Für ein Sowjet-Deutschland

Bemerkungen: [] = Absatzmarken (ohne Punktion) im Volltext des Originals Für ein Sowjet-Deutschland [] Die Kommunistische Partei Deutschlands hat für den 14. September unter der geistigen Führung des revolutionären Abenteurers Heinz Neumann eine Wohlparole ausgegeben, die an nationalistischer Verhet...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Volkszeitung G.m.b.H., Mainz
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 14.09.1930
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/BDC22A18-9F40-4406-8E2C-4BD6791E9807
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken (ohne Punktion) im Volltext des Originals Für ein Sowjet-Deutschland [] Die Kommunistische Partei Deutschlands hat für den 14. September unter der geistigen Führung des revolutionären Abenteurers Heinz Neumann eine Wohlparole ausgegeben, die an nationalistischer Verhetzung sogar den Nationalismus der Göbbels [!] [Goebbels] und Hitler übertrifft und in dem Rufe gipfelt: Für ein Sowjetdeutschland. Daß am 14. September die Frage der Staatsform nicht zur Entscheidung steht, weiß jedermann. Die bürgerlichen Parteien fürchten darum auch die kommunistische Parole nicht. Von Koch - Weser und Mahraun über Brüning und Treviranus bis zu Scholz und Hugenberg sind alle sich bewußt, daß Heinz Neumanns Wahlmanifest nur dem wahnsinnigen Haß gegen die Sozialdemokratie entsprungen ist. Der Sozialdemokratie soll am 14. September entscheidend aufs Haupt geschlagen worden und dazu sollen die Kommunisten die Hilfstruppen stellen. Die "Deutsche Allg. Ztg.", das einstige Stinnesorgan, schrieb darüber mit brutaler Offenherzigkeit: "Die Kommunisten müssen verhindern, daß die Sozialdemokratie übermächtig wird, sie sind für den bürgerlichen und kapitalistischen Staat solange ein wertvolles Werkzeug, als sie als Pfahl Im Fleische der Sozialdemokraten wirken." Aber wenn es wirklich so sein sollte, daß Thälmann und Heinz Neumann es ernst mit ihrer Parole meinen, Was [!] würden die Schaffenden Deutschlands dann erwarten? Blickt nur nach Sowjetrußland. Statt Einigkeit und Recht und Freiheit blindes Wüten aller gegen alle, die roheste Justiz der Kulturwelt und die Unfreiheit des schlimmsten Despotentums. Statt Gleichheit und Brüderlichkeit die Diktatur-Herrschaft des sowjetistischen Bürokratismus und Bonzentums. Das arbeitende Volk Deutschlands verzichtet auf ein solches "Vaterland der Proletarier". Und wie steht es mit dem Wiederaufbau der Wirtschaft auf sozialistischer Grundlage? Der vielgenannte Fünfjahresplan mag mit Hilfe nichtsowjetistischer Arbeitskräfte aus Deutschland und der westlichen Kulturwelt da und dort Fortschritte gemacht haben; im ganzen ist er ein Potemkin'sches Dorf [] Das Zentralkomitee der K. P. S. R. hat an alte Partei-, Wirtschafts- und Gewerkschaftsorganisationen einen ganz ernsten Aufruf im Zusammenhang mit dem Fünfjahresplan erlassen, in dem Maßnahmen zur Festigung der Arbeitsdisziplin und solche zur Verpflichtung der Arbeiter, in ihren Betrieben bestimmte Zeit zu arbeiten, gefordert werden. Zugleich wird zum Kampfe gegen Verlangsamung des Arbeitstempos auf. gerufen. Fürwahr, ein klägliches Fiasko! Was schließlich noch übrig bleibt, ist, daß man jetzt einer großen Anzahl von Gelehrten - und unter ihnen die geistigen Väter des Fünfjahresplanes - den Prozeß wegen "antirevolutionärer Umtriebe" gemacht hat, um sie zu hängen. Immer sichtbarer werden in Sowjetrußland auch die Anzeichen einer Geld-Inflation. Wie bei jeder Inflation, so verschwindet zur Zeit auch In Rußland das bare Geld. Und dem wird man auch keinen Halt gebieten dadurch, daß man eine Anzahl Rubelschieber gehängt hat. Für einen solchen Wiederaufbau der Wirtschaft dankt die deutsch Arbeiterschaft! Sie will eine sozialistische Wirtschaft auf der Grundlage eines wahrhaft demokratischen Staates. Riesengroß ist in Sowjetrußland auch die Arbeitslosigkeit - fürchterlich die allgemeine Not. Diee Industrie beschäftigt nur einen geringen Teil der Erwerbstätigen; zur Zeit in Industrie und Kleingewerbe nur 3,8 Millionen Menschen. Das flache Land ist übervölkert, und vor den städtischen Arbeitsnachweisen drängen sich Hunderttausende von Arbeitern und Frauen, die "die Industrie zur Zeit nicht braucht". Dabei werden diese Opfer des Fünfjahresplans von einem hohen Sowjetmann noch nach altbekannter Kapitalistenmethode als notorische "Arbeitsscheue" verhöhnt. Dafür aber ist die Arbeitslosenfürsorge in Rußland viel schlechter wie in Nicht-Sowjet-Deutschland. Deutsche Erwerbslose, wollt Ihr ein solches Sowjetparadies auch in Deutschland? Auch die Lobpreisungen über die hohen Löhne in Sowjetrußland sind, bei genauer Prüfung, nichts anderes wie Märchen [] Der tatsächliche Tagesverdienst des russischen Industriearbeiters betrug im Juni ds. Js. durchschnittlich 3 Rubel und 40 Kopeken. Um aber die Kaufkraft dieses Lohnes zu erkennen, muß man die hohen Preise für den Lebensunterhalt kennen. Zum Beispiel mußte man in Leningrad im Juli ds. Js. für Kartoffeln pro Kilo 35-45 Kop. zahlen, gegen 2-2½ Kop. vor dem Kriege. Alles in allem ergibt sich, dass die Kaufkraft des Rubels heute nur noch einen Bruchteil der Kaufkraft der deutschen Mark beträgt. Was bedeuten dann 3 Rubel 40 Kopeken täglichen Lohnes? Deutsche Arbeiter habt Ihr Sehnsucht nach solchen Löhnen? Auch im Vergleich des Ausgabenbudget der Sozialversicherung in Rußland und Deutschland beweist, wie so gar keine Ursache die deutschen Sozialversicherten haben, ein Sowjetdeutschland nach Moskauer Muster zu erstreben. In Rußland war der Kreis der Versicherten im Jahre 1929 rund 11½ Millionen Menschen, in Nicht-Sowjet-Deutschland, bei einer halb so großen Menschenzahl, etwa 23 Millionen, also etwa doppelt so viel. - In Rußland wurden in der ersten Hälfte 1929/30 für die gesamte Sozialversicherung 608,2 Millionen Rubel und in Deutschland für 1929 insgesamt 7368,5 Millionen Mark ausgegeben, also vergleichsweise fast sechsmal so viel. So sieht es auf allen Gebieten des staatlichen, wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und überhaupt öffentlichen Lebens aus. Eine neue Hungerwelle ist in Rußland im Anrollen. Die Gefahren baldiger Stillegungen von Betrieben sind noch größer wie in Deutschland. Die kulturellen Aufgaben leiden schwerste Not. - "Keine Lehrbücher, keine Schulbänke, keine Schuhe" überschreibt die Leningrader Sowjetzeitung "Krasnaja Gaseta" einen Artikel vom 15. August, und noch traurigeres Material bringt die amtliche Gewerkschaftszeitung "Prawda" vom 22. August. Nur Männer, die ein solch mangelndes Verantwortungsbewußtsein gegenüber ihren bitter ringenden und tief leidenden Volksgenossen haben, wie Thälmann und Neumann, - nur sie können das Volk zum Kampfe am 14. September für ein Sowjet-Deutschland aufrufen. Dieses Volk wird darauf die Antwort geben. Es wird nicht für Liste 4 eintreten, sondern für den sozialistischen Aufbau der deutschen Wirtschaft auf der Grundlage einer wahrhaft demokratischen Republik [] indem es stimmen wird für die Sozialdemokratische Liste 1 [] Verantwortlich: Widmann, Offenbach. Druck: "Volkszeitung", G. m. b. H., Mainz"
Published:14.09.1930