Liebe Wählerinnen und Wähler!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Liebe Wählerinnen und Wähler! [] Den Lesern ist mein Wirken im Bundestag bekannt. Ich bin vor allem in außenpolitischen Angelegenheiten als Sprecher der Fraktion aufgetreten. In den ersten Jahren der Legislaturperiode galt es vor allen Dingen...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Schmid, Carlo, Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), AZ Mannheim
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/BAFAF854-2E3C-4F93-AED7-849E56D3AF26
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Liebe Wählerinnen und Wähler! [] Den Lesern ist mein Wirken im Bundestag bekannt. Ich bin vor allem in außenpolitischen Angelegenheiten als Sprecher der Fraktion aufgetreten. In den ersten Jahren der Legislaturperiode galt es vor allen Dingen, die Besatzungsmächte davon zu überzeugen, daß das Besatzungsregime abgebaut werden müsse und die Regierung zu warnen, bloße Scheingewinne mit echten Verlusten an politischer Substanz zu bezahlen. Als die Regierung dann mit ihrer Integrationspolitik begann, habe ich - bei voller Anerkennung der Notwendigkeit einer vernünftigen Ordnung Europas - konsequent den Standpunkt vertreten, daß die erste Aufgabe der deutschen Außenpolitik die Schaffung der Voraussetzungen für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands sei, und ich habe darum die Integrationspolitik bekämpft, weil sie praktisch dem deutschen Volke keine echte Sicherheitschance bietet und weil sie uns dazuhin in die Gefahr bringt, den Kalten Krieg zu verlieren und die Wiedervereinigung Deutschlands unmöglich macht oder zum mindesten in unerträglicher Weise erschwert. [] Auf dem Gebiete der Innenpolitik habe ich mich ständig für einen immer weitergehenden Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung und der parlamentarischen Institutionen eingesetzt. Ein Abgleiten der Bundesrepublik in Richtung des autoritären Verwaltungsstaates wird nur durch immer weitergehende Demokratisierung unseres parlamentarischen Systems verhindert werden können. [] Die Steuerpolitik der Bundesregierung hat in einseitiger Weise die großen Einkommen begünstigt und die Lasten in ungebührlicher Weise den breiten Massen aufgebürdet. Eine sozialdemokratische Regierung wird hier insbesondere durch den Abbau der Verbrauchssteuern und die Heraufsetzung der Freigrenze bei der Einkommensteuer Wandel schaffen. [] Das Gesetz über den Lastenausgleich hat berechtigte Forderungen der Heimatvertriebenen nicht erfüllt; die sozialdemokratische Fraktion im neuen Bundestag wird die von der Regierungsmehrheit abgelehnten sozialdemokratischen Anträge als Novelle zum Gesetz über den Lastenausgleich einbringen. Ebenso wird die Fraktion dafür sorgen, daß endlich eine gesetzliche Grundlage für die Entschädigung der Besatzungsgeschädigten geschaffen wird. [] Es ist nicht wahr, daß die Sozialdemokratische Partei das Privateigentum vernichten wolle. Wir Sozialdemokraten wollen im Gegenteil, daß jeder einzelne Mensch so viel Eigentum besitzen soll, daß er sein Leben in möglichster Unabhängigkeit von Dritten gestalten kann. Die SPD wendet sich aber dagegen, daß der Nationalreichtum sich in wenigen Händen zusammenballt und dort zu unkontrollierbarer wirtschaftlicher und politischer Macht wird. Deswegen will sie die Großbetriebe der Grundstoffindustrien - aber auch nur diese - in Gemeineigentum überführen. [] Die Fraktion der sozialdemokratischen Partei ist in diesem Bundestag auch für die Interessen des Handwerkers und des bäuerlichen Mittelstandes und der Beamten eingetreten. Sie wird es im nächsten Bundestag auch tun, denn sie ist längst über eine nur die Interessen begrenzter Volksschichten wahrnehmenden Partei hinaus zu einer allumfassenden Volkspartei geworden. [] Es ist nicht wahr, daß die Sozialdemokratische Partei religions- oder kirchenfeindlich sei. Maßgebliche Männer unserer Partei stehen an hervorragender Stelle im aktiven Kirchenleben. Die Partei wehrt sich lediglich dagegen, daß die Kirchen zu politischen Zwecken mißbraucht werden und auf dem Gebiet der Volksbildung Ansprüche erheben, die mit dem Gemeinwohl unvereinbar sind. Wir wenden uns deswegen gegen jene, die unter dem Vorwand religiöser Ziele egoistische Interessen verfolgen und wir wehren uns gegen die Konfessionalisierung unseres Schulwesens, denn wir wollen, daß unsere Jugend im Bewußtsein dessen erzogen wird, was uns verbindet, nicht aber dessen, was uns trennt. [] Die SPD-Fraktion ist konsequent für die völlige rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung der Frau eingetreten. [] Sie wird ihren Kampf für die Rechte der Frau fortsetzen. [] Auch eine sozialdemokratische Regierung wird nicht imstande sein, im Laufe der nächsten vier Jahre das Paradies auf Erden zu schaffen. Sie wird aber so regieren, daß jeder im Volke merkt, daß ihr Herz in erster Linie für die wirtschaftlich Schwachen schlägt. [] Gebt am 6. September Eure Stimme dem Kandidaten der SPD! [] Carlo Schmid [] [] Das Ergebnis der Bundestagswahl von 1949 war eine Regierung, die innenpolitisch gegen die SPD und außenpolitisch ohne die SPD regierte [] Die Folge war eine zunehmende Verschärfung der Gegensätze im Innern, außenpolitisch aber eine bedenkliche Aufspaltung deutscher Politik. [] Einige Tatsachen zur Innenpolitik: [] Die Umsatzsteuer wurde von 2% auf 4% erhöht. [] Die Folge: eine enorme Belastung des Haushaltungsgelds der breiten Verbraucherschichten. Eine gerechte Steuerpolitik schont die wirtschaftlich Schwachen und zieht die wirtschaftlich Starken mehr heran. Die Bundesregierung aber machte das Gegenteil, sie erhöhte die Verbrauchssteuern und ermäßigte die direkten Steuern. Wie die Einnahmen des Bundes gedeckt wurden, zeigt folgende Tabelle. [] 1949 zu 48% aus Eink.-Steuern = direkte Steuern, [] zu 52% aus allgem. Verbrauchssteuern [] 1951 zu 39% aus Eink.-Steuern = direkte Steuern, [] zu 61% aus allgem. Verbrauchssteuern [] Die kleinen Sparer wurden bei der Währungsreform enteignet, das Aktienkapital dagegen wurde geschont. Folgende Übersicht zeigt das klar: [] Spareinlagen des Volkes [] 1 Tag vor der Währungsreform 71 Milliarden [] 1 Tag nach der Währungsreform 3,6 Milliarden [] Aktienbesitz [] 1 Tag vor der Währungsreform 21 Milliarden [] 1 Tag nach der Währungsreform 17 Milliarden [] Trotz aller Propaganda um das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder hinken die Löhne hinter den Kapitalgewinnen drein. Während die industrielle Lohnquote von 1936 auf 1951 um mehr als 10 % fiel, stieg die Bruttogewinnquote im selben Zeitraum um mehr als 10 % an. [] Eine vierköpfige Arbeiterfamilie muß 44%, eine zwei/dreiköpfige Rentnerfamilie sogar 50,5% ihres Einkommens allein für Lebensmittel ausgeben. Steigende Preise und Verbrauchssteuern machten jede kleine Erhöhung des Lohnes wett. Die Rentenempfänger werden durchweg mit viel zu niederen Renten abgespeist. [] 931000 Angest.-Vers.-Rentner erhalten durchschn. 70.70 DM [] 3,2 Millionen Sozialrentner erhalten durchschn. 58.50 DM [] 1.8 Millionen Fürsorgeempfänger erhalten ganze 38.- DM [] insgesamt sind es etwa sechs Millionen Menschen, die mit ihren Angehörigen von Bezügen leben müssen, die unter dem Existenzminimum liegen. Auf der anderen Seite ermöglichte es die Steuerpolitik der Bundesregierung, daß über 10000 Personen noch Abzug ihrer Steuern [] über ein Einkommen von mehr als 65000 DM [] verfügen können, und dies noch einer Währungsreform, nach der alle mit 40.- DM in der Hand dastanden. Im sozialdemokratisch regierten Schweden geht es gerechter zu. Dort ehrt man das Alter durch eine Volkspension von 4886.- Kronen = 3909,- DM im Jahr. Während bei uns an den notwendigsten Sozialausgaben gespart wird, behauptet Bundesfinanzminister Dr. Schäffer, ohne neue Steuern [] 10 Milliarden für die neue Aufrüstung [] aufbringen zu können. Gegen denselben Minister erzwang die SPD auch die Senkung der Kaffee- und Teesteuer. Immer mußte es zu Kampfabstimmungen im Bundestag kommen, bevor sich die Regierungsparteien zu kleinen Verbesserungen bereit fanden. Meist aber wurden die Vorschläge der SPD stur niedergestimmt. [] Es ist derselbe Pharisäer-Geist, [] der auch in der Außenpolitik den Gegensatz zwischen Regierung und Opposition immer scharfer hervortreten ließ. Von Anfang an betrieb die Regierungskoalition unter dauernder Ausschaltung der SPD ihre sogenannte [] Politik der Stärke. [] Man behauptet, nur dadurch könne man Rußland zum Entgegenkommen zwingen. Diese Auffassung wurde durch die jüngsten Ereignisse glatt widerlegt. Durch diese Politik kam immer wieder [] neues Elend über die Menschheit [] und die Gefahr, daß es auch diesmal so sein wird, ist viel größer, als man wahrhaben will. [] Wir warnen das Volk vor Adenauers Rüstungspolitik! [] Jede Regierung, die sich einbildet, sich nur auf Divisionen verlassen zu brauchen, hat diese Auffassung mit dem Blut ihres Volkes bezahlen müssen. [] Wollt Ihr wieder Kanonen statt Butter? [] Wer mit seinem Stimmzettel die Fortsetzung dieser CDU-Politik ermöglicht, lädt eine ungeheure Verantwortung auf sich. [] Noch ein Wort zum sogenannten "Nein-Sagen der SPD": Wir nehmen diesen Vorwurf deshalb ernst, weil er für viele Wähler etwas Bestechendes haben mag. Die Außenpolitik der Bundesregierung war keine Politik aus deutschem Willen, sondern war der Wunsch der westlichen Alliierten. Unsere Hinweise auf die Verfassungswidrigkeit dieser Politik wurden in den Wind geschlagen. Die von uns beantragte [] Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde hintertrieben. [] Da diese Entscheidung immer noch aussteht, kann die SPD aus politischen und verfassungsrechtlichen Gründen dieser Politik weder ganz noch teilweise folgen. Unser Nein ist die logische Folge des Verhaltens des Bundeskanzlers und seiner Regierung, die ausländische Presse und Staatsmänner besser unterrichtete als die eigenen Landsleute. [] Dr. Kurt Schumacher sagte einmal: "Wenn einer seine Jacke beim ersten Knopf falsch zumacht, dann ist nachher der ganze Anzug nicht in Ordnung." So ist es auch mit der Außenpolitik Adenauers. [] Liebe Wählerinnen und Wähler! Sie werden in diesen Tagen viel Propagandamaterial erhalten. Für die CDU wird es von der Industrie bezahlt, denn diese Kreise haben ein lebhaftes Interesse an der Fortsetzung dieser Politik. [] Wir können Sie nur noch einmal auf die Ergebnisse der letzten vier Jahre verweisen und Sie aufrufen, daraus auch politische Schlußfolgerungen zu ziehen. Es liegt in Ihrer Hand, diesen Kurs zu ändern. Die SPD und ihre Kandidaten versprechen keine Wirtschaftswunder für die oberen Zehntausend, sondern arbeiten unermüdlich für das große Ziel: Soziale Sicherheit für alle für Frieden in Freiheit. [] Wählen Sie den Kandidaten und die Liste der SPD [] AZ, Mannheim
Published:06.09.1953