Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; DIE STIMME DER GEMEINDE [] ZUM KIRCHLICHEN LEBEN, ZUR POLITIK, WIRTSCHAFT UND KULTUR [] MONATSSCHRIFT DER BEKENNENDEN KIRCHE [] Für den Bruderrat der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegeben von: [] MARTIN NIEMÖLLER, OSKAR HAMMELSBECK, GUSTAV W. HEINEMANN, HANS JOACHIM IWAND, FRIEDRICH KARRENBERG, LUDWIG METZGER, HERBERT MOCHALSKI, KARL GERHARD STECK, HERBERT WERNER [] Sonderdruck aus Nr. 8, August 1951 [] VERLAGSORT DARMSTADT [] [] HERBERT MOCHALSKI [] Die Stunde der Bewährung [] Auch für die Kirche gibt es sie. Es kommt dann an den Tag, ob das in ihr und von ihr gepredigte Wort recht gepredigt war; ob das in ihr und von ihr gehörte Wort eine Antwort, ihre, der Kirche Antwort und Amen im Glauben und Gehorsam findet. [] Eine solche Stunde der Bewährung war 1934 Barmen. In sechs knappen Sätzen sprach die Kirche ihr dankbares und gehorsames Ja und Amen zu der Königsherrschaft Christi. Damit wurde sie eine freie Kirche. [] Eine solche Stunde der Bewährung war 1945 Stuttgart. "Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." Damit wurde der Kirche ein neuer Anfang möglich. Wir können jetzt nicht im einzelnen dem nachgehen, ob und wieweit das Stuttgarter Schuldbekenntnis ein Anfang war, der nicht aus dem Auge verloren wurde, sondern den weiteren Weg der Kirche bestimmte - und wieweit Stuttgart wirklich zu einem neuen Anfang führte, dem nun auch Neues und Anderes als das bisher Gewohnte folgte. Das Wort einer Stunde ist leider keine Garantie dafür, daß es nicht das Wort dieser Stunde und damit nur Wort bleibt. [] Es scheint mir an der Zeit, danach zu fragen, ob wir uns heute nicht anschicken, die Voraussetzungen für ein neues Stuttgarter Schuldbekenntnis zu schaffen; wir, d. h. die evangelische Christenheit und ihre Evangelische Kirche in Deutschland. "Kämpfen" wir noch "im Namen Jesu Christi gegen den Geist, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat", um noch einmal Stuttgart zu zitieren? Wir sollten uns fragen lassen, ob es der Geist Christi ist, der uns heißt, die Frontbildung zwischen Ost und West mitzumachen; der von uns verlangt, die eine Welt, die er so geliebt hat, daß er sich selbst an sie hingab, in zwei Welten, in eine gute und eine böse Welt aufzuteilen? Ob es der Geist Christi ist, der uns treibt, dem Zwange und der Unfreiheit und Vergewaltigung des Menschen im Osten Widerstand zu leisten oder der Geist unseres bourgeoisen Christentums, der die Gesellschaftsordnung einer sterbenden bürgerlichen Welt noch immer für christlich geboten und unantastbar hält? Ob es der Geist Christi ist, der uns für den Westen optieren und seine Verhältnisse erhalten heißt oder eine "christlich-abendländische" Ideologie, der es - um des "höheren" Zieles und Zweckes willen - nichts ausmacht, diese Verhältnisse auf Kosten Millionen Deklassierter und Besitzloser aufrecht zu erhalten und, wenn es sein muß, durch diese auch verteidigen zu lassen? Ob es der Geist Christi ist, der es uns ertragen läßt, mit der Atombombe auch nur als Verteidigungswaffe zu rechnen? Ob es der Geist Christi ist, der uns auf einen Krieg als Mittel der Befreiung hoffen läßt? Ob es der Geist Christi ist, der uns den Krieg, diesen Krieg, auch nur als "Verteidigung" des "christlichen Abendlandes" verantworten läßt? Ob es der Geist Christi ist, der uns auffordert, "sich auf Wagen und Rosse zu verlassen"? [] [] In der Evangelischen Kirche wird weithin schon wieder "Schwärmerei" genannt, was die Bibel mit "Nüchtern"-sein bezeichnet. Nüchtern-sein heißt: Gott recht geben, seinem Wort und Befehl trauen und gehorchen; Schwarmgeister sind, die eigene Gesichte haben und der Meinung ihres Herzens - seinen Ängsten wie seinem Hochmut - folgen. In der Bekennenden Kirche gab es einmal eine Zeit der "Nüchternheit", in der wir uns mühten, "nüchtern" zu sein und zu bleiben. Auch das Stuttgarter Schuldbekenntnis kam aus dieser Nüchternheit. Seitdem sind eine Reihe guter "offizieller" Worte gesagt worden, von der Synode, vom Rat und vom Bruderrat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wer die drei Jahrgänge unseres Blattes durchsieht, wird sie finden. Es ist hier nicht der Ort, sie im einzelnen aufzuzählen. Mit manchem guten Wort sind wir auf dem Wege von Stuttgart geblieben. Das heißt: "nüchtern" wurde dein Geist der Gewalt, der uns Deutsche ins Verderben gebracht hat und der im nationalsozialistischen Gewaltregiment nur seinen furchtbarsten Ausdruck fand, widerstanden. Wir waren uns darüber einig - und alle Einsichtigen sind es heute wieder und erneut daß dieser Geist der Gewalt mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft keineswegs auch sein Ende gefunden hatte. [] Die Beseitigung der Symptome bedeutet noch keine Heilung. Die Evangelische Kirche hat darum nicht unterlassen, vor diesem Geist der Gewalt, dem Nährboden und der Hoffnung neuer Kriege, zu warnen. Es wird gut sein, uns in Erinnerung zu rufen, mit welch feierlichen und beschwörenden Worten diese Warnung von der Eisenacher Kirchenversammlung im Juli 1948 ausgesprochen wurde. [] "Das deutsche Volk, seiner Freiheit beraubt und in der Gewalt anderer Mächte, kann wenig dazu beitragen, daß Friede werde. Dies Wenige aber zu tun, geloben wir, eingedenk unserer Verantwortung vor dem heiligen Gott ... Niemand von uns sollte sich zum Werkzeug einer Propaganda machen lassen, durch die eine Feindschaft zwischen den Staaten gefördert oder eine Handlung kriegerischer Gewalt vorbereitet wird. Insbesondere mahnen wir alle Glieder unseres Volkes, nicht dem Wahn zu verfallen, als könne unserer gemeinsamen Not durch einen neuen Krieg abgeholfen werden. Auf der Gewalt ruht kein Segen und Kriege führen nur tiefer in Bitterkeit, Haß, Elend und Verwahrlosung hinein. Die Welt braucht Liebe, nicht Gewalt. Sie braucht Frieden und nicht Krieg. Die Heilige Schrift sagt: "Durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein!" Und unser Herr Jesus Christus spricht: "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen, Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen." [] Die zunehmende Versteifung und Verfestigung des West-Ost-Gegensatzes, die mitten durch unser Volk gehende Trennungslinie zwischen den beiden Weltmächten, die fortschreitende Aufrüstung der ideologischen Gegner, in die auch das deutsche Volk wieder einbezogen werden soll, veranlaßte im April 1950 die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, sich die Frage zu stellen: Was kann die Kirche für den Frieden tun? In ihrem Worte sagte die Synode, nachdem sie ausdrücklich die entscheidenden Sätze der Kirchenversammlung von Eisenach wiederholt hatte: [] "Wir rufen allen Gliedern unseres Volkes im Westen und im Osten zu: Werdet eindringlich und unermüdlich vorstellig bei allen, die in politischer Verantwortung stehen daß sie nicht in einen Krieg willigen, in dem Deutsche gegen Deutsche kämpfen. Wir legen es jedem auf das Gewissen, zu prüfen, ob er im Falle eines solchen Krieges eine Waffe in die Hand nehmen darf. [] "Wir beschwören die Regierungen und Vertretungen unseres Volkes, sich durch keine Macht der Welt in den Wahn treiben zu lassen, als ob ein Krieg eine Lösung und Wendung unserer Not bringen könnte. Wir begrüßen es dankbar und voller Hoffnung, daß Regierungen durch ihre Verfassung denjenigen schützen, der um seines Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert. Wir bitten alle Regierungen der Welt, diesen Schutz zu gewähren. Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache und der Fürbitte der Kirche gewiß sein." [] Ende August 1950, als die Remilitarisierung der Deutschen offen angestrebt wurde, äußerte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in Essen: [] "Einer Remilitarisierung Deutschlands können wir das Wort nicht reden, weder was den Westen, noch was den Osten anlangt. Die Pflicht der Kirche kann es nur immer sein, die schwergerüsteten Mächte der Welt wieder und wieder zu bitten, dem heillosen Wettrüsten ein Ende zu machen und friedliche Wege zur Lösung der politischen Probleme zu suchen. In jedem Falle aber muß derjenige, der um seines christlichen Gewissens willen den Dienst mit der Waffe verweigert, die Freiheit haben, sein Gewissen unverletzt zu erhalten ... Daß Deutsche jemals auf Deutsche schießen, muß undenkbar bleiben!" [] Ende September 1950 erhob der Bruderrat bittend und warnend seine Stimme: [] "Seit Jahren hat die EKiD in wiederholten feierlichen Erklärungen zum Ausdruck gebracht, daß die gewaltsame Aufteilung Deutschlands eine ständige und akute Friedensbedrohung darstellt. Sie hat ebenso unmißverständlich erklärt, daß auf eine gewaltsame Änderung dieses Zustandes keine Hoffnungen gesetzt werden dürfen: 'Auf der Gewalt ruht kein Segen' (Synode Eisenach 1948). Schließlich hat sie durch den Mund ihres Rates aus Anlaß des Kirchentages in Essen ausgesprochen: 'Einer Remilitarisierung Deutschlands können wir das Wort nicht reden, weder was den Westen, noch was den Osten anlangt'. Das gilt im gegenwärtigen Augenblick für die Aufstellung deutscher Verbände innerhalb einer westeuropäischen Armee nicht weniger als für die Schaffung einer eigenen deutschen Wehrmacht. Dies gilt in der gleichen Weise für alle ähnlichen Bestrebungen auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs. Die Evangelische Kirche hat damit ohne Zweifel die Überzeugung und den Willen der überwiegenden Mehrheit des gesamten deutschen Volkes bekundet. [] Wir wiederholen in diesem Augenblick die ernste Frage der Synode der EKiD in Berlin 1950, ob ein deutscher Mann heute in dieser Lage mit gutem Gewissen eine Kriegswaffe in die Hand nehmen darf, und wiederholen dringend die Forderung an die eigenen deutschen Regierungen wie an die Obrigkeit der Besatzungsmächte, jeden, der den Waffendienst aus echten Gewissensgründen verweigert, nicht als Verbrecher zu behandeln, sondern ihn in seiner Gewissensentscheidung anzuerkennen und zu schützen. - Und wir bitten die Mächte, die heute die Entscheidung über Krieg und Frieden in den Händen haben, zu hören, worum ein waffenloses Volk sie seit Jahren bittet, nicht erneut die Gewissen mit dem Verlangen nach Kriegsdienst in Not zu bringen, sondern jede, auch die kleinste Möglichkeit wahrzunehmen, um miteinander den Frieden zu suchen und zu erhalten. [] Dann waren es nur noch einzelne - Martin Niemöller, Gustav Heinemann, die Kirchlich-Theologische Arbeitsgemeinschaft, die Bruderschaften -, die nicht schwiegen. [] [] Seit dem Adenauer-Memorandum vom 29. Aug. 1950 hat eine rasante Entwicklung hin zur Remilitarisierung eingesetzt. Damals bot der Bundeskanzler ungefragt zum ersten Male schriftlich von sich aus den westlichen Alliierten einer deutschen "Verteidigungsbeitrag" an; in dem Sicherheitsmemorandum des Bundeskanzlers an die Westmächte lautet der entsprechende Satz: "Der Bundeskanzler hat ferner wiederholt seine Bereitschaft erklärt, im Falle der Bildung einer internationalen westeuropäischen Armee einen Beitrag in Form eines deutschen Kontingentes zu leisten!" Wir entsinnen uns, welche Entrüstung durch die Regierungsparteien und die sie unterstützende Presse ging, als Niemöller im Oktober seinen Offenen Brief an Adenauer schrieb, in dem er unter ausdrücklichem Hinweis auf die aufgeführten offiziellen Äußerungen der Evangelischen Kirche vor der geplanten Remilitarisierung warnte; gegen die beabsichtigte Aufstellung von deutschen Divisionen und gegen eine neue Rüstung, die eine Kriegsgefahr bedeuteten, laut seine Stimme erhob und eine Volksbefragung forderte, da dem gegenwärtigen Bundestag jede Legitimation fehle, über diese Frage zu entscheiden. Nur neun Monate später, im Juli dieses Jahres, erhalten die Warnungen des Niemöller-Briefes ihre volle Bestätigung. Eine dpa-Meldung aus London vom 14. Juli veröffentlicht die sogenannten Kernforderungen aus dem 40 Seiten starken Bonner Dokument zur Frage einer deutschen Rüstungsbeteiligung: [] 1. Gesamtstärke der deutschen Streitkräfte: 250000 Mann (sechs Armeekorps mit je zwei Divisionen, die 12000 Mann stark sein sollen). [] 2. Einführung einer zweijährigen Militärdienstpflicht. [] 3. Aufstellung einer taktischen Luftwaffe mit mindestens 2000 modernen Jägern, Jagdbombern und leichten Bombern. Mindestpersonal: 40000 Mann. [] Die westdeutsche Presse und der westdeutsche Rundfunk haben inzwischen in monatelanger psychologischer Vorbereitung und rühriger Propaganda für die Remilitarisierung den Boden für diese Meldung bereitet. Jedes Argument, das gegen die Remilitarisierung spricht, wird totgeschwiegen oder lächerlich gemacht. Die publizistischen Einrichtungen dienen nicht mehr einer Meinungsbildung durch eine objektive Berichterstattung und durch Mitteilung von Tatsachen, sondern erniedrigen sich wieder zum Instrument einer billigen Meinungsmache, die dem Leser und Hörer eine eigene Beurteilung des Für und Wider unmöglich macht. Der im Sommer 1949 gewählte Bundestag - also zu einem Zeitpunkt, an dem niemand eine Remilitarisierung für möglich und darum auch nur der Erwähnung wert hielt - denkt nicht daran, durch eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes der Bevölkerung die Möglichkeit einer Willensäußerung zu dieser Existenzfrage unseres Volkes zu geben, obwohl zahlreiche auf Universitäten und Hochschulen und durch Wochenzeitungen durchgeführte private Abstimmungen auf ein überwiegendes Nein der Bevölkerung schließen lassen. Die lebendigen Kräfte resignieren oder werden in die Arme der kommunistisch inspirierten Volksbefragung getrieben, um überhaupt noch einen Weg zu haben, ihren Willen nachdrücklich und unüberhörbar Ausdruck geben zu können. Die Regierung stempelt sie zu Kommunisten. Wer sich gegen die Remilitarisierung stellt und von Frieden und Wiedervereinigung redet, wird als Kommunist verdächtigt oder als Dummkopf und Verräter (Adenauer am 24. Juni in Bad Reichenhall) bezeichnet. [] Es hieße das Bild unvollkommen zeichnen, unterließen wir es, auf die gleichzeitige Duldung von anonymen Organisationen wie jenes "Aktionskomitees gegen die fünfte Kolonne" hinzuweisen, das mit der Parole: "Schlagt die Stalinisten, wo ihr sie trefft!" laufend seitenweise Namen mit Anschriften von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens - wie Professoren, Lehrer, Künstler usw. - veröffentlicht, die sich um die Erhaltung des Friedens mühen. Die verschiedenen wirtschaftlichen Interessenvertretungen ehemaliger Berufsoffiziere und Wehrmachtsbeamter bereiten den Zusammenschluß zu einem "Bund deutscher Soldaten" vor, dem es nun nicht mehr nur um wirtschaftliche Interessenvertretung geht, und der ausdrücklich jeden, der einmal Soldat war, zum Beitritt auffordert. "Soldatentreffen" finden in Bonn, Braunschweig und Iserlohn statt. Der ehemalige Fallschirmjägergeneral Ramcke fordert dabei unter dem tosenden und erregten Beifall der Teilnehmer die Freilassung "der" Kriegsverbrecher. Von der Wiedergründung des "Stahlhelm" mit "Front-Heil" und nationalsozialistischer Jugendbünde mit dem ganzen treu-deutschen Wortschwall wollen wir gar nicht erst reden, der Paradefreudigkeit des Innenministers nur Erwähnung tun. Seine Verdienste und Bemühungen um die Remilitarisierung sind unbestritten. Einem Korrespondenten der amerikanischen Nachrichtenagentur United Press erklärte er am 10. Juli, er halte die Aufstellung von mindestens 70000 bis 90000 Mann Bereitschaftspolizei für erforderlich, um "im Ernstfall den Nachschub der kämpfenden Truppe sicherzustellen und Ruhe und Ordnung im Hinterland aufrecht zu erhalten." [] [] Die Schleusen sind hochgezogen! Unserer Anfälligkeit für den Militarismus mit seiner Überschätzung und Wertung des "soldatischen Menschen" und der "soldatischen Tugend" sind Tür und Tor geöffnet. [] (Der Militarismus ist eine Geistesverfassung und hat nichts mit einer quantitativen Entwicklung des Heeres zu tun. Es kann ein Land eine außerordentlich starke Armee haben ohne jeden Militarismus. Und es kann vorkommen, daß Militarismus herrscht - wie im Deutschland nach 1918 -, ohne daß ein nennenswertes Heer da ist.) [] Der Geist, oder richtiger der Ungeist der Gewalt, des Machtdenkens, des erneuten Trauens auf "Rosse und Wagen" hält ungehindert wieder seinen Einzug, freundlich komplimentiert - ob sie es wissen und wollen oder nicht - von den Besatzungsmächten, vor allem den Amerikanern. [] In dem gleichen Maße, in dem die Remilitarisierung vorbereitet wurde und Fortschritte machte, hielten sich die offiziellen Organe der Evangelischen Kirche in ihren Äußerungen zu dieser Frage zurück und verstummten allmählich ganz. Wenn man heute liest, was 1948 die Kirchenversammlung in Eisenach, 1950 die Synode in Berlin und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland noch in Essen gesagt haben, begreift man nicht, wie nach solchen feierlichen, beschwörenden, klaren und kräftigen Worten die Organe der Evangelischen Kirche gerade von dem Zeitpunkt ab, wo die Ereignisse diese Worte sozusagen erst richtig in Kraft und Geltung gesetzt haben, schweigen. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im April dieses Jahres in Hamburg hat nicht einmal die Worte von Eisenach, Berlin und Essen aufgegriffen und wiederholt. [] Resignieren wir? Wagen wir nicht mehr zu sprechen? Schämen wir uns unserer Worte? Sind wir Verpflichtungen eingegangen? Sind wir abhängig geworden? Haben wir Angst und scheuen wir uns, heute so zu reden, wie wir 1948 geredet haben, weil es uns jetzt wahrscheinlich etwas kostet - an Ansehen, Beliebtheit oder auch an finanzieller Unterstützung? Diese törichten Fragen seien erlaubt, denn die Ereignisse - was seitdem geschehen ist und heute geschieht - sind nur dazu angetan, heute noch reiner und klarer zu wiederholen, was wir damals sagten - und die theologischen Voraussetzungen und Erkenntnisse, um so zu reden, wie wir geredet haben, sind seitdem nicht andere geworden. Warum schweigen wir also? Es darf doch nicht dahin kommen, daß wir in Kürze auf den neuen Trümmern ein neues Schuldbekenntnis ablegen müssen: "Wohl haben wir einige Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der in einem Rüstungswettlauf und einem neuen Kriege seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat, aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." [] Was sollen wir tun? Die Stunde der Bewährung ist da! Wenn wir nicht unglaubwürdig werden und auf uns laden wollen, daß der Name Christi, den wir unseren Botschaften voransetzten, von den Menschen um unseretwillen gelästert wird, müssen wir jetzt reden und handeln. [] Die Kirche muß zu ihrem Wort stehen. Darum sollten der Rat und die Kirchenleitungen beschließen: [] 1. in dieser unserer Lage von allen Kanzeln den entscheidenden Abschnitt aus dem Eisenacher Wort der evangelischen Christenheit verlesen zu lassen; die Pfarrer und Ältesten anzuhalten, diesen Abschnitt in Gemeindeveranstaltungen auszulegen und im Gottesdienst über die Bibeltexte zu predigen; [] 2. die evangelischen Christen aufzufordern, das Berliner Wort zu befolgen und bei allen, die in politischer Verantwortung stehen, "eindringlich und unermüdlich vorstellig zu werden, daß sie nicht in einen Krieg willigen, in dem Deutsche gegen Deutsche kämpfen" und "sich durch keine Macht der Welt in den Wahn treiben lassen, als ob ein Krieg eine Lösung und Wendung unserer Not bringen könnte"; [] 3. die evangelischen Christen anzuhalten und ständig zu mahnen, weder im Osten noch im Westen einer Remilitarisierung das Wort zu reden; "das gilt im gegenwärtigen Augenblick für die Aufstellung deutscher Verbände innerhalb einer westeuropäischen Armee nicht weniger als für die Schaffung einer eigenen deutschen Wehrmacht. Dies gilt in der gleichen Weise für alle ähnlichen Bestrebungen auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhanges" (Wort des Bruderrates vom September 1950); [] 4. die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen wirklich der "Fürsprache und der Fürbitte der Kirche gewiß sein lassen" (Berlin). Das setzt aber bestimmte Vorbereitungen und Maßnahmen voraus, damit diese Worte nicht leere oder erbauliche Phrase bleiben. Schon morgen können Unzählige vor der Frage des Kriegsdienstes stehen. Darum muß diese Frage heute in den Gemeinden erörtert werden. Wir lassen diese Dinge wieder unverantwortlich treiben und den einzelnen Christen ohne kirchliche Zurüstung und Unterweisung aus dem Worte Gottes für seine doch wirklich nicht leichte Entscheidung, gleich, ob er meint, die Waffe in die Hand nehmen zu dürfen oder den Kriegsdienst verweigern zu müssen. Des einen wie des andern hat sich die Kirche in Liebe und Fürbitte anzunehmen. Ihr kann und darf es ja nie um die Durchsetzung einer Entscheidung für oder gegen den Waffen- oder Kriegsdienst gehen. Ihr Dienst gilt dem angefochtenen und in seinem Gewissen bedrängten Menschen und nicht dem staatlichen Einberufungsbefehl oder dem Prinzip der Kriegsdienstverweigerung. Mit ihrer brüderlichen Hilfe und ihrem seelsorgerlichen Rat steht sie dem Waffenträger wie dein Kriegsdienstverweigerer zur Seite. Der besonderen Fürsprache und des Schutzes werden aber die Kriegsdienstverweigerer bedürfen. Denn diese werden unter Ausnahmegesetzen stehen, mit all den wirtschaftlichen und moralischen Folgen und Diffamierungen, die solche Gesetze nach sich ziehen. Es muß doch der Kirche bekannt sein, daß der Bundesinnenminister im Blick auf die Kriegsdienstverweigerer schon wieder verächtlich von "Drückebergern" gesprochen hat; daß in seinem Ministerium eine Gesetzesvorlage zu Artikel 4, 3 des Grundgesetzes* vorbereitet wird, die seiner christlich-teutonischen Denkweise entspricht, in der Gewissensgründe, außer dem Gehorsam gegen die Obrigkeit, keinen rechten Raum haben. [] Darum sollte die Kirche in Ausführung ihrer in Berlin und Essen zur Kriegsdienstverweigerung beschlossenen Worte: [] a) die Gemeindeglieder aus dem Worte Gottes für ihre Entscheidung zurüsten und im Sinne der Friedensworte der Kirche unterweisen; dabei den Christen das Gewissen schärfen, sich zu prüfen, ob sie im Falle eines Krieges eine Waffe in die Hand nehmen dürfen; [] b) die Gemeinden willens machen und aufrufen, im Ernstfalle Kriegsdienstverweigerer im Namen Jesu als Brüder aufzunehmen, zu schützen und ihre Familien vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahren. [] c) evangelische Juristen bitten, die rechtlichen Unterlagen für die Kriegsdienstverweigerung zu sammeln, einen Rechtsschutz vorzubereiten, und Rechtshilfe und Rechtsbelehrung zu erteilen; [] d) auf die Vorbereitung der Gesetzesvorlage zu Artikel 4, 3 des Grundgesetzes Einfluß nehmen und evangelische Juristen mit dem Entwurf einer Gesetzesvorlage beauftragen. [] Wir meinen, daß sich diese Schritte (1.-4.) für die Evangelische Kirche als eine Verpflichtung aus den von ihr beschlossenen und verkündeten Worten ergeben. Wir muten ihr damit nichts Unbilliges zu, sondern nur, was eigentlich selbstverständlich ist: daß die Kirche zu ihren Worten steht. [] [] * Anmerkung: Artikel 4, 3 des Grundgesetzes lautet: [] "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz." [] [] Es gibt heute in Deutschland nur noch eine Institution, in der Ost und West eine Einheit sind; deren Wort und Weisung von allen Deutschen im Osten wie im Westen gehört und aufgenommen würde und das Schießen von Deutschen auf Deutsche tatsächlich verhindern könnte, um damit entscheidend mindestens zur Entschärfung der Gegensätze zwischen den Weltmächten beizutragen: das ist die Evangelische Kirche in Deutschland. [] [] Dieser Sonderdruck aus dem Augustheft 1951 der Monatsschrift der Bekennenden Kirche "Die Stimme der Gemeinde" ist zum Preis von 10 Pfennig bei der Schriftleitung, Darmstadt, Roquetteweg 15, zu beziehen. [] DIE STIMME DER GEMEINDE [] ist im evangelischen Bereich die Monatsschrift, die zu den konkreten, politischen Ereignissen und zu den sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen der Gegenwart frei und unabhängig in evangelischer Verantwortung unter Mitteilung von Tatsachen Stellung nimmt. [] Lest sie [] Bestellt sie [] Gebt sie weiter [] Bestellungen an die Schriftleitung: Darmstadt, Roquetteweg 15. Bezugspreis monatlich -,50 DM; vierteljährlich 1,50 DM zuzüglich Zustellgebühr. [] Schriftleiter: Pastor Herbert Mochalski und Pfarrer Dr. theol. Herbert Werner. Schriftleitung: Darmstadt, Roquetteweg 15, Tel. 3755 [] Verlegt beim Bruderrat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Darmstadt, Roquetteweg 15, Tel. 3755, Postscheckkonto Frankfurt/M. [] 14 80 89 (mit dem Vermerk für "Stimme der Gemeinde"). - Druck: Eugen Heinz, Stuttgart-Zuffenhausen. Bezugspreis vierteljährlich 1,50 DM zuzüglich Postzustellungsgebühr. Bestellung bei den Postämtern und beim Bruderrat.
Published:1951