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Rettung. [] Die Lage unseres Vaterlandes ist am Schlusse des Weltkrieges außerordentlich ernst. Seiner Wehrhaftigkeit infolge der unmenschlich harten Waffenstillstandsbedingungen beraubt -, seiner Weltmachtstellung verlustig gegangen -, seine wirtschaftliche Produktion gefährdet -, das Gespenst des Hungers und der Reichsauflösung vor der Tür -, ist das noch vor kurzer Zeit so hochgemute und siegesgewisse deutsche Volk auf Gnade und Ungnade der Willkür seiner übermächtigen Feinde preisgegeben. [] In dieser verzweifelten Lage beschwören wir die Schatten der Vergangenheit und suchen aus ihr Mut und Zuversicht zu schöpfen für den Ernst der Gegenwart. Denn noch verzweifelter war die Lage des deutschen Volkes am Schlusse des dreißigjährigen Krieges. Nur 4 Millionen verarmter und verelendeter Menschen erlebten die neue Friedenszeit. Deutschland lag in Jammer und Not, und es schien, als läge der Fluch Gottes auf ihm. Auf 50 Meilen in der Runde traf man höchstens nur einen Greis oder eine alte Frau. So schildern die Zeitgenossen die damaligen Verhältnisse. Aus dem Jammer jener Zeit rettete das deutsche Volk [] das Merkantil-System und das absolute Fürstentum. [] Das Problem jener Zeit hieß: Menschen und Geld. Das absolute Fürstentum beschränkte in Brandenburg die überlebte ständische Verfassung und trieb eine großzügige Zuwanderungs- und Siedelungspolitik. So wurden die menschenleeren Gefilde bevölkert. Das Merkantil-System - zu deutsch: auf den Handel sich gründend - bezweckte durch seine Maßnahme die Steigerung der Produktion und die Verminderung der Einfuhr. Beide Systeme gelangten in Preußen unter Friedrich Wilhelm I. zur höchsten Vollendung. Unter ihm wurde die Staatsgewalt wie ein "rocher de bronce" - wie ein Felsen von Erz - auf den Trümmern der vernichteten Staatsverfassungen des Mittelalters ausgerichtet, und auf wirtschaftlichem Gebiete ging ebenfalls die Leitung ganz an die Staatsgewalt über. Diese beiden Systeme erhielten ihren Todesstoß bei Jena und Auerstädt. Der Geist der wirtschaftlichen und politischen Freiheit siegte über das alte staatliche Bevormundungs-System. Der Niederschlag dieses neuen Geistes ist in der Stein-Hardenbergschen Gesetzgebung zu erblicken. [] "Dieser Geist der politischen und wirtschaftlichen Freiheit oder des Liberalismus" [] wurde die Rettung aus der Niederlage nach Jena und Auerstädt. Der Geist des Liberalismus durchwallte so in den nächsten Jahrzehnten die deutsche Menschheit. Er befähigte das preußische und deutsche Volk zu den Befreiungskämpfen 1813-1815. Im Geiste des Liberalismus - der Einheit und Freiheit - litten die Burschenschafter, - fielen die Barrikadenkämpfer von 1848 - stritten die Männer in der Paulskirche für Deutschlands Einheit, siegten die preußischen Waffen bei Düppel und Königgrätz und in diesem Geiste hieben endlich aus den Reihen der Franzosen die deutschen Bataillone die Hohenzollernsche Kaiserkrone heraus. Im Zeichen von Einheit und Freiheit wurde das deutsche Kaiserreich geboren. Der Reichsschöpfer versuchte durch die Wirtschaftspolitik von 1878 und durch die spätere Sozialpolitik das Reich innerlich zu festigen und seine Wirtschaftlichen Kräfte zur vollen Entfaltung zu bringen. Die Wirkung dieser Politik steigerte die deutsche Wirtschaftskraft ins Angemessene. Aber in Verbindung mit der Flotten- und Weltpolitik des deutschen Imperialismus brachte sie uns in Gegensatz zu England. [] Am deulsch-enslischen Gegensatz entzündete sich der Weltkrieg 1914. [] Im Verlaufe von vier Weltkriegsjahren organisierte sich die Menschheit in zwei gewaltige Machtgruppen. Aus der einen Seite unter Deutschlands Führung die mitteleuropäische Mächtegruppe, deren Kern der alte Bismarck'sche Dreibund war. Auf der anderen Seite die jüngere Gruppe unter Führung Englands, der 1917 noch Amerika mit den südamerikanischen Staaten hinzutrat. Die Übermacht an Menschen, Material und Geld war auf Seiten der Entente. Trotz dieser ungeheurenÜbermacht, - denn mehr als 1200 Millionen Menschen standen dem mitteleuropäischen Bunde feindlich gegenüber - hielt Deutschland und seine Verbündeten vier Jahre siegreich Stand. Erst der bulgarische Zusammenbruch im September 1918 übte seinen zerstörenden Einfluß auf die Türkei und aus Osterreich-Ungarn aus. Die mitteleuropäische Mächtegruppe brach zusammen. Das deutsche Reich sah sich nun gezwungen, auf der Grundlage des Rechtsfriedens Amerika um die Vermittelung eines Waffenstillstandes anzugehen. [] Am 10. November wurde er unter den denkbar ungünstigsten Bedingungen geschlossen. Des Krieges Ende war damit in greifbare Nähe gerückt, der Sieg aber war dem Angelsachsentum verblieben. In Deutschland siegte am 9. November die Revolution. Das monarchische Prinzip erlebte seinen Charfreitag. Der Kaiser und die deutschen Bundesfürsten wurden durch die Macht der Verhältnisse zur Abdankung gezwungen. [] "Das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten und neues Leben blüht aus den Ruinen." Nach menschlichem Ermessen kann die Rettung aus dem Jammer der Gegenwart nur vom [] demokratischen Prinzip und sozialistischer Gesinnung [] kommen, d.h. vom Geiste der Freiheit, Gerechtigkeit, Ordnung und Arbeit. Die Ordnung aufrecht zu erhalten, die neue staatliche Gewalt durch die Nationalversammlung sanktionieren zu lassen, allen Volksgenossen die größtmöglichste Teilhaberschaft an der politischen Gewalt sowie an den Gütern und Gaben der Kultur zu verbürgen, ist das Ziel der demokratischen Idee, die hoffentlich im Volksstaate verwirklicht wird. Die Forderung des Tages ist: im Zeichen von Einigkeit, Recht und Freiheit, muß sich das deutsche Volk zusammenfinden, um aus den Trümmern der Gegenwart das neue Reichshaus aufzubauen, denn: [] Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand, [] Blüh' im Glanze dieses Glückes, blühe teures Vaterland! [] Druck und Verlag: Arbeitsgemeinschaft, Berlin W 35.
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