Politik und Religion

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: SPD-Landesvorstand Bayern, Signatur 76<NZ>vgl. auch Signaturen 6/FLBL001546 und 6/FLBL002314, Flugschriften nahezu gleichen Inhalts Politik und Religion [] von Ludwig Meyer, Coburg [] Auf keinem Gebiete herrschen bei...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Coburg, Meyer, Ludwig, Coburger Druck- und Verlagsanstalt
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 26.05.1946
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/A9BAF58D-EE70-449D-A7C1-3891A669BB86
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: SPD-Landesvorstand Bayern, Signatur 76<NZ>vgl. auch Signaturen 6/FLBL001546 und 6/FLBL002314, Flugschriften nahezu gleichen Inhalts Politik und Religion [] von Ludwig Meyer, Coburg [] Auf keinem Gebiete herrschen bei unseren politisch weniger erfahrenen Mitmenschen, insbesondere beim Mittelstande und bei unseren Frauen, unklare Auffassungen, als auf dem der Wechselbeziehungen von Politik und Religion. Diese sachliche Unkenntnis, besonders auch hinsichtlich der Stellung der Sozialdemokratie, trägt eine wesentliche Mitschuld daran, daß ahnungslose Wählermassen schon von 1933 dem Hitlerismus blindlings anheimfielen. In deröffentlichen Meinung treten aber auch heute schon wieder die gleichen Unklarheiten auf, deren politische Auswirkung unserem Volke ein zweites Mal zu schwerstem Schaden gereichen könnte, wenn weite Kreise bei dem Rufe, die Religion sei in Gefahr, politisch wieder so unsicher werden, daß sie die schicksalsschwersten Dinge der Tagespolitik einfach übersehen und bei der Wahl des richtigen Stimmzettels wieder daneben greifen. [] Ich empfinde daher als Sozialist die große Verpflichtung, über das Thema Politik und Religion einige Worte der sachlichen Klarstellung zu sagen. Ich rechne hierbei besonders auf das Gehör der betont religiös empfindenden Leser und Leserinnen, die also das Problem nicht von der Seite der Politik, sondern von der Seite der Religion her zu betrachten gewohnt sind. Es sind das diejenigen Menschen, die in unserer schweren Zeit, die so furchtbar wie seit Jahrhunderten keine andere ist, in der Religion wohl Trost und Kraftquelle gefunden haben, die sich jedoch auch klar darüber sein müssen, daß die dauernde Flucht aus der Welt des Diesseits eine unzulängliche Haltung vergangener Zeiten war. Diese Menschen fühlen sich aber trotzdem ihrer irdischen Umwelt und den Nöten ihres Volkes stark verbunden. Denn diese Menschen wissen auch, daß nach der Auffassung des Christentums endlich einmal Gottes Wille auch auf der Erde selbst geschehen soll, und daß dies nur möglich werden wird, wenn die Menschen endlich auch einmal selbst das ihre dazu tun. Aehnlich wie wir das Korn erst pflanzen, ernten, mahlen und backen müssen, wenn wir unser tägliches Brot haben wollen, so ist es ja mit der Verwirklichung von Gottes Willen auf der Erde selbst. Wenn wir uns nicht selbst bemühen, wird auch diese Bitte des Vaterunsers nicht erfüllt. Wie der Gott der Christen keine Schlaraffen will, denen das Brot von selbst in den Mund wächst, so geht es ihm nach religiöser Auffassung auch nur um jene Menschen, die [] seinen Willen verwirklichen helfen, an deren Früchten man dann aber erkennen kann, daß sie ihm wirklich verbunden sind. [] Das alles fühlst Du, lieber Leser, und möchtest an der Gestaltung der politischen Geschicke Deines Volkes mitarbeiten, damit es nie wieder zu einer so furchtbaren gottfeindlichen Verirrung komme, wie wir sie in der Hitlerzeit erlebten. So willst sicher auch Du daran mitwirken, daß das Zusammenleben der Menschen auf der Erde nicht so bleibt, wie es bisher war. [] Dazu gehört vor allem, daß wir nicht mehrübereinander herfallen, um uns auszuplündern und uns auszurotten, sondern daß wir endlich eine überstaatliche Rechtsordnung schaffen, wie wir schon früher eine innerstaatliche geschaffen haben. [] Zu diesem besseren Zusammenleben gehört weiter, daß nicht der eine den anderen unterdrückt und ausbeutet, ja ihn als bloßes "Mittel zum Zweck" herabwürdigt . Die Sozialdemokratische Partei hat diese Ziele seit ihrem ersten Auftreten verfolgt und für ein System gekämpft, in dem keiner mehr um das betrogen werden darf, was er ehrlich erarbeitet hat, in dem sich planmäßig alle Kräfte der Allgemeinheit für eine gerechte Versorgung aller einsetzen. Die "Bayerische Rundschau", das Mitteilungsblatt der CSU., suchte das kürzlich zu erschüttern und hob hervor, daß die Sozialdemokratie "sämtliche grundlegenden Parteiziele ... wesentlich geändert" habe. Wenn diese Zeitung damit wirklich recht gehabt hätte, so könnte das jedoch ebensowenig ein Vorwurf sein wie etwa die allbekannte grundsätzliche Aenderung bei den Kirchen, die heute auch keine Hexenverbrennungen und Ketzerverurteilung sowie keine Inquisitions- oder Glaubensgerichte mehr für gottgewollt erklären, sondern plötzlich die große Linie liebender Christengemeinschaft betonen. Doch braucht man hierüber nicht mehr zu streiten, nachdem die CSU. in ihren Plakaten neuerdings ausgerechnet den Führer unserer englischen Bruderpartei und der englischen Arbeiterregierung, den Premierminister Attlee als Kronzeugen dafür anführt, daß nach seiner Auffassung der Neuaufbau einer wirklichen Kulturnation auf den Grundlagen des Christentums möglich wäre. Daß im übrigen kein Unterschied zwischen uns deutschen Sozialisten und den englischen [] besteht, dürfte nach der neuesten Entwicklung in Europa auch allen Zweiflern und Demagogen klargeworden sein. [] Unsere unveränderten Hochziele der Zusammenarbeit aller Völker und das Ideal der auf Recht und Freiheit gegründeten Ordnung im Sozialismus sind und waren nie - so oft das auch gelogen wird -, gegen Religion und Christentum gerichtet. Man sollte also dann doch endlich zu der großen Partei gehen, die diese Ziele praktischer Gerechtigkeit seit ihrer Gründung vor rund 100 Jahren bis heute vertreten hat, die während der zwölf Jahre der Sozialistenverfolgung unter Bismarck und noch mehr während der zwölf Jahre des Hitlerterrors sogar Hunderttausende von Märtyrern für diese Hochgedanken gestellt hat. Es kann dann auch dem vorwiegend religiös empfindenden Menschen im Grunde nicht mehr so schwer fallen, sich endlich zur Sozialdemokratie zu bekennen. [] Natürlich sagen nun viele, man habe ihnen die Sozialdemokratie doch von jeher als kirchenfeindlich geschildert. Dazu muß man bedenken, daß die Sozialisten des vergangenen Jahrhunderts zwar die schon erwähnte kirchliche Verfolgungswut und Intoleranz ablehnten, nie aber den ehrwürdigen Inhalt wirklich christlicher Grundsätze; ferner daß bis zum Jahre 1918 die deutschen Kirchen Staatskirchen waren, unlösbar verquickt mit einer selbstherrlichen Monarchie. Thron und Altar gehörten zusammen. Die Inhaber der Throne aber liebten die "schimmernde Wehr", die ihnen von den Großkapitalisten geschmiedet wurde, mehr als die teilweise echten religiösen Gefühle ihrer Untertanen. Sie schätzten ihr "blankes Schwert" außerdem höher als alle Versuche, zu einer Rechtsordnung und einer Verständigung zwischen den Völkern zu kommen. Die damaligen Kirchen predigten Liebe und Frieden - duldeten aber gleichzeitig Ausbeutung und Kriegsrüstung, und drängten somit das schaffende Volk zur Selbsthilfe. Diese Selbsthilfe der Sozialisten hatte ihrerseits mit ihrer Sozialpolitik der Gerechtigkeit nur eine praktische Nächstenliebe zum Ziel. Leider wußten fast alle ehemaligen Kirchenmänner demgegenüber nichts besseres zu tun, als zum Gehorsam gegen ihr altes Katheder-Christentum und den monarchistischen und kapitalistischen Obrigkeitskirchenstaat aufzufordern. Aber welch ein Gegensatz klafft zwischen solch konservativen Kirchenvertretern und der wirklichen christlichen Religion! Forderte doch selbst Luther [] einst in seiner Schrift "Ob die Kriegsleute im seligen Stande sind" von einem christlichen Soldaten, er müsse im Fall eines Angriffs-Krieges trotz seines Fahneneides dem Fürsten die Heeresfolge verweigern, auch wenn er dabei Freiheit, Ehre und Leben verlieren sollte. Die katholische Kirche hielt sogar lehrmäßig-theoretisch am Naturrecht fest und gestattete damit im Notfall selbst den Tyrannenmord, falls das Volk keine andere Möglichlichkeit [!] habe, sich vom Tyrannen legal zu befreien. Von wirklich praktischen Arbeiterschutz merkte man aber außer sogenannten Hirtenbriefen in den damaligen Kirchen wenig, viel zu wenig. So galt den Verelendeten des vorgien [!] Jahrhunderts das Christentum jener Zeit naturgemäß als "Opium fürs Volk", und gegen diese Art von Kirchentum sprachen die Sozialistenführer mit ihrer Gefolgschaft. [] Noch etwas kam hinzu: Die ganze Zeitepoche zwischen 1871 und 1914 zeigte in allen Gesellschaftsklassen wenig Bedürfnis nach Religion. Weite Kreise aller Schlichten glaubten, die Naturwissenschaft habe unwiderleglich bewiesen, daß es keinen Gott gäbe. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn diese vorherrschende Zeitströmung wie alle Gesellschaftsschichten nicht auch die Sozialdemokratie erfaßt haben wurde. Trotzdem nahm sie zum Glauben an sich auch damals keine grundsätzlich feindliche Stellung ein, sondern verkündete volle Duldsamkeit oder Toleranz für jede religiöse Ueberzeugung. Sie stellte es durch die oft mißverstandene und mißbrauchte Erklärung der Religion zur Privatschule einzelnen Mitglied frei, sich auf diesem innerlichsten Gebiet persönlich selbst zu entscheiden. So auch heute! [] Inzwischen ist nun längst der Obrigkeitsstaat zerbrochen, und mit ihm zerbrachen auch die Staatskirchen. Das Ziel der Sozialdemokratie: "die freie Kirche im freien Staat" wäre damit 1918 an sich erreicht gewesen, wenn nicht in der Zeit vor Hitler zahllose Kirchenvertreter mit getarnten Wahlparolen für die Wiederherstellung des alten Obrigkeits- und Kirchenstaates gekämpft haben würden. In diesem Sinne lenkte ihre volksfremde und religionswidrige Politik blindlings in den Hitlerischen Terrorstaat hinein. Man darf heute nur hoffen, daß sowohl die Kirche wie auch die Wählerschaft selbst aus dem daraus bewirkten Chaos soviel gelernt haben möchten, daß sich diese katastrophale Entwicklung nicht ein zweites Mal wiederholt. Eine "freie Kirche im freien Staat" müßte daher auch ihrerseits eine völlige Trennung zwischen Kirche und Staat begrüßen. Dazu gehört praktisch auch, daß sie ehrlicherweise den Religionsunterricht der Kinder in ihre eigene Hand nähme und nicht von neuem nach Konfessionen und Weltanschauungen getrennte Schulen verlangte. Eine solche Zerreißung unseres Volkes schon in der Jugend wie überhaupt alles Hineinzerren des Christentums in den Tageskampf der Parteipolitik muß völlig abwegig sein in einer Zeit, in der die Gegner des Nationalsozialismus aus allen Konfessionen und Weltanschauungen es bereits in den Konzentrationslagern gelernt haben, das Verbindende über das Trennende zu stellen. Der Geist der gemeinsamen Aufbauarbeit sowie der Geist der alle Kinder des [] ganzen Volkes umfassenden Einheitsschule wird der Geist einer Feindschaft gegen Nationalsozialismus und Militarismus, nicht aber der Geist einer Feindschaft gegen Religion und Christentum sein. Einer Kirche, die zur Zusammenarbeit in diesem Sinne bereit ist, kann und wird daher die Sozialdemokratie nie feindlich entgegentreten. [] Wenn die Kirche außerdem versucht, den vielen, die nicht wissen, was Religion und Christentum wirklich sind, diese Dinge in der Sprache unserer Zeit nahezubringen, so hat die Sozialdemokratie natürlich in keiner Weise etwas dagegen. Auch dagegen nicht, wenn die Kirche zum Beispiel darüber aufklärt, daß man Gott nicht wie einem irdischen Vaterwesen zürnen kann, wenn er einem das Leben nicht nach Wunsch einrichtet. Doch ist das ureigenste Sache der Kirche selbst. Die Kirche wird aber dabei immer die Menschen zur eigenen befreienden Tat aufrufen müssen, und diese Tat muß und wird zwangsläufig und naturnotwendig die gleiche sein müssen wie die, zu der auch die Sozialdemokratie seit einem Jahrhundert aufruft - der Kampf für ein besseres Zusammenleben der Menschen auf dieser Erde! [] Besseres Zusammenleben der Menschen untereinander und in der Gemeinde, im Staat, auf der ganzen Welt, das ist das große Ziel, um das es geht, im kleinen und im großen. Nur so wird das Leben menschenwürdig, und - für den reliösen [!] Menschen - gotteswürdig. Die Sozialdemokrate [!] stößt sich nicht an dieser Bezeichnung. Sie ist die Partei des wissenschaftlichen Sozialismus. Sie ist stets die Partei der Wissenschaft gewesen. Daher hält sie auch Schritt mit ihrer Entwicklung. Sie weiß also, daß die Naturwissenschaft heute andere Auffassungen hat als zu der Zeit, in der Haeckel seine "Welträtsel" schrieb. Die Partei ist sich klar darüber, daß die Frage nach der Existenz Gottes, nach dem Fortleben des Geistigen im Menschen nach dem Tode, mit Mitteln der Wissenschaft überhaupt nicht beantwortet werden kann, weder bejahend noch verneinend. Sie überläßt es infolge jedem, für diese tiefsten Fragen des Menschendaseins selbst die Antwort zu finden. Wer aber die Antwort für sich gefunden hat, sei sie so oder so, der soll wissen, daß er in den Reihen der Sozialdemokratie Achtung und Verständnis finden wird, auch bei jenen, die sich vielleicht eine andere Ueberzeugung erarbeitet haben. Das, und nur das allein, ist sozialistisch. [] Gerade weil Du, lieber Leser, vermutlich ein religiöser Mensch bist, willst auch Du, daß es endlich wirklich besser werde auf der Welt, daß die Erde endlich aufhöre, eine Hölle zu sein, in der einer des anderen Teufel ist. Und darum willst auch Du ein ehrliches und sauberes Spiel der geistigen Auseinandersetzung gerade über solch ein ernstes und wesentliches Thema, wie es das unsrige ist. Darum sei es zum Abschluß nochmals klar ausgesprochen: Die Sozialdemokratie ist stolz darauf, keinerlei Gegnerschaft gegen Religion und wirkliche Religiosität zu empfinden. Wohl aber stellt sie - das ist ihr historisches Recht und zugleich ihre sozialistische Pflicht - zu allen jenen, meist getarnten Mächten und Gruppierungen in bewußter Gegnerschaft, die - selbst Kinder von vorgestern - weiterhin und von neuem unberechtigterweise versuchen, den Schild der Religion gegen die große Idee des Sozialismus des schaffenden Volkes zu erheben, und zwar in der dunklen Hoffnung, durch den Appell an eine falschverstandene Christlichkeit weitere Kreise unseres Volkes von ihrem schicksalsbedingten Hinfinden zur Sozialdemokratie abhalten zu können, deren edelste Motive selbst nur tätiger Nächstenliebe entspringen. [] Am 26. Mal wählen wir Coburger alle Sozialdemokraten! [] Liste 1 [] Ludwig Meyer [] Paul Wüstrich [] Frau Dora Stegner [] Druck: Coburger Druck- und Verlagsanstalt. [] Von der Militärregierung zugelassen. 6000 3.46 [] Für den Text: 1. Vorsitzender Neumann, Coburg. [] Der Militärregierung vorgelegt!
Published:26.05.1946