Thema des Tages: Bilanz der "freien Wirtschaft"

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Bilanz des Tages: [] Bilanz der "freien Wirtschaft" [] Wer sieht, wie die deutsche Wirtschaft jeden Tag mehr in eine waschechte Krise gleitet, wird volles Verständnis dafür haben, daß die politischen Parteien, die für diese Entwick...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand, Kriedemann, Herbert, Buchdruckwerkstätten Hannover GmbH
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1948 - 1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/86D2A6B2-E12B-41B9-856C-FC70D83CC04E
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Bilanz des Tages: [] Bilanz der "freien Wirtschaft" [] Wer sieht, wie die deutsche Wirtschaft jeden Tag mehr in eine waschechte Krise gleitet, wird volles Verständnis dafür haben, daß die politischen Parteien, die für diese Entwicklung die Verantwortung tragen, sehr sauer reagieren, wenn ihnen das so deutlich gesagt wird, wie es mit der Erklärung der SPD-Fraktion im Wirtschaftsrat anläßlich der Freigabe von Schuhen und Textilien geschehen ist. [] Eine größere Gefährdung der Demokratie als durch den krassen Gegensatz zwischen dem Luxus der einen und dem Mangel der anderen ist nicht auszudenken. Es gibt auch kaum eine zynischere Konstatierung der Klassengegensätze im heutigen Deutschland, als die Erhardsche Feststellung, daß die Nachfrage der vorhandenen Kaufkraft entspreche. Eine Wirtschaft, in der nur von den Leuten die Rede ist, die Geld haben, um die unkontrollierten Preise bezahlen zu können und die keine, aber auch keine wirksame Maßnahme zum Schutz der übrigen trifft kann man mit noch so hochtrabenden Worten belegen, sie ist und bleibt eine Veranstaltung zu Gunsten einiger weniger, die sich das aneignen, was allen gehört. Schließlich sind weder die Währungsreform und die mit ihr verbundenen Opfer breitester Schichten, noch der Marschallplan mit seinen Zuwendungen an die deutsche Wirtschaft bloß deshalb durchgeführt worden, damit eine kleine Schicht es sich gutgehen läßt und ein Professor Gelegenheit hat - sozusagen als Tafelmusik - seine Theorien zu verkünden, während Hunderttausende von Hausfrauen und Mütter trotz angestrengter Arbeit der Familienväter mit leeren Taschen an vollen Läden vorbeigehen müssen. [] Mit einer alle Tatsachen auf den Kopf stellenden Propaganda hat die CDU/CSU-FDP Mehrheit versucht, der Bevölkerung einzureden, die Sozialdemokraten seien für die Bewirtschaftung um der Bewirtschaftung willen. Nun, es gibt genug Beweise dafür, daß die sozialdemokratischen Forderungen nach einer planvollen Bewirtschaftung auch nicht mit einem Rest von Zwangswirtschaft etwas zu tun hat, der auf einigen Gebieten der Versorgung, vor allem der Ernährung, auch heute noch beibehalten werden muß und den nicht einmal diese Mehrheit abzuschaffen wagt. Um die Ausbeutung von millionenfachem Elend durch die Horter zu vertuschen, hat Herr Erhard so getan, als wären die Waren allein dadurch ans Licht gekommen, daß er die Bezugscheine abgeschafft hat. Sie kamen, als er durch die Aufhebung der Preiskontrolle jedem Wucher Tür und Tor geöffnet hatte und es sich für die Nutznießer der allgemeinen Not lohnte, den Verbrauchern das neue, gute Geld im Handumdrehen aus den Taschen zu holen. [] "Das Angebot entspricht der Nachfrage", sagt Herr Erhard jetzt, nachdem er alle zum Schweigen gebracht hat, die nicht über genügend Geld verfügen und deren Zahl er täglich vergrößern hilft. Alle schwindelhaften Zahlen ändern nichts an der Tatsache, daß heute bereits über 1000000 Menschen weniger in Arbeit stehen als unmittelbar vor der Währungsreform. Es ist eine nicht wegleugbare Tatsache, daß es niemals die Absicht dieser Wirtschaftspolitik war, allen Bedürftigen zu ihrem Anteil an den Versorgungsmöglichkeiten zu verhelfen. Wer nicht mitkommt im "freien Spiel der Kräfte", etwa, weil ihn der Krieg von Haus und Hof und ordentlichen Arbeitsplatz vertrieben hat, bleibt liegen. [] Es hat lange Zeit gedauert, bis die sogenannte "soziale Marktwirtschaft der CDU" auch der breiten Masse erkennbar wurde. Heute trägt sie unverhüllt die höllischen Züge einer echten kapitalistischen Krise: Ueberfluß und Mangel zugleich. Aus der Planlosigkeit, aus der Verschwendung ist sie entstanden und bedroht täglich mehr Menschen in ihrer bescheidenen Existenz. Wenn die arbeitenden Menschen jetzt erkennen, daß die Wirtschaft nicht ein Schicksal ist, dem sie blind ausgeliefert sind, sondern daß es in der Demokratie ein Mittel gibt, diese Wirtschaft den Bedürfnissen der Menschen dienstbar zu machen, dann ist es noch nicht zu spät. Noch liegen drei Viertel der Marschallplan-Zeit vor uns, noch kann denen das Handwerk gelegt werden, die immer Nutznießer fremder Not sind. Dieses Mittel ist die richtige politische Entscheidung in der freien demokratischen Wahl. Was die Frankfurter Mehrheit von CDU bis FDP auf dem Gebiet der Wirtschaft angerichtet hat, braucht nicht erst in Wahlversammlungen beschrieben zu werden, es kann von jeder Lohntüte und Preistabelle abgelesen werden, und wer immer noch keine Wohnung hat, mag sich darüber Gedanken machen, daß es zwar genügend Baumaterial und 167000 arbeitslose Bauarbeiter gibt, aber keine Wohnungs-Baustätten. Die Wähler aber haben jetzt bald darüber zu entscheiden, ob sie gegenüber den Resultaten dieser Wirtschaftspolitik die gleiche Lammsgeduld aufbringen wollen, wie sie es am Tage nach der Währungsreform taten, als die Fülle der Waren [] vor ihnen ausgebreitet war, vor denen sie auch heute noch hoffnungslos die Nasen an den Scheiben plattdrücken müssen. Zu der bitteren Erkenntnis, schon bisher vom Kauf der dringendsten Waren ausgeschlossen gewesen zu sein, kommt nun die Gefahr, daß ihnen diese "freie Wirtschaft" auch keine Arbeit mehr gibt. [] Herbert Kriedemann. [] Herausgeber: Vorstand der SPD [] Druck: Buchdruckwerkstätten Hannover GmbH, CDH 524, 899, 5. 49, Kl. C
Published:1948 - 1949