An die Bevölkerung Hessens! Schützt die Verfassung - stimmt am 9. Juli mit nein!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Lochung An die Bevölkerung Hessens! [] Schützt die Verfassung - stimmt am 9. Juli mit nein! [] Ein paar Worte möchte die Regierung durch den Volksentscheid am 9. Juli aus der Hessischen Verfassung streichen lassen. - Was bedeutet das? Man wi...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), Landesvorstand Hessen, Rhein-Main-Druck GmbH, Frankfurt/M.
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 09.07.1950
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/3B726BB0-98CF-4176-A3CF-8C0B0665F893
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Lochung An die Bevölkerung Hessens! [] Schützt die Verfassung - stimmt am 9. Juli mit nein! [] Ein paar Worte möchte die Regierung durch den Volksentscheid am 9. Juli aus der Hessischen Verfassung streichen lassen. - Was bedeutet das? Man will auch in Hessen das Wahlsystem einführen, mit dessen Hilft Adenauer in Bonn eine "Mehrheit" erhalten hat, obwohl hinter ihm nur die Minderheit der Wähler steht. Dieses Wahlsystem - Mehrheits- oder Personenwahlsystem genannt - soll anstelle des Verhältniswahlrechts treten, das 1946 durch 72 Prozent der hessischen Wähler in der Verfassung verankert wurde, weil es das gerechteste Wahlrecht ist, das jede Stimme zur Geltung kommen läßt. Bei Adenauers Mehrheits-Wahlsystem dagegen wird nur der Vertreter der jeweils stärksten Gruppe gewählt, während die Stimmen aller anderen Parteien - und seien sie zusammen selbst die Mehrheit - verlorengehen. [] Das Mehrheits-Wahlsystem soll immer die Opposition treffen und der [] Regierung die uneingeschränkte Macht [] sichern. Bei der Neuwahl zum Bundestag in Kulmbach (Bayern) am 14. Mai 1950 hat dies besonders die SPD mit aller Schärfe am eigenen Leib erfahren müssen: Bis dahin vertrat ein Sozialdemokrat Kulmbach. Nach seinem Tod schlossen sich die Rechtsparteien FDP, CDU und Bayernpartei zusammen und sicherten den bisherigen SPD-Wahlkreis für den Adenauer-Kandidaten Semler, obwohl für diesen nur 32000 Stimmen und gegen ihn 50000 Stimmen abgegeben worden waren. Aber das raffinierte Wahlsystem machte auch in Kulmbach aus Adenauers Minderheit eine angebliche "Mehrheit". Die Ungerechtigkeit dieses Systems und das Interesse der Adenauer-Leute an seiner Einführung wurde hier deutlich sichtbar: es geht um die [] völlige Gleichschaltung mit Bonn [] es geht um die restlose Bereitstellung hessischen Bodens und der hessischen Jugend für den amerikanischen Krieg, es geht um die Ausschaltung möglichst jeder Opposition der Notleidenden, die sich gegen die ständige Verschleppung ihrer Forderungen wehren - es geht um den Abbau der elementarsten Grundrechte, um die Sicherung der Allmacht der Bürokratie gegenüber dem Volk [!] [] Deshalb ist der Kampf um die Verteidigung des Verhältniswahlrechts heute ebensowenig Sache einer einzelnen Partei oder Gruppe, wie im Jahre 1946, als es in der Hessischen Verfassung verankert wurde oder im Jahre 1918, als es auf Forderung aller fortschrittlichen Kräfte in Deutschland durch die Revolution anstelle des Bismarckschen Mehrheits-Wahlsystems gesetzt wurde. Selbst der CDU-Sprecher im Hessischen Landtag mußte in der entscheidenden Sitzung am 10. Mai 1950 zugeben, daß das Verhältnis-Wahlrecht das gerechteste ist. [] Die sozialdemokratische "Volksstimme" in Frankfurt schrieb noch zum 1. Mai 1949: [] "Die Verhältniswahl kommt der Forderung nach Gleichwertigkeit jeder abgegebenen Stimme am nächsten. Die Ausschaltung der Opposition fördert die Möglichkeit der Korruption und Mißwirtschaft. Die Mehrheitswahl unterdrückt unnachsichtig die politische Minderheit und nimmt kleinen Parteien jede Chance, im Parlament vertreten zu sein. Sie widerspricht dem demokratischen Prinzip nach der Gleichwertigkeit jeder abgegebenen Stimme. Die hier begünstigte Einparteien-Regierung trägt gefährliche Ansätze zur Diktatur." [] Schon immer hat die deutsche Arbeiterbewegung, vor allem die alte Sozialdemokratie, das Verhältnis-Wahlrecht gefordert. Die 30000 SPD-Stimmen in Kulmbach, die durch Adenauers Wahlsystem verlorengehen mußten, beweisen die Richtigkeit dieser Haltung. [] Die Umsiedler, Körperbeschädigten, Fliegergeschädigten und Evakuierten in Hessen, die bei den Bundestagswahlen ihre Stimmen den Wählergemeinschaften gaben und durch Adenauers Mehrheitswahlsystem um ihre parlamentarische Vertretung betrogen wurden, haben die gleiche Erfahrung machen müssen. [] Aber das ist ja gerade das Ziel der Hilpert und Euler, mit dem Mehrheits-Wahlsystem die Minderheiten mundtot zu machen, dem Volk die noch verbliebenen demokratischen Rechte zu rauben. Schon jetzt sind entscheidende Teile der vom Volke beschlossenen Verfassung liquidiert oder in ihrem Bestand bedroht: [] Das Betriebsrätegesetz (Artikel 37) soll durch ein Gesetz aus Bonn beseitigt werden; [] die Überführung der Grundindustrien in Gemeineigentum (Artikel 41) wurde sabotiert; [] die Bodenreform (Artikel 42), auf die die Flüchtlinge, Landarbeiter und kleinen Bauern hofften, wurde verhindert. [] Das war nur möglich, weil die rechten hessischen SPD-Führer, wie Stock, Wagner und Zinnkann, aber auch die sozialdemokratische Landtagsfraktion - ohne Rücksicht auf die Interessen ihrer eigenen Anhänger - die Pläne der Hilpert und Euler verwirklichen helfen. Nun soll mit dem Mehrheits-Wahlsystem ein Landtag zusammengebracht werden, in dem sich möglichst überhaupt niemand mehr gegen die uneingeschränkte Gleichschaltung mit Bonn wehrt. Es geht um die [] Verwirklichung der amerikanischen Aufrüstung [] für die die Euler, Reiner, Hedler, Leuchtgens und Priester die Trommel rühren. [] Auf unserem Boden soll der Krieg vorbereitet [] werden, für den Adenauer, Schäffer und Hilpert Gelder bereitstellen, während [] Lastenausgleich und Wohnungsbau sabotiert [] werden. [] Bomberflugplätze in Frankfurt und Wiesbaden, Exerzierplätze auf 4200 ha Nutzland in Büdingen, Anwerbung unserer arbeitslosen Jugend für die Besatzungsarmee in Hanau, Wiesbaden und Frankfurt, Aufstellung deutscher "Arbeitskompanien" im Fliegerhorst Langendiebach und Groß-Auheim (Krs. Hanau), Wiedererlaubnis der Anwerbung zum Kriegsdienst durch die Regierung in Bonn - das sind die Vorbereitungen zum Eintritt in Europarat und Atlantikpakt, zum Hineinjagen der deutschen Jugend in einen dritten Weltkrieg, zur Opferung unserer Frauen, Kinder und Greise in neuen Bombennächten, wie sie uns die Auftraggeber der Adenauer & Co. schon einmal beschert haben. [] Darum soll Hessen dem Adenauer-Kurs völlig gleichgeschaltet werden. Adenauer-Kurs - das heißt immer weiteres Aufreißen des Gegensatzes zwischen Luxus und Elend; das heißt Bereitstellung Westdeutschlands für ausländische Kriegspläne, das heißt Verschärfung der Ausbeutung zur Finanzierung fremder Rüstungskönige und Verwandlung des eigenen Volkes in Kolonialuntertanen des Imperialismus; das heißt Abbau der demokratischen Grundrechte und Förderung der faschistischen und militaristischen Bonzen des Dritten Reiches als Wachhunde gegen das eigene Volk. [] Jeder, der nicht freiwillig auf seine demokratischen Grundrechte verzichten will, jeder, der in einem einheitlichen Deutschland - unabhängig von Fremdherrschaft - frei seiner friedlichen Arbeit nachgehen will, jeder, dem es ernst ist mit dem Kampf gegen Bürokratisierung und Korruption, jeder, der für Gerechtigkeit und Sauberkeit in der Politik eintritt, lehnt deshalb den Anschlag auf unsere Hessische Verfassung, die Einführung des Mehrheits-Wahlsystems und die Gleichschaltung mit Bonn ab und [] stimmt am 9. Juli mit NEIN! [] Die Adenauer-Clique hat sich längst gegen die Rechte des Volkes zusammengeschlossen - schließen auch wir, die wir - ob Sozialdemokrat oder Kommunist, Katholik, oder Protestant, Umsiedler oder Kriegsopfer - am 1.12.1946 die Hessische Verfassung geschaffen haben, uns jetzt zusammen, um sie zu verteidigen und Adenauers Gleichschaltungspläne zu durchkreuzen. [] Wir begrüßen alle Bestrebungen zur Bildung von [] Ausschüssen zum Schutze der Verfassung [] und zur Verteidigung des Verhältniswahlrechts in den Betrieben, Orten und Kreisen. [] Sozialdemokratische Arbeiter! Gewerkschaftler! [] Was hätte in den vergangenen drei Jahren mit der klaren Landtagsmehrheit von SPD und KPD in Hessen geschaffen werden können! Wieder und wieder haben sich auf Wunsch der Besatzungsoffiziere Eure rechten Spitzenfunktionäre dazu bringen lassen, mit Adenauers Statthalter in Hessen Koalition zu schließen. Erneut stehen wir in einer wirtschaftlichen und politischen Krise, die mit der von 1930-33 zu vergleichen ist. [] Und wiederum, trotz aller bitteren Erfahrungen, machen Eure rechten Führer der Reaktion den Weg frei! [] Die Wahlen von Kulmbach sind ein Fanal, die Sabotage der Hessischen Verfassung ist ein Beweis! [] Es ist eine Lüge, wenn man behauptet, ausgerechnet Adenauers Mehrheits-Wahlsystem werde die faschistischen und militaristischen Gruppen aus den Parlamenten ausschl[...]n [ausschließen]. Im Gegenteil: Die Hedler, Leuchtgens, Dorls und [...]hter sind gerade durch dieses Wahlsystem - verbündet mit FDP und CDU - in Bonn eingezogen. Nur die [] Aktionseinheit der Arbeiterklasse [] kann dieses Faschistenbündnis zerschlagen. Und gerade das versuchen Stock und Wagner zusammen mit Hilpert und Euler im Interesse der großkapitalistischen Besatzungsinteressenten zu verhindern. Wie zur Zeit Bismarcks begünstigt die Mehrheitswahl auch heute ausschließlich die reaktionärsten Gruppen - und derselbe Christian Stock, der noch 1918 mithalf das Mehrheits-Wahlsystem abzuschaffen, läßt sich jetzt im Amerikahaus dafür feiern, daß er es mit Adenauers und Eulers Freunden zusammen wieder einführen will. [] Die Adenauer-Politik reißt die Kluft zwischen arm und reich immer schärfer auf [] 16 Milliarden DM verdienten die Industrieherren nach dem Eingeständnis Prof. Erhards allein seit der Währungsreform. Aber ... [] Das Realeinkommen der Arbeiter und Angestellten ist, wie die Gewerkschaften statistisch feststellen kaum halb so hoch wie 1936. [] Die Steuerbelastung eines mittelbäuerlichen Betriebes, die 1936 pro Hektar 17,40 Mark betrug, stie [!] unter Adenauer auf über 88,- Mark, also auf mehr als das Fünffache. [] 4 Millionen Arbeitslose prophezeit Adenauers Minister Storch für Ende 1950. [] 500000 schulentlassene Jugendliche sind bereits ohne Arbeit und Brot. [] Ganze Gebiete und Berufszweige sind bis 50 Prozent arbeitslos. [] Jeder zweite Bauarbeiter in Hessen lag im März 1950 auf der Straße (29608 gegenüber 31723 Beschäftigten). [] In den Orten des nordhessischen Notstandsgebietes ist die Arbeitslosenziffer bereits auf 50 Prozent gestiegen. [] 27,2 Prozent der hessischen Arbeitslosen sind Umsiedler denen mit dem Mehrheits-Wahlsystem jeder Einfluß im Landtag genommen würde. [] Von August 1949 bis Februar 1950 wurde unter der Adenauer-Politik die Fürsorgeunterstützung pro Kopf von 30,43 Mark auf 25,25 Mark im Monatsdurchschnitt gekürzt, während die Profite stiegen. [] Von Kriegsende bis November 1949 wurden in Hessen nur 90 Millionen Mark für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt, dagegen aber 1500000000 (1 1/2 Milliarden) Mark für Besatzungskosten, wie Ministerpräsident Stock am 9. November 1949 vor dem Landtag bestätigte. [] Lastenausgleich und Soforthilfegesetz haben sich als Wahlmanöver der Adenauer-Partei erwiesen. [] Alle Versprechungen für die Kriegsbeschädigten wurden gebrochen, aber mit Hilfe von Bannmeile, Demonstrationsverbot und Mehrheits-Wahlsystem will man die Empörung des Volkes knebeln. [] Im Landtag haben wir die Verhaftung und Verurteilung der CDU-Minister Hilpert und Lorberg, die vom Landgericht Wiesbaden für schuldig befunden wurden, Millionenbeträge aus Steuergeldern in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben, gefordert. Sollen Korruption und Mißwirtschaft, Ausbeutung und Verelendung, Kriegsvorbereitung und Aufspaltung Deutschlands durch völlige Gleichschaltung mit Bonn, durch Einführung des Mehrheits-Wahlsystems noch verschärft werden? [] NEIN! [] Die Verfassungsänderung, die Hessen völlig mit den Spaltern in Bonn gleichschalten soll, muß mit einem entschlossenen [] NEIN! [] beantwortet werden. [] Mit ihrem NEIN bekennt sich die Bevölkerung zur Verteidigung der demokratischen Grundrechte und zur Abwehr der politischen und sozialen Reaktion. [] Mit ihrem NEIN bekennt sich die Bevölkerung zur Verteidigung des Friedens und zur Verhinderung des Mißbrauchs unseres Vaterlandes als Militärstützpunkt des Atlantikpaktes. [] Mit ihrem NEIN bekennt sich die Bevölkerung zur Einheit und Freiheit Deutschlands, zur Schaffung eines gerechten Friedensvertrages und zum Abzug aller Besatzungstruppen. [] Frankfurt a. M., den 3. Juni 1950 [] Landesvorstand der KPD Hessen [] Herausgeber: KPD-Landesvorstand Hessen. Druck: Rhein-Main Druck GmbH., Frankfurt a. M.
Published:09.07.1950