Summary: | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals;
Deutscher Bundestag [] Abgeordneter Dr. Siegfried Bärsch Bremen, 5. August 1953 [] An den Vorsitzenden des Bundesausschusses für Sozialpolitik der CDU [] Sehr geehrter Herr Lünendonk! Sie haben in dem CDU-Flugblatt vom 17. 6. 1953 einen recht merkwürdigen Versuch unternommen, meinem Parteifreund, dem sozialdemokratischen Oppositionsführer Erich Ollenhauer, auf seinen Brief an die Rentner vom Februar dieses Jahres zu "antworten". Herr Ollenhauer hatte in diesem Brief den Rentnern dargelegt, wie es im November/Dezember 1952 zur Erhöhung der Renten um jeweils 5,- DM für Rentenempfänger, 4,- DM für Witwenrenten und 2,- DM für Waisenrenten gekommen ist. Er hatte insbesondere darauf hingewiesen, daß die SPD-Fraktion eine Erhöhung um 15,- DM für Rentenempfänger, 12,- DM für Witwenrenten und 6,- DM für Waisenrenten gefordert hatte und daß die verzögerte Auszahlung der ohnehin unzureichenden Rentenerhöhung auf die anfängliche Weigerung der Bundesregierung zurückzuführen war. Kein Wort in diesem Brief kann widerlegt werden - weil es sich um unbestreitbare Tatsachen handelt - und ist von Ihnen widerlegt worden! Statt dessen versuchen Sie vielmehr, in der Maske des Biedermannes Beier Herrn Ollenhauer und die SPD zu diffamieren und ihr zu unterstellen, daß sie die "Not der Rentner zu Wahlzwecken missbrauchen" wolle. Herr Beier, Ihr ominöser Briefschreiber scheint zumindest ein sehr unpolitischer Mensch zu sein. Sonst müßte er wissen, was die Arbeitnehmer der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung verdanken! Denn bekanntlich wer es die Sozialdemokratie, die den Achtstundentag, das erste Betriebsrätegesetz und jene Vielzahl von Verbesserungen auf dem Gebiete der Altersversorgung, des Arbeitsschutzes und des Arbeitsrechts einführte. Und es war noch 1945 wiederum die sozialdemokratische Fraktion im Wirtschaftsrat und im ersten Bundestag, auf deren Initiative 1949 in der Invalidenversicherung die Invaliditätsgrenze von 66 2/3 Prozent auf 50 Prozent herabgesetzt, die Witwenrente eingeführt und in der Angestellten- und Invalidenversicherung Mindestrenten geschaffen wurden und später im Bundestag die Anrechnung bei Doppelrenten auf Grund der sog. Ruhensvorschriften von 50 Prozent auf 25 Prozent gesenkt und in der Angestellten- und Invalidenversicherung die freiwillige Höherversicherung eingebaut wurde. Auf der Rückseite Ihres CDU-Flugblattes stellen Sie aber sogar Behauptungen auf, die einfach unwahr sind - wie jeder Rentner nachrechnen kann - wenn Sie erklären, daß die Invalidenrenten gegenüber 1948 durchschnittlich verdoppelt worden und daß die Leistungen der Bundesrepublik für die sozial Schwachen von 10 auf 18 Milliarden erhöht worden seien. Die Invalidenrenten wurden seit dieser Zeit insgesamt dreimal erhöht, und zwar: 1949 (Sozialversicherungsanpassungsgesetz) um 3,6 Proz. [] 1951 (Rentenzulagegesetz) um 25,4 Proz. [] 1952 (Erhöhung um 5,- DM) gleich etwa 7,0 Proz. [] Das ergibt nach Herrn Lünendonk von der CDU 100 Prozent, nach Adam Riese aber 66,0 Proz. [] Und Sie verschweigen den Rentnern, Herr Lünendonk von der CDU, daß alle diese Erhöhungen durch beständiges Drängen der SPD-Fraktion von der Regierung und Ihren Partelen (CDU, FDP und Deutsche Partei) erzwungen werden mussten! Wenn Sie zweitens behaupten, daß die Leistungen der Bundesrepublik für die sozial Schwachen von 10 auf 18 Milliarden erhöht worden seien, so beziehen Sie damit die Renten aus der Sozialversicherung in Höhe von reichlich 8 Milliarden DM in diese 18 Milliarden ein, obwohl die Sozialrentner ihre Renten aus der Sozialversicherung durch jahrzehntelange Beitragsleistungen ebenso erworben haben wie die Beamten ihre Pensionen und die Privatversicherten ihre Leistungen aus der Privatversicherung. Die Sozialrentner sind keine Kostgänger der Steuerzahler - wie Sie das hinzustellen belieben -, sondern Menschen, die ihre Altersversorgung aus eigenen Mitteln aufgebaut haben! Und noch ein Wort zum Schluß, Herr Lünendonk von der CDU: Wenn man, wie Ihre Partei, sechs Jahre lang - nämlich seit dem Frankfurter Wirtschaftsrat 1947 - ununterbrochen regiert und den Unternehmern die Möglichkeit geschaffen hat, in dieser Zeit ihre Vermögen in vollem Umfange wiederaufzubauen und zum Teil sogar noch erheblich zu vergrößern, dann kann man keine Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen, wenn man heute nach diesen sechs Jahren für die Alten und Invaliden ausreichende Sicherung verlangt. Oder wollen Sie, Herr Lünendonk, im Ernst behaupten, daß die Wiederherstellung der großen privaten Vermögen sozial dringlicher war als die ausreichende Sicherung der Alten und Invaliden? Die Sozialrentner werden Ihnen, Herr Lünendonk, und Ihrer Regierung am 6. September die Antwort nicht schuldig bleiben. Sie werden Sozialdemokraten wählen! Ihr (Dr. Siegfried Bärsch) [] Druck: J. H. Schmalfeldt & Co., Bremen. - Verantwortlich: Dr. Siegfried Bärsch
|