonenrandgebiete von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern können die Antwort am besten selbst geben: Von Bonn ist bis heute keine wirklich durchgreifende und dauerhafte Hilfe gekommen! Die Regierung Adenauer hat auch in dieser - nach Berlin und der sowjetisch besetzten Zone - dritten großen gesamtdeutschen Frage, der Frage der Zonenrandgebiete, versagt - aus rein fiskalischen Überlegungen, aus Unentschlossenheit, vielleicht auch deshalb, weil sie [] dem verfehlten Experiment der "Integration" den absoluten Vorrang vor allen gesamtdeutschen Fragen gab. Soll das so weitergehen? Soll die Not im Zonenrandgebiet weiter steigen? Nein! Die Zonenrandgebiete Westdeutschlands dürfen nicht zum "Armenhaus" der Bundesrepublik werden! Seit Jahren kämpft die SPD im Bundestag dafür, daß die Bundesrepublik ihre nationalpolitische Verpflichtung für die politische, soziale und wirtschaftliche Sicherung Ihrer Zonenrandgebiete erfüllt. Seit Jahren verlan,gt die SPD, "daß die Bundesrepublik entscheidendes Gewicht auf die besondere Betreuung und Förderung der Gebiete legt, die auf dieser Seite der Zonengrenze liegen und die bei einer aktiven Politik in der Richtung der Wiedervereinigung Deutschlands planmäßig gestützt werden müssen, damit sie zu den wirtschaftlich kräftigsten und sozial widerstandsfähigsten Gebieten dieses Teiles Deutschlands werden." (Erich Ollenhauer am 7. Juni 1953 in Kassel.) [] Das ist das Ziel der SPD für die Zonenrundgebiete: Nicht das "Armenhaus" der Bundesrepublik! Sondern - neben und mit Berlin - das "Schaufenster" einer freien, allerdings aber auch sozial und wirtschaftlich gerechten Demokratie nach Osten! Am 2. Juli 1953 beschloß der erste Deutsche Bundestag auf Grund der unermüdlichen Initiative der SPD ein Sechs - Punkte -Förderungs-Programm für die Zonenrandgebiete. Wenige Wochen vor dieser Bundestagssitzung, am 7. Juni 1953, fand in der nordhessischen Zonenrandstadt Kassel unter der Leitung des SPD-Vorsitzenden Ollenhauer eine Arbeitstagung der sozialdemokratischen Zonenrandgebiet-Experten aus Bund und Ländern statt. Der Oppositionsführer, der hessische Ministerpräsident Zinn und der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, Abg. Wehner, stellten in einer Zwischenbilanz die Forderungen der SPD und die Leistungen der Bundesregierung einander gegenüber. Das Ergebnis war niederschmetternd. Die sozialdemokratischen Experten mußten feststellen, daß sich die Bundesregierung niemals zu einer Hilfsmaßnahmen aufgerafft hatte, die über das Zustopfen eines besonders klaffenden Loches hinausgereicht hätte. Die Bundesregierung blieb in ihrer "Hinwurstel"-Politik des Pflaster-Klebens hängen, ja, sie hatte bis dahin nicht einmal ein Grundsatzprogramm zur wirtschaftlichen Förderung der Zonenrandgebiete aufgestellt. Die Bundesregierung, verließ sich blind auf das "deutsche Wunder", das ihrer Meinung nach auch im Zonenrandgebiet irgendwann einmal zur Auswirkung kommen würde. Die SPD-Abg. Wehner, Prof. Gülich und Dr. Bleiß hatten in jener Kasseler Tagung vom Juni 1953 aber nicht nur die Bundesregierung kritisiert, sondern, der verpflichtenden Aufgabe der SPD als aufbauender Opposition entsprechend, auch ein detailliertes Grundsatzprogramm zur Förderung der Zonenrandgebiete aufgestellt, nachdem die SPD bereits im Jahre 1952, und damals leider vergeblich dem Bundestag eine Reihe von Anträgen dieser Art unterbreitet hatte. Dieses SPD-Programm sollte nach den Jahren des Versagens der Regierung Adenauer auch im Zonenrandgebiet mit den von der Bundesregierung so sehr beliebten Proklamationen und Deklamationen endgültig Schluß machen und sie endlich zu Taten veranlassen. Als aber die Bundesregelung wiederum schwieg, ergriff die SPD angesichts der zunehmenden Not in den Zonenrandgebieten von neuem die Initiative. Der Beschluß des Bundestages vorn 2. Juli 1953 sah folgende Minimalforderungen vor: 1. Die Gewährung einer Frachtkostenbeihilfe von 15 Millionen DM 2. Die Senkung der Gewerbesteuerhebesätze 3. Die Bildung steuerfreier Investitionsrücklagen 4. Die Zulassung von Sonderabschreibungen auf Anlagewerte 5. Allgemeine Förderungsmaßnahmen 6. Kulturelle Hilfsmaßnahmen auf die Dauer von 5 Jahren, jährlich mit einer Summe von 25 Millionen DM [] Am 19. August 1953 beschäftigte sich das Bundeskabinett dann endlich auch mit diesen Programm des Bundestages und - strich es rücksichtslos zusammen, wobei die Regierung wieder einmal gegen ihre Verpflichtung verstieß, Aufträge des Bundestages ausführen zu müssen. Die Frachtkostenhilfe wurde von 15 auf 5 Millionen DM herabgesetzt, die Bildung steuerfreier Rücklagen und die kulturellen Hilfsmaßnahmen überhaupt weggelassen und die Steuerrnaßnahmen in bloße Empfehlungen an die Länder umgewandelt. Wenn aber auch die Taten der Bundesregierung fehlten - ihre Propaganda-Maschine lief auf hohen Touren: am 19. August 1953, also knapp drei Wochen (!) vor den Bundestagswahlen vom 6. September 1953, wurde noch ganz rasch ein aus allgemeinen Phrasen bestehendes "Programm" der Bundesregierung für die Zonenrandgebiete veröffentlicht, und am 20. Oktober 1953 wurden diese Gebiete auch in der Regierungserklärung der zweiten Regierung Adenauer mit neuen großen Versprechungen bedacht. Und wieder müssen wir fragen: Was geschah dann wirklich? Welche praktische Konsequenzen hat die Regierung Adenauer seither aus ihren Proklamationen und Deklamationen gezogen? Lassen wir die Abgeordneten der Koalitionsparteien der Regierung Adenauer sprechen (nach dem Protokoll der 31. Sitzung des zweiten Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1954), Abg. Dr.-Ing. Drexel (FDP): "Die Beschlüsse des Bundestages vom 2. Juli 1953 haben zu sehr vielen Denkschriften, zu sehr vielen Kommissionen, zu Bereisungen und interministeriellen Beschlüssen geführt, aber die praktischen Folgerungen sind sehr kläglich gewesen." Abg. Dr. Henn (FDP): "Tatsächlich ist der Bundestagsbeschluß vom 2. Juli vergangenen Jahres nicht oder nur zum Teil verwirklicht worden." Frau Abg. Dr. Bröckelschen (CDU/ CSU): "Ich stimme den Herren und Damen der Opposition absolut darin zu, daß das Programm vom Juli 1953 im Zonenrandgebiet eine große Hoffnung erweckt hat. Und nun stellen wir alle miteinander fest, daß an die Stelle dieser Hoffnung weitgehend Hoffnungslosigkeit getreten ist und daß eine Reaktion eingesetzt hat, die wir aus einer Reihe von Gründen, vor allen Dingen aus politischen Gründen, nicht für wünschenswert halten." - (Zu der Mitteilung, daß der Sonderminister Kraft ein Memorandum über das Zonenrandgebiet schreibe): "Wir brauchen kein Memoranda mehr, von irgendwelcher Seite, auch nicht von einem Mitglied des Bundeskabinetts. Wir haben mehr Memoranda, als wir lesen können. Was nottut, ist, daß Mittel bereitgestellt werden und daß im Rahmen der Mittel das geschieht, was geschehen muß und was von uns allen sachlich verantwortet werden kann." Abg. Seyboth (BHE): "Es ist aber bedauerlich, daß wir heute, zehn Monate nach dies ein Bundestagsbeschluß, fragen müssen, was denn eigentlich im Verfolg dieses Beschlusses an wesentlichen Maßnahmen veranlaßt worden ist. - Es kann im Zonenrandgebiet mit den Maßnahmen, die beschlossen werden sind, nicht länger zugewartet werden." So sehen die "Taten" der Regierung Adenauer im Urteil der eigenen Koalitionsparteien aus (wobei nicht vergessen werden soll, daß die Deutsche Partei nicht einmal im Schatten der "größeren Brüder" den Mut auch nur zu einem einzigen Wort der eigenen Meinung aufgebracht hat!). Auf gut Deutsch heißt das: Die Regierung Adenauer hat in der Frage der Zonenrandgebiete schmählich versagt, sie hat mit ihrem eiligen "Programm" zur Bundestagswahl und in ihrer Regierungserklärung nur leeres Propaganda-Stroh gedroschen, sie hat sich als unfähig oder als unwillig gezeigt, den Menschen in den notleidenden Zonenrandgebieten wirklich mit handfesten und spürbaren Taten zu helfen! Am 26. Mai 1954 trat der zweite Deutsche Bundestag zu einer Art Sondersitzung zusammen, deren Tagesordnung im wesentlichen der Beratung der Probleme der Zonenrandgebiete galt. Dem Bundestag lagen je eine große Anfrage der SPD und der FDP sowie sechs Anträge der SPD und auch ein Antrag der CDU/CSU vor. Die Bundesregierung bewies ihr "Interesse" an diesem lebenswichtigen Problem der Bundesrepublik und an dieser dritten großen gesamtdeutschen Frage in unübersehbarer Eindeutigkeit. Die Regierungsbank war kaum besetzt, der Bundesfinanzminister gab nur kurze Gastrollen und als Sprecher der Regierung trat zur Beantwortung der beiden großen Anfragen ein Ministerialbeamter, der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Dr. Westrick, vor das Hohe Haus. Die Notwendigkeit, ein besonderes Interesse der Bundesregierung zu bezeugen, bestand ja wohl auch nicht mehr: die Bundestagswahl war gewonnen worden und der Kanzler hatte andere Sorgen. Am 12. Juli 1953 hatte der Kanzler in Regensburg zwar noch erklärt, die Sorge der Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse am Eisernen Vorhang beschäftige ihn schon lange und die Bundesrepublik sei verpflichtet, Hilfe zu bringen. Das lag aber am 26. Mai 1954 und nach dem 6. September 1953 schon so weit zurück, daß es nunmehr zu genügen schien, wenn man die peinliche Frage, was die Bundesrepublik nun eigentlich wirklich für die Zonenrandgebiete getan habe, von einem Staatssekretär beantworten ließ. Und was Herr Dr. Westrick sagte, war - abgesehen von der kühlen Sachlichkeit se,iner Ausführungen, die sogar von der CDU öffentlich als "spürbare Teilnahmslosigkeit" gerügt wurde - so fadenscheinig, daß sich auch die Koalitionsparteien empörten. Mit lautem Protest wiesen nicht nur die sozialdemokratischen Abgeordneten, sondern auch die Sprecher der Koalitionsparteien, die Behauptung des Staatssekretärs zurück, daß die Arbeitslosigkeit im Zonenrandgebiet stark zurückgegangen sei und im September 1953 nur noch 9,9 v. H. betragen habe. Der CDU/CSU-Abg. Dr. Dittrich stellte fest, daß diese Behauptung des Staatssekretärs in keiner Weise mit der Wirklichkeit übereinstimme. Im Arbeitsamtsbezirk Deggendorf betrage der Arbeitslosenanteil 33,1 v.H., im Arbeitsamtsbezirk Cham 35,8 v.H., in den Landkreisen Viechtach 39 v. 11.. Grafenau 39,6 v. H., Kötzting 41,6 v. H. und Wolfstein 44,6 v. H. Der SPD-Abg. Höhne teilte mit, daß in der Stadt Cham die Arbeitslosigkeit von 30,8 v. H. im Jahre 1949 auf 40,2 v. I-1. im Jahre 1953 gestiegen sei, in der Stadt Deggendorf von 30 auf 38 v. H. und in der Stadt Weiden von 7,1 auf 22,8 v. H. - und das in den Jahren des "deutschen Wunders"! In Kötzing seien in den letzten 4,5 Jahren 49 v. H. der Bevölkerung Fürsorgeempfänger gewesen, und sie hätten auch in den nächsten 4,5 Jahren keine Aussicht, Arbeit zu bekommen, wenn nicht eine grundsätzliche Änderung in der Zonenrandgebiet-Politik eintrete. Im Durchschnitt gebe es von Passau bis Hof eine Fürsorgeziffer von 30 v. H. Daß es in den Zonenrandgebieten der anderen Länder am Eisernen Vorhang ebenso oder ähnlich liege, wurde von den Abgeordneten mit Nachdruck festgestellt. Die verniedlichenden Erklärungen des Staatssekretärs Dr. Westrick über die vor allem von den SPD-Abgeordneten, aber auch von den Sprechern der anderen Parteien (Frau Abg. Dr. Bröckelschen, CDU, sprach von "Bagatellisierung") beklagte Abwanderung von Betrieben aus den Zonenrandgebieten nach Westen wurden ebenfalls unter Protest zurückgewiesen, Hunderte von Arbeitsplätzen seien in Wirklichkeit auf diese Weise verlorengegangen, erklärte der SPD-Abg. Dr. Bleiß. Allein aus Oberfranken seien bisher 50 Betriebe "verlagert" worden, gab der SPD-Abg. Behrisch bekannt, darunter Unternehmen bis zu 90,0 Arbeitern und Angestellten. Dem Kreise Helmstedt (Niedersachsen) seien durch Betriebsabwanderungen in drei Jahren mindestens 3000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Schon diese wenigen Beispiele., die sich durch Belege aus allen anderen Teilen der Zonenrandgebiete beliebig erweitern lassen, bewiesen die Spiegelfechterei, mit der die Bundesregierung die ungeheure wirtschaftliche Gefährdung der Zonenrandgebiete vor dem Bundestag tarnen wollte. Als einziges Positivum - und auch das nur unter Druck! - warf die Bundesregierung in der Bundestagsdebatte vom, 26. Mai 1953, in der ihr vor dem ganzen deutschen Volke das völlige Versagen in der Frage der Zonenrandgebiete nachgewiesen wurde, den Haushaltsbetrag von 120 Millionen DM in die Waagschale, die der Behebung wirtschaftlicher Mängel allerdings nicht nur im Zonenrandgebiet, sondern auch in anderen wirtschaftlich bedrohten Gebieten etwa an der Westgrenze der Bundesrepublik dienen sollen. Unbeantwortet ließ der Staatssekretär aber die Frage, ab wann denn diese 120 Millionen DM wirklich verfügbar seien, und unberichtigt blieb seine Feststellung, es könne nicht davon ausgegangen werden, daß im Bundeshaushalt 1955 wiederum 120 Millionen DM bereitstehen würden. Am 10. Juli 1954 wurde schließlich ein CDU-Antrag eingereicht, der sich im wesentlichen auf die Forderung an die Bundesregierung beschränkt, auch in den kommenden Jahren eine entsprechende Summe zur Förderung der Zonenrandgebiete einzusetzen. Diese 120 Millionen DM sind also alles, was die Regierung Adenauer für das laufende Haushaltsjahr zur Behebung der ungeheuren wirtschaftlichen und sozialen Not in den Zonenrandgebieten und zugleich zur Förderung des wirtschaftlichen Aufbaus dieser Gebiete (- und nicht nur dieser Gebiete allein! -) bereitstellt! 120 Millionen DM für sieben Millionen Menschen, die seit Jahren unter härtestem wirtschaftlichem und politischem Druck leben, deren Betriebe ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, deren Straßen immer schlechter werden, deren Schulen in einem bejammernswerten Zustand sind! Mit einmal 120 Millionen DM will die Regierung, Adenauer ihre jahrelangen Versäumnisse ungeschehen und vergessen machen, mit diesen 120 Millionen DM will sie sich von ihrer geschichtlichen Verpflichtung für die so sehr bedrohten Zonenrandgebiete loskaufen! Mit 120 Millionen DM aus einem Gesamtbundesetat von 27 Milliarden DM! Es kann und wird der Bundesregierung Adenauer nicht gelingen, dieses "Loskauf"-Geschäft zu machen, mit dem sie ihrer nationalpolitischen Verantwortung entrinnen möchte! In den zuständigen Ausschüssen des Bundestages liegen gegenwärtig noch die sechs Anträge der sozialdemokratischen Fraktion, die ihnen vom Plenum des Bundestages am 26. Mal 1954 zur Beratung überwiesen worden sind. Diese Anträge, die - soweit es in der Macht der SPD-Bundestagsfraktion liegt - in möglichst kurzer Zeit dem Plenum zur Beschlußfassung zurückgegeben werden sollen, stellen ein konkretes Sofortprogramm für die Zonenrandgebiete dar. Sie sehen in knapper Darstellung folgende Maßnahmen vor: Ein Sechs-Punkte-Programm [] 1. Herabsetzung der Umsatzsteuer für alle Betriebe der Zonenrandgebiete auf die Hälfte der Sätze Durch diese Maßnahme sollen die Zonenrandgebiets-Betriebe einen echten und allgemeinen Wettbewerbsvorteil erhalten, es soll der Abwanderung der Betriebe nach dem Westen entgegengewirkt und eine allgemeine Belebung der Wirtschaftstätigkeit im Zonenrandgebiet erreicht werden. Diese Maßnahme kann sofort wirksam werden, und sie ist eine echte Leistung des Bundes, ohne daß die notleidenden Gemeinden der Zonenrandgebiete und die Länder betroffen werden. 2. Kredithilfe für die mittelständische Wirtschaft im Zonenrandgebiet in Höhe von 50 Millionen DM Diese Maßnahme soll den notleidenden, aber soliden kleinen und mitt1eren Handwerks-, Industrie- und Handelsbetrieben, die als festes Rückgrat der deutschen Wirtschaft gelten, über die existenzgefährdende Krise hinweghelfen und ihr weiteres Absinken verhindern. Die Kredite sollen mit 4 v. H. verzinst und nach einer tilgungsfreien Zeit von drei Jahren in 10 gleichen Jahresraten zurückgezahlt werden. Sie sollen zur Investition oder als Betriebsmittel oder als Umschuldungskredit gegeben werden, wobei eine Höchstgrenze von 50.000 DM nicht überschritten werden soll. 3. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet in Höhe von 60 Millionen DM Dieser Betrag soll der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen im Notstandsgebiet entlang des Eisernen Vorhangs dienen, wobei an Meliorationen und Verflutungen, an den Bau von Wasserleitungen und Kanalisationen, an die Errichtung von Wohnungen usw. gedacht wird. Die SPD hat in der Begründung gerade dieses Antrages darauf hingewiesen, daß die vier westdeutschen Länder, in denen die Zonenrandgebiete liegen, zu den Ländern mit der größten Dauei'arbeitslosigkeit und zugleich zu den Ländern mit der größten Vertrie,benenzahl gehören. 4. Straßenbau im Zonenrandgebiet in Höhe von 65 Millionen DM Die wirtschaftliche Notlage des Zonenrandgebietes ist zu einem nicht geringen Teil auf die verkehrswirtschaftlichen Schwierigkeiten zurückzuführen, d.ie im wesentlichen aus der Blockierung der Verkehrsverbindungen durch d-ie Zonengrenzziehung entstanden sind. Diese Verkehrsschwierigkeiten sind eine echte Kriegsfolgelast und müssen daher in erster Linie vom Bund selbst beseitigt werden. Die SPD hat durch ihre Fachleute die dringendsten Straßenbauprobleme in den vier Ländern untersuchen und dabei feststellen lassen, daß für den Bau und die Verbesserung dieser Straßen, insbesondere auch von Landstraßen erster und zweiter Ordnung, ein Betrag von zunächst 65 Millionen DM bereitzustellen ist. 5. Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft im Zonenrandgebiet Durch diesen Antrag bezweckt die SPD die Fortführung der Bundeshilfen des Jahres 1952, die der Abgeltung für Ernteverluste im Zonenrandgebiet dienen sollen, die durch die strengen Zonensperrmaßnahmen der Pankower Regierung entstanden sind. Im einzelnen fordert die SPD, daß die Pachtaufwendungen für verlorengegangene Eigenflächen zu vergüten und daß an Betriebe, die keine Pachtflächen erhielten, Wirtschaftsbeihilfen zu gewähren sind. Nach den vorliegenden Schätzungen handelt es sich um etwa 2200 landwirtschaftliche, meist kleinbäuerliche Betriebe. Diese Maßnahme kann nicht als Generalentsentschädigung angesehen werden, sondern soll nur die dringendste Not lindern. [] 6. Kulturelle Hilfsmaßnahmen im Zonenrandgebiet in Höhe von jährlich 25 Millionen DM [] Dieser Programmpunkt war bereits im Minirnalprogramm des Bundestages vom 2. Juli 1953 enthalten, aber von der Bundesregierung kurzerhand gestrichen worden. Die Bereitstellung dieses Betrages für die Zeit von zunächst fünf Jahren ist aber angesichts der Mißstände im gesamten Schulwesen der Zonenrandgebiete dringend erforderlich. Vor allem die Volkeschulklassen sind z. T. überfüllt, ja, in einigen Bezirken des Zonenrandgebietes fehlen die Volksschulen überhaupt. Auch bei den Mittelschulen und höheren Lehranstalten, bei den Berufs- und Fachschulen sind ähnliche schwerwiegende Mißstände vorhanden. Dazu kommt noch die Forderung nach Förderung der Büchereien, der Jugendheime, Jugendherbergen, Turnhallen uncl Sportplätze. Mit Nachdruck wurde von der SPD gegenüber der ständigen Beteuerung der Bundesregierung, es fehle an finanziellen Mitteln, auf den 10-Millionen-DM-Geheimfonds des Bundeskanzlers hingewiesen, aus dem mit einigem guten Willen gerade für diesen kulturellen Sektor der Zonenrandgebiete zumindest soviel abgezweigt werden könnte, daß der dringendsten kulturellen Not gesteuert werden könnte. Hier wäre das verfügbare Geld jedenfalls erheblich besser anzuwenden, als für die Propagierung der außenpolitischen Fehlexperimente der Bundesregierung. Die SPD ist gich völlig darüber klar, daß auch diese sechs Programmpunkte noch nicht ausreichen, um die ganze Not in den Zonenrandgebieten zu lindern. Zu der materiellen Ausweitung dieses Sofortprogramms müßte, wie der SPD-Abg. Wehner schon auf der Kasseler Tagung vom Juni 1953 betont hatte, die direkte Beauftragung eines der Ressortminister mit der vollen Verantwortlichkeit für die gesamten Zonenrandgebiet-Hilfsmaßnahmen hinzukommen. Außerdem sollte ein besonderer Bundesbevollmächtigter eingesetzt werden, der weitgehende Befugnisse erhalten sollte und dem zuständigen Ressortminister verantwortlich wäre. Aber die Verwirklichung dieses Sechs-Punkte-Programms und seine Durchführung wäre ein erster Anfang, ein tatkräftiger Beginn und eine wirkliche Hoffnung für die Menschen in den Zonenrandgebieten, die nun schon durch Jahre hindurch die beklagenswerten Opfer der billigen Versprechungs-Propaganda der Budesregierung geworden sind. Auf diesen ersten Anfang könnte man mit Hilfe der Zonenrandbevölkerung und der betroffenen Länder weiter tatkräftig aufbauen, um den grauen Schatten der dem Zonenrandgebiet drohenden Gefahr, das "Armenhaus"der Bundesrepublik zu werden, endgültig zu verjagen. Wenn dieses Ziel erreicht werden soll, dann muß aber die Bevölkerung der Zonenrandgebiete durch ihre Stimmabgabe in den bevorstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, in Hessen, in Bayern und in Niedersachsen der Sozialdemokratisehen Partei Deutschlands die Möglichkeit geben, als der Sprecher auch der Zonenrandgebiete, für die sie sich stets mit aller Energie eingesetzt hat, die Bundesregierung immer von neuem an ihre nationalpolitischen Aufgaben zu erinnern und sie zu wirklichen Hilfsmaßnahmen veranlassen zu können. Das unabhängige Godesberger Institut für Raumforschung hat vor wenigen Wochen festgestellt: "Es kann, wenn schon in der sowjetischen Besatzungszone ein breiter toter Streifen entlang der Zonengrenze geschaffen wird, nicht die Aufgabe einer Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sein, diesseits des Eisernen Vorhanges einen Streifen wirtschaftlicher Verödung zuzulassen." Eine starke Sozialdemokratie kann und wird als aufbauende Opposition dafür Sorge tragen, daß der Bundesregierung eine solche "Verödungs"-Politik unmöglich gemacht wird. Die SPD hat die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit zu ihrern Programmpunkt Nummer eins gemacht und hat sich darin durch nichts und durch niemanden erschüttern lassen. Eine breite und wirksame Förderung der Zonenrandgebiete auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet ist eine bedeutungsvolle Teilaufgabe der Wiedervereinigungspolitik und nicht von ihr zu trennen. Der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer hat die große nationalpolitische Bedeutung dieser Hilfe für das Zonenrandgebiet klar umrissen, wenn er im Juni 1953 in Kassel erklärte: "Die Bundesrepublik muß gegenüber den Randgebieten auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens eine aktive, eine positive Politik treiben, die es deutlich macht, daß nicht nur in der Proklamation, sondern auch im praktischen Verhalten der Bundesrepublik die Zonengrenze immer nur als ein Provisorium bestehen bleibt." Und der Oppogitionsführer rief schon damals der Bundesregierung und allen Deutschen in Westdeutschland zu: "Die Politik für die Einheit Deutschlands beginnt zu Hause!" Damit meinte er, daß der materielle und geistige Zustand der Menschen in den Zonenrandgebieten so zu gestalten sei, "daß in den Menschen, die hier an der Grenze einer anderen Welt leben, ein Bewußtsein der Sicherheit, ein Bewußtsein der Bejahung demokratischer Lebensform lebendig ist, daß etwa zu vergleichen wäre mit dem Geist, der die Berliner Bevölkerung im Jahre 1948 veranlaßt hat, ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit zu verteidigen!" Diese Sicherheit ist für die deutsche Sozialdemokratie in erster Linie gleichbedeutend mit dem Begriff der sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit und Gerechtigkeit. Erst wenn sie gegeben sind, wenn sie ein fester Bestandteil des Lebens in der westlichen Demokratie sind, dann erst wird jeder deutsche Demokrat und jeder demokratische Deutsche gerade auch in den Zonenrandgebieten bereit sein, auch mit der Waffe in der Hand für den Bestand und für die Erhaltung der Demokratie einzutreten. Soziale und wirtschaftliche Sicherheit und Gerechtigkeit auch in den Zonenrandgebieten! Für dieses große nationalpolitische Ziel kämpft die Sozialdemokratische Partei Deutschlands! Sie kämpft in den Ländern und im Bund für jeden von Euch! Sie kämpft dafür, daß Eure Heimat kein "Armenhaus", sondern ein blühender Teil eines blühenden Gesamtdeutschlands wird! Die SPD kämpft für Dich! Kämpfe Du mit der SPD! Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn Druck: Haase-Druck GmbH., Kiel
Published:12.09.1954 - 28.11.1954